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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 406

Kulturvolk Blog | Sibylle Marx

von Sibylle Marx

5. September 2022

Heute: 1. Kabarett Theater Die Stachelschweine – „Fassen wir zusammen:“ / 2. Bar jeder Vernunft  – Der Mond hatte frei  / 3. Theater im Palais – DIVA Berlin

1. Kabarett Theater Die Stachelschweine - Das Internet muss weg

Jenny Bins, Steven Klopp und Santina Maria Schrader auf der Suche nach dem Internet © Dirk Dehmel
Jenny Bins, Steven Klopp und Santina Maria Schrader auf der Suche nach dem Internet © Dirk Dehmel

Als Frank Lüdecke im Juni beim Kulturvolk-Sommerfest zu Gast war, stellte er sich mit den Worten vor: „Ich bin Frank Lüdecke, künstlerischer Leiter des Kabarett Theaters Die Stachelschweine. Ich weiß, was Sie jetzt denken: Die Stachelschweine, ach ja, da sind doch Oma und Opa früher immer hingegangen…"
Zur Premiere in der vorigen Woche waren im Publikum die Omas und Opas eindeutig in der Minderheit. Stattdessen fanden sich im neu gestalteten und mit moderner Technik ausgestatteten Theater erfreulicherweise Menschen aller Altersgruppen, die mit großem Spaß das neue Programm „Fassen wir zusammen:“ verfolgten.


Wo ist das Internet?


Drei Menschen machen sich auf, den Ort zu finden, wo alle Kabel des Internets zusammenlaufen, um dieses abzuschalten. Warum? Um endlich dafür zu sorgen, dass wir nicht mehr die halbe Zeit unseres Lebens verfolgt werden, bzw. uns verfolgen lassen von Amazon und Google oder Plattformen wie Facebook, Twitter oder tictoc. Der Anspruch ist natürlich absurd und tatsächlich erweist sich der gesuchte Ort als ein Kellerraum mit übergroßen Hebeln und einem riesigen Kasten, aus dem u.a. oben ein gebogenes Rohr ragt, analoge Messgeräte was auch immer anzeigen und mehrere Hähne angebracht sind, mit denen man im richtigen Leben die Wasserleitung abdrehen kann. Im Zentrum ein gelbes Rad, das unter Anstrengung mit beiden Händen bewegt werden muss, um das Vorhaben tatsächlich in die Tat umsetzen zu können. Das Ungetüm mutet an wie die Wunschpunkte-Maschine aus der berühmten Kinderbuchreihe vom Sams und Herrn Taschenbier von Paul Marr (Bühne: Adrian Ochse).


Was kommt danach?


Initiator des Unternehmens ist der grüne Hinterbänkler Lars Kugelreiter (Steven Klopp), den neben den hehren Absichten der Wunsch treibt, endlich aus der letzten Reihe herauszutreten und der Welt und nicht zuletzt Robert Habeck zu zeigen, was in ihm steckt. Unterstützt wird Lars von der selbsternannten Hacker-Aktivistin Pepsi-Carola (Santina Maria Schrader), deren Hackerkompetenz sich aus ihrer Tätigkeit in ihrem Computer-Reparatur-Service speist. Die Dritte im Bunde ist Lars’ Ehefrau Bianca (Jenny Bins), die allerdings erst allmählich mitbekommt, was die beiden Anderen vorhaben und entsetzt begreift, dass der Abschaltung des Internets auch ihr eigener Youtube-Kanal zum Opfer fällt.
Natürlich bleibt das kriminelle Treiben nicht unbemerkt. Die Polizei ist den Dreien auf der Spur.

In lockerer Szenenfolge mit Texten von Sören Sieg und Frank Lüdecke, der auch Regie führt, nimmt der Abend erst den alltäglichen digitialen Wahnsinn in den Fokus und zeigt dann, was passiert, wenn das Internet weg ist und wie darauf reagiert wird. Besonders spannend ist, was danach passiert, wenn es wirklich weg ist...
Dabei kommen in bewährter kabarettistischer Manier die Politik und ihre Entscheidungsträger nicht gut weg. Ganz schlecht die Berliner Landesregierung mitsamt der Berliner Verwaltung. Im Einwohnermeldeamt zum Beispiel regt es niemanden auf, dass es kein Internet mehr gibt. „Internet? Hatten wir noch nie.“ Ganz besonders trifft es die Berliner Polizei, die hier mit dem Slogan wirbt: „Du suchst Abenteuer? Du hast keine Ausbildung? Du wurdest in der Schule gemobbt? Komm zu uns! Berliner Polizei“. Die Figuren der drei Uniformierten sind allerdings so tumb, dass die Überzeichnung selbst fürs Kabarett sehr heftig ist.


