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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 484

Kulturvolk Blog | Uwe Sauerwein

von Uwe Sauerwein

3. Juni 2024

HEUTE: 1. Theater des Westens – „Ku´damm 59“ / 2. BKA-Theater – „Edith rennt“ / 3. Die Stachelschweine – „Träumt weiter!“

1. Theater des Westens - Willkommen im Erwachsensein

"Ku'damm 59" im Theater des Westens © Dominic Ernst

Das Leben ist ein Fortsetzungsroman. Zumindest bei Familie Schöllack. Selbst wer das Theater des Westens noch nie betreten hat (ein Versäumnis), kennt wahrscheinlich die alleinstehende Caterina Schöllack, die am Kurfürstendamm der 1950er-Jahre eine Tanzschule führt und sich zugleich um das Heil ihrer drei Töchter kümmert.

Die Tanzschulen-Chefin ist eine Erfindung von Annette Hess. Nach deren Drehbüchern entstand der populäre ZDF-Mehrteiler in drei Staffeln. Die erste Staffel, „Ku’damm 56“, verarbeitete Hess mit Peter Plate und Ulf Leo Sommer zu einem Musical (mehr dazu im Blog Nr. 384 vom 31. Januar 2022). Für das Produzenten-Duo war das der Beginn ihres Aufstiegs am Theater des Westens. „Ku’damm 56“ und danach das „Romeo & Julia“-Musical (mehr dazu im Blog Nr. 433 vom 27. März 2023) lockten mehr als eine halbe Million Besucher ins altehrwürdige Haus an der Kantstraße. Dessen Leitung haben Plate und Sommer nun sogar als Intendanten übernommen. Rechtzeitig zur Premiere von „Ku’damm 59“.

Das neue Werk knüpft auch mit der Besetzung an den ersten Teil an. Wieder erleben wir Katja Uhlig als Mutter Caterina und als ihre Töchter Celina dos Santos (Monika), Pamina Lenna (Helga) und Isabel Waltsgott (Eva) in jeder Hinsicht in Hochform. Erneut ziehen Christoph Drewitz (Regie), Jonathan Huor (Choreografie), Joshua Lange (Musik und musikalische Produktion) und Tim Deiling (Licht), Kathrin Nottrodt und Esther Bialas (Bühne und Kostümdesign) effektiv die Strippen. Es schadet nicht, wenn man die Vorgeschichte kennt, es ist aber auch nicht zwingend notwendig, die nötigen Informationen wurden geschickt in die Dialoge eingeflochten.


Ein ganzes Knäuel von Konflikten


So sehr sich Mutter Schöllack auch bemüht, die Etikette zu wahren, läuft das familiäre Ehe- und Liebesleben aus dem Ruder. Monika hat mit ihrem Musikpartner Freddy (Mathias Reiser) ein gemeinsames, uneheliches Kind. Das Mädchen lebt bei Monikas Schwester Helga und ihrem Mann Wolfgang, nicht zuletzt um Wolfgangs Homosexualität zu kaschieren. Monika leidet sehr unter der Trennung von der Tochter. Als sie mit Freddy die Hauptrollen in einem Heimatfilm bekommt, „Das Haus am Wörthersee“, müssen beide das unbefleckte Traumpaar mimen. Das halten sie nicht aus.

Monika fühlt sich noch zu dem Industriellensohn Joachim hingezogen, Freddy quält der traumatische Verlust seiner Verwandten, die dem Holocaust zum Opfer fielen. Für Helgas Mann Wolfgang wird es immer komplizierter, seinen Geliebten Hans zu treffen, denn der lebt im Ostteil der Stadt. Die dritte Schöllack-Schwester, Professorengattin Eva, leidet brutal unter der Knute ihres eifersüchtigen Ehemanns (Cusch Jung).

Ein ganzes Knäuel von Konflikten, die sich nicht alle auflösen lassen, da bleibt dieses Musical erstaunlich ehrlich. Das besungene „Haus in der Liebmichallee“, in der sich alle im Finale in einem großen Bett wieder finden, es bleibt natürlich ein Traum.


Reise ins Wirtschaftwunderland


Liebe ist alles, wieder einmal. Wie in den Liedern von Rosenstolz, dem Erfolgsduo, dessen Erfolge ja ebenfalls auf Plate und Sommer zurückgehen. Gefühlseliger Mondänpop, den man mögen muss, der hier aber dramaturgisch sehr geschickt verwendet wird. Während Kostüme, Frisuren, Make-up, Möbel und Requisiten stilecht zur Reise in die 1950er laden, parodiert die Musik oft den Sound des Wirtschaftswunderlands.

