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Kulturvolk Magazin

Ausstellung - 135 Jahre Freie Volksbühne Berlin

Am Sonntag, den 19. Oktober 1890 geht im Ostend-Theater der Vorhang auf: Mit Henrik Ibsens „Die Stützen der Gesellschaft“ beginnt die Geschichte der Freien Volksbühne Berlin. Unter dem Motto „Die Kunst dem Volke“ will der Verein der Arbeiterschaft günstigen Zugang zum Theater ermöglichen. Was damals in der heutigen Karl-Marx-Allee begann, wird zu einer Massenorganisation der Arbeiterbewegung und zum künstlerischen Sprachrohr für gesellschaftliche Missstände. 1914 ist der Verein so erfolgreich, dass er sein eigenes Theaterhaus, die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, baut. 1926 zählt die Freie Volksbühne 160.000 Mitglieder!

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Unsere Ausstellung führt Sie durch 135 bewegte Jahre: Monarchie, Weltkriege, Diktatur, Teilung, Wiedervereinigung – die Freie Volksbühne hat alles miterlebt und überlebt. An Hörstationen erhalten Sie Zusatzinformationen über die verschiedenen Epochen – von den ersten Jahren unter Kaiser Wilhelm bis in die Gegenwart. Kommen Sie vorbei, lauschen Sie den Geschichten einer Bewegung, die seit mehr als einem Jahrhundert Menschen im Theater zusammenbringt.

  

Gründung und Spaltung

Deutsches Kaiserreich 

1890

Am 23. März ruft Dr. Bruno Wille im Berliner Volksblatt zur Gründung einer "Freien Volksbühne" auf. Ziel ist es der Arbeitergemeinschaft Zugang zum theater zu ermöglichen. Gleichzeitig sollen die Azufführungen sozialkritischer Stücke durch nicht-öffentliche Aufführungen innerhalb des Vereins der Zensur entzogen werden. 

 

Am 8. August versammeln sich rund 2.000 Interessierte  im Saal des Böhmischen Brauhauses in Berlin Friedrichshain. Der Verein wird gegründet und unter anderem der Vorstand gewählt. Der monatliche Mitgliedsbeitrag beträgt 50 Pfennig. Einmal im Monat wird ein Theater gemietet, der Vorstand beauftragt die Regie und engagiert die Schauspieler*innen, um eine Aufführung zu ermöglichen. Die Mitglieder sehen so eine Vorstellung, die an keiner anderen Berliner Bühne gezeigt wird - der einzige Ruhetag für die Arbeiter*innen.

 

Am 19. Oktober wird die erste Theateraufführung der Freien Volksbühne im Ostend-Theater, in der heutigen Karl-Marx-Allee gezeigt: "Stützen der Gesellschaft" von Henrik Ibsen. 

 

1891

Der Verein wächst. Die Polizei beobachtet den Verein argwöhnisch und versucht, bei jeder Veranstaltung staatsfeindliche "Einwirkungen auf öffentliche Angelegenheiten" zu erkennen, denn im wilhelminischen Deutschland ist man zutiefst misstrauisch gegenüber der Arbeiterschicht. 

Neben einigen Klassikern zeigt die Freie Volksbühne neue, oft verbotene Stücke. Autoren wie Anton Tschechow, Maxim Gorki, Gerhart Hauptmann und Henrik Ibsen bringen die Gegenwartsprobleme der unteren Schichten ungeschönt auf die Bühne. Die Aufführungen werden schnell zum künstlerischen Sprachrohr für das, was in der Gesellschaft nicht stimmt. Die Mitgieder des Vereins sind ein organisiertes Publikum, das sich zunehmend politisiert. 

1892

Auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung kommt es am 12. Oktober zur Spaltung des Vereins.  Denn während die Gründungsmitglieder um einen ideologisch neutralen, volkspädagogischen Bildungsverein bemüht sind, wächst die Zahl der engagierten Sozialdemokraten. Diese fordern ein größeres künstlerisches Mitspracherecht für jedes Mitglied und politischeres Theater, das sich in die Gesellschaft einmischt. Dieser Streit wird so heftig, dass Wille und seine Mitstreiter*innen die Neue Freie Volksbühne gründen. Ab sofort gibt es zwei ideologisch konkurrierende Volksbühnen-Vereine. Beide Vereine wachsen in unterschiedlicher Geschwindigkeit. 

