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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 525

Kulturvolk Blog | Uwe Sauerwein

von Uwe Sauerwein

9. Juni 2025

Heute: 1. Vagantenbühne – „Der Besuch der alten Dame“ / 2. Theater des Westens – „Die Amme – Das Musical / 3. Schlosspark Theater – „Fisch sucht Fahrrad“

1. Vaganten - Eine Milliarde für einen Mord

"Der Besuch der alten Dame" in der Vagantenbühne © Thomas M. Jauk

Der Besuch der alten Dame“ war das erste Schauspiel, in dem ich als jugendlicher Statist am Stadttheater mitwirken durfte. Als Sargträger, der den toten Alfred Ill, den einst beliebtesten Bürger der Kleinstadt Güllen, Richtung Bahnhof beförderte. Als meine Schulklasse, die im Deutschunterricht den modernen Klassiker von Friedrich Dürrenmatt durchnahm, im Theater saß, fingen die Mitschüler in dieser Szene an zu applaudieren. Hochnotpeinlich für den Lehrer, und natürlich auch für mich.

Die meisten Menschen, die diese „tragische Komödie“ nun bei den Vaganten aufführen, waren damals noch nicht geboren. In Lily Kuhlmanns Inszenierung, der auf rund 75 Minuten und vier versierte Darsteller verschlankten Version, wird der Sarg zu Beginn auf den Händen der Zuschauer durch die Sitzreihen transportiert. Zum Hotel, das hier Alfred Ill gehört, gespielt von Urs Fabian Winiger. Der verstaut den Sarg erst mal im Keller, nicht ahnend, dass die Kiste bald gebraucht wird.

Zunächst ist die Ankunft der schwer reichen Claire Zachanassian in ihrem Heimatort nach 45 Jahren ein freudiges Ereignis. Wirtschaftliche Not plagt die Kleinstadt. Alle Unternehmen sind pleite. Der versammelten Bürgerschaft verspricht die Besucherin Rettung. Eine Milliarde. Aber nur, wenn jemand Alfred Ill umbringt, der sie einst verführte und schwanger sitzen ließ. Empört lehnen die Güllener ab. Moral ist nicht käuflich. Zachanassian wartet. Die Milliardärin hat nicht nur Geld, sondern auch Zeit. Und schnell beginnt sich das Verhalten der Bewohner zu wandeln.

So weit, so bekannt. Dürrenmatts 1956 uraufgeführtes Drama erscheint nicht nur vor dem Hintergrund verschuldeter Kommunen und maroder Infrastruktur aktuell. Den Racheakt der entehrten Frau, die im Bordell landete und dort einen milliardenschweren Ölmagnaten kennen lernte, erzählt das kleine Theater in einer temporeichen Mischung aus Horrorshow, Trash, Satire und Slapstick, aber ebenso mit anrührenden Momenten. Es funktioniert. Nicht zuletzt durch Kaja Buschs Ausstattung und Kostüme; durch den gewitzten Einsatz von Projektionen, Videos und Live-Kamera, verfliegt die Patina des Stückes.


Besuch einer jungen Dame



Namen wie Therese Giehse, wie Elisabeth Flickenschild oder Maria Schell verbindet man mit der weiblichen Hauptrolle. Bei den Vaganten kommt keine Heroine, sondern mit Luise von Stein eine junge Dame zu Besuch. So umgeht man große Fußstapfen. Vor allem aber steckt hinter Maske und Kostüm das unbekümmerte Mädchen, die frühere Klara Wäscher, die sich mit der alten Heimat konfrontiert sieht. Wo im Stadtwäldchen immer noch die in den Baum geritzte Inschrift „Klara + Alfred“ lesbar ist. Und Relikte der Liebe zu Alfred aufschimmern. Gleichzeitig blicken wir auf eine junge Frau, hochschwanger, alleingelassen bei der Zugfahrt, voll seelischer und körperlicher Qualen.

Als alte Dame hat Claire Zachanassian nun die Männer gnadenlos im Griff. Nicht nur ihre zahlreichen Gatten, die so schnell, wie sie geheiratet wurden, auch wieder verschwinden, anders als bei Dürrenmatt offenbar durch Unfalltod. Ehemänner, Bürgermeister, Pfarrer, Lehrer: Julius Ferdinand Brauer und Franziskus Klaus dürfen in mehreren Rollen Vollgas geben. Die übrigen Güllener werden durch Komparsen im Video verkörpert (ohne Sargträger). Die Bürgerversammlung, bei der über das unmoralische Angebot und somit Alfred Ills Schicksal entschieden wird, wird hier zum modernen Medienspektakel. „Tod aus Freude“ lautet die Headline am Ende des Bühnenevents.