Tolle Songs und stimmgewaltiges Ensemble


Die Spielszenen kommen an manchen Stellen ein wenig holprig daher und scheinen noch nicht ganz fertig gearbeitet. Das wird sich im Laufe der Vorstellungen einspielen. Wie Frank Lüdecke nach der umjubelten Vorstellung verriet, lag eine äußerst anstrengende und mit vielen Hindernissen belastete Probenzeit hinter dem Ensemble.
Begeisterung riefen die Songs hervor, die die Geschichte wunderbar vervollkommnen. Die Texte sind witzig, sie sind sorgfältig choreografiert und alle drei Darsteller singen hervorragend.

 

Termine: 9. September., 20 Uhr; 10.September, 16 und 20 Uhr, 15.September, 16.September, 20.September , 21. September, jeweils 20 Uhr. Hier geht es zu den Karten

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2. Bar jeder Vernunft - Liebeslieder neu gehört

Atrin Madani und Paul Hankinson  © Barbara Braun / Bar jeder Vernunft
Atrin Madani und Paul Hankinson © Barbara Braun / Bar jeder Vernunft

Ebenfalls zu Gast auf der Bühne unseres Kulturvolk-Sommerfestes war Atrin Madani, ein junger Sänger, der gemeinsam mit dem Pianisten Paul Hankinson Ausschnitte aus ihrem Programm „Der Mond hatte frei“ präsentierte. Unser Publikum war genauso begeistert wie die Zuschauer*innen in der Bar jeder Vernunft, wo dieser Abend zu erleben ist.


Ein Abend wie Samt und Seide


Dieser Mann ist ein Geheimtipp, aber er wird es vermutlich nicht mehr lange sein.

Seit dem Sommer darf ich mich offiziell Jazz-Sänger nennen“, verriet der 24jährige Atrin Madani, der in Dresden und Berlin studiert und in diesem Jahr seinen Abschluss am Jazz-Institut Berlin gemacht hat.
Ja, er kann Jazz wunderbar singen, aber er kann auch Schubert singen oder Knef oder Aznavour. Und er tut es mit Charme und Herzblut und großer Freude. Die Lieder handeln von Liebe, sie erzählen vom großen Glück genauso wie von unerfüllter Sehnsucht und Schmerz. Man kennt sie alle, hat sie schon oft gehört, aber an diesem Abend erklingen sie in entwaffnender Ehrlichkeit und Unverbrauchtheit und damit manchmal ganz neu. Das ist umso erstaunlicher, da man diesem jungen Menschen da vorn auf der Bühne so viele eigene Erfahrungen in Herzensdingen noch nicht zutrauen mag.


Von Brahms zu Wir sind Helden


Atrin Madani knüpft überraschende Querverbindungen zwischen den Liedern, die neben der Liebe auch 200 Jahre Musikgeschichte mit erzählen. Er führt das Publikum nahtlos vom romantischen Brahms-Lied „Da unten im Tale“ zu „Bitte gib mir nur ein Wort“ von Wir sind Helden und: es funktioniert!
Vielleicht ist „Der Weg“ von Herbert Grönemeyer, diese Liebeserklärung an seine verstorbene Frau, noch nie von einem anderen Interpreten als Grönemeyer selbst so berührend gesungen worden.
Paul Hankinson am Flügel geleitet den jungen Sänger mit viel Einfühlungsvermögen durch das Programm, spielt sich aber nie in den Vordergrund. Als Madani den Trompeter Bill Petry auf die Bühne bittet, der ein Gold-Finger-Solo bläst, bekommt der Abend noch einen zusätzlichen besonderen Moment.


Verneigung vor den ganz Großen


Zwischen den Liedern plaudert Madani über seine Kindheit, zu der Filme (nicht irgendwelche, sondern solche wie Der Pate I, II und III) gehörten, er erzählt von seiner Liebe zu Berlin und zu Toronto, seiner zweiten Lieblingsstadt.
Er verneigt sich – auch mit Worten – vor seinen musikalischen Vorbildern, Größen wie Charles Aznavour oder Neil Diamond. Er erinnert an den gerade erst verstorbenen Rolf Kühn, den er persönlich kennenlernen und mit dem er musizieren durfte. Seine Traurigkeit, dass Rolf Kühn diesen Abend in der Bar nicht mehr erleben konnte, ist spürbar.