Bau der Volksbühne

1. Weltkrieg

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Der starke Mitgliederzuwachs bringt Schwierigkeiten mit sich – die Volksbühnen brauchen viel mehr Vorstellungen.
Eigene Produktionen wie in den Anfangszeiten reichen nicht mehr aus. Darum werden Aufführungen von anderen Berliner Bühnen in das Programm aufgenommen.

1905

Die Neue Freie Volksbühne verzichtet vollständig auf eigene Produktionen. Dafür arbeitet sie mit Max Reinhardt zusammen, in dessen Theater sie Aufführungen fest belegen kann.
Reinhardt gilt als Visionär der Berliner Theaterszene, der mit ausdrucksstarken Bühnenbildern und kraftvollen
Inszenierungen große Erfolge feiert. Diese Zusammenarbeit lässt die Neue Freie Volksbühne weiter wachsen.

  

1909

Die Neue Freie Volksbühne arbeitet mit elf Berliner Theatern zusammen.
Die Auswahl wird zwar größer, dafür landen immer mehr
nichtssagende Unterhaltungsstücke im Programm. Das Angebot der beiden Volksbühnenvereine unterscheidet sich kaum nochvoneinander und nur wenig von der übrigen Berliner Theaterlandschaft.
Die Mitgliederzahlen steigen dennoch weiter an, was den
finanziellen Spielraum deutlich vergrößert.

 

1913

Die beiden Vereine arbeiten ab Februar in einem Kartell
zusammen, um bessere Konditionen mit den Theatern
auszuhandeln.
Die Neue Freie Volksbühne plant schon seit 1908 den Bau eines eigenes Theaterhauses und legt am 14. September den Grundstein für die Volksbühne am Bülowplatz (heute Rosa-Luxemburg-Platz).
Das Geld beschafft sie ohne staatliche Hilfe: Ihre Mitglieder spenden fleißig. Dazu kommen der „Baugroschen“ – 10 Pfennig Aufschlag auf jede Theaterkarte –, ein städtisches Darlehen und
verzinste Anteilscheine.

  

1914

Die Volksbühne wird am 30. Dezember eröffnet, trotz des Ersten Weltkriegs, der am 1. August begann. Emil Lessing wird der erste Intendant der Volksbühne.

1915

Reinhardt pachtet bis 1918 während der finanziell unsicheren Kriegsjahre das Theaterhaus. Unter seiner Leitung öffnet sich die Volksbühne dem bürgerlichen Kulturtheater. Die Volksbühne kann nun mit anderen Berliner Bühnen konkurrieren. Doch das bringt ein schwieriges Problem mit sich: Einerseits will man die proletarische Basis nicht verlieren, andererseits muss man jetzt wie ein Privattheater wirtschaften und sich auch einem bürgerlich-klassischen Bildungsideal öffnen. Dieser Spagat zwischen den ursprünglich politischen
und sozialen Zielen und den neuen geschäftlichen Zwängen wird zur großen Herausforderung.

  

Erwin Piscator

Weimarer Republik und die "Goldenen Zwanziger" 

1918

Nach dem Ersten Weltkrieg wird Deutschland im November zur Demokratie. Doch Millionen leiden unter sozialer Not – das macht sie verbittert und radikal. Linke und rechte Extremist*innen kämpfen mit gewaltsamen Aufständen gegen die Weimarer Republik. Inmitten dieser Stimmung setzt der Kulturbetrieb auf politische Neutralität – auch die Volksbühne. Neue Stücke, die die schrecklichen Kriegserfahrungen verarbeiten, werden ignoriert. Die Vereine, die einst gesellschaftliche Probleme auf die Bühne bringen wollten, wenden sich
von dieser Verantwortung ab. Inhaltlich machen sie jetzt Theater wie alle anderen. Ihr Anliegen ist es, die Vereine weiter wachsen zu sehen. Nachdem der Weltkrieg auch unter den Mitgliedern viele Opfer gefordert hat, verdoppeln sich die Mitgliederzahlen trotz Inflation und
Wirtschaftskrise. Zwar treten viele Arbeiter*innen aus, dafür kommen aber immer mehr kleinbürgerliche und mittelständische Gruppen in die Vereine, die ebenfalls unter der Wirtschaftskrise leiden und nur noch ermäßigte Karten kaufen können.