Vagantenbühne, bis zum 10. Juli. Hier geht’s zu den Karten.


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2. Theater des Westens - Shakespeare unter Zuckerguss

"Die Amme - Das Musical" im Theater des Westens © Sunstroem

Montague, Capulet, was soll das sein. Ein Wein? Die Kellnerin in der Taverne gibt sich unwissend, als sie über die Familienfehde in ihrer Heimatstadt befragt wird. Sowieso alles schon so lange her, was in Verona passierte. Doch bald muss die resolute Frau, die zur Tarnung extra fünf Kilo zugenommen hatte, ihre wahre Identität offenbaren. Und die Wahrheit, nichts als die Wahrheit preisgeben. Was wirklich geschah mit Romeo und Julia. Der Gast, der das alles wissen will und den wir weder zu Gesicht noch zu Gehör bekommen, ist von weit her angereist. Aus England kommt er und heißt mit Vornamen William.

Manchmal wird eine Nebenfigur zur Hauptperson. Wie der dicke John Falstaff, der es aus der Rahmenhandlung mehrerer Shakespeare-Dramen bis zur Titelfigur von Opern schaffte. Ein ähnlicher Karrieresprung ist nun der Amme aus „Romeo und Julia“ am Theater des Westens gelungen. Und das liegt an der Darstellerin. „Romeo & Julia – Liebe ist alles“ brachten Peter Plate und Ulf Leo Sommer vor gut zwei Jahren zur Uraufführung (mehr dazu im Blog Nr. 433 vom 27. März 2023). Als Julias Amme wurde Steffi Irmen zum Publikumsliebling. Ein Erfolg, den die Sängerin, Schauspielerin und Tänzerin auch im nächsten Musical des Autorengespanns wiederholte, in einer Hosenrolle als Musikproduzent in „Ku‘damm 59“.

Und so kam man auf die Idee, für Steffi Irmen passend zur Wiederaufnahme von „Romeo & Julia“ eine One-Woman-Show zu entwickeln. Ein Mal pro Woche, immer am Freitag, soll „Die Amme“ die Kulissen des großen Musicals allein beherrschen. Vor allem mit den Songs der Popgruppe Rosenstolz, deren Erfolg maßgeblich auf den Einfällen von Sommer und Plate basierte. „Ein Abend, an dem kein Auge trocken bleibt“, war angesagt. Was sich auf tragische und doppelsinnige Weise bewahrheitete. Denn kurz vor der Premiere starb unerwartet AnnA R., die Rosenstolz-Sängerin. Ein Schock für die Fangemeinde. Vor dem Theater stapeln sich Rosen, Kerzen, Fotos und Briefe.


Stimmung wie im Popkonzert


Shakespeare oder Rosenstolz, das ist keine Frage, wenn die Amme im Rampenlicht „Ich bin ich“ intoniert. Von Anfang an herrscht Kreischalarm im Publikum, wo ein Großteil der Besucher*innen (diesmal trifft das Sternchen wirklich zu) die Hits auswendig mitsingt. Steffi Irmen hat stimmgewaltig und wandlungsstark alles im Griff. Das queere Element spielt hier auch im Italien des 16. Jahrhunderts eine Rolle. Ein tragisch abgelaufenes schwules Techtelmechtel, hier geschildert mit dem Hit „Vincent“, soll die langjährige Feindschaft zwischen den Capulets und Montagues losgetreten haben.

Bevor sie Julias Amme wurde, hat die Frau, deren Namen wir nie erfahren, im Hause Capulet als Zofe gedient. Auch da müssen die Geschlechterrollen ein wenig durcheinander geraten sein, sodass Julias Erscheinen auf dieser Welt (mit „Hallo Julia“ zu Leonard Cohens „Halleluja“!) einem kleinen Wunder gleicht. Irgendwann erfahren wir, dass auch die Amme einmal Mutter und Ehefrau war und das Schicksal ihr böse mitspielte. Mach was aus deinem Leben, wie schwer es auch sein mag, so die Botschaft. Adäquat zu den Rosenstolz-Hits, die leider auch musikalisch sehr einheitlich klingen. Bei „Romeo und Julia“ überraschte noch eine gewisse stilistische Vielfalt. Hier, wo die Songs wie Zuckerguss übers Drama gegossen werden, klingt es bald ziemlich schwülstig. Wer es mag, wird selig dabei. Und das sind viele.

