HEUTE: 1. Komödie im Rathaus Reinickendorf – „Carmen darf nicht platzen“ / 2. Theater am Frankfurter Tor – „MACBETH“ / 3. RambaZamba Theater – „The Rocky Horror Drag Show“ / Extra-Tipp: „Berlin – Karl-Marx-Platz“ im Gorki Theater
Alle sind da, bloß eine fehlt: Carmen. Doch ohne Elena Firenzi platzt das Jahrhundertereignis in der Cleveland-Oper. Ohne das sauteure Sensationsgastspiel des Superstars der Klassikwelt hier in der US-Provinz anno 1934 geht der Singsang-Tempel pleite. – Da brennt lichterloh die Luft im prachtvollen Backstage-Salon – die Luxus-Garderobe für die Diva aus Italien: Zwei Räume, sechs Türen, Kleiderkammer, Bad, King-Size-Bett mit Rokokospiegel und alles in süß Kuschelrosa (Bühne: Momme Röhrbein).
Dort terrorisiert die entnervte Intendantin (Marion Kracht), herrische Lady von Pumps bis Turmperücke, das Personal: Ihre Assistentin Jo (Mariyama Ebel), eine zittrige Nachwuchssängerin, die ihren Stimmbändern nicht traut; ihr Söhnchen Jerry (YanaRobin la Baume), eine klassische Operntunte; die quicke Hotelpagin Beverly (Mia Geese); dazu ein eitel dicklicher Tenor sowie die madamig glitzernde Vorsitzende des Opern-Freundeskreises (beide: Mackie Heilmann).
Die katastrophal anschwellende Verzweiflung treibt das illustre Kollektiv der Wartenden – wohin sonst! – ins wild wuchernde Chaos. Bis plötzlich doch noch die Königin aller Diven (Antje Rietz) hoheitsvoll auftaucht mit ihrem verlotterten Gemahl (Alessa Kordeck).
Doch die Firenzi, exzentrisch, zickig, dabei empfindsam, hat Sex- und Verdauungsprobleme, schluckt Schnaps, futtert Tabletten und verschwindet im Klo. Und danach im Bett. Eine letzte Ruhe vorm Auftritt. Doch leider, sie lässt sich nicht mehr aufwecken…
Da muss die vor Angst schlotternde Assistentin ran! Muss aus sich heraus, muss mutig sein. Und rettet – o Wunder! – bejubelt die Vorstellung. Inkognito im „Carmen“-Kostüm der pennenden Firenzi, die wiederum – Überraschung! – mittlerweile erwacht aus ihrem Tablettenkoma. Was die Backstage-Tollerei mit nunmehr doppelter Carmen, erotischen Wirrungen, kreischenden Tätlichkeiten sowie verbalem Rundumschießen auf die Spitze treibt.
Berliner Broadway-Tauglichkeit
„Carmen darf nicht platzen“ ist eine in den Aberwitz getriebene Fortschreibung des internationalen Komödienklassikers „Otello darf nicht platzen“ von Ken Ludwig. Was der erfahrungsreiche Erfolgsregisseur Pascal Breuer jetzt auf die Bretter der Reinickendorfer Breitwandbühne wirft, ist, man darf es getrost vermelden, absolut Broadway-tauglich.
Da stimmen die Tempi, die Stimmungen, da passen die Pointen, da funktioniert klipp-klapp der Slapstick mit dem Raus-Rein zwischen den zahlreichen Türen. Und das exzellente Ensemble – sieben Frauen brillieren in acht Rollen – haut auf den Putz, dass es nur so spritzt.
Ja, Komödie, bei allem Allotria fein ziseliert. Ja, Klamotte, aber mit Charme und Eleganz bis in die Kostüme (Angelika Rieck). Und bei allem Klischee, bei aller Parodie: trefflich skizzierte Typen. Die stemmen, wenn es sein muss, auch Opernspitzentöne, imitieren perfekten Italo-Slang und beherrschen die rasenden Hick-Hack-Dialoge wie einst die Damen in Ufa-Schmonzetten. Großes Können in gut zwei Stunden. Beglückendes Unterhaltungstheater. Es staunt der Kopf, es hüpft das Herz.
Komödie im Ernst-Reuter-Saal in Reinickendorf, bis zum 14. Dezember. Hier geht’s zu den Karten.