 

1920

Die Freie und die Neue Freie Volksbühne schließen sich im April endgültig zusammen. Mit über 80.000 Mitgliedern entsteht die Volksbühne E.V.

1923

Die Inflationsjahre finden 1923 ihren Höhepunkt, die
Theaterbesuche für die unteren Einkommensschichten
unmöglich machen. Eintrittskarten kosten bis zu 150.000
Mark. Erst die Währungsreform im November bringt
langsam wieder Normalität. Wirtschaftlicher Aufschwung
und kulturelle Blüte prägen die „Goldenen Zwanziger“. Der
Alltag wird von Konsum und Freizeit bestimmt: Täglich
gehen etwa zwei Millionen Menschen ins Kino, das
wohlhabende Bürgertum amüsiert sich in den zahlreichen Revuen der Großstädte.
Fritz Holl wird Intendant der Volksbühne – ein wenig
bekannter Mann, von dem der Vorstand vermutet, dass er
kein politischer Theatermacher ist. Doch Holl überrascht
alle: Er führt zeitgenössische Stücke auf, die gesellschaftliche Missstände kritisieren, und engagiert im selben Jahr ein junges Theatertalent: Erwin Piscator.
Piscator will mit seinem Theater die Welt verändern –
gemeinsam mit der aufsteigenden Arbeiterklasse.
Seine Inszenierungen sind revolutionär: Er nutzt
modernste Technik, experimentiert mit Projektionen und
Film. Er bearbeitet, erweitert und verändert in zunehmendem Maße die Texte der Stücke, um ihre
gesellschaftliche Bedeutung klarer zu machen.
Mit zehn Inszenierungen – viele davon Uraufführungen –
prägt Piscator die Volksbühne. Der Erfolg ist gewaltig. 

 

1927

Bei der Uraufführung von Ehm Welks „Gewitter über
Gottland“ ist dem Vorstand das Stück zu politisch. Noch
bevor die Kritiken erscheinen, wird die Aufführung
abgesetzt. Die Volksbühne wird selbst zum Zensor.
Es kommt zum Streit, der nicht nur die Volksbühne,
sondern ganz Berlin spaltet. Die Presse diskutiert, wie
politisch Theater sein darf. Personen wie Kurt Tucholsky
und Bertolt Brecht unterstützten Piscator, aber die
Direktion entscheidet: Die Volksbühne bleibt neutral.
Piscator geht und eröffnet im Theater am Nollendorfplatz
(heute das Metropol) sein eigenes Haus. Um die Piscator-
Anhänger unter den Mitgliedern zu beruhigen, findet der
Verein einen Kompromiss: Ein Abonnement, das auch
Besuche in Piscators neuem Theater einschließt. Holl tritt
als künstlerischer Leiter zurück.

  

Künstlerische Krise

Wirtschaftkrise und Faschismus

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Trotz des Skandals um Piscator bleibt die Volksbühne aufihrem Kurs der politischen Neutralität. Der Verwaltungsdirektor Heinrich Neft übernimmt die künstlerische Leitung des Theaters. Die Mitgliederzahlen sinken stetig, die Wirtschaftskrise verschärft die Lage.

