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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 423

Kulturvolk Blog | Uwe Sauerwein

von Uwe Sauerwein

16. Januar 2023

HEUTE: 1. Deutsche OPER BERLIN – „fidelio“ / 2. deutsches theater – „Angabe der person“ / 3. Sammlung scharf-gerstenberg – „Phantome der nacht“

1. Deutsche Oper - Freiheit bleibt bloße Illusion

Gefängnis- statt Freiheitsoper: Ingela Brimberg in der Titelrolle von Beethovens „Fidelio“ in der Deutschen Oper Berlin © Bernd Uhlig
Gefängnis- statt Freiheitsoper: Ingela Brimberg in der Titelrolle von Beethovens „Fidelio“ in der Deutschen Oper Berlin © Bernd Uhlig

„Der arme Beethoven“, sagt die Dame auf dem Heimweg. Ihr Begleiter pflichtet ihr bei: „Stimmt, Beethoven kann nichts dafür.“ Viele Jahre hat Ludwig van Beethoven heftig mit sich und „Fidelio“, gerungen, seine einzige Oper mehrfach überarbeitet, bis die heute gängige Fassung 1814 in Wien zur Uraufführung gelangte. Und wie kein anderes Werk markiert die oft politisch vereinnahmte Oper wichtige Stationen in der Geschichte der Deutschen Oper Berlin. Der lesenswerte Rückblick des Dramaturgen Curt Roesler im Programmheft schließt mit der betrübten Erkenntnis, dass ausgerechnet die Deutsche Oper als einziges der drei Berliner Häuser zwei Jahrzehnte lang keinen „Fidelio“ mehr im Repertoire hatte.

David Hermann
schafft nun Abhilfe. Doch man wird nicht recht glücklich mit seiner Interpretation der Geschichte der todesmutigen Leonore, die als Mann verkleidet ihren willkürlich verhafteten Gatten Florestan befreit. Dieser „Fidelio“ desillusioniert eher. Kein Trost, kaum ein Hoffnungsschimmer.

Mit Johannes Schütz, dem Bühnen- und Kostümbildner, hat der Regisseur zuvor in Frankfurt/Main „Aus einem Totenhaus“ von Janáček realisiert. Und wie ein Totenhaus wirkt auch die Szenerie in „Fidelio“. Makabrer Beginn: Beim Waschen eines männlichen Leichnams verhandelt Marzelline, Tochter des Kerkermeisters, mit dem Pförtner Jaquino über seinen Heiratsantrag. Achtlos wird der tote Körper später in die Gruft geworfen, dorthin, wo Florestan eingesperrt ist. Die Freiheitsoper gerät bei Hermann zur Gefängnisoper, es soll nachgedacht werden über Freiheit und Gefangenschaft, Macht und Ohnmacht. Dabei zeigt die Bühne kein Gefängnis. Die Gefangenen kauern an einer Mauer, deren Lehm auf sie abfärbt. Alle sind maskiert, zeigen erst beim berühmten Gefangenenchor ihre Gesichter.


Die Opfer werden zu Mittätern


Ob Herrscher oder Häftling, alle sind hier Teil des Überwachungsapparates, ohne Mithilfe der Unterdrückten würde das System nicht funktionieren. Die Wandlung des Rocco (imposant bei der Premiere: Albrecht Pesendorfer) vom Folterknecht zum heimlichen Aufbegehrer, der vielleicht doch nur sein Mäntelchen in den sich drehenden Wind hängt, ist eine der interessantesten Entwicklungen. Auf Roccos Befehl wird, so will es jedenfalls die Regie, auch Leonore zur Mittäterin, indem sie einen Gefangenen erschießt, anders kann sie wohl ihren Florestan nicht retten. Die stimmlich brillante Ingela Brimberg, mit Pferdeschwanz, moderner Lederjacke und Jeans für uns trotzdem stets als Frau erkennbar, wäscht am Ende den befreiten Gatten, so wie am Anfang der namenlose Tote gewaschen wurde. Florestan, ein lebender Leichnam?

Die Besetzung dieser Produktion variiert. Bei der Premiere war manche sängerische Leistung durchwachsen. Auch das Orchester leistete sich unter Leitung von Generalmusikdirektor Sir Donald Runnicles kleine Rohrkrepierer. Szenisch und musikalisch bleibt vor allem die Schlussszene in Erinnerung. Beim Chor „Heil sei dem Tag, heil sei der Stunde“, oft verglichen mit dem Götterfunken-Finale von Beethovens Neunter, erstarren alle Sängerinnen und Sänger in verschiedensten emotionalen Zuständen. Ein Hinweis auf den Mangel an gesellschaftlichem Zusammenhalt. Denn nicht selten droht nach dem Zerfall einer Diktatur erneute Unterdrückung.

