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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 524

Kulturvolk Blog | Sibylle Marx

von Sibylle Marx

2. Juni 2025

Heute: 1. Deutsches Theater – „Schicklgruber“ / 2. Theater im Palais – „Das Blaue Halstuch / 3. Atze im Luftschloss Tempelhofer Feld – „Robin Hood“ 

1. Deutsches Theater - Lustiger Grusel

"Schicklgruber" im Deutschen Theater © Thomas Aurin

Der Einstieg ist vielversprechend: Zwei Spieler, Nikolaus Habjahn und Manuela Linshalm und eine Puppe. Die darüber diskutieren, wer den Hitler spielen soll. Die Puppe wehrt sich, nein den Hitler will sie nicht spielen, lieber den Goebbels. Aber keine Chance, mit einer einzigen Bewegung kriegt sie das lächerliche Bärtchen verpasst. Los geht’s! Heil Schicklgruber!

Schicklgruber,
was für ein lächerlich anmutender Name; welch groteske Vorstellung, wenn der im Dritten Reich vorgeschriebene Gruß „Heil Schicklgruber!“ gewesen wäre.

Die Groteske auf die Spitze zu treiben, ist
auch der Ansatz des vom australischen Puppenspiel-Großmeister Neville Tranter vor mehr als 20 Jahren erdachten Stückes. Tranter, der auch die Puppen selbst gebaut hat, war damit überall auf der Welt mit großem Erfolg unterwegs. Nun hat er das Stück samt Protagonisten – den Puppen – an seinen jüngeren, nicht minder berühmten Kollegen Nikolaus Habjahn übergeben.

Das Stück schildert die letzten Tage im April 1945 im Führerbunker und endet mit dem Selbstmord von Hitler. Neben dem treten Eva Braun, Göring, Goebbels mit seinen sechs Kindern und der Hund Blondi als Puppen auf. Die sind großartig gebaut und in sorgfältig gearbeitete Kostüme gekleidet. Der Klumpfuß von Goebbels ist hier eine der Puppe unter den Arm geklemmte Krücke, mit der der Spieler herrlich humpeln kann.

Die im wahrsten Sinne größte Erscheinung ist der Tod, der in der Düsternis raumgreifend auftaucht und wieder verschwindet, allgegenwärtig ist und natürlich das letzte Wort behält. Die Todespuppe überragt alle anderen um einiges. Sie ist in gelbe, leuchtende Gewänder gekleidet, mit überlangen Fingern, die in Federpuscheln enden. Wenn das Klappmaul aufgeht, blitzen zwei Reihen Goldzähne.

In der Buntheit der Ausstattung (Bühne: Julius Theodor Semmelmann, Kostüme: Lisa Zingerle) und unter dem akustischen Klangteppich von Nazischlagern und deutschen Volksliedern, bleiben die allesamt überzeichneten Figuren lediglich lächerlich. Kein doppelter Boden, das Böse nicht spürbar; es ist vor allem lustig.
Denn es wird nichts erzählt vom Größenwahn der hier Versammelten und vor allem den Verbrechen, die unter Hitler, Göring, Goebbels begangen wurden. Das unermessliche Leid, das Menschen ertragen mussten, die Millionen Toten. Das alles kommt im Stück nicht vor.


Grandioses Doppelspiel


Trotz dieser inhaltlichen Defizite folgt das Publikum gebannt. Kein Moment der grandiosen Puppenführung von Habjahn und Linshalm darf verpasst werden.
Wenn sie die Puppen sprechen lassen, vergisst man, dass sie es sind, die sprechen. Man sieht die Mundbewegungen, vergisst es aber sofort, sieht und hört nur die Puppe. Der Mensch dahinter verschwindet.

Noch beeindruckender ist, wenn sie Puppenspieler und Schauspieler gleichzeitig sind, Habjahn zum Beispiel als Kammerdiener Hitlers.
Der steht neben Goebbels (den er samt Krücke im Arm hält und führt). Goebbels teilt ihm lapidar mit, dass er seine Mutter aufgrund des Verdachts der Judenfreundlichkeit hat hinrichten lassen. Der Kammerdiener erstarrt, Goebbels stützt sich lässig auf seine Krücke…
Da wird es für einen Moment bitterernst und der Atem stockt.