 

1929

Der Verein bittet den sozialdemokratischen Berliner
Magistrat um ein zinsloses Darlehen. Für die
finanzielle Hilfe verlangt dieser, dass ein bekannter
Regisseur Intendant wird, der seinen politischen
Vorstellungen entspricht. Der Verein bekommt das
Darlehen und beruft Karlheinz Martin, der am
Deutschen Theater erfolgreich ist. Dieser ist
entschlossen, ein „kämpferisches“ Theater zu zeigen
– vor allem mit Gegenwartsstücken.
Entgegen seiner Versprechungen an den Berliner
Magistrat blockiert der Vorstand allerdings Martins
Vision eines kritischen Theaters. Dieser zieht die
Konsequenz und verlässt 1932 die Volksbühne.
Zurück bleiben Operetten und Schwänke – statt der
anspruchsvollen Dramatik, die das Theater prägen
sollte.

 

1932

Heinz Hilpert, der zuvor ebenfalls am Deutschen Theater
gearbeitet hat, wird Martins Nachfolger.

1933

Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am
30. Januar endet die Demokratie der Weimarer Republik
endgültig. Mit Terror und Propaganda errichten die
Nationalsozialisten in wenigen Wochen eine Diktatur.
Die Volksbühne E.V. hat keine Schulden, aber auch kein
Geld mehr. Alle Versuche scheitern, neues Kapital zu
bekommen. Der sozialdemokratische Vorstand ist den
nationalsozialistischen Kulturfunktionären ausgeliefert.
Diese bringen ihre eigenen Vertrauensleute in den Vorstand. Die alte Vereinsleitung lehnt eine offene
Übernahme durch SA-Führer lange ab. Sie will die
Traditionen der Arbeiterbewegung bewahren, doch ohne
finanzielle Mittel fehlt jede Verhandlungsposition.
Letztendlich beugt sie sich den politisch Mächtigen.
Am 11. Mai erklären der Vorstand und die Verwaltung ihren
Rücktritt, während der künstlerische Leiter Hilpert noch bis zum Sommer 1934 im Amt bleibt. Kurz darauf werden alle kulturellen Organisationen dem Propaganda-Ministerium von Joseph Goebbels unterstellt und sämtliche Theater, auch die Volksbühne, im Reichsverband Deutsche Bühne e.V. zusammengeschlossen.

 

1934

Bernhard Graf Solms, ein überzeugter Nationalsozialist und langjähriges NSDAP-Mitglied, ersetzt Hilpert. Unter Solms dominieren faschistische Propagandastücke, klassische Dramen, die angeblich die „Größe deutscher Kultur“ beweisen sollen, und Operetten. Sie sollen über die Krise der Zeit hinwegtäuschen. Doch Solms kann die in ihn gesetzten Hoffnungen nicht erfüllen:

Er fällt bei dem Propagandaminister Goebbels 1935 in Ungnade.

  

  

Löschung des Vereins

NS-Regime und 2. Weltkrieg

 

1936

Der Schauspieler Eugen Klöpfer wird Solms' Nachfolger.
Er leitet nun drei Theater, die die Volksbühne E.V. bespielt: Das Theater am Horst-Wessel-Platz (zuvor Bülowplatz), das Theater am Nollendorfplatz und das Theater in der Saarlandstraße (Hebbel-Theater).
Die schauspielerischen Leistungen des Ensembles werden vom Publikum zunehmend geschätzt. Das Theater gewinnt wieder an Glanz - allerdings stark gezeichnet von den faschistischen Machthabern. Nationalsozialistisch geprägte Stücke von zeitgenössischen Autoren füllen die Spielpläne neben Klassikern und Operetten.

 

1938

Das Führerprinzip der NSDAP ist seit 1933 Organisationsprinzip für ganz Deutschland. Der Vereinsvorstand beschließt eine entsprechende Satzungsänderung: „Die Leitung des Vereins erfolgt durch den Vereinsführer“, heißt es jetzt. Diese neue Satzung erlaubt es Klöpfer, „die Auflösung des
Vereins Volksbühne mit sofortiger Wirkung“ selbst herbeizuführen, wie er am 4. November schreibt. Der Zeitpunkt ist geschickt gewählt: Nach Beginn einer Spielzeit können Mitglieder den Verein erst am Ende der laufenden Spielzeit verlassen. So kann Klöpfer bis zur Löschung des Vereins mit den Mitgliedern als Theaterbesucher*innen rechnen und muss keine finanziellen Einbußen befürchten.