Deutsche Oper Berlin, in dieser Spielzeit noch mal am 22. und 26.2.
Hier geht’s zu den Karten.


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2. Deutsches Theater - Alle weg, alle futsch, außer mir

Drei mal Elfriede: Fritzi Haberlandt, Susanne Wolff und Linn Reusse (von links) in Jelineks „Angabe der Person“ im Deutschen Theater © Arno Declair
Drei mal Elfriede: Fritzi Haberlandt, Susanne Wolff und Linn Reusse (von links) in Jelineks „Angabe der Person“ im Deutschen Theater © Arno Declair

Elfriede Jelinek gibt seit Jahren keine Interviews. Dafür schreibt sie ohne Unterlass. In ihren Texten gewährt sie natürlich auch Einblicke in ihr Leben. Doch jetzt, mit „Angabe der Person“, hat die Literaturnobelpreisträgerin sicher ihr bislang persönlichstes Werk vorgelegt. Am Deutschen Theater bringt es nun Jossi Wieler, der seit Jahrzehnten mit der Autorin befreundete und vertraute Regisseur, zu einer beeindruckenden Uraufführung.

Profaner Auslöser des neuen Stücks war der Besuch von der Steuerfahndung. Weil die Jelinek neben ihrem Haus in ihrer Heimat Wien-Hüttendorf einen Zweitwohnsitz in München hat, geriet sie ins Blickfeld des bayerischen Fiskus. Räume wurden durchsucht, Unterlagen beschlagnahmt, Papiere, auf denen sich vieles aus dem langen Leben angesammelt hatte. Die Fahndung verlief, nach sechs quälenden Jahren, im Sande.

Die Autorin schreibt als Beschuldigte, dann wieder als Klägerin und Anwältin. Für Elfriede Jelinek wurden die Ermittlungen Anlass, einen Blick auf die „eigene Lebenslaufbahn“ zu werfen, die auch Thema eines Dokumentarfilms ist (siehe Blog vom 21.11.2022). Denn sie fühlt sich als letzte der Familie. „Nach mir ist es unwiderruflich aus mit den Jelineks! Alle weg, alle futsch, außer mir.“ Sie erzählt von Untaten und Untoten in ihrer Biografie. Von Eltern und Großeltern, von Verwandten aus der Familie des jüdischen Vaters, die vertrieben oder ermordet wurden.


Mehr Monolog als Drama


Wut, Trauer, aber auch Jelineks sarkastischer und selbstironischer Wortwitz („Ich lasse nichts aus, ich bin eine Art Windel für die Welt“) prägen diese Gedankengänge, die wie gewohnt weniger Drama als Monolog sind, Dialoge entstehen allenfalls im Selbstgespräch. Trotzdem merkt man sofort, dass es für die Bühne entstand. 150 eng beschriebene Seiten, die man auch als Buch (Rowohlt Verlag) erwerben kann: Jossi Wieler hat, mit Rückendeckung Jelineks, mutig gekürzt. Wie bei den früheren Stücken kann man diesen Text als Sprachperformance präsentieren. Aber Wieler geht weiter, er erfindet Räume, Figuren, Szenen, und gibt so der Inszenierung Struktur.

Vor allem haben die Sätze der studierten Musikerin Jelinek eine Melodie. Ein automatisches Piano an der Bühnenseite, man denkt sofort an Jelineks verfilmte „Klavierspielerin“, schaltet sich ein in die Sprachmusik (Musik: PC Nackt). Ansonsten deutet die spartanische Szenerie (Bühne und Kostüme: Anja Rabes) ein Haus an, mit Toilette und überdimensionalem Wasserzähler. Denn die Steuerfahnder werteten die Wasserspülung aus, um zu prüfen, wie oft das Haus bewohnt war.

Als Jelineks Ehemann sitzt der Schauspieler Bernd Moss an einem Schreibtisch mit Computer und Tonbändern und wirft sporadisch Stichworte ein. Gottfried Hüngsberg hatte das literarische Universum seiner Frau lange Jahre auf einer Website veröffentlicht. Seit seinem plötzlichen Tod im September wird sie nicht mehr fortgeführt, bleibt aber im bisherigen Zustand erhalten.


