HEUTE: 1. Hans Otto Theater – „Marie-Antoinette oder Kuchen für alle!“ / 2. Prime Time Theater – „Döner unter Palmen. Gutes Wedding, schlechtes Wedding, Folge 137“ – / 3. Berliner Ensemble – „Stella – A Play for Lovers“
Bei Königs herrscht Frust, die Nerven von Marie und Ludwig liegen blank (Bettina Riebesel, Jörg Dathe). Dümpelt das hohe Paar doch schon zwanzig Jahre nach dem Sturm auf die Bastille 1789 in den Hinterkammern von Versailles. Und wartet aufs „Rübe runter!“. Doch seit die Nationalversammlung die Hinrichtung aussetzte, tut sich nix. Hat man beide etwa vergessen im jakobinischen Chaos der Bürokratie?
Ja, als ich noch das Zepter schwang, wettert Roi Ludwig Nummer sechzehn, da wurden Mordbefehle exekutiert und fertig; da wurde das Volk betrogen, und alles war klar. Jetzt wird auch beschissen, doch keiner sieht durch. „Alle sind frei, doch keiner will arbeiten. Aber jeder der ach so freien Bürger will Kuchen futtern. Dabei war das mit dem Kuchen für Plebs, wenn`s kein Brot gibt, bloß‘n Witz von Marie…“
Verrückt: Einerseits Stillstand am Richtplatz der Revolution, anderseits Umtriebigkeit im Knast der gestürzten Krone. – Denn: Emsig werkelt man am letzten heroischen Signal des französischen Absolutismus an die Welt sowie die Geschichtsschreibung. Und bastelt eine Privat-Guillotine, um selbst erhobenen Hauptes Volkes Wille zu vollstrecken.
Toben im Tollhaus
Ist natürlich Fake. Kontrafaktische Geschichtsschreibung heißt das, was die Autoren Peter Jordan und Leonhard Koppelmann in der Groteske „Marie-Antoinette oder Kuchen für alle“ frech durchspielen. Ein Stück aus dem Tollhaus mit Slapstick, Grand Guignol, Verkleidungs-Farce, Typen-Kabarett und Politik.
Denn was da teils fiktiv, teils historisch verbürgt an Lügen, Intrigen, Verschwörungsfantasien, Menschenverachtung, Eitelkeit und Willkür abgeht – mit viel Witz und Fantasie inszeniert von Moritz Peters –, das findet durchaus Echo-Laute im heutigen Gesellschaftsbetrieb. Und wir sind wach genug, die Systeme royalistisch und republikanisch nicht gleichzusetzen. Da sind schon Unterschiede! Aber nicht nur…
Und da ist allerhand Spaß. Allein Ludwig XVI. als linkischer Heimwerker am Fallbeil: Die Probe mit Kürbis funktioniert nicht, ein Problem der Umlenkrollen. Oder Marie-Antoinette, die mit allen Wassern gewaschene Emanze, im augenblitzenden Intrigenspiel mit dem Kardinal um die Halsband-Juwelen von Mätresse Dubarry (Ulrike Beerbaum) – die leider ums Leben kommt durch einen blöden Unfall beim Mordmaschinen-Test (gelöste Seitenmuffe). Also bleiben die Brillanten in Maries Versteck. Als kleines Handgeld; man weiß ja nie…
Scheißen auf alles
Oder wie M.-A. den Monsieur Robespierre (Joachim Berger) zum Schwitzen bringt, während der Großrevolutionär ungeniert Zynismus auskotzt: „Die Bestie Mensch bleibt Bestie; das Volk unerziehbar, egoistisch, blöd. Ich scheiß auf alles. Die Revolution frisst ihre Kinder, ich ihre Eltern, dazu den Kuchen.“ – Nur schade, das Stückchen, das Marie ihm reicht (noch aus Wiener Beständen von Mama), ist derart altbacken, dass er dran verreckt. Mit Klavierbegleitung. Denn Fabian Simon klimpert bei jeder sich bietenden Gelegenheit ironisch dazwischen.
Schließlich tritt noch „Nasepopel“ auf als frühreife Göre namens Napoleon (Ulrike Beerbaum). Und trompetet Weisheiten: Das immerzu verzankte Volk habe keine Ahnung von Staatsführung; brauche was Übergroßes zum Anbeten. Dazu einen Krieg mit Sieg zum Stolz sein. – „Ich werde das machen“, schreit sie. „Und gewinnen. Als neuer Führer der Welt.“
Wird nicht klappen; wie es mit dem königlichen Selbstmord zur Ehre Frankreichs nicht geklappt hat. Letztlich bleibt es – dann in einem anderen Theater – beim schauerlich öffentlichen Gang zum Schafott in Paris.
