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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 6

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

8. Oktober 2012

Schaubühne am Lehniner Platz


Alles, was der kleine, dicke, schlaue Schauspielprofessor Peter Kleinert mit seinen hibbeligen Sexy-Studenten von der „Busch“-Hochschule an der Schaubühne anpackt, wird ein Riesending: Zum einen ist es das Schaulaufen toller Begabungen, zum anderen der virtuos spielerische Zugriff gespickt mit Unmengen frappierender V-Effekte. So war das zuletzt bei Gorkis „Nachtasyl“. So ist es jetzt bei „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats“ von Peter Weiss. Das 1964 gedichtete Stück diskutiert den Sinn von Revolution (verkörpert vom diktatorischen Täter Marat) und zugleich deren Widersinn (der grüblerische Genussmensch de Sade). Die Regie zeigt den Diskurs als – uralter Verfremdungseffekt! – Theaterprobe, in der das Volk der Spieler (der Chor der Studies) mit dem Spielmeister (Sebastian Schwarz) und seinem (von Kleinert erdachten) schikanösen Regie-Diktat fleißig rangeln über Sinn und Unsinn von „szenischen Übermalungen“ mit aktuellen politischen Parolen sowie sonstiger einzusetzender theatralischer Formen und Mittel (da lässt sich große, vielleicht allzu große Vielfalt durchexerzieren!). Macht aber Laune, denn da gibt‘s was zu bedenken und zu gucken. Sogar einen splitterfasernackten de Sade (auch Sebastian Schwarz) beim Ejakulieren unter der Peitsche (gar nicht peinlich, aber beklemmend wie es auch nicht peinlich ist/war bei Thomas Thieme und Lars Eidinger in entsprechender Situation mit Moliere und Shakespeare; auch an der Schaubühne). Der Schauwert ist also beträchtlich wie auch der Witz. Der Erkenntnisgewinn freilich bleibt eher gering in postrevolutionären, postdiktatorischen Zeiten: Umsturz bringt nix, aber ein Weiter-so ist eben auch doof. Okay! Das Theater ist nicht klüger als die Realität draußen. Aber es darf doch mal alte Fragen neu stellen.

Deutsches Theater

Endlich Theaterglück! Intendant Ulrich Khuon (61) hat ziemlich lange darauf warten müssen. Wie auf seine Vertragsverlängerung bis 2019. Der Kultursenator salbungsvoll: Khuon habe das DT zu fortgesetzter „bundesweiter und international Ausstrahlung“ geführt. Bislang hat es eher gehapert mit solcherart Strahlung. Aber jetzt gibt es passenderweise gleich drei Erfolgsraketen: „Muttersprache Mameloschn“, „Demokratie“ (s. Betriebsnotizen 2 und 4) und, wie zu hören, die Jasmina-Reza-Uraufführung „Ihre Version des Spiel“ (die Premiere war überbucht, deshalb darüber erst im nächsten Spiral-BLOCK – im Oktober sind ohnehin alle Vorstellungen ausverkauft). Dafür jetzt meine Notiz über eine andere Super-DT-Granate (demnächst in den Kammerspielen): nämlich Stefan Kaminski.