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„Und wenn wir scheitern?“ Quatsch, Lady Macbeth wischt des Gatten Ängste forsch weg. Und pocht auf ihren Plan: Er, zweiter Mann im Staat, sticht den King samt Entourage ab im Schlaf, wird König und sie First Lady. – Super! Die Machtergreifung hat geklappt, doch Macbeth zweifelt. „An der Macht sein ist nichts, wenn sie nicht gesichert ist“, heult er (Tibor Locher) am Busen der Gattin (Johanna Marie Bourgeois), einer machtgeilen, verführerischen Höllenrose. Die bläst Macbeth alle Ängste aus dem Kopf. Treibt ihn von Mord zu Mord, um die Konkurrenz kalt zu machen: „Wenn wir die Macht besitzen, machen wir die Wahrheit. Und was wir sagen, ist Gesetz.“
So dreht sie sich immer heftiger in der Shakespeare-Tragödie „Macbeth“, die Spirale der Verbrechen am schottischen Königshof, die um einer Wahrheit, um einer Gesetzesmacht Willen alle Werte entwertet, jeden Sinn zerstört und jede Vernunft ad absurdum führt.
Lehrstück und Psychothriller
Diese tieftraurige und auch wieder seltsam komische Mär aus uralter Zeit über den Wahn des Krieges – den gegen andere wie den gegen uns selbst –, sie wirkt heute, gerade heute wieder, wie ein Lehrstück über menschliche Hybris, Manipulation und Selbstzerstörung. Es heißt, wer in den Krieg zieht, werde verrückt und stürze immer tiefer ins irre Werk der Vernichtung. – Dort endet denn auch der von Gier in den Blutrausch gepeitschte Macbeth mit seiner skrupellos herrschsüchtigen Lady.
Auf die beiden Hauptfiguren hat der gewiefte Dramaturg und Dramatiker John von Düffel das weit ausgebreitete Untergangs-Stück konzentriert – und eingestrichen. Ein Meisterstück, wie auch seine neue, sprachmächtige Übersetzung. Auf kleinster Bühne ein großes, politisch erhellendes Endspiel des Grauens. Ein Psychothriller zwischen bis in den Tod miteinander ringenden Eheleuten. Ein Daseinskonzentrat, einfallsreich in klaren starken Bildern inszeniert von Irene Christ. Für Klassik-Einsteiger, für junge Leute überhaupt, unbedingt empfehlenswert. Und für die so umtriebige Kammerbühne am Frankfurter Tor eine mutige Erweiterung des Repertoires.
Theater am Frankfurter Tor, diverse Termine bis zum 27. Januar. Hier geht’s zu den Karten.
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„Drag Queens sind meistens Männer, tragen Frauenkleidung und Make-Up, spielen eine Rolle und sind politisch. Weil: Sie zeigen, es gibt nicht nur Männer und Frauen; gibt keine festen Grenzen zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht.“ – Für eine kleine Aufklärung auf dem Hochglanz-Programmzettel für „The Rocky Horror Drag Show“ ist es nie zu spät; auch wenn die Veranstaltung unter „P18“ läuft. Dazu der Hinweis ans Publikum: „Wir alle sind nackt geboren, der Rest ist Drag. Also schämt euch nicht, seid glamourös und kommt in (oder als) Drag – oder einfach wie ihr drauf seid und Lust habt.“
Man war sehr gut drauf und hatte sehr viel Lust auf beiden Seiten: Sowohl die Entertainer auf dem roten Laufsteg mitten durch den Saal als auch die freilich nur höchst sparsam drag-glamourösen Leute aller Altersklassen drumherum. Die nämlich riss es immer wieder von den Sitzen zum Schwof zu den Hits von Dr. Frank N. Furters zünftiger Rambazamba-Party im Fantasy-Schloss der Prenzelberg-Kulturbrauerei. Da wurden alle im Handumdrehen zu Disco-Queens. Verrücktes Mitmach-Theater, doch von der sympathischen Art.
Süßes Liebespaar mit scharfen Drag-Queens
Dabei gerät die Handlung von Richard O’Brien’s „Horror Picture Show“ (aus den Siebzigern) unversehens zur Nebensache. Das Theater feiert sich, feiert Liberalität, Lebenslust und Tollheit, befeuert mit viel Charme, Witz und Ironie. Sowie mit zwei „echten“, also professionellen Berliner Drag-Queens (Judy LaDivina in schwarzem Leder und Bibingka in rotem Latex). Und mittendrin das entzückend naive Liebespaar aus einem Berliner Kiez Janett und Bernd (Juliana Götze und Jonas Sippel), das eilends lernt, wie das mit den frivolen Entgrenzungen so läuft. Alles ein spielerisch ausgelassener Spaß (Regie: Jacob Höhne).