 

1939

Am 23. März, exakt an dem Tag, an dem 49 Jahre zuvor
Willes Aufruf zur Gründung des Vereins im Berliner
Volksblatt erschienen ist, löscht das zuständige
Amtsgericht den Verein aus dem Register.
Damit verändert sich die Organisationsstruktur
grundlegend: Mitglieder und Vorstand gibt es nicht mehr.
Das Theater am Horst-Wessel-Platz ist nun nicht mehr
vereinseigen, sondern ein öffentliches Haus.
Am 1. September überfällt Deutschland Polen und beginnt damit den Zweiten Weltkrieg.

1943

Ein Luftangriff am 20. November zerstört das Bühnenhaus
der Volksbühne vollständig.
Das Ensemble spielt nun nur noch im Theater in der Saarlandstraße, bis am 1. September 1944 kriegsbedingt alle Theater geschlossen werden.

Neugründung der Volksbühne

Alliierte Besatzung

1945 

Die Siegermächte Sowjetunion, USA, Großbritannien und
Frankreich regieren das zerstörte Berlin in Besatzungszonen – doch das kulturelle Leben kehrt schnell zurück. Einige Theaterhäuser haben überlebt, andere improvisieren: Aufführungen finden in ehemaligen Kinos oder provisorischen Sälen statt. Die Berliner*innen strömen hungrig nach Kultur in die Spielstätten.
Im Mai schlägt Siegfried Nestriepke dem Berliner Magistrat vor, die Volksbühne wieder aufzubauen – wie vor 1933 als „neutrale“ Besucherorganisation. Lange Verhandlungen folgen mit den Besatzungsmächten. Parallel entwickeln etwa 30 Theaterschaffende eine Gegenvision. Anknüpfend an die Gründungsgedanken von 1890 soll ihre Volksbühne politisches Theater für die Arbeitergemeinschaft machen. Die Geschichte wiederholt sich - wieder prallen dieselben Grundpositionen aufeinander.
1947 scheitern die Gespräche zu einer einheitlichen
Volksbühnenorganisation für Groß-Berlin im beginnenden Kalten Krieg.

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Die Volksbühnenvereine in Ost- und West-Berlin erleben einen Mitgliederboom – so stark, dass bald Aufnahmestopps verhängt werden müssen. Für 3 bzw. 3,50 Mark, bei Opern 4 Mark, erhalten die Mitglieder in Ost und West zu etwa gleichen Bedingungen ihre Plätze per Los. Die Kulturverwaltungen übernehmen die Preisdifferenz – ein neues Subventionssystem
entsteht, von dem Vereine und Theater gleichermaßen
profitieren. Die Mitgliederschaft der Freien Volksbühne Berlin hat sich verändert: nur noch etwa 15 Prozent sind Arbeiter*innen, fast die Hälfte sind Angestellte. Bei der Volksbühne sind es 40% Arbeiter*innen.

 

1947 West

Am 12. Oktober findet die Kundgebung zur Wiedergründung der Freien Volksbühne Berlin in den Westsektoren statt. Im Titania- Palast hält unter anderem der Schriftsteller Carl Zuckmayer eine Ansprache.
Die erste Vorstellung findet am 5. Dezember in der Städtischen Oper statt.

 

1948

Vor dem Hintergrund wachsender Spannungen zwischen Ost und West reagiert die Sowjetunion auf die Währungsreform der Westalliierten mit einer eigenen Währungsreform und verhängt die Berlin-Blockade, die bis Mai 1949 andauert. Besonders die einfache Bevölkerung leidet darunter: Lebensmittel, Heiz- und
Kochenergie gibt es kaum. Die West- und Ostmächte bereiten die Gründung der beiden deutschen Staaten vor.
Im selben Sommer zeigt die Freie Volksbühne Berlin ihren
Mitgliedern 20 Opern und 20 Theaterstücke als Gastspiele in der Freilichtbühne Rehberge.

