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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk-Bühnenkritik Nr. 539

15. Dezember 2025

HEUTE: 1. KOMISCHE OPER – „SALOME” / 2. SCHLOSSPARK THEATER – „DER NEUROSEN-KAVALIER“ / 3. KABARETT-THEATER DISTEL – „SÜSSER DIE KLÖCKNER NIE KLINGELT“

1. Komische Oper - Dem Wahnsinn geschuldet

"Salome" in der Komischen Oper Berlin © Jan Windszus

Salome gibt es gar nicht. Die Prinzessin ist nur Projektionsfläche männlicher Begierden, besonders für die Gelüste des Königs Herodes (Matthias Wohlbrecht), der seiner Stieftochter hinterher hechelt. Evgeny Titov, der russische Regisseur, treibt der Titelfigur bei Richard Strauss, der seine Oper 1905 nach Oscar Wildes gleichnamigem skandalträchtigem Schauspiel komponierte, die Femme fatale aus. Und so ist das Haupt der Tochter von Königin Herodias (Karolina Gumos) der einzige Kopf, den wir in diesem blutrünstigen Musiktheater der Komischen Oper nicht zu Gesicht bekommen. Denn der bedauernswerten Nicole Chevalier in der Titelpartie wird eine Maske verpasst, die an den Gesichtsschutz von Sportfechtern erinnert und Salome wie einen Alien erscheinen lässt.

„Salome“ ist die zweite Inszenierung Titovs für die Komische Oper. Und wie schon bei Enescus „Œdipe“ hat sein Bühnenbildner Rufus Didwiszus einen klaustrophobischen Raum geschaffen, mit hohen Messingwänden und nur einem winzigen Ausgang, hinter dem sich die Jerusalemer Hofgesellschaft amüsiert, die so kostümiert ist, als schaue sie gerade aus dem Kitkat-Club vorbei (Esther Bialas). Bis auf die frommen Juden, die hier als Pelzhut und Pejes plus protzige Goldketten tragende Chassidim nach üblem antisemitischem Muster karikiert werden, kümmert man sich in diesen Kreisen nicht um Glaubensdinge. Religiöse Fragen sind allenfalls Small-Talk-Thema beim Cocktail. Wie auch die Vision, die der Mann unten im Kerker verkörpert: Jochanaan (Günter Papendell), also Johannes der Täufer, in den sich die Prinzessin verkuckt und der ihren Avancen widersteht.


Sieben Schleier, 15 Salomes, 142 blutige Köpfe


Spätestens hier wird Titovs Regieansatz obsolet. Denn nun spielt sich das Drama in der Fantasie der jungen Frau ab. Nur sie erblickt sage und schreibe 142 abgeschlagene Köpfe, sauber in Vitrinen abgelegt. Nachdem sie dem Ansinnen des geilen Stiefvaters endlich nachgegeben hat, mit dem Tanz der sieben Schleier, der hier eine Ballett-Nummer ist mit gleich 15 uniformen Salomes, fordert sie den Kopf des Täufers. Und erhält den ganzen Leichnam. Ausgeweidet. Salome spielt mit seinen Därmen. Sicht- und hörbar verrückt geworden. In einer toxischen Beziehung, unter der auch Oscar Wilde litt mit seinem Geliebten, zu erleben gerade im Berliner Ensemble in Jens Harzers Solo „De Profundis“ (mehr dazu in der Bühnenkritik Nr.530 vom 13. Oktober 2025).

„Das Geheimnis der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes“, lautet einer der zentralen Sätze Wildes. Doch mit Brachialgewalt kommt man diesem Geheimnis nicht näher. Was leider diesmal auch auf James Gaffigans Dirigat zutrifft. Zu laut das Orchester, was der schwierigen Akustik des Schillertheaters geschuldet sein mag, exotistischer, als von Richard Strauss beabsichtigt, und manche Feinheit vernachlässigend. Die durchweg hauseigenen Sängerinnen und Sänger schlagen sich bewundernswert, aber in den großen Partien streckenweise auch an der Grenze ihres Könnens.

Nach Claus Guths Version an der Deutschen Oper (Kindesmissbrauch beim Herrenausstatter) und der futuristisch anmutenden Interpretation von Hans Neuenfels an der Staatsoper hat nun also auch das dritte Berliner Opernhaus seine „Salome“ im Repertoire. Wobei nicht klar wird, wer hier eigentlich vom Wahn befallen ist. Die Prinzessin? Der dekadente Herrscher? Oder der Mann im Regiestuhl?

Komische Oper im Schillertheater, 18. Dezember und 3. JanuarHier geht’s zu den Karten.


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2. Schlosspark Theater - Lizenz zum Flachwitz

"Der Neurosenkavalier" im Schlosspark Theater © DerDehmel Urbschat

Ein Santa Claus mit langen Fingern treibt sein Unwesen in Berlin. Er erleichtert erst das KaDeWe und das Bikini-Haus und anschließend das Schloss-Shoppingcenter in Steglitz um Tausende Euro. Bollmann heißt der Ganove, der sich mit der Beute in die Praxis eines renommierten Psychiaters flüchtet, dort die Weihnachtsmann-Verkleidung ablegt und von der Sprechstundenhilfe versehentlich als Urlaubsvertretung des Chefs betrachtet wird. Dem Kaufhausdieb bleibt nichts anderes übrig, als die ungewollte Rolle anzunehmen.

