Heute: 1. Kulturvolk – Open Air-Ausstellung: "Jiddisches und Jüdisches Theater 1887 bis 1941 in Berlin" / 2. Hans Otto Theater – "Bondi Beach" / 3. Chamäleon Theater – "GOM - A simple space"
Wussten Sie, dass es in der Kommandantenstraße 56 in Berlin-Kreuzberg einst ein Theater gab? Nein? Dann könnte sich das jetzt ändern. Im Garten des Kulturvolks in der Ruhrstraße erinnert nun eine Ausstellung an dieses besondere Haus.
Nichts geschieht, wenn nicht Menschen etwas tun. Diese wichtige Ausstellung ist Klaus Wichmann zu verdanken. Selten habe ich in meinem Leben jemanden kennen gelernt, der gleichermaßen so viel Wissen über Theater auf und hinter der Bühne und im geschichtlichen Verlauf in sich vereint, der aber ebenso tätig war und ist im Dienst der Darstellenden Kunst. Als Technischer Direktor – ich nenne hier nur die Staatsoper Berlin und die Semperoper, um die Liga anzudeuten, in der er „spielt“ – hat er Theater mitgestaltet. Momentan kümmert er sich um das Jüdische Theaterschiff „MS Goldberg“ und – ja: Er hat diese Ausstellung zusammengestellt zum Jiddischen und Jüdischen Theater in Berlin von 1887 bis 1941, das als Theater „Berliner Ressource“ des Jüdischen Kulturbundes in eben jener Kommandantenstraße schließen musste. „Das Haus bot 100 Mitarbeitern und über 100 festangestellten Künstlerinnen und Künstlern ein Asyl und rettete einige von ihnen vor der Verfolgung und Deportation durch die Nazis“, schreibt Klaus Wichmann über die letzte Phase dieses Theaters.
Im Gespräch erzählt er anschaulich, wie die vorerst nach Westerbork Deportierten dort dasselbe Programm in nahezu derselben Besetzung gegeben haben. Camila Spira war unter ihnen. Sie erinnert sich an die Aufführungen im Lager: „Diese Lachsalven, diese Begeisterung – die Leute haben in dem Moment, wie sie uns da gesehen haben, alles vergessen. Und das war grauenvoll, denn am nächsten Morgen ging es in den Tod oder zu einem kleinen Aufschub nach Theresienstadt.“
Die Open-Air-Ausstellung macht sowohl mit den Menschen auf und hinter der Bühne bekannt – sie werden namentlich erwähnt – als auch mit den Inszenierungen. Besonderes Augenmerk wird auf die erfolgreiche Theaterarbeit der Brüder Herrnfeld gelegt: „1907 hatten die Gebrüder Anton und Donat Herrnfeld, zwei jüdische Theatermacher aus Ungarn, das dortige Restaurant mit Tanzsaal gekauft und zu einem Theater mit 800 Plätzen umbauen lassen“, heißt es in der Begleitbroschüre zur Ausstellung. Ab 1935 war es dann das Theater des Jüdischen Kulturbundes.
Nach langem Schweigen über die Zeit des Nationalsozialismus in der Bundesreplik sind inzwischen die Leidenswege verfolgter, meist aber damals bereits berühmter Künstler bekannt. Aber was geschah mit jenen hinter der Bühne, mit jenen, die in den Theater-Gewerken das Theater-Spielen erst ermöglicht haben? Es ist das Verdienst dieser Ausstellung, nun auch an sie zu erinnern. Und so, wie sich auf der Bühne mitunter die Liebe zeigt, spielte sie sich auch dahinter ab. So lernte die junge Schneiderin und Komparsin Margot Bendheim in diesem Theater ihren späteren Ehemann Adolf Friedländer kennen.
Viele der ausgestellten Fotos sind Fritz Wisten zu verdanken, der zu dieser Zeit künstlerischer Leiter und Regisseur des Hauses war. Auf Anregung seiner Enkelin, der Kulturvolk-Geschäftsführerin Katrin Schindler, ist diese Ausstellung nun beim Kulturvolk zu sehen.
Seit langem setzt sich Klaus Wichmann für ein Theater-Museum in Berlin ein. Nicht Berlin, aber die Berlinerinnen und Berliner und ihre Gäste hätten es verdient. Und es tut dringend Not, an die Geschichte des Theaters in Berlin unter besonderer Berücksichtigung der Theater-„Politik“ im nationalsozialistischen Deutschland zu erinnern.