1947 Ost

Im sowjetischen Sektor wird am 16. Mai eine Lizenz für die
Volksbühne erteilt. Der Theaterbetrieb startet zunächst als Wanderbühne im Theater in der Kastanienallee unter dem Intendanten Karlheinz Martin, später unter dem Regisseur Heinz Wolfgang Litten.

 
Am 21. September findet ihre erste Veranstaltung im Deutschen Theater statt. Auf dem Programm stehen Goethe, Schiller, Brecht und Piscator.

Wiederaufbau in Ost und West

Mauerbau

1949 West

Am 23. Mai wird mit dem Grundgesetz die Bundesrepublik Deutschland gegründet. Im September zieht die Freie Volksbühne Berlin in ihre eigene Spielstätte: Das Theater am Kurfürstendamm mit knapp 800 Sitzplätzen. Nestriepke ist Intendant des Hauses. 

 

1952 

Zum 90. Geburtstag Gerhart Hauptmanns ruft die Freie
Volksbühne Berlin am 15. November den gleichnamigen
Dramatikerpreis aus, finanziert durch Spendenmarken. Der Preis zeichnet Autor*innen aus, deren Werk ein „Bekenntnis zur Würde des Menschen, zur sozialen Gerechtigkeit und zur Idee der Freiheit“ zeigt. 

 

1953 

Oscar Fritz Schuh wird Intendant, kämpft aber gegen die
finanzielle Not des Theaters mit nur sechs Ensemblemitgliedern. Die Pflichtbesuche der wachsenden Mitgliederschaft zwingen zu schnellen Spielplanwechseln. Schuh verlangt ein größeres Haus und es kommt zum Neubau-Beschluss.
1959 verlässt Schuh die Freie Volksbühne Berlin.

 

1954

Die Verwaltung der Freien Volksbühne Berlin zieht in ihre neue Geschäftsstelle in der Ruhrstraße 6.
Das Haus wird 1964 nach Nestriepke benannt und bis heute der Vereinssitz.

 

1949 Ost

Am 7. Oktober wird die DDR-Verfassung beschlossen.
Deutschland ist nun für über 40 Jahre in zwei Staaten
geteilt.

 

1950

Die Volksbühne gastiert dauerhaft im Theater am
Schiffbauerdamm (heute Berliner Ensemble), an dem Fritz
Wisten Intendant ist.

 

1953

Die Volksbühne wird in den Freien Deutschen
Gewerkschaftsbund eingegliedert – dem zentralen, SEDnahen Dachverband aller DDR-Gewerkschaften. Damit ist sie eine politische Organisation, die zur sozialistischen Volkserziehung beitragen soll. Das markiert vorerst das Ende der Volksbühnenbewegung in Ost-Berlin.

 

1954

Die Volksbühne bezieht das wiederaufgebaute
Theaterhaus am Luxemburgplatz (ehemaliger Bülowplatz). Der Schriftzug „Die Kunst dem Volke“ ist dem Namen „Volksbühne“ gewichen.

1960

Am 6. Oktober erfolgt die Grundsteinlegung für das Theater in der Schaperstraße.

 

1961

Mitten in der Bauphase des Theaterneubaus errichtet die DDR am 13. August die Berliner Mauer.

Neubau der Freien Volksbühne

Kalter Krieg

1961

Die Freie Volksbühne Berlin steckt in einer Krise:
Durch den Mauerbau fehlen dem Verein plötzlich 25.000
Mitglieder aus dem Osten der Stadt.
Günther Abendroth übernimmt als Nachfolger Nestriepkes den Vorsitz des Vereins.

 

1962

Der Vorstand fragt Erwin Piscator, ob er das Theater am
Kurfürstendamm leiten möchte. Dieser zögert zunächst,
nimmt dann aber das Angebot an. Mit seiner Inszenierung „Atriden-Tetralogie“ von Gerhart Hauptmann beginnt er die öffentliche Auseinandersetzung mit der verdrängten NS-Vergangenheit.