Im Potsdamer Palais Lichtenau hingegen, dem eleganten Ort fürs abgründig irre Spiel der Royals ohne Krone (toll ausstaffiert von Arianna Fantin), da wird viel gelacht. Freilich nicht ohne hintergründige Gedanken zum lakonischen Schlusswort. Vom ausgelassenen Ensemble mit Lust dem Publikum vor den Latz geknallt: „Die Moral von der Geschicht‘, es gibt sie nicht.“ – Oder doch?
Hans Otto Theater im Palais Lichtenau, 28. Mai und 19. bis 21. Juni. Hier geht’s zu den Karten.
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Hurra! Er ist wieder da: Unser Superliebling im GWSW-Allstar-Ensemble Daniel Zimmermann, weltberühmt einst als Üwele Gammerdinger von der Männerstillgruppe in Prenzlberg. Jetzt, nach längerer Pause, spielt er seine schwäbelnde Mama Jutta am Tresen von Frauenarzt Dr. Alexander. Kleine Sache.
Ganz groß aber macht er mit verführerischem Hüftschwung einen bezaubernd schillernden, grell glitzernden Lifestyle-Reporter Roy (Kostüme: Rudi Scharff). Und obendrein – Kontrast! – den biederen Hauptkommissar a.D. Schneider (30 Jahre Mordkommission Ostberlin). Ein tölpelhaft herumschnauzendes Schlitzohr, das später, am Schluss der Show, einiges aufzuklären hat. Nämlich den Mordversuch des dämlich verklemmten Günter von Staubitz an seiner dominanten Schwester Steffi, der Chefin von Wedding Air. Klappt aber nicht. Zwar kommt der Flieger zum Absturz in den Ozean, doch die Insassen können sich retten. Auf ein Insel-Idyll.
Steffi, Roy, ein elastischer Flugbegleiter, die militante Überlebensstrategin Mascha sowie Döner-Mann Erkan, nunmehr umgesattelt auf Fischdöner unter Palmen – sie alle wurden nach freiem Fall aus den Wolken unfreiwillig zu Insulanern (Daniel Zimmermann, Sascha Vajnstajn, Susanna Karina Bauer, Josefine Heidt, Kilian Löttker). Und durchleiden mit Lust, Lügen, Krächen eine groteske Robinsonade.
Dann Pause, garniert mit Musik. Ein Video aus dem Album des auch im Wedding erfolgreichen Damen-Duos „Die Friedrichshainis“: Ihr Hit „Kebab der Liebe“ lässt den Saal erbeben. „Ich bin der Käse in deinem Herzen…“
Toxisches, Blödes, Kakao und Kluges
Die 137. Folge der kultigen Sitcom „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ liefert nicht nur Irrsinn im exotisch maritimen Dschungelcamp, sondern – im zweiten Teil – noch reichlich Beziehungsstress im Berliner Kiez-Milieu (der Rückflug dorthin bleibt dramaturgisch ungeklärt). Da ringt ein verknallter Depp mit Macho-Ratgeberbuch unterm Arm („Was Frauen wirklich brauchen“) um die taffe Hashtaggerin und küchenpsychologisch versierte Life-Coacherin Lissi mit Teilzeitbüro in der Frauenarztpraxis Dr. A. („Viva la Vulva“).
Daneben das Weddinger Problem-Paar Nr. 2 im Niederringen zwischenmenschlicher Schwierigkeiten. Die resultieren vor allem aus der Verlegung eines Labors für Käseproduktion in häuslicher WG-Badewanne nach draußen an die Frischluft der Uckermark. – Und dann natürlich die Ermittlung wegen Mordes von Rentner-Cop Schneider. Mit Happy End: Denn Steffi hat ihre Führungsfunktion satt, tritt Wedding-Air ab an Bruder Günter, verzeiht alles und stürzt sich ins süße freie Leben.
Da tobt also allerhand Hickhack (Buch/Regie: Philipp Hardy): Gags und Pointen am laufenden Band, Witz und Sarkasmus satt sowie perfekt gestylte Einspieler auf Kinobreitwand (Raphael Howein). Da funkeln Groteske und Kabarett; werden Moden und Zeitgeistwahn, Toxisches und Blödes durch den Kakao gezogen, zartes Glück gefeiert und Lebensklugheiten pointiert verstreut. Hoch lebe die Premium-Bude an der Müllerstraße! Das sympathische Brettl-Theater! Bravo!