Das kriegsbeschädigte Theater in der Kommandantenstraße wurde 1953 gesprengt und abgerissen. Seit 1990 steht dort ein Denkmal, das mahnt.
Besuchen Sie bitte diese Ausstellung und unterstützen Sie damit all die wichtigen Bemühungen, die Erinnerung an diese Zeit wach zu halten, um wachsam zu bleiben. Die Ausstellung ist bis zum 20. Juli 2025 durchgehend im Vorgarten von Kulturvolk | Freie Volksbühne Berlin zu sehen.
Kulturvolk, Ruhrstraße 6 in Berlin-Wilmersdorf
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Kennen Sie den Bondi Beach? Er befindet sich in Australien. Aussteiger sollen da die Woche über ackern wie verrückt und am Wochenende Party machen bis zum Abwinken. Als Alte sind sie dann von diesem dualen Lebensmodell völlig ruiniert und frustriert.
„Seht ihr nicht, was da gerade mit uns passiert: Wir sterben!“ Trotz dieses programmatischen Ausrufes zeigt die Inszenierung von Nele Rosetz genau das Gegenteil: Lebensfreude entlang der Frage: Was machen wir am besten auf den letzten Metern?
Denn auch im Alter kann es ein erstes Mal geben: das erste Mal im entscheidenden Moment keine Erektion bekommen. Das erste Mal feststellen zu müssen, dass man – hier eigentlich frau – nicht mehr als begehrenswertes Wesen wahrgenommen wird. „Unfuckable“ heißt die grauenhafte Vokabel dafür.
Und wirklich bewegende Aussagen sind z. B. diese: „Irgendwann werde ich zum letzten Mal Sex haben. Und ich werde es nicht wissen.“ Die noch deprimierendere Replik im Stück darauf ist: Vielleicht war das schon gewesen. Wer weiß?
Richtig formuliert, inszeniert und gespielt kann diese Anhäufung von eigentlich deprimierenden Auskünften in Komik kippen. Und so ist es hier.
Die Autorin Rebekka Kricheldorf ist im Alter ihrer Protagonisten. Sie weiß also, worüber sie schreibt. Vielleicht schreibt sie sogar über sich selbst? Ihr Stück beschreibt in einer immer älter werdenden Gesellschaft den Widerspruch zwischen biologisch „alt“ sein und mental und materiell agil sein. Was sind die Folgen? Nimmt ein älterer Mann sich z. B. eine jüngere Frau, ist das auf jeden Fall kaum noch zu akzeptieren. Nimmt eine ältere Frau sich dagegen einen jungen Mann, so kann sie sich der Anerkennung ihrer Lebendigkeit und des Sprengens überkommener Rollenbilder – auch in Form von Neid – sicher sein. Die Inszenierung arbeitet das scheinbar Unvereinbare von Lebens-Reife und Lebens-Lust heiter und pointiert heraus.
Bühne und Kostüme von Alexander Wolf zeigen uns eine Art Raumschiff mit dem Namen „R 34“ und irgendwie zeitlose, miteinander befreundete Menschen. Diese sind Zoe, Dennis, Tristan, Fiffy und Nico, gespielt von Kristin Muthwill, Guido Lambrecht, Philipp Mauritz, Alina Wolff und Henning Stübbe. Allesamt haben (im Stück) ihren Lebens-Zenit überschritten. Was kommt jetzt noch? Nur noch Bonus-Material? Schluss mit durchzechten Nächten und Ausschweifungen zugunsten von Patientenverfügung und Testament? Das wird nun diskutiert.
Alle bekommen zwischen den wilden Wortwechseln – ganz im Stil der Opera seria – die Chance, ihre Gedanken und Gefühle einzeln in besinnlichen Songs von Carolina Bigge vorzutragen. Das schafft Momente der Konzentration und Kontemplation.
Blacky Fuchsberger hat mal gesagt, Alt-werden sei nichts für Feiglinge. Recht hat er – vermutlich. Aber: Wenn wir Feiglinge uns alle zusammenschließen, müssten dem Alt-werden doch vielleicht auch heitere Seiten abgewonnen werden können. Oder?
Vielleicht sollten Pensionäre und Rentner die Inszenierung stürmen und an den richtigen Stellen lachen und applaudieren – und an den bedenklichen Buh rufen. Die nächste Spielzeit steht im Hans-Otto-Theater unter dem Motto „Auf“. In diesem Sinne bitte: Auf-Leben. Viel Vergnügen!
