Heute: 1. Atze Musiktheater – „Heute Nacht um 03.34 Uhr" / 2. Kleines Theater – „Im Café Europa" / 3. Volksbühne – „Good bye Berlin"
Eddie ist acht und lebt mit Mama, ihrem Macker Mario und dem Baby Pupsbert im Hochhaus in der 13. Etage. Pubsbert ist der Sohn von Mario, Eddie teilt sich mit ihm ein Zimmer – halbes Zimmer, halber Bruder.
Heute ist ein besonderer Tag, denn heute Nacht, um 3:34 Uhr wird’s knallen am Himmel, ein Meteorit wird die Erde auslöschen. Das jedenfalls erzählt Ommi schon seit Wochen. Und so steht Eddie vorm Hochhaus und glotzt in den Himmel. Eddie hat einerseits Angst vor dem Meteoriten, Angst davor, dass heute der letzte Tag sein könnte. Andererseits ist Eddie Forscher und muss rauskriegen, ob Ommi nicht einfach spinnt. Außerdem würde so ein Meteorit das Problem Mario lösen, der Eddie verprügelt, wenn er ins Bett gemacht hat, und er prügelt nicht nur Eddie.
In einem Monolog ein ganzer Kosmos
Uta Bierbaum ist mit dem Stück „Heute Nacht um 03.34 Uhr“ das Kunststück gelungen, mit dem Monolog eines Kindes einen ganzen Kosmos vor uns auszubreiten und das in einer Sprache, die balanciert zwischen kindlicher Naivität und Lebensweisheit.
Kinder nehmen ihre eigenen Lebensumstände als gegeben hin. Aber wie Eddie mit großer Selbstverständlichkeit, Lakonie und oft unfreiwilligem Humor über sein Leben erzählt, in dem er fast auf sich allein gestellt ist, lässt den Atem stocken.
Ein Lichtblick ist Herr Taniwa, Eddies heimlicher Freund aus der 6. Etage, sehr alt, auch Forscher, war Ornithologe. Der sieht viel und weiß ziemlich gut Bescheid in der Welt.
Die Inszenierung auf der Studiobühne von Atze hat alles, was Theater im besten Fall zu bieten hat: Ein sehr gutes Stück, eine kluge und einfallsreiche Regie (Matthias Schönfeldt), ein außergewöhnliches Bühnenbild, Musik, die ganz dicht am Geschehen klingt (Sinem Altan) und vor allem mit Otto Kosok einen herausragenden Darsteller des Eddie.
Das alles macht die Inszenierung zu einem Juwel der aktuellen Berliner Theatersaison.
Eine Welt aus Dias
Frida Grubba, verantwortlich für die Ausstattung, hat einen Raum geschaffen, der zum großen Teil aus Dias besteht. Kinder von heute kennen diese Doppelrahmen aus Plastik, in denen sich Bilder befinden, nicht mehr; die Älteren unter uns erinnern sich: In einer Schiebevorrichtung waren die Dias aufgereiht. Die Vorrichtung war mit einem Knopf verbunden, der gedrückt wurde, und, klack, war das nächste Bild auf der Leinwand zu sehen.
So einen Diaprojektor bedient auch Otto Kosok und kann damit die Fülle an Informationen, die der Text liefert, im wahrsten Sinne des Wortes versinnbildlichen.
Eine weiße Leinwand ist zwischen zwei Türme gespannt, die von oben bis unten aus Hunderten von Dias bestehen – die Etagen der Hochhäuser. Wenn einzelne Streifen von hinten angeleuchtet werden, sind das die jeweiligen Wohnungen; eine Taschenlampe, aufwärts oder abwärts geführt, ist der Fahrstuhl.
Später werden die Türme geöffnet, verschiedene Räume entstehen, eine Eingangstür wird durch Projektion Kühlschrank von außen und von innen, schließlich, ausgehängt und quergelegt, der Fernseher.
Die vierköpfige Band macht nicht nur gute Musik, sondern unterstützt Otto Kosok bei den vielen Umbauten und übernimmt auch mal in wenigen Sätzen die eine oder andere Rolle.
Otto Kosok, ein verstrubbelter Lockenkopf in oft gewaschenem Schlabbershirt und ausgeleierter Cargo bewegt sich emsig in dieser Diabühnenwelt. Bedient aus dem Spiel heraus den Projektor. Jeder Klack sitzt.
Einer, der es schwer hat, der die Dinge so nimmt, wie sie sind. Der ans Herz geht.