 

1963

Am 20. Februar wird Rolf Hochhuths „Der Stellvertreter“
unter Piscators Regie im Theater am Kurfürstendamm
uraufgeführt und entwickelt sich zu einer der meistbeachteten Theateraufführungen der Sechzigerjahre. Die Inszenierung löst eine weltweite Diskussion über die Rolle des Vatikans während der NS-Zeit aus.
Am 1. Mai eröffnet das von Fritz Bornemann entworfene
Theater der Freien Volksbühne in der Schaperstraße.
Mit Piscators Inszenierungen von Heinar Kipphardts „In der Sache J. Robert Oppenheimer“ (1964) und Peter Weiss' „Die Ermittlung“ (1965) startet das Haus erfolgreich.
Piscators dokumentarisches Theater kritisiert die
unpolitische Wohlstandsgesellschaft der Wirtschaftswunderzeit und stellt unbequeme Fragen zur jüngsten deutschen Geschichte. Er verleiht der Freien Volksbühne Berlin ein klares und politisch provokantes Profil.

1966

Im März stirbt Erwin Piscator und hinterlässt eine Leerstelle, die zunächst mit einer Interims-Intendanz gefüllt wird.

 

1967

Der Verein beruft Hansjörg Utzerath als Intendanten, der ein kritisches, aggressives Theater ankündigt. Er führt den
Repertoirebetrieb ein und holt ein junges Ensemble ans
Haus. Mit Spätvorstellungen will er junge Mitglieder gewinnen. Seine ungewöhnlichen Inszenierungen
zeitkritischer Stücke sollen alte Denkweisen aufbrechen,
sorgen aber für Konflikte: Bereits während der Vorstellungen kommt es zu Tumulten. Viele Zuschauer*innen empören sich über die radikalen politischen Inszenierungen und treten demonstrativ aus dem Verein aus. Sie möchten im Theater Entspannung finden, nicht mit Politik konfrontiert werden.
Gegen Ende seiner Amtszeit 1973 hat das Theater nur noch ein konventionelles Theaterniveau.

Krise der Freien Volksbühne

Wiedervereinigung

1973

Kurt Hübner wird Intendant und will dem Theater wieder
pulsierendes Leben einhauchen. Der ehemalige Förderer
junger Talente am Bremer Theater kämpft jedoch mit
finanziellen und strukturellen Problemen - das Haus eignet sich schlecht für Repertoiretheater und eine zweite
Spielstätte für experimentelles Theater fehlt. Trotz ständiger Finanznöte entwickelt Hübner ein neues Volkstheater, das dem Unterhaltungsbedürfnis des Publikums nachgibt, ohne auf inhaltliches Niveau zu verzichten. Er beschäftigt renommierte Regisseur*innen, deren Inszenierungen regelmäßig auf Widerspruch treffen. Sein Spielplan mischt volkstümliche Komödie, sozialkritisches naturalistisches Drama und zeitgenössische Werke. Hübner führt die Autor*innenförderung wieder ein und
vergibt Stückaufträge mit zugesicherten Erstaufführungen. Diese Förderung führt zu partiellem Erfolg.

 

1978

Als erste Produktion der Freien Volksbühne Berlin wird
Rudolf Noeltes Inszenierung von Gerhart Hauptmanns
„Die Ratten“ zum Theatertreffen eingeladen.

1986

Hans Neuenfels übernimmt die Leitung des Theaters. Das
Land Berlin hilft mit Geld und erhöht die jährliche
Unterstützung um 20 Prozent. Neuenfels plant große
Veränderungen: Ein kleines Ensemble aus jungen
Schauspieler*innen soll entstehen, und der große
Theatersaal wird umgebaut für kleinere, experimentelle
Aufführungen. Sein eigenwilliger Stil polarisiert das
Publikum stark. Viele Zuschauer*innen verlassen die
Vorstellungen vorzeitig, während die Verbleibenden oft
begeistert applaudieren. Neuenfels kündigt 1989 an, seinen Vertrag nicht zu verlängern.

 

1989

Die anhaltenden Proteste für demokratische Freiheiten in der DDR führen zur Öffnung der Mauer am 9. November.