Deutsches Theater, die nächsten Vorstellungen sind ausverkauft, Karten gibt es wieder in der neuen Spielzeit.

***

2. Theater im Palais - Für Eingeweihte

"Das blaue Halstuch" im Theater im Palais © Ildiko Bognar

Erwachsen werden ist wohl zu allen Zeiten schwer (gewesen), aber besonders schwer ist es, wenn die Welt ringsherum unübersichtlich ist, wenn junge Menschen Fragen haben, die von den Erwachsenen nicht beantwortet werden, sie sich die Antworten also selber suchen müssen.

So geht es Hans-Jürgen Grunow (
Markus Bernhard Börger), Bärbel Brünnler (Ira Theofandis) und Wolfgang Schieweck (Florian Hein), die als „Kriegskinder“ in den 50er Jahren in Ost-Berlin zusammentreffen. Hans-Jürgen kommt aus einem regimekritischen Elternhaus – der Vater wird denunziert und landet im Gefängnis – Wolfgang ist, was damals linientreu genannt wurde. Beide Jungs sind in Bärbel verliebt, die das auch ein bisschen ausnutzt. Das Verhältnis der Jugendlichen untereinander ist also komplex und schlägt, wie es in Dreierkonstellationen üblich ist, mal zu der einen und mal zu der anderen Seite aus.


Nach einer wahren Geschichte


Carolin Millner hat Regie geführt bei dem Stück von Klaus Wirbitzky, auf dessen Erinnerungen „Das blaue Halstuch“ basiert.
Vor einem Wandgemälde, wie sie der sozialistische Realismus wahrscheinlich zu Hunderten hervorgebracht ha
t und das den neuen Menschen in vielfältigen Tätigkeiten zeigt, wird in schneller Szenenfolge Privates mit historischen Ereignissen verknüpft und dabei der Bogen geschlagen bis in die Gegenwart.
Illustrierend flimmern schemenhaft Projektionen – Arbeitsalltag, Aufmärsche und Demonstrationen von jungen Pionieren, aber auch rollende Panzer – über mit Gaze bespannte Rahmen. 

Zu Beginn – die Spieler stehen frontal in einer Reihe – geht ein chorisches Wortgewitter von DDR-typischen Begriffen los, wie Winkelelement, Gruppenrat, Friedensfahrt, Subbotnik, Letscho, Pioniergruß, Haushaltstag; es wären noch gefühlt fünfzig weitere aufzuzählen. Die Reaktionen im Publikum reichen von erkennenden leisen Lachern bis zu ratlosen Blicken. Und das ist symptomatisch für die Inszenierung: Sie baut viel auf Vorkenntnis, erzählt aber auch jungen Menschen von heute und älteren, die zu Mauerzeiten im anderen Teil der Stadt gelebt haben, vieles, was die nicht wissen und wirft damit Fragen auf. Schon der Begriff des blauen Halstuchs wird zu unterschiedlichen Assoziationen führen. 



Musikalisch verfremdet


Florian Hein,
der die musikalische Leitung hat, hält die Geschehnisse mit bekannten und unbekannten Liedern (siehe oben) zusammen, teilweise arg verfremdet und meist acapella gesungen. Da wird aus dem bekanntesten Lied der DDR-Singebewegung „Sag mir, wo du stehst“ fast ein Choral und die „Sieben Brücken“ von Karat sind nur schwer zu identifizieren. Das muss man schon mögen.

Wohl angesichts der kleinen Bühne hat sich die Regie für den mehr erzählerischen als spielerischen Umgang mit der vielschichtigen Geschichte des Karl-Heinz Grunow entschieden. Um die vielen Personen – Eltern, Lehrer, Polizisten – zu verdeutlichen, müssen die drei immer wieder in andere Rollen schlüpfen, was durch blitzschnell an- und ausgezogene Kleider, Mäntel, Hüte gelingt. (Kostüme: Tatjana Hajdukova).
Bärbel und Hans-Jürgen werden in den wechselvollen Ereignissen deutscher Nachkriegsgeschichte letztendlich das Liebespaar. Schmunzelnd verfolgen eingeweihte Zuschauer die nachgespielte berühmte Szene aus dem Film „Die Legende von Paul und Paula“.