Begleitet von der famos rockenden Band (Leitung: Shay Cohen), wird uns das Aufbegehren der jungen Generation gegen alte Rollenbilder und heute brutal anmutende Anstandsregeln vorgeführt. „Willkommen im Erwachsensein“ lautet der Titel eines der eindringlichsten Songs. Dass dem queeren Aspekt eine wichtige Rolle zukommt, verwundert nicht wirklich. Als Produzent des Heimatfilms erscheint hier – anders als im Fernsehen – kein Mann, sondern mit Christa Moser eine burschikose Frau. Steffi Irmen, noch als Amme in „Romeo & Julia“ in bester Erinnerung, erweist sich ein weiteres Mal als Abräumer.

Die CD zum Musical steht bereits in den Charts. Mit „Ku’damm 59“ dürfte der Dreieinigkeit Plate/Hess/Sommer ein weiterer Erfolg beschieden sein. Fortsetzung folgt, wetten?

Theater des Westens. Hier geht’s zu den Karten.


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2. BKA - Atemlos durch Neukölln

"Edith rent"- Das Best off" im BKA-Theater © Joern Hartmann

Am Anfang war der Film. Und zwar Super 8! Eine trashige schwule Truppe namens Teufelsberger bereichert Ende der 1980er mit parodistischen Streifen die Programm-Kinos. Bald verlagert sich der Schwerpunkt auf die Bühne. Vor allem im Kreuzberger BKA erobern die „Neuköllnicals“ ein immer breiteres Publikum.

Die Ades Zabel Company, wie sich die Teufelsberger fortan nach ihrem Gründer nennen, landet einen Comedy-Hit nach dem anderen. Im Mittelpunkt stets Ades Zabel als Neuköllns berühmteste Arbeitslose Edith Schröder, Bob Schneider als Kneipenwirtin Jutta Hartmann und Biggy van Blond als Leggings-Boutique-Betreiberin Biggy. Ihren Abenteuern folgt man mit kreischender Begeisterung.

Das „Best Of“-Programm zum 20. Edith-Schröder-Jubiläum besinnt nun sich auf die cineastischen Anfänge. Kein geringerer als Tom Tykwer, Schöpfer des Klassikers „Lola rennt“, wurde dafür verpflichtet. In den Filmeinspielungen von Jörn Hartmann ist Tykwer als Regisseur zu sehen, der Edith beim Dreh zunehmend atemlos durch die Gegend ums BKA und uns auf eine Zeitreise schickt.


Nicht ohne Schulterpolster


Mit dem Titel „Edith rennt“ kann man rumspielen. Edith pennt – bis Mittags um vier, in der Hoffnung, dass die Rente zu ihr im Schlaf kommt. Edith flennt – weil ihre Freundin Jutta nach Malle auswandert. Edith brennt – auf Rache, wenn man ihr übel mitspielt. Edith kennt – man mittlerweile in „janz Berlin“. Dank turbulenter Darbietungen, in der von der Casting-Show bis zu RTL-Serien wie „Bauer sucht Frau“ und anderen Horrorfilmen zahlreiche Formate durch den Kakao gezogen werden.

So auch jetzt wieder in dem gelungenen Zusammenschnitt, in den Roman Shamov, als vierter im Bunde relativ neu, sich wohl am meisten einarbeiten musste. Das Quartett auf der Bühne begeistert mit rasanten Rollenwechseln, neben 90er-Jahre-Frisuren dominieren Blusen mit Schulterpolster und Klamotten wie von KiK.

Mit den Jahren sind die Underground-Shows künstlerisch perfekt geworden. Dank der Regie von Bernd Mottl und den sich entwickelnden schauspielerischen und musikalischen Fähigkeiten. Dass hier Herren als Damen auftreten, spielt nicht wirklich die Rolle. Sondern die witzigen Milljöh-Zeichnungen eines Kiezes, der von Gentrifizierung betroffen ist. Dramatische Veränderungen, die Edith und ihre Freundinnen darüber nachdenken lassen, ob man nicht in die Uckermark flüchten sollte…

Auch wer die früheren Produktionen kennt, so wie ich (mehr dazu im Blog Nr. 364 vom 30. August 2021), hat Spaß an einer „janz neuen Schoo“. Unbarmherzig berlinernd, gnadenlos unter der Gürtellinie. Nix für Puritaner also, und noch weniger für Abstinenzler. Der Verzehr von Futschi, Chantré (sprich: „Schantre“) und Prosecco („Prosetschio“) ist exorbitant. Prost!

