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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 480

Kulturvolk Blog | Sibylle Marx

von Sibylle Marx

6. Mai 2024

Heute: 1. Berliner Ensemble – „Malina“ / 2. Bar jeder Vernunft – „Welcome To My World“ / 3. Neuköllner Oper – „Anna & Eve“

1. Berliner Ensemble - Ästhetischer Genuss

"Malina" im Berliner Ensemble © Jörg Brüggemann

In Vorbereitung der „Malina“-Vorstellung bestellte ich in meiner Buchhandlung den Roman; mein Buchhändler verblüffte mich mit der Frage: „Bestellen Sie das freiwillig?“ Als ich am nächsten Tag mit dem Lesen begann, verstand ich die Frage. Es wäre nicht richtig zu behaupten, ich hätte mich mit dem Text gequält, aber leicht gefallen ist mir das Lesen des 1971 erschienen einzigen Romans von Ingeborg Bachmann nicht.

Eine Frau zwischen zwei Männern, von denen der eine, Malina, ihr Ehemann, der andere ihr Liebhaber ist. Der Ehemann lebt mit ihr in der gemeinsamen Wohnung, ist aber selten da; der andere, ihr verheirateter Liebhaber, Ivan, lebt nur ein paar Häuser weiter, ist aber auch mehr abwesend, behandelt sie außerdem schlecht. Eine intelligente Frau, leidend an der unerfüllten Liebe, leidend an der Unzulänglichkeit des eigenen Schreibens, leidend an der schwierigen Kindheit, leidend an der Welt. Das alles in einer Sprache, die ausufert, minutiös Situationen beschreibt; man möchte weiterblättern, ein paar Seiten weglassen und bleibt doch wie festgehakt an der poetischen und gleichzeitig spröden Sprache.



Drei Spielerinnen – drei Generationen


Gemeinsam mit dem Dramaturgen Johannes Nölting hat Fritzi Wartenberg im Roman umfassend gestrichen, das Ergebnis ist eine gut anderthalbstündige Bühnenfassung.
Die Bühne von Janina Kuhlmann zeigt zu Beginn drei Quader, deren Wände von oben bis unten, von rechts bis links in kleiner Handschrift beschrieben sind. Josefin Platt,Constanze Becker und Maeve Metelka betreten die Bühne. Sie tragen ähnliche Kleider, ähnliche Pagenkopfperrücken und ähnliche schwarze Hornbrillen (Kostüme: Elena Schleicher). Wie besessen schreiben sie weiter an den für uns unlesbaren Texten.

Wenn die Wände beiseite geschoben sind, eröffnet sich ein düsterer Raum, eine Höhle, mit einem kleinen Tisch mit Schreibmaschine, stapelweise Büchern und hinten links einem von der Decke hängenden gedrehten Seil. Das Seil entpuppt sich als eine zigmal verdrehte Telefonschnur (die Älteren unter uns erinnern sich), an dessen Ende ein riesiger Telefonhörer hängt, den Constanze Becker nur mit Mühe aus der Gasse auf die Bühne bugsieren kann. Er ist so groß, dass die Schauspielerin auf der Hörmuschel sitzen und auf dem gesamten Hörer liegen kann. Das ist nur einer von vielen sch
önen Einfällen, mit denen es der Regisseurin gelingt, den Text gestisch und sinnfällig zu machen.


Die Kunst des Sprechens


Alle drei Schauspielerinnen glänzen in ihrer Fähigkeit, mit der Sprache umzugehen. Es ist ein Genuss zu verfolgen, zu hören, zu spüren, wie sie sich den Bachmannschen Sätzen nähern, sich die Worte zu eigen machen und uns nahe bringen.


Und doch ging ich etwas ratlos aus dem Abend, denn die Sicht auf die Ich-Figur bleibt im Privaten hängen. Das Bild, das in dieser Inszenierung gezeichnet wird, ist – lediglich – das einer Frau, die sich zwischen zwei Männern aufreibt und am Ende daran zerbricht. Es ist ein Frauenbild, das doch längst überwunden ist und das weder Ingeborg Bachmann noch der jungen feministischen Regisseurin und ihrer Generation gerecht wird.

Malina“ ist nach „The Writer“ und „Alias Anastasius“die dritte Arbeit von Fritzi Wartenberg am BE (mehr dazu im Blog Nr. 421 vom 19. Dezember 2022). Beide Inszenierungen stehen im Mai wieder auf dem Spielplan.
Fritzi Wartenberg erhält in diesem Jahr den vom Freundeskreis des Hauses vergebenen Helene-Weigel-Preis. Wir gratulieren herzlich!

Berliner Ensemble, Neues Haus, 29. Mai, 16. Juni. Hier geht’s zu den Karten.


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2. Bar jeder Vernunft - In allen Genres zuhause

"Welcome To My World" in der Bar jeder Vernunft © Barbara Braun

Atrin Madani, der vor anderthalb Jahren die Bar jeder Vernunft mit neu gehörten Liebesliedern verzauberte (mehr dazu im Blog Nr. 406 vom 5. September 2022) ist in das Spiegelzelt auf dem Parkdeck in der Schaperstraße zurückgekehrt und lädt sein Publikum ein mit seinem neuen Programm Welcome To My World“.

Madani hat in der Zwischenzeit sein Debütalbum „Where are we now“ herausgebracht, das 2023 für den Deutschen Jazzpreis nominiert war. Wie stolz er darauf ist, auch wenn er den Preis nicht bekommen hat, erzählt er auf der Bühne freimütig und mit dem liebenswerten Charme, der ihn auszeichnet.