Theater im Palais, 14. Juni und 30. August. Hier geht’s zu den Karten.


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3. Luftschloss Tempelhofer Feld - Wir alle sind Robin Hood

"Robin Hood" im Luftschloss Tempelhofer Feld © Jörg Metzner


Der runde Holzbau auf dem Tempelhofer Feld öffnet bereits zum dritten Mal seine Pforten für die Sommersaison und bietet Theater für die ganze Familie, Konzerte, Comedy & Impro und sogar Tanznächte an.

Den Auftakt machte „Robin Hood“,
geschrieben, komponiert und inszeniert von Thomas Sutter. Gespielt, musiziert und gesungen von einem Ensemble, das das Premierenpublikum so in seinen Bann zog, dass noch nicht einmal der kurz vor Schluss einsetzende Regenschauer die allgemeine Freude und Begeisterung trüben konnte.

Am Eingang erhalten alle Kinder einen verschlossenen Briefumschlag, auf dem steht, dass der Brief erst nach dem Besuch der Vorstellung geöffnet werden soll. Das sorgt schon mal für Neugier und Spannung.


Rasant und begeisternd


Die Legende von Robin Hood, dem Kämpfer für die Armen und Feind der Reichen ist dank diverser Bücher und Serien wohl den meisten auch jüngeren Kindern bekannt. Davon wird hier natürlich auch erzählt, aber
im Mittelpunkt steht die arme Landbevölkerung, die so hohe Abgaben an Kirche, Vogt und König abgeben muss, dass es zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel ist.
Auf der Bühne sind zusammengebundene Holzpfähle verteilt, die an Reisigbündel erinnern, und auch für Baumstämme herhalten können. Im Wald lebt die Bande von Robin Hood, hier verbirgt sich aber auch Alan, ein zum Tode verurteilter Bauernjunge. Der Sheriff, unter stützt von seinen Soldaten, ist ihm auf den Fersen, immer dichter zieht sich das Netz zusammen: Strippe wird um die Holzbündel gespannt, so dass die Spieler sich dazwischen winden und darunter hindurchkriechen müssen.
Über allem thront der König, tumb und immer seniler werdend.

Die Kinder verfolgen das rasante Treiben, begleitet mit Musik und Liedern. Aus Spielern werden Musiker und umgekehrt. Durch einfache, schnell zu wechselnde Kostümteile wandeln sich zum Beispiel Bauern zu Soldaten, indem sie goldene Fahrradhelme auf die Köpf gesetzt bekommen.
Der gesamte Bau spielt mit, die Zuschauerreihen werden zum Versteck, die Eingangstüren zum Nord- bzw. Südtor von Nottingham und von innen verkeilt, um die Angreifer abzuwehren. Aber Robin Hood findet unter dem Beifall der Kinder einen Weg und seilt sich über die Seitendekoration nach unten ab.


Die Botschaft


Am Ende gibt der König die Krone an seinen Sohn ab. Und
der Prinz – gespielt von einem Mädchen – sendet die Botschaft aus dem Luftschloss in die Welt und wendet sich vor allem an die Kinder: „Wir alle sind Robin Hood! Ihr, die Kinder, habt es in der Hand, ihr habt die Aufgabe, mit den Erwachsenen zu reden, die vergessen haben, was im Leben wichtig ist, nämlich kein Hunger, kein Krieg, keine Waffen!“
Das klingt jetzt alles sehr didaktisch, ist aber tatsächlich
fröhlich und in guter Atze-Tradition verpackt in einen Song, den alle spätestens bei der Zugabe mitsingen können. Der Prinz verteilt große Scheren, mit denen alle zusammen das Strippenlabyrinth zerschneiden, bis alle Wege wieder frei sind.

Und was steht nun in dem Brief, der erst nach der
Vorstellung geöffnet werden darf? Um das zu erfahren, müssen Sie sich auf den Weg nach Tempelhof machen.

Luftschloss Tempelhofer Feld, bis 7. September. Hier geht’s zu den Karten.

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