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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 64

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

9. Dezember 2013

Gorki Theater 1


Erstmals übernimmt eine Intendantin mit Migrationshintergrund ein wichtiges deutsches Staatstheater: Shermin Langhoff; sie kam mit neun Jahren aus der Türkei nach Berlin und heiratete in die legendäre deutsche Theaterfamilie der Langhoffs ein (ihr Schwiegervater sowie dessen Vater waren einst Intendanten des Deutschen Theaters). Zusammen mit Jens Hillje, einstmals Thomas Ostermeiers Adlatus an der Schaubühne, annonciert sie ein wie es heißt "postmigrantisches" Programm, das – neben den ewig allgemeinmenschlichen Dingen – sonderlich die Tatsache umspielt, dass Germanien längst ein Land ist mit vielen kulturellen Identitäten. Und so wucherten im ganzen Land die Erwartungen ins Riesige, wie das wohl wird, mit dem neuen Gorki.

 

Zunächst einmal: Das gesamte Ensemble wurde ausgetauscht (bis auf eine „Unkündbare“, die wunderbare Schauspielerin Ruth Reinecke) -- mit jungen, überwiegend in Deutschland aufgewachsenen und an hiesigen Schauspielschulen ausgebildeten Talenten, die ihre familiären Wurzeln im Ausland haben. Außerdem: Das kostbar klassizistische, traditionsreiche Haus strahlt jetzt besonders festlich – tatsächlich wie neu. Und im Foyer laden elegante rote Plüschsofas zum Verweilen ein; keine alternativen Holzhocker oder Teppiche; es gibt englische Übertitel und der Laden ist beinahe ausverkauft bis zum Ende des Jahres.

 

Den künstlerisch programmatischen Anfang machte Anton Tschechow mit seinem Zeitenwende-Stück „Kirschgarten“ und der taffen Reinecke im Mittelpunkt als Ranewskaja. Und mit ihr, der höchst lebendig Alten, sozusagen als junger Gegenspieler der Deutsch-Türke Taner Sahintürk als saftiger, aber eben doch sensibler Lopachin, dieser kühne, durch Fleiß und Pfiffigkeit zu Geld gekommene, pragmatisch der neuen Lage sich stellende Aufsteiger, der das marode, überschuldete Landgut der Ranewskaja kauft und samt dem wunderschönen aber nutzlosen Kirschgarten abholzt. Signifikante Situation.

Signifikant aber auch: Seine ersten Sätze, dem Text des großen Russen vorangestellt, kommen von einem großen Deutschen: Es sind Immanuel Kants berühmten Worte über das, was Aufklärung sei. Sehr berührend. Sehr einfühlsam; wie überhaupt die ganze Inszenierung von Hausregisseur Nurkan Erpulat auf ganz eigene, zuweilen freilich auch angestrengt aufklärerische Art einfühlsam ist gegenüber dem in Scharen herbei geeilten neuen Publikum mit Migrationshintergrund wie auch dem angestammt berlinischen. Gern dreht die Regie lustvoll auf mit Allotria, Tanz und Musik. Dann wieder kommen leise Töne und immer wieder ein vielsagend langes Schweigen. Abschiedswehmut und Neuanfangskrach stürzen wie auch bei Tschechow in eins.

 

Und doch überwuchert das viele gut Gemachte, theatralisch Sinnvolle, ungestüm Effektvolle und deftig Komödiantische ein Übermaß an gut Gemeintem – historische, soziologische, philosophische oder direkt ins Berlinisch Gegenwärtige zielende Querverweise. So trefflich die meist auch sein mögen, in ihrer Menge sind sie ein Zuviel des aufgeregt gut Gemeinten, das auch stört als allzu plakativ.

 

Trotzdem: Eine lebenspralle, gar nicht schwarz, sondern bunt gerahmte Komödie mit allerhand kabarettistischen Einschlägen aber auch melancholischen Momenten. Ein bisschen ungewöhnlich, auch befremdlich, aber grundsympathisch, dieser etwas andere Tschechow   mit Ironie freiem, geradezu rührend optimistischem Finale: Da weisen zarteste Liebesbande in die Zukunft zwischen Lopachin und Warja (betörend verstockt: Sesede Terziyan), die ansonsten, nach Willen des Autors, ins trostlos Leere auseinandergehen. Daneben gelöster Trubel zwischen den nicht wie sonst müde abgehenden Alteigentümern sowie den kraftvoller als üblich aufdrehenden Neuankömmlingen im umgepflügten Kirschgartengelände. – Ach, solcherart Entspannung ist doch auch mal schön; erst recht für den Anfang, der so vieles verspricht.