Für 2026 haben Sommer und Plate gerade ein neues Berlin-Musical angekündigt. Titel: „Wir sind am Leben“.

Stage Theater des Westens. „Romeo & Julia – Liebe ist alles“ und „Die Amme – Das Musical“. Hier geht's zu den Karten.


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3. Schlosspark Theater - Partnersuche mit Fallstricken

"Fisch sucht Fahrrad" im Schlosspark Theater © DERDEHMEL/Urbschat

Da haben wir den Salat! Beim ersten Treffen im Restaurant lobt die neue Bekannte die Kreativität auf dem Teller über den grünen Klee. Und Thomas merkt schnell, dass er bei diesem Date an die Falsche geraten ist, wieder einmal. Besonders die Walnüsse im Salat soll er alle aufessen: Die fördern die Spermienbildung. Heike hegt nämlich, angesichts drohender Wechseljahre, noch Kinderwunsch. Nichts für Thomas. Und so läuft es wie meistens beim ersten Treffen. Man bestellt ein mehrgängiges Menü und weiß eigentlich schon beim Brotkorb, dass es nichts wird mit der Beziehung.

In „Fisch sucht Fahrrad“ geht es um die schwierige Partnersuche im fortgeschrittenen Alter. Nach drei Jahrzehnten haben sich Thomas und Julia in Frieden scheiden lassen. Nun unterstützen sie sich gegenseitig bei der Suche nach neuem Glück. Jeweils ist der oder die Ex bei den Verabredungen heimlich mit dabei. Was als Sicherheitsnetz gedacht ist, führt natürlich zu Verwicklungen, wir sehen schließlich eine Komödie. Mit einem zum Glück sehr spielfreudigen Quartett mit bekannten Gesichtern auf der Bühne.

Peter Quilter kennt man im Schlosspark Theater vor allem durch sein Erfolgsstück über die wunderbar falsch singende Sopranistin Foster Jenkins (mehr dazu im Blog Nr. 466 vom 29. Januar 2024). An die Eleganz und Leichtigkeit dieser Salonkomödie kann der Broadway- und Westend-Autor diesmal nicht anknüpfen. „The Dating Game“ wird in der aktuellen Saison in mehreren Ländern gespielt. Für die Deutsche Erstaufführung hat Co-Intendantin Nathalie Hallervorden, Tochter des Hausherrn Dieter Hallervorden, die einige Jahre in New York und London verbrachte, das Stück aus dem Englischen übertragen.


Begegnungen mit skurrilen Typen


Der deutsche Titel geht auf den aus dem feministischen Milieu stammenden Spruch „Eine Frau ohne Mann ist wie ein Fisch ohne Fahrrad“ zurück. Mit der Zeit wurde „Fisch sucht Fahrrad“ aber zur allgemein gültigen Devise für Single-Treffen. Die finden heute meist im digitalen Dschungel statt. Welche Fallstricke dort wirklich lauern für Menschen, die verzweifelt der Einsamkeit entfliehen wollen, erzählt Quilter nur am Rande. Das Dating findet hier meistens ganz spießig statt im Restaurant, im Café oder in der Kneipe. Die recht konstruiert wirkende Geschichte funktioniert nach alten Boulevard-Konventionen, wo nach vielen Irrwegen wieder alles so zusammenkommt, wie es sich angeblich gehört.

Man ahnt schnell, dass die Liebe zwischen Julia und Thomas längst nicht erkaltet ist. Janina Hartwig und Hardy Krüger als geschiedenes Paar steuern zwischendurch auch mal leisere Töne bei; ansonsten setzt die Regie von Irene Christ lieber auf Überzeichnung. Oder sind die skurrilen Typen, die Caroline Beil und vor allem der virtuose Dieter Landuris in entsprechenden Kostümen (Viola Matthies) verkörpern, die Salatfanatikerin und die Schnapsdrossel, der Chauvi, der Clown, der Choleriker und das Muttersöhnchen, doch der Wirklichkeit entlehnt? Es ist zu befürchten. Hier zumindest kann man drüber lachen.

Schlosspark Theater, bis 29. Juni. Hier geht’s zu den Karten.

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