Heute: 1. Kleines Theater am Südwestkorso – „Die lieben Eltern“ / 2. Staatsballett Berlin – „William-Forsythe-Ballettabend“ / 3. Neuer Film über das abenteuerliche Leben des Heinrich Zschokke (1771-1848)
„Seid ihr noch einig oder habt ihr schon geerbt?“, sagt der Volksmund, meint damit die geschwisterlichen Kinder – und hat wie immer recht.
Dem für alle unausweichlichen Thema des Erbens widmet sich nun die Inszenierung „Die lieben Eltern“ in der Regie von Theaterleiterin Karin Bares im Kleinen Theater am Südwestkorso. Der Plot ist so einfach wie überzeugend: Die Eltern beordern ihre drei Kinder zu sich, um ihnen Wichtiges mitzuteilen. Diese reisen, sich sorgend, in Windeseile an. Dann allerdings erfahren sie, dass die Eltern nicht etwa sterbenskrank sind, sondern in Kambodscha ein Waisenhaus errichten möchten. Bei der Nachfrage zur Finanzierung kommt heraus, dass sie im Lotto gewonnen haben. Die Summe bleibt vorerst geheim. Nun entpuppen sich die lieben Kleinen als Biester und fordern ihren Anteil. Der väterliche Trick: „Schreib mir auf, wieviel du brauchst“, verleitet den Ältesten zur Wahl von einhunderttausend Euro. Der Gerechtigkeit wegen erhalten die jüngeren, die erheblich weniger erbaten, eben so viel. So weit so gut. Aber dann lesen die Kinder im Internet, dass die Eltern 150 Millionen gewonnen haben. Und jetzt werden aus den kleinen Biestern regelrechte Bestien. Sie fordern unverschämte Summen. Die Tochter bedroht die Eltern mit einer Flinte, die Brüder müssen die Eltern auf ihr Geheiß hin fesseln. Es ist haarsträubend!
In dieser Situation werfen sich alle gegenseitig ihre Lebensentwürfe und