Am Ende geht die Welt nicht unter, um 03.35 Uhr ist sie immer noch da. Heißt das etwa, dass dann alles so bleibt, wie es ist? Zum Glück nicht.
Atze Musiktheater, 17. Januar und 22. Februar. Hier geht’s zu den Karten.
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Im Café Europa herrscht Katzenjammer. Der Besitzer hat gewechselt und jetzt hat ein gewisser Bernd das Sagen, das Café heißt jetzt Gaststätte Deutsches Haus. Stramm national geführt, bedeutet das: Kein internationales Flair, keine Weltmusik, von der Speisekarte gar nicht zu reden…
Nur drei Menschen sind übriggeblieben: ein Kellner, der künftig seine Kollegin, die Sängerin, unterstützen soll; die kann ja nebenbei mitkellnern. Und der Pianist ist noch da.
Einen ganz und gar nicht gestrigen Abend haben Manfred Langner und Axel Weidemann das literarisch-musikalische Programm genannt, in dem Barbara Felsenstein und Maximilian Nowka den Umbau ihres Cafés kommentieren. Und sich zu wehren versuchen mit Texten und Songs von Tucholsky bis Brecht, von Hollaender bis Eisler, von Erika Mann bis Mascha Kaléko.
So bekannt und oft gehört die Songs auch sind, sie sind heute so gut – und aktuell – wie vor hundert Jahren. Klug ausgewählt und zusammengestellt, zaubern sie uns ein Lächeln ins Gesicht bei Liedern wie „Herr Ober, zwei Mokka“ und jagen uns Schauer über den Rücken bei „An allem sind die Juden schuld“
Nichts wird ausgelassen
In den Szenen zwischen den Liedern wird die politische Lage erklärt; wie es dazu gekommen ist, dass Bernd mit seiner Freundin Alice den Laden übernehmen konnte. In gewohnter Kabaretttradition kriegen alle ihr Fett weg. Fritz von der CTU (Christlich- teutonische Union), Marcus von der CBU (Christlich-bajuwarische Union), Lars von der STP (Sozialteutonischen Partei) und die von Bündnis 68/ Grüne Hoffnung. Und wir natürlich auch.
Alles kommt auf den Gaststättentisch: Die Brandmauer, die, mit Spahnplatten verstärkt, bestimmt hält, die Abschreckung an den Außengrenzen durch flächendeckende Bepflasterung mit den Porträts der oben Genannten und auch die aktuellen uneindeutigen Sprüche von Fritz zum Stadtbild.
Musikalisch gekonnt
Für meinen Geschmack war das manchmal arg platt; andererseits kann nicht laut und eindringlich genug und immer wieder gewarnt werden vor den Leuten um Bernd und Alice. Und das tun Felsenstein und Nowka mit vollem Einsatz.
Die Regie hat ihnen nicht viele Spielmöglichkeiten gegeben, aber das kompensieren beide durch ihren professionellen und im besten Sinne routinierten Umgang mit den Songs, von Tal Balshai am Piano unterstützt.
Maximilian Nowka präsentiert den Stroganoff“ von Hollaender in atemberaubendem Tempo und mit stampfender Balletteinlage (trotz langer Kellnerschürze), schlägt aber auch leise und nachhallende Töne an bei Texten wie „Mensch ohne Pass“. Barbara Felsenstein hat ihren wirklich großen Auftritt in der „Birnbaum-Rhapsody“. Sie nimmt mit dem Couplet von der mit einem Mord endenden Abendgesellschaft die versnobte bürgerliche Gesellschaft herrlich aufs Korn und meistert die Koloraturen mühelos.
Kleines Theater, 10. Dezember, 14. und 18. Januar. Hier geht’s zu den Karten.
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Die Raum leer, der Bühnenboden schwarz glänzend, ein grauweißer Rundhorizont, über den ganz leicht Schatten flimmern.
Von rechts ein Wesen, das zu dröhnender Musik zur Bühnenmitte tanzt und gleichzeitig schreitet, eine lange goldene Schleppe hinter sich her ziehend. Gekleidet in ein bunt schillerndes Kostüm, erinnert die Figur an einen Vogel, fremd, geheimnisvoll, schön.
Dann Stille, der Samtvorhang fährt runter, darauf der Schriftzug GOOD BYE BERLIN.
So beginnt die neue Produktion von Constanza Macras, die gleichzeitig auch ihre letzte an der Berliner Volksbühne ist. Denn Matthias Lilienthal, der designierte Intendant, gab wenige Tage vor der Premiere bekannt, dass Constanza Macras künftig nicht mehr zum Leitungsteam gehören wird.