BKA-Theater,bis 31. August. Hier geht’s zu den Karten.


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3. Stachelschweine - Die gute alte Kabarett-Schule

"Träumt weiter" bei den Stachelschweinen © Dirk Dehmel

In Deutschland ist alles „so complicated“. Einfacher ausgedrückt: Alles geht den Bach runter. Eine traurige Erkenntnis. Kaum jemand jedoch bringt sie so unterhaltsam und selbstkritisch rüber wie Frank Lüdecke in seinem neuen Kabarett-Solo „Träumt weiter!“.

Dabei ist ja, wie viele glauben, auch das politische Kabarett auf dem absteigenden Ast. Lüdecke leitet seit 2019, seit Beginn der Corona-Krise („Besser konnte es nicht laufen“), die Stachelschweine im Europa-Center. Der Chef ist allerdings gern auch mal alleine unterwegs. Und das angeblich nur, um Werbung für sein Theater zu machen, wer’s glaubt, wird selig.

Seine Erlebnisse auf Tour schildert er zum Einstieg ins neue Programm mit seiner Version eines Rock-Klassikers als „Highway to Hell“. Allein auf der Bühne besteht er in „Träumt weiter!“ selbst den Höllenritt mit Bravour, ohne dabei den Apostel zu markieren.


Suche nach der Work-Life-Balance


Ich kenne ihn mehr als drei Jahrzehnte lang. Habe ihn in meiner journalistischen Frühzeit mit den Phrasenmähern erlebt. Später als Sketch-Partner und Autor von Dieter Hallervorden, als Fußball-Kolumnist (Hertha ist ja immer ein Fall für die Satire), als Stückeschreiber und Regisseur bei den Wühlmäusen und im Schlosspark Theater, als Chef der Distel, und immer wieder alleine. Das Kabarettsolo der alten Schule, das, wie er beweist, allen Unkenrufen und der Comedy-Schwemme zum Trotz noch lange nicht tot ist. Themen gibt es ja mehr als genug. Je schlechter die Zeiten, desto besser für die Satire.

Mit trockenem Humor und Berliner Schnauze legt der gebürtige Charlottenburger den Finger in die Wunde. Ganz in der Tradition von Dieter Hildebrandt, Wolfgang Neuss und dem früheren Stachelschwein-Chef Wolfgang Gruner. Im Unterschied zu diesen Granden des Kabaretts spielt Lüdecke dazu auch noch vortrefflich Gitarre. Fast so gut wie ich.

Apropos Können: Die Zeit, in der Deutschland in den meisten Statistiken Spitzenreiter war, ist vorbei. Statt Neid erleben wir weltweit meist nur noch Mitleid. In Berlin, so Frank Lüdecke, gelte es schon als Fortschritt, wenn ein Schüler es schafft, auf der Linie zu schreiben. Der Vater von vier Kindern vertritt durchaus konservative Ansichten, wenn es um den heutigen Anspruch an die Work-Life-Balance geht. Er beschreibt eigene Erlebnisse seiner Kinderlandverschickung: „Und, hat es mir geschadet?“

Trotz aller sozialen Netzwerke, moniert er, würde uns das soziale Miteinander heute so verdammt schwer fallen. Dass am Ende des vergnüglichen und klugen Abends die Künstliche Intelligenz die Regierungsgeschäfte übernimmt, erweist sich als kurzer Hoffnungsschimmer. Träumt weiter!


Satirisches Fußballfieber


Vielleicht befreit uns ja ein neues Sommermärchen aus der Lethargie. Unter dem Titel „Pfostenbruch“ laden die Stachelschweine zum satirischen EM-Spektakel. Die Spiele werden live auf Großbildwand übertragen, aus allen teilnehmenden Ländern kommen fürs Rahmenprogramm namhafte Kabarettisten und Komiker. Zu letzteren darf man auch Trainerlegende Felix Magath und Linksverteidiger Gregor Gysi zählen. Ich werde bestimmt die kommenden Wochen mal ins Europacenter gehen, als Kabarett- und Fußballfan.

Stachelschweine, bis 19. August. Hier geht’s zu den Karten.

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