Thilo Sarrazin, Heinz Buschkowski, Kirsten Heisig, Necla Kelek und Friedrich Schiller – sie alle in einem Stück: Es heißt „Verrücktes Blut“ und war eine der Aufsehen erregendsten Produktionen von „Deutschlands einzigem Post-Migrantentheater“, wie sich, stolz gespreizt, das Ballhaus Naunynstraße anfangs nannte; damals noch unter Leitung von Shermin Langhoff, inzwischen Chefin des Gorki. Die holte jetzt „Verrücktes Blut“ in ihr Haus in der Mitte der Stadt.
Da geht es um eine Kanaken-Gang im Chaos-Loch Schule am „Projekttag Friedrich Schiller“. Und prompt passiert das Real-Absurde: Einem Murat fällt beim Toben im Klassenzimmer das Schießeisen aus dem Rucksack, die entnervte Lehrerin schnappt sich das Ding und macht selbst die Terror-Queen: Lesung (aus „Kabale“ und „Räuber“), Diskurs einschließlich Aufklärung mit Knarre im Anschlag („Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht“).
Da werden Klischees drastisch vorgeführt und ernüchternd zerpflückt. Da kracht Demonstration auf Einfühlung, Sarkasmus auf Tragik. Da ex- und implodieren unentwegt Wut- und Frustbomben. Da wird eine grausige Folge verbaler wie tätlicher Vergewaltigungen sowie deren Bloßstellungen in einer fast schon überkomplexen Versuchsanordnung aneinander gereiht: Von Jens Hillje (Dramaturgie) und Nurkan Erpulat („atheistischer Türke mit muslimischem Hintergrund“, Regiestudium bei „Busch“ und jetzt Gorki-Hausregisseur). Und da werden vehement Schmerzen durchexerziert, die alle erleiden in dieser Schlacht gegenseitiger Erniedrigung und schließlich – ja, eben auch das! – gegenseitiger Erhebung. Ein wahnsinniges Ding aus dem Tollhaus; ein hintersinniges Erklärstück. Die drastische Bestandsaufnahme des sozialen wie seelischen Elends nebst pädagogischer Aufhilfe, deren Sinn sich gerade im extremistischen Aberwitz überrumpelnd erhellt. (Wieder am 17. Februar.)
Die 10B ist der blanke Horror. Voll assig. Voll von solchen, die man in Vorzeiten korrekter Pädagogik Mehrfach-Sitzenbleiber nannte. Die 10B ist das Grauen einer Goethe-Gesamtschule irgendwo, und der Film „Fack ju Göhte“ illustriert das. Zeigt, was unsere gebeutelte Lehrerschaft üblicherweise öffentlich nicht zu beschreiben wagt, was aber in gewissen mutigen Büchern nachzulesen ist, die wiederum heftig beschimpft werden von Bildungsfunktionären und anderen Wirklichkeitsverweigerern mit der rosaroten Brille.
Was nun diesen Film so besonders, so hinreißend aufklärerisch macht, ist nicht allein die knallige Illustration des Schulalltags, sondern obendrein seine virtuose Verschiebung ins Überdeutlich-Groteske. Und der trotz allem humor- und liebevolle Blick auf unsere halbwüchsigen Wüstlinge, die sich da in ihrem Unverstandensein, ihrer Verzweiflung, aber auch in ihrem Hass, ihrer Gleichgültigkeit, Boshaftigkeit und Aggressivität eingemauert haben und aus dieser vermeintlich uneinnehmbar festen Burg auf ihre Mitmenschen (vor allem: Lehrer) eindreschen mit geradezu sadistischer Phantasie.
Doch da kommt Zeki Müller zwischen, so ein junger, toller, kraftstrotzender Kerl (mit Knastvergangenheit, was keiner weiß). Per Zufall gerät er als ungelernter Aushilfslehrer in die Chaos-Anstalt namens „Goethe“ und bringt schließlich die 10B sogar mit Knarre auf Vordermann (das martialische Ding schießt Farbmasse). Zeki setzt auf jene Brutalo-Methoden, die unsere schlimmen Kids selbst hingebungsvoll praktizieren untereinander und gegenüber aller Welt. Mit klassischer Schulpädagogik hat das nichts zu tun, ist aber zielführend. Müssen nun etwa die Lehrer-Studienpläne umgeschrieben werden?
Selbstredend ist dieser extrem erfolgreiche Film von Bora Dagtekin auch noch ein grandioser Schauspielerfilm, sei es durch die sagenhaft pragmatische Rektorin Katja Riemann („Wer will heut‘ schon Lehrer werden?“) oder die verstiegen-idealistische, hyperkorrekte Referendarin Karoline Herfurth, die in der 10B immer bloß zum Opfer her- und hingerichtet wird, oder den Star der Komödie Elyas M’Barek als durchtriebener Tor und Außenseiter, der mit pädagogisch offiziell wertlosen Mitteln sowie viel Herz und Chuzpe die 10B erlöst von ihrem Elend – und die ganze Schule dazu. Er rettet das System, indem er es erst mal in die Luft jagt – hoch komisch, sehr zum Nachdenken.
Und eine Überraschung für Theaterfans: „Fack ju“ ist quasi das filmische Pendant zur Bühne, zum „Verrückten Blut“.
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Stiftung Stadtmuseum Berlin Geschichte und Erinnern
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