„Der Neurosen-Kavalier“ heißt das wahnsinnige Weihnachtsmärchen im Schlosspark Theater. Fernseh-Zuschauer kennen die Psychokomödie vielleicht unter dem Titel „Ach Du Fröhliche“. Das von Günther Beth und Alan Cooper verfasste Boulevard-Stück wurde 1986 uraufgeführt und seitdem in 92 Produktionen in elf Ländern gespielt. Hat das Stück also fast 40 Jahre auf dem Buckel, so ist die Art des Humors, den es in der Regie von Klaus Seiffert bereithält, mindestens weitere 20 Jahre älter. Vor allem was das Bild von psychisch Kranken und die Rolle der Frau betrifft.


Klamauk mit guten Darstellern


Man könnte die Klischees ad absurdum führen, indem man das Verwechslungsspiel völlig überdreht, davor aber scheut die Inszenierung trotz durchweg versierter Darsteller zurück. Man muss biederen Flachwitz mögen, um hier auf seine Kosten zu kommen.

Der Neurosen-Kavalier, gespielt von TV-Star
Daniel Morgenroth, scheut keine Lüge, um die Schlinge der Wahrheit, die sich um ihn zieht, immer wieder ein bisschen zu dehnen. Bezichtigt den echten Urlaubsvertreter (Manolo Palma) des Wahnsinns, die ewig reimende Assistentin Frau Engel (Susanne Eisenkolb), genannt Engelchen, der Trunksucht und behandelt die Fälle im Besprechungszimmer eher pragmatisch als mit Fachwissen.

Etwa die notgeile Bestseller-Autorin Claudia Carrera (
Kim Zarah Langner), die einen Bikini-Fimmel hat (Bühne & Kostüme: Tom Grasshoff). Oder die vermögende Kleptomanin Sybille von Bast (Johanna Klante), in der Bollmann nicht nur eine Schwester im Geiste erkennt, sondern sich sogar in sie verliebt. Wenn dem jungen Glück da nur nicht der Kommissar Maiwald (Jens Krause) im Weg stehen würde, aber der Kriminalist leidet selber an einer Weihnachtsmann-Phobie.


Ein Finanzbeamter namens Elvis


Komischer Höhepunkt ist der Finanzbeamte Appelhans, der sich als Elvis-Verschnitt aus seinem unterdrückten Dasein befreit. Trotz der durchgeknallten Rolle überzeugt der voluminöse Georgios Tsivanoglou durchaus mit Feinzeichnung. Etwas, was dem großen Ganzen abgeht.

Hier wird eigentlich vermittelt, dass Psychoanalyse Firlefanz ist und die Betroffenen auch mit gesundem Menschenverstand geheilt werden können. Nur zur Erinnerung: In diesem Theater lief mal, witzig und sensibel zugleich, „Einer flog über das Kuckucksnest“.

Schlosspark Theater, bis 14. Januar. Hier geht’s zu den Karten.


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3. Distel - Gib Märchen keine Chance

"Süßer die Klöckner nie klingelt" in der Distel © Chris Gonz

Und nochmal weihnachtet es sehr. Soll ja vorkommen, in dieser Jahreszeit. Wobei auch im Kabarett-Theater Distel wenig Geschenke verteilt werden. Vielmehr wird heftig ausgeteilt. Zum Frohlocken bietet unsere Zeit wenig Anlass. „Süßer die Klöckner nie klingelt“ ist eine aufs Jahresende umgeschriebene Fassung der aktuellen Satire „Die Klöckner von Instagram“. Der Präsidentin des hohen Hauses, hier in Person von Timo Doleys mit modisch-blonder Perücke, begegnet das Publikum allerdings nur einmal, wenn Klöckners Glöckchen nach der Pause zurück in den Saal bittet.

Viel öfter als die frühere Weinkönigin sieht man den Weihnachtsmann. Und statt Gefühle zu duseln, räumt das spiel- und verwandlungsfreudige Trio, dem außer Doleys noch Nancy Spiller und Stefan Martin Müller angehören, herzlos das Lametta ab und beraubt uns der schönsten Illusionen. Okay, dass die Bahn irgendwann mal pünktlich und auch ans Ziel kommt, an diese Illusion glaubt sowie niemand mehr. Aber dass auch die schönsten Märchen der bösen Realität weichen müssen, Rapunzel seit Ewigkeiten auf einen Friseur-Termin wartet, wegen Fachkräftemangel, oder das Tapfere Schneiderlein lieber kostengünstig in Bangladesch produzieren lässt, das ist schon brutal.


Musk will die Distel kaufen


So brutal wie der Mann mit der Kettensäge, der US-Unternehmer aus Grünheide, der das Theater kaufen will, damit dann dort die Tesla-Zwillinge auftreten. Mit ebenso wenig Mitgefühl wird in Frank Voigtmanns Regie die schöne grüne Welt der Umwelt-Aktivisten („Klischees von Heute waren früher Utopien“) und die verklärte Weltsicht von DDR-Nostalgikern aufs Korn genommen. Apropos: Auch der Wehrdienst, der uns demnächst wieder blüht, ist Thema. Dann entscheidet vielleicht das Los, wer zur Truppe muss. Russisch Roulette nennt man das.

Wer sich diese Weihnachts-Version gönnt, wie immer in der Distel mit wundervollen Musikparodien (Leitung: Tilman Ritter), der landet auf jeden Fall einen Volltreffer.

Kabarett-Theater Distel, bis 30. Dezember, danach wieder als „Die Klöckner von Instagram“. Hier geht's zu den Karten.

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