Um seine Welt musikalisch zu fassen, hat Madani Songs von Jazz über Chanson bis zum Schlager ausgesucht. Von Hildegard Knef bis Manfred Krug, von Roger Cicero bis Brian Ferry, von Take That bis Herbert Grönemeyer und – ja: Roy Black (!).
Er kann das alles singen, bewegt sich mühelos in den Genres; seine Stimme ist grandios, und er wirft sich geradezu in diesen Abend; seine Freude darüber, wieder auf der Bühne der Bar stehen zu dürfen, überträgt sich auf den Saal.

Zwischen den Songs erzählt er kleine Episoden aus seinem noch jungen Leben, er wird demnächst 26. Die Moderationen glückten am Premierenabend nicht immer, der eine oder andere Übergang geriet holprig, die Verbindung zu den nachfolgenden Songs waren dramaturgisch unklar. Da könnten sowohl die Texte als auch deren Präsentation noch einmal überprüft werden, obwohl einiges sicher der Aufregung geschuldet war und sich an den darauffolgenden Abenden vermutlich „eingespielt“ hat.

Madani hat iranische Wurzeln. Seine Eltern sind aus dem Iran geflohen. Zum Vater hat Madani ein sehr enges Verhältnis – auch bei diesem Programm sitzt der Vater jeden Abend in der Vorstellung und der Sohn bedankte sich auch dieses Mal bei ihm öffentlich für seine immerwährende Unterstützung. Madani selbst hat nie im Iran gelebt hat und war seit dem Tod seiner Großmutter nicht mehr da. Trotzdem hat er eine starke Verbindung zu dem Land und seinen Menschen. Das zeigte sich im zweiten Teil des Abends. Madani sang ein persisches Liebeslied, bei dem er von seinen eigenen Emotionen überwältigt wurde und nur mit Mühe in den einstudierten Ablauf des Konzerts zurück fand.

Begleitet wird Madani auch bei diesem Programm von Paul Hankinson, dem erfahrenen sympathischen Pianisten, der den jungen Sänger souverän und einfühlsam durch den Abend begleitet. Das Premierenpublikum war hingerissen. Viel Applaus.

„Welcome to my World“ steht im Oktober wieder auf dem Spielplan der Bar jeder Vernunft.


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3. Neuköllner Oper - Wenig Neues

"Anna & Eve" in der Neuköllner Oper © Matthias Heyde, Bearbeitung Vincent Stefan

Mit Anna & Eve“ katapultiert uns die Neuköllner Oper in die Zukunft, genauer gesagt ins Jahr 2042. Wenn die Zukunftsvisionen der Schöpferinnen von Eva Kuhn (Komposition) und Marie Kilg (Text) – natürlich in Koproduktion mit einer KI (Text und Komposition) eintreten sollten, wird sich in den kommenden 18 Jahren nicht viel geändert haben.

Anna (Sophia Euskirchen) ist eine IT-Frau, die ein Kompositionssystem entwickelt, das nicht recht vorankommt. Anna hat weniger ideelle als materielle Intentionen, sie will vor allem Geld verdienen.
Eve ist die entsprechende KI, die Anna mit dem, was sie hervorbringt, nicht zufriedenstellt. Der Druck der Geldgeber wächst, die Zeit läuft.

Vin (Oliver Urbanski) ist ein Komponist, dem musikalisch nichts mehr einfällt ihm und der befürchtet, von der KI seiner Existenzberechtigung beraubt zu werden. Die Auseinandersetzung zwischen KI und echten schöpferischen Menschen tobt weiter. Da seine Freundin Anna ein besonderes Verhältnis zu „ihrer“ KI entwickelt hat, gerät die Beziehung in eine schwere Krise.

Das reale Verhältnis zur KI wird also weiterhin von menschlichen Emotionen begleitet sein – ist die Maschine für uns Menschen wirklich nur Maschine oder kann sie unter bestimmten Bedingungen doch zu mehr werden?

Ein weißer Rundhorizont begrenzt die Bühne von Ariane Stamatescu, auf dem sich Projektionen in wilder Folge abwechseln, die Bilder aus allen Etappen der Evolution zeigen. Ein Bildschirm-Kaminfeuer knistert vor einem realen Holzstoß, ein Gerippe eines vorsintflutlichen(?) Tieres bietet Versteckmöglichkeiten. Ein Kühlschrank wird zur Kompositionskammer von Vin, der als armer Komponist im Jahr 2042 immer noch oder wieder mottenzerfessene Pullover trägt wie seine Urgroßväter anno 1970...

Und die KI? Sie begegnet uns einerseits virtuell und andererseits als echtes Wesen (Meik van Severen). Hier als Transe in weißem Minikleid in Lackoptik und mit giftgrünen Handschuhen.

Ein Highlight des Abends: Jula, die 16jährige Tochter von Vin (Bineta Hansen), die einer erfrischend witzigen Einlage ihr eigenes Projekt präsentiert: „Petflix“ – ein spezielles Angebot für Haustiere! Junge Leute haben also auch in der Zukunft eigene Ideen.

Ich hatte mir mehr erwartet von dem Abend (Regie: Fabian Gerhardt), eine neue Herangehensweise, andere Schwerpunktsetzungen, andere Musik.
Aber: Im Theater gilt nach wie vor: Nur wer es gesehen hat, weiß wirklich Bescheid. Also gehen Sie in die Neuköllner Oper und machen Sie sich selbst ein Bild!

Neuköllner Oper, bis 26. Mai. Hier geht’s zu den Karten.

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