 

Gorki 2

Und einiges erfüllt. Das zweite Stück der neuen Saison ist die Adaption des Romans „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ von Olga Grjasnowa. Es ist die packende Geschichte der jungen jüdischen Aserbaidschanerin Mascha (Anastasia Gubareva), schön, hochbegabt und traumatisiert von Kriegsgräueln, die als „Kontigentflüchtling“ nach Deutschland kommt, aber auch hier nicht heimisch wird und wohl überhaupt nirgendwo Halt findet. Es ist eine starke Geschichte von Liebe, Lüge, Schuld und Tod, von Einsamkeit und Entwurzelung und der Frage nach Identität. Die großartige Könnerin Yael Ronen inszeniert sie mit wunderbar komödiantischer Leichtigkeit, konzentriert auf die zerbrechliche Balance zwischen Witz und Sarkasmus, Schmerz und Bitternis.

 

Gorki 3

Was tun? Wie tun? Wohin tun? Warum tun? Für orientierungslos vom Leben und vom Lifestyle gestresste Jugendliche ist das medial so omnipräsent spitzzüngige, aus Thüringen stammende Plappermäulchen Sibylle Berg (51) zuständig. Ihre einschlägigen Erfahrungen mit dauerpubertierenden, dauerunglücklichen WG-Mädels von etwa Mitte zwanzig, die durch Fitnessstudios, Modeläden, Clubs, BWL-Seminare, Haschhöhlen, Chats, Betten und Minijobs jagen und nicht wissen, wie sie ihre chaotisch Existenz optimieren sollen, all diese draußen im verzweifelten Jugendleben gesammelten Erfahrungen packt Frau Sibylle unter dem vielsagenden Titel „Es sagt mit nichts, das so genannte Draußen“ in „Ein(en) Text von Frau Berg für eine Person und mehrere Stimmen. Oder anders.“

Regisseur Sebastian Nübling legt die entindividualisierte, sarkastisch pointierte und in Klischees verpackte Textflut vier famosen Schauspielerinnen in den Mund, die dann in 75 kurzweiligen Minuten das Quasselding ziemlich virtuos vor dem Eisernen Vorhang runter rocken. Großer Spaß nebst ein paar hübschen Einsichten, wie das wirkliche Leben da draußen auszuhalten und in den Griff zu kriegen wäre. „Ich kann es manchmal nicht erwarten, älter zu werden. Denn vielleicht bedeutet das, nicht mehr so blöd zu sein.“

Admiralspalast

Augenschmaus und Seelenbalsam für Alt und Jung und überhaupt jeden, der einen Sinn hat fürs Märchenhafte, Zauberische, Verspielte und Verträumte – das ist „Momix Botanica“ im Admiralspalast. Außerdem: Nichts passt besser in einen Adventsabend als die Show des weltberühmten amerikanischen Choreographen Moses Pendleton, der mit seiner Modern-Dance-Company „Momix“ jetzt erstmals durch Deutschland tourt.

Was im zeitgenössischen Tanz gern verkopft und steril daherkommt, ist hier allgemein verständlich die herrlich reine Sinnenfreunde und geradezu magische Poesie. Pendleton kreiert zum Soundtrack-Mix aus Vogelgezwitscher, Naturgetöse, Softrock und Barockmusik mit viel Witz und Sinn für seltsam Komisches überraschend fantasievoll ins Surreale greifende, teils effektvoll durch High-Tech-Video gestützte Bewegungsbilder aus Flora und Fauna. Pflanzen, Tiere, Fabelwesen und Menschen finden zueinander, lassen oder verwandeln sich – als Traum, Spiel, Scherz und sehr zum Staunen. Die raffinierten Kostüme und Dekorationen sind von Michael Curry, der schon für Disneys „Der König der Löwen“ Spektakuläres lieferte. Wirklich wundersam.

Noch bis 15. Dezember: Mittwoch bis Freitag 19.30 Uhr, Samstag 15 und 19.30. - Sonntag, Dritter Advent: 14 und 18.30 Uhr.

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