Reithalle Potsdam, 4. Juli. Hier geht’s zu den Karten.
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Wussten Sie, dass man der Schwerkraft ein Schnippchen schlagen kann? Nicht nur im All, auch in der Artistik!
Das Chamäleon hat nun seine erste Sommersaison. Wenn die anderen Theater „dicht machen“ und die Stadt voller Berlinerinnen und Berliner im Urlaub und Touristen ist, weiß man nun, wohin am Abend.
Die neue Show der australischen Gruppe „GOM“ im Chamäleon Varieté heißt „A Simple Place“. Und es ist wirklich ein einfacher Raum, der dieses Mal als Bühne in den Zuschauerbereich hineingebaut wurde. Darauf spielt sich – im wahrsten Sinne des Wortes – eine herzerfrischende Stunde „Äquilibristik“ ab. Die sieben Artistinnen und Artisten stellen sich wie zum Sportunterricht in einer Linie auf und beginnen dann ihre jeweiligen Darbietungen. Alles beginnt mit der Übung „Fallen“. Jede bzw. jeder lässt sich einfach mal fallen, kündigt das vorab verbal an und die Aufgabe der anderen besteht dann darin, flugs zur Stelle zu sein, damit niemand fallen gelassen wird. Dann geht’s zurück in die Linie. Die zweite Nummer ist ein Springseil-Stripp der drei Herren. Bei jedem Patzer muss ein Kleidungsstück ausgezogen werden. Schlussendlich ist dann einer nackt. Und so geht es immer weiter: Szene für Szene. Die Präsentationen sind spielerisch, humorvoll und experimentell, die Künstler selbst dabei unerhört symphytisch. Der Titel der Gruppe bedeutet übrigens „GOM“: Gravity and other Myths – Schwerkraft und andere Mythen. Und so spielen sie eben mit dem Mythos Schwerkraft und zelebrieren seine Überwindung durch Geschicklichkeit und Kraft.
Ein Bühnenbild gibt es ebenso wenig wie traditionell glitzernde „Zirkus-Kostüme“. Und wer an gertenschlanke Akrobatinnen gewöhnt ist, wird sich erst wundern und dann erkennen, dass die meist genderneutralen puristischen Äquilibristik-Darbietungen mit ihren Handständen und Hebungen, mit ihren Salti und Pyramiden nach ganz anderen Körper-„Typen“ verlangten.
Im Hintergrund der Bühne sitzt ein Schlagzeuger, der das Geschehen live geschickt begleitet. Er schafft Atmosphäre, webt seinen Klangteppich und unterstützt ganz pointiert das Spiel der Bühnendarsteller.
An diesem Abend wird man gut unterhalten, lernt im Schnelldurchlauf – nach einer knappen Stunde ist „Game over“ –, was zu Kunst und Handwerk der Äquilibristik alles dazugehört und erlebt ganz nah eine Gruppe harmonisch miteinander agierender junger Menschen. Was will man mehr an einem heißen Sommerabend in Berlin?
Dass es im Chamäleon erlesene Getränke und eine kulinarische Betreuung während der Show gibt, sei für diejenigen erwähnt, die tatsächlich noch nicht dort gewesen sein sollten.
Chamäleon Theater, bis 3. August. Hier geht’s zu den Karten.
1. Kulturvolk Wenn nicht jetzt erinnern, wann dann?
2. Hans Otto Theater Wenn das Leben davonläuft
3. Chamäleon Theater Wenn Schwieriges leicht aussieht
1. Vaganten Eine Milliarde für einen Mord
2. Theater des Westens Shakespeare unter Zuckerguss
3. Schlosspark Theater Partnersuche mit Fallstricken
1. Deutsches Theater Lustiger Grusel
2. Theater im Palais Für Eingeweihte
3. Luftschloss Tempelhofer Feld Wir alle sind Robin Hood
1. Hans Otto Theater Royals basteln eine Guillotine
2. Prime Time Theater Schwere Abstürze, schöne Aufbrüche
3. Berliner Ensemble Nonbinäres Frauenglück
1. Staatsballett Berlin Fremd bin ich
2. Deutsches Theater In einem kranken Haus
3. Maxim Gorki Theater Armenien: Zukunft ungewiss
1. Komische Oper Requiem für einen Lebemann
2. Kriminal Theater Rettung durch Mord?
3. Hans Otto Theater Triumph des Scheiterns