Der Abend bekommt mit seinem Titel „Good bye Berlin“ eine unbeabsichtigte Zweideutigkeit, bezieht er sich doch auf den Roman von Christopher Isherwood, der Berlin in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts beschreibt.
Den Bogen hundert Jahre zurückschlagen
Konzeptionell will Macras den Bogen schlagen zu den jetzigen, zu unseren zwanziger Jahren und tut das in Bildern und Bewegungen, so überbordend, so wild, so reich an Assoziationen, die sich mal aufdrängen und mal unverständlich bleiben, dass man nach zweieinhalb Stunden ohne Pause die Vorstellung erschöpft verlässt.
Die verwendeten Bühnenelemente muten merkwürdig an: Eine Treppe, deren Stufen zur Rutschbahn werden, hat auf einer Seite ein opulentes lila Geländer – eindeutig aus Pappe – und auf der anderen Seite nur die Stange, wie sie hinter der Bühne an die Dekorationsteile montiert werden.
Genauso eine Kletterwand, angemalt wie ein Felsen, aber eben nur eine Wand. Wirklich bespielt werden kann sie nur auf den mehrstöckigen Praktikabeln auf der Rückseite. Alles ist Illusion, hat eine andere versteckte Seite?
Immer mal wieder wird eine dreiteilige plexigläserne Wand herunter gelassen, die zum Spiegel wird. Da sitzen wir. Sehen zu, sehen uns.
Wie vor hundert Jahren ist auch unsere Zeit geprägt von Unsicherheit, Angst vor der Zukunft, Depressionen, aber auch dem Hang zu Ausgeflippheit, tage- und nächtelangen Partys in Clubs, Drogenexzessen.
Die Neuen Rechten sind präsent, Fake News verdrängen wirkliche Informationen, Kriege und Pandemien sind nicht mehr weit weg.
Bis zur körperlichen Schmerzgrenze
Diese Belastende, Drängende spürt man dem Abend an, aber er verliert sich in Geschichten und dadurch auch in Bühnenvorgängen, die von der ursprünglichen Idee wegführen, so wichtig und erzählenswert sie auch sein mögen.
Eine gewisse dramaturgische Stringenz hätte dem Abend gutgetan.
Die durchweg großartigen Darsteller rasen von einer Rolle in die nächste. Wechseln die Figuren und die tollen Kostüme gefühlt im Minutentakt. (Bühne: Simon Lesemann, zusätzliche Kostüme: Slavna Martinovic). Tanzen, kämpfen, prügeln, begehren und demütigen einander in Sexorgien.
Immer wiederkehrendes und schließlich auch ermüdendes Mittel: Polestangen auf runden Podesten, an denen sich die Tänzer in wechselnden Formationen abturnen.
Robert Lippok hat ganz tief in die musikalische Kiste der letzten 100 Jahre gegriffen. Vom Stummfilm, über Berliner Gassenhauer, über Bee Gees und Disco-Potpourries. Und immer wieder so lautes von Bässen beherrschtes Dröhnen, dass es am Ende körperlich schmerzt.
Im Moment sind alle angesetzten Vorstellungen ausverkauft. Die Kolleginnen im Service führen eine Warteliste, auf die sich intetessierte Mitglieder setzen lassen können.
1. Atze Musiktheater Was, wenn die Welt untergeht?
2. Kleines Theater Bekanntes immer wieder aktuell und gut
3. Volksbühne Zum Abschied laut und wild
1. Komödie in Reinickendorf Aberwitz mit Schmackes
2. Theater am Frankfurter Tor Macht macht krank
3. Ramba Zamba Theater Charme und Lebenslust
1. Komische Oper Der famose Junge aus der Dose
2. Deutsches Theater Ohne Freiheit ist alles nichts
3. Theater im Palais Wie eine Schnecke ohne Haus
1. In eigener Sache Ein neues Theater für eine bessere Welt
2. Hans Otto Theater Potsdam Alles in Scherben
3. Kleines Theater Wo die Liebe hinfällt
1. Deutsches Theater Künstler und Künstliche Intelligenz
2. Stachelschweine Unsterblichkeit für alle
3. Wintergarten Wie man gemeinsam abhebt
1. Berliner Ensemble Absturz ins Einsame
2. Hans-Otto-Theater Ausharren oder Ausreisen?
3. Schaubühne Die Wahrheit sagen oder lügen?