„Kaminski on Air“ das Format gibt es seit 2004. Kaminski, unter Bernd Wilms fest engagiert am Deutschen Theater, erfand es damals für sich aus Lust und Laune als „Live-Hör-Spiel“. Und präsentierte es der Intendanz. Wilms fing sofort Feuer. Das Publikum auch. Seither ist es Kult. Denn „On Air“ offenbart: Dieses tolle Theaterblut verfügt über besonders packende, weil dramatisch grundierte Entertainer-Qualitäten. Und über eine selten derart ausgeprägte Fähigkeit zum Virtuosentum. Denn „Live-Hör-Spiel“, das meint: Die Produktion ist das Schauspiel. Und Kaminski ist ein selten feinnerviger Meister des so genannten „Stimmenmorphing“. Man agiert im Sitzen, bei sich die Geräuschemach-Gerätschaften; schaut aus, als wurde ein Sperrmüllcontainer ausgekippt: Kisten, Hölzer, Bleche, Steine, Erden, Wassertöpfe. Dazu ein Dschungel aus Ton- und Lichttechnik. Und neben S.K. ein paar Musiker an teils exotischen Instrumenten. Und dann imaginiert dieser genialisch angehauchte Kindskopf mit akrobatischer Flinkheit im Hand-, Bein- und Stimmbetrieb alle nur denkbaren Welten und Figuren. Populäre Stücke wie Richard Wagners Kompakt-„Ring“ (ein Sensationserfolg, mit dem man durch Deutschland bis nach Bayreuth tourt). Oder Filmklassiker („King Kong“, „Der weiße Hai“, „Liebesgrüße aus dem Engadin“). Aber alles mit höchstem Respekt vor den Autoren, doch eben gewitzt eingedampft zur Ein-Mann-Show. Da ist alles geballt. Da explodiert Kraft, da überwältigt ein komplexer Sinn für Komik, Tragik, Trash. Für menschlich Höchstes, Tiefstes, Banalstes. Stefan Kaminski ein begnadeter Perfektionist in diesem Kondition wie Konzentration extrem fordernden Fach intensiven Monologisierens, in dem schauspielerische Könnerschaft einhergeht mit der Kunst des Extemporierens. Und so überrumpelt der Urberliner seine unentwegt anwachsende Fangemeinde mit verrückten Fantastereien, die alle DT-Intendantenwechsel überlebten. „Es kam von oben“ heißt sein aktuelles, nostalgisches Science-Fiction-Hörspiel, basierend auf einem Mix entsprechender Stoffe aus den 1950er Jahren, gespickt mit delikaten Verweisen auf diverse populäre Phänomene der Kulturgeschichte. Die krimihafte Story, durch die auch ein Liebesgeschichtchen hüpft, geht so: In Sandberg Zitty notlanden friedliche Außerirdische; anverwandeln sich den Einheimischen, werden entdeckt und sollen prompt aus Angst der Bürger vor dem Unbekannten bekämpft werden. In letzter Minute retten sie sich zurück ins Raumschiff, düsen ab nach Hause. Die politisch anspielungsreiche, düster poetische 80-Minuten-Show funkelt nur so vor hellem Witz, Sarkasmus, Sentiment; dazwischen wird ironisch mit dem pädagogischen Zeigefinger gewackelt (Integration, Fremdenhass). Ein feinsinniger Jux in faszinierender Perfektion – gemeinsam mit Sebastian Hilken (Perkussion und Störfrequenzen) sowie Stefan Brandenburg als Macher der „Humanoiden Jukebox“ – was das ist, wird nicht verraten. Überraschung! Tolle große Kleinkunst! Muss man hin (wieder am 15. Oktober)!

Potsdam

Ein verrotteter venezianischer Dreckspalast. In diesem Elendsquartier treibt der reiche Volpone sein Unwesen. Durch verlogene Erbschaftsversprechen führt das Aas die geldgierige Society an der Nase herum. Das Verwesungs-Ambiente (Bühne: Harald Thor) sowie das eklige Zotteltier als oberbösen Drahtzieher des enthemmten Existenzvernichtungsspiels stellen klar: Regisseur Tobias Wellemeyer sieht im Hans-Otto-Theater Ben Jonsons grelle Gangster-Satire „Volpone“ von 1605 als finsteres Endspiel von lauter durch die Macht des Goldes Degenerierten; womöglich gar unter Glockengedröhn und Requiem-Beschallung als zynisches Warnstück vorm Weltuntergang. Eine verwegen ins Existenzielle greifende Grundierung dieses Typen-Theaters mit klarer Moralansage und sauber pessimistischem Menschenbild. Die säuische Illustration des Unsittenbildes Kapitalismus im Rahmen einer zünftigen elisabethanischen Commedia dell‘ arte. Aber eben doch – verschenkt! Keine Grand Opera der Apokalypse. Eher Klamotte. Blut, Wasser, Pisse, Rotwein fließen in Strömen. Es wird gerockt und gehottet, gekloppt, geträllert und gevögelt. Eine Nummern-Revue der Betrüger und Betrogenen, Gehörnten und Geschlagenen, der Schlaumeier und Idioten. Ein Veitstanz verrückter Vögel alles Karikaturen im Bestiarium grässlicher Leidenschaften.

Theater unterm Dach

Eine Edeladresse im kreativ am Existenzminimum entlang rackernden Off ist das winzige Theaterchen unterm Dach im Prenzelberg. Dort verhalf Chefin Liesel Dechant der Starschauspielerin vom Gorki Anja Schneider zum bravourösen Regie-Debüt mit dem Wolfgang-Hilbig-Projekt „Nachtgeschwister“ (Wiederaufnahme: 11./12. Oktober). – Das Thema: Lust und Leid einer Liebe zwischen Dichter und Dichterin im geteilten Deutschland. Ein komplexes Thema signifikant auf die Glücks- und Schmerzenspunkte gebracht. Schlimmes schönes Ding. Tragödie und Groteske in wilder Zweisamkeit. Alles ohne monetäre Sondermittel. Mit Selbstausbeutung aller Beteiligten, was keinen Kultursenator ernstlich juckt. Doch die Szene tobt trotzdem. Und ringt tapfer ums Überleben.

Dem soll künftig die zu erhebende Berliner City-Tax aufhelfen (andernorts heißt das schlicht Kurtaxe)! „75 Prozent der Berlin-Touristen erklären, sie kämen wegen des kulturellen Angebots. 75 Prozent der Einnahmen aus City-Tax gehören mithin in den Kulturhaushalt der Stadt, damit die extrem unterfinanzierte Freie Szene endlich besser gefördert werden kann“, wettert Sabine Bangert, kulturpolitische Sprecherin der Grünen. Recht hat sie!

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