Zum Schluss bedankt sich Atrin Madani bei seinem Papa, der auch im Publikum sitzt, dafür, dass er nicht Arzt werden musste wie alle anderen persischen Söhne…
Diesem Dank schließen wir uns von ganzem Herzen an.

Bar jeder Vernunft, nur am 25. Oktober. Hier geht's zu den Karten.   


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3. Theater im Palais - Premiere unter neuer Leitung

Alina Lieske in DIVA BERLIN, an der Gitarre Martino Dessi © Ildiko Bognar / Theater im Palais
Alina Lieske in DIVA BERLIN, an der Gitarre Martino Dessi © Ildiko Bognar / Theater im Palais

Das Theater im Palais startet unter neuer Leitung in die Spielzeit. Was künftig an diesem Haus zu sehen sein wird, war auch auf dem Kulturvolk-Sommerfest zu erfahren, und zwar von Alina Gause, die die kleine Bühne im Palais am Festungsgraben seit Juli führt.
Alina Gause ist Schauspielerin, Sängerin und Tänzerin, die an verschiedenen Theatern engagiert war, für Film und Fernsehen gearbeitet hat und auch mit Soloabenden aufgetreten ist. Sie studierte darüber hinaus Psychologie und beriet in den letzten Jahren Künstlerinnen und Künstler sowie Institutionen aus diversen Bereichen.


Berliner Geschichten bleiben


Auch unter der neuen Leitung soll das Theater im Palais in seiner inhaltlichen Ausrichtung den direkten Bezug zu Berlin behalten und Bewährtes bewahren. So bleiben die Berliner Geschichten, wie zum Beispiel der Walter-Benjamin-Abend „Stimmt’s oder hab ick Recht?“, der Otto-Reutter-Abend „Und so komm’n wir aus der Freude gar nicht raus“ oder „Der Buddha vom Alexanderplatz“ über den berühmten Berliner Kriminalkommissar Ernst Gennat weiter auf dem Spielplan.
Das Haus will sich jedoch künftig breiter aufstellen und neben den literarischen auch ungewohnte musikalische Schwerpunkte setzen.


Die Diva und der Rest der Welt


Mit DIVA BERLIN stellt sich das Theater diesem Anspruch und präsentiert sich gleichzeitig die neue Intendantin auch als Künstlerin Alina Lieske.
Ein Vorhaben nicht ohne Risiko.
Alina Lieske ist waschechte Berlinerin. Dass waschechte Berliner*innen sich über den Rest der Menschheit erhaben fühlen, ist hinlänglich bekannt und wird von Lieske mit Vehemenz vermittelt, auch wenn diese Meinung von anderen nicht unbedingt geteilt wird und besagtem Menschheitsrest gehörig auf die Nerven gehen kann.
Im ersten Teil wird also über Berlin erzählt und über das Verhältnis dieser Stadt zu anderen Städten bzw. das Verhältnis von Berlin als Bundesland zu den anderen fünfzehn. Da ist wenig dabei, was man nicht schon so oder so ähnlich hörte und hat mal mehr, mal weniger Witz. Die Lieder, zu denen sich die Sängerin – im schwarzen Marlene-Anzug und mit Zylinder – am Klavier selbst begleitet, stammen in Wort und Musik fast alle aus eigener Feder. Einzige Ausnahme das großartige „In dieser Stadt“, das die Knef so unvergessen gesungen hat.


Verwirrung im zweiten Teil


Nach der Pause hat die Darstellerin den schwarzen Blazer gegen eine glänzende Jacke mit Reißverschluss und den klassischen Haarknoten gegen den Pferdeschwanz eingetauscht. Sie ist jetzt eine nicht mehr ganz junge Berliner Göre, die prollig berlinernd eine Geschichte erzählt, die Silvester in der Berliner U-Bahn spielt, wo es ganz gefährlich wird, dann aber doch gut ausgeht…
Auch diese Erzählung wird von eigenen Liedern unterbrochen. Warum in einem Programm, in dem die Diva Berlin die Hauptrolle spielt, allerdings alle Wege nach Rom führen, bleibt nicht das einzige Rätsel dieses Abends.
Aber hier gilt wieder einmal: Hingehen und selber hören und sehen.

Theater im Palais, 10. September, 23. September, 30. September. Hier geht’s zu den Karten.

 

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