Prime Time Theater, bis zum 28. Juni. Hier geht’s zu den Karten.
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Ein Mann mit zwei Frauen – die Gattin, die Geliebte. Und die Idee eines Glücks zu dritt: „Eine Wohnung. Ein Bett und ein Grab.“ So geht das, kurz gesagt, beim stürmisch drängenden Goethe in seinem mit rasenden Gefühlsarien aus Himmelhochjauchzend und Tiefbetrübt vollgestopften Stück „Stella“.
Der junge adelige Ehemann Fernando verlässt Weib und Kind (Cäcilie mit Lucie), um in die Freiheit zu stürzen. Dort stößt er auf Stella. Emotionen explodieren, Schwangerschaft, erneute Flucht. Durch Zufall treffen nach Jahren alle drei sich wieder. Liebe lodert dreifach – und: Einigung auf eine ménage à trois. Diesem nur allzu menschlichen Rettungsversuch aus emotionaler Zwangslage gilt unsere mild lächelnde Sympathie. Wer wüsste fürs erste einen besseren Rat? Es war Schiller, der einst selbst zwei Schwestern zu nehmen gedachte. Dennoch empfahl er seinem Freund Goethe drei Jahrzehnte später, diesem „Schauspiel für Liebende“ (Fassung eins, 1776) das Provokante zu nehmen und es in einem moralisierenden Gewaltakt zum „Trauerspiel“ (Fassung zwei) umzumodeln: Stella nimmt am Ende Gift, der Kerl die Pistole.
Männlichkeitslarve aus Pappmaché
Regisseurin Lucia Wunsch lässt sich gar nicht erst ein auf derartiges. Ihr „Play for Lovers“ mit ein paar Brocken Goethe-Text spielt schlicht im piefig ausstaffierten Blumenladen der Frau Stella (Yoyce Sanhá). In diesen liefert Cäcilie (Nina Bruns) ihr Töchterchen Lucie (Mariann Yar) ab zum Praktikum. Unversehens taucht Fernando auf, den jeweils zur Situation passend Bruns oder Yar spielen, indem sie sich flugs einen riesigen Stierkopf als Zeichen starker Männlichkeit überstülpen. Unterm Einsatz von viel Nebel kommt es zu erotischen Annäherungen, ansonsten trinkt man ein Töpfchen Filterkaffee, schenkt sich Blumen und trällert ein englisch populäres Liedlein. Endlich, nach achtzig länglichen Minuten ist man sich non-binär im Klaren. Fort mit der Männlichkeitslarve, dem Stierschädel aus Pappe, raus mit dem Kerl. Joyce, Nina, Mariann halten Händchen, und zartes Frauenglück darf blühen.
Die Regisseurin, Artist in Residence im ansonsten verdienstvollen BE-WORX-Förderprogramm, hat es mit fragmentarischem Erzählen klassischer Stoffe, dem Einbau surrealistischer Elemente und den Identitäten – was hier leider holprig und unfreiwillig albern abgeht unter schülertheatermäßigem Hersagen von ein bisschen Goethe (immerhin: wenigstens Joyce Sinhá spendiert ihrer Rhetorik ein paar pochende Herztöne). – So feiert denn ein vernebeltes Studioprojekt läppisch die queere Zeitgeistmode.
Berliner Ensemble werkraum, 31. Mai; 1. und 4. Juni. Hier geht’s zu den Karten.
1. Hans Otto Theater Royals basteln eine Guillotine
2. Prime Time Theater Schwere Abstürze, schöne Aufbrüche
3. Berliner Ensemble Nonbinäres Frauenglück
1. Staatsballett Berlin Fremd bin ich
2. Deutsches Theater In einem kranken Haus
3. Maxim Gorki Theater Armenien: Zukunft ungewiss
1. Komische Oper Requiem für einen Lebemann
2. Kriminal Theater Rettung durch Mord?
3. Hans Otto Theater Triumph des Scheiterns
1. Theater an der Parkaue Ionesco weitergedacht
2. Berliner Ensemble Auf der Strecke geblieben
3. Kabarett-Theater Distel Wo man singt
1. Deutsches Theater Sei ein Mensch
2. Distel Lachen ist gesund
Stiftung Stadtmuseum Berlin Geschichte und Erinnern
1. Berliner Ensemble Was Covid mit den Menschen machte
2. Gorki Das Monster in uns
3. Staatsoper Gedämpfte Freude am Belcanto