Drei grandiose Sprecherinnen


Der zweieinhalbstündige pausenlose Abend ist vor allem ein Fest für drei grandiose Schauspielerinnen, die sich, fast durchweg an der Rampe, jeweils etwa vierzig Minuten des Textes teilen. Mit Frisur und Kostüm erinnern sie äußerlich an die Autorin. Doch alle drei gewinnen der Jelinek andere Facetten ab. Mit jugendlichem Sturm und Drang und Entdeckerfreude nähert sich Linn Reusse der Person, wesentlich nüchterner, ja cool geht Susanne Wolff zu Werke, beißend ironisch, angesichts der Themen fast Furcht erregend witzig wiederum Fritzi Haberlandt. Dass purer Text so fesselt wie bei diesen Sprecherinnen, habe ich lange nicht im Theater erlebt. Und wie virtuos wird das am Ende, wenn die Wort-Kaskaden im Trio dargeboten werden!

Man ist den bayerischen Steuerbehörden fast dankbar. Ohne sie wäre uns dieses Theater-Erlebnis vielleicht vorenthalten geblieben.

Leider sind alle Vorstellungen bis Ende Februar ausverkauft. Sie können sich von den Kolleginnen im Service (Telefon: 86009351) auf eine Warteliste für kommende Vorstellungen setzen lassen.


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3. Sammlung Scharf-Gerstenberg - Die Kunst des Gruselns

Symphonie des Grauens: Filmstill aus dem Kinoklassiker „Nosferatu“  © Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden
Symphonie des Grauens: Filmstill aus dem Kinoklassiker „Nosferatu“ © Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden

Bela Lugosi ließ mich immer kalt. Selbst als Kind jagte mir der Dracula aus Hollywood keine Angst ein. Ganz anders war es, als ich den deutschen Stummfilm „Nosferatu“ mit Max Schreck (ja, der Schauspieler hieß wirklich so) im Fernsehen sah. Die Glatze, diese tiefen, dunkel umrandeten Augen, die spitzen Ohren und vor allem die unglaublich langen, dünnen Finger verschafften nicht nur mir schlaflose Nächte. Die furchtbare Erscheinung gelangte dank Friedrich Wilhelm Murnaus Meisterwerk ins kollektive Bildgedächtnis.

Am 4. März 1922 wurde „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ uraufgeführt, im Marmorsaal des Berliner Zoologischen Gartens. Die Premierengäste waren gebeten worden, in Biedermeier-Kostümen zu erscheinen, Kleidung einer heilen Welt, in die im Film mit dem Vampir das Böse einbricht. Auch deshalb lassen uns die Schwarz-Weiß-Bilder noch heute nicht kalt. Und in Corona-Zeiten gewinnt die Geschichte, in welcher der Untote aus Transsilvanien auch noch die Pest in eine deutsche Kleinstadt schleppt, zusätzlich aktuelle Bezüge.

„Phantome der Nacht. 100 Jahre Nosferatu“
heißt die wunderbar gestaltete Ausstellung der Nationalgalerie in der Sammlung Scharf-Gerstenberg, gegenüber dem Schloss Charlottenburg, im früheren Ägyptischen Museum, das einst auch Mumien beherbergte. Mit dem Einfluss, den Murnaus Stummfilm, unter anderem mit Bühnenstars wie Alexander Granach, bis heute auf das Horror-Genre ausübt, beschäftigt sich die Ausstellung nur am Rande. Viel wichtiger sind die Entstehungsgeschichte und vor allem die Beziehung zur bildenden Kunst. Für die Surrealisten um André Breton war „Nosferatu“ ein Schlüsselwerk, Murnaus Bildsprache galt ihnen als Paradebeispiel kinematografischer Hypnose.


Film und Kunst im Dialog


Umgekehrt zitiert der Film zahlreiche Vorbilder aus der Kunstgeschichte, von Francisco de Goya über Caspar David Friedrich bis zu Alfred Kubin. Rund 120 Grafiken, Fotografien, Dokumente, Publikationen und Gemälde treten dank der raffinierten Ausstellungsarchitektur in einen Dialog mit den Filmbildern. Darunter legendäre Szenen wie das Auftauchen des Blutsaugers auf dem Segelschiff, dessen Takelage dem Betrachter das Gefühl gibt, er sei in einem Spinnennetz gefangen.

Der Murnau-Film in voller Länge ist im Museum natürlich ebenfalls zu sehen. Zur Ausstellung gibt es Führungen, Vorträge und einen lesenswerten Katalog – ironischer Weise Professor Drosten gewidmet! Als Partner der Ausstellung präsentiert die Yorck Kino Gruppe zudem bis 22. Februar die Vampir-Filmreihe „Bis(s) zum Abspann“ , für Kulturvolk-Mitglieder zum ermäßigten Eintritt.

Sammlung Scharf-Gerstenberg, Schloßstraße 70, 14059 Berlin. Bis 23. April, Di-Fr 10-18 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr

 

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