1990

Hermann Treusch wird neuer Intendant.
Die Freie Volksbühne Berlin feiert ihr 100-jähriges Bestehen mit einem Festakt im Theater und einer Ausstellung in der Akademie der Künste im Hanseatenweg. An diesem Tag erfolgt auch ein Aufruf zur Neugründung einer Volksbühne in Berlin (Ost). Im Dezember wird die Vereinigung der beiden Vereine verkündet.

 

1992

Das Land Berlin streicht alle öffentlichen Zuschüsse für das Theater, sodass der Betrieb eingestellt werden muss.
Ab 1993 wird das Theater an verschiedene Veranstalter
vermietet, um die fehlenden öffentlichen Gelder zu
kompensieren.

1999

Das Theater in der Schaperstraße wird zunächst an einen
privaten Investor verkauft. Dann übernimmt es der Bund, der es bis heute als Haus der Berliner Festspiele nutzt.
Die Freie Volksbühne Berlin konzentriert sich fortan auf die Vermittlung von Kulturveranstaltungen.

Neuausrichtung

Pandemie

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Die Freie Volksbühne Berlin konzentriert sich auf ihr Kerngeschäft der Kartenvermittlung. Sie bietet Orientierung in der Berliner und Brandenburger Kulturlandschaft und vermittelt günstige Tickets. Mitglieder erhalten eine persönliche Beratung bei der Kartenbestellung - ob für Comedy, Konzerte, Theater, Opern, Tanz oder Lesungen. Die monatliche Zeitschrift des Vereins informiert über Veranstaltungen, kulturpolitische Themen und Kulturreisen.

2008

Im Herbst erfolgt ein wichtiger Schritt zurück zu den
Wurzeln: Der Verein richtet einen eigenen
Veranstaltungsraum in der Geschäftsstelle ein. Damit kann die Freie Volksbühne Berlin wieder eigene Kulturprogramme anbieten - Konzerte, Liederabende, Vorträge, Lesungen und Ausstellungen. Diese Entwicklung knüpft an Bruno Willes ursprüngliche Vision von 1890 an, die neben Theater auch andere Bildungs- und Unterhaltungsformate vorsah.

 

2017

Der Verein trägt ergänzend den Markennamen Kulturvolk,
u.a. um Verwechslungen mit der Volksbühne am Rosa-
Luxemburg-Platz zu vermeiden.

 

2020

Am 23. März plant der Verein, sein 130. Jubiläum mit einer
großen Veranstaltung in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz zu feiern. Wegen der Corona-Pandemie
muss die Jubiläumsrevue jedoch abgesagt werden und
findet erst am 26. und 27. Oktober statt.
Die Lockdowns im Frühjahr und Sommer werden für
Kulturvolk | Freie Volksbühne Berlin existenzbedrohend. Mit großer Unterstützung durch die Mitglieder überbrückt der Verein die kulturelle Zwangspause finanziell.

2021

Der Verein führt die Kulturvolk-App ein, die Mitgliedern eine verbesserte Übersicht über rabattierte Veranstaltungen bietet. Parallel dazu wird die Webseite modernisiert.

 

2023

Der vereinseigene Veranstaltungssaal wird Piscator Saal
genannt - eine Erinnerung an den prägenden Regisseur
Erwin Piscator.

 

2024

In der Geschäftsstelle eröffnet die Piscator Lounge & Café. Tagsüber lädt sie die Nachbarschaft zum Kaffeetrinken ein, abends versorgt sie Veranstaltungsbesucher*innen.

HEUTE

Berlin seinen sozialen und kulturpolitischen Zielen treu.
Obwohl der eigene Theaterbetrieb nicht mehr existiert, erfüllt der Verein weiterhin eine wichtige Funktion als Vermittler zwischen Bühne und Publikum. Als älteste und erfahrenste Gemeinschaft von Theaterbesucher*innen in Deutschland verbindet Kulturvolk | Freie Volksbühne Berlin Menschen mit Kultur. In einer globalisierten, digitalisierten Welt des 21. Jahrhunderts beweist der traditionsreiche Verein, dass persönliche Kulturvermittlung und Gemeinschaftserlebnisse im Theater zeitlos wertvoll bleiben.

 

 

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