Wir müssen bangen, dass dieser Glanz der so ruhmreichen, mit Koryphäen des Hochleistungs-Profi-Theaters eng verbundenen Bühne nicht vergeht. Das RambaZamba, vor gut drei Jahrzehnten gegründet „als inklusives Viersparten-Theater für Menschen mit Behinderung“ (Theater, Musik, Kunst, Tanz), diese Hauptstadt-Institution ist europaweit eine Einzigartigkeit – besonders durch seine künstlerischen Ansprüche und Qualitäten. Doch jetzt steht seine Existenz auf dem Spiel. Durch Reduktion der Förderung. Noch genügt sie dem laufenden Betrieb. Für die künstlerische Arbeit jedoch fehlt das Budget. Aber ein jedes Theater stirbt ohne Neuproduktionen; gegenwärtig sind das acht pro Spielzeit. – Wer nur kann das wollen?!
RambaZamba Theater, am 21. und 22. November, sowie vom 11. bis 13. Dezember. Hier geht's zu den Karten.
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EXTRA-TIPP: „Berlin Karl-Marx-Platz“ im Gorki – Die Liebe glüht bis sie verglüht
Mauerfall: Lisa, ein Mädchen aus Marzahn, ostdeutsche Familie; und Cem, türkischstämmige Familie, ein Junge aus Neukölln. Sie verlieben sich, die Freiheit schien grenzenlos, beide wollen Himmel stürmen. Sie als Sängerin, er als Schriftsteller. Ein Künstlerleben jenseits aller Normen. Der große Auf- und Ausbruch, dann Abstürze, die Mühsal der Ebene: Überforderung, ein Kind kommt, die Liebe vergeht, Hoffnungen verfliegen. So geht das Leben. Am Ende sitzen alle in derselben billigen Kantine, ob in Marzahn oder Neukölln.
Was für eine Geschichte. Autor und Regisseur Hakan Savas Mican erzählt sie in knappen Szenen, kontrapunktiert durch eine Fülle wilder, wehmütiger Lieder – mitreißend und gleichermaßen herzberührend zwischen Klassik, Folklore, Rock und Pop. Das Bittersüße einer revueartigen Theatralik ist das Bewundernswerte der Kunst des Regieromantikers. Die freilich nur gelingt mit ausdrucksstarken, stimmgewaltigen Gorki-Stars wie Sesede Terziyan und Taner Sahintürk.
Zum Schluss fällt der stolze Satz, bezogen sowohl auf die migrantisch grundierte Story als auch auf die persönlichen Hintergründe der beiden Protagonisten sowie des Autors: „Ich habe dieses Land verändert, nicht umgekehrt.“ – Wieder haben wir auf fesselnd unterhaltsame Weise Einblicke bekommen in die uns teils unbekannte Vielfalt deutscher Lebensläufe.
Maxim Gorki Theater, am 25. Dezember. Hier geht's zu den Karten.
Noch bis zum Saisonschluss 2026 sind auch die preisgekrönten älteren Mican-Inszenierungen zu sehen: „Unser Deutschlandmärchen“ (mehr dazu in der Bühnenkritik Nr. 483 vom 27. 5. 2024) und „Vatermal“ (mehr dazu in der Bühnenkritik Nr. 508 vom 10. 2. 2025).
1. Komödie in Reinickendorf Aberwitz mit Schmackes
2. Theater am Frankfurter Tor Macht macht krank
3. Ramba Zamba Theater Charme und Lebenslust
1. Komische Oper Der famose Junge aus der Dose
2. Deutsches Theater Ohne Freiheit ist alles nichts
3. Theater im Palais Wie eine Schnecke ohne Haus
1. In eigener Sache Ein neues Theater für eine bessere Welt
2. Hans Otto Theater Potsdam Alles in Scherben
3. Kleines Theater Wo die Liebe hinfällt
1. Deutsches Theater Künstler und Künstliche Intelligenz
2. Stachelschweine Unsterblichkeit für alle
3. Wintergarten Wie man gemeinsam abhebt
1. Berliner Ensemble Absturz ins Einsame
2. Hans-Otto-Theater Ausharren oder Ausreisen?
3. Schaubühne Die Wahrheit sagen oder lügen?
1. Kleines Theater Im Theater wie im Leben
2. Berliner Ensemble Tingeltangel mit Tiefgang
3. Vaganten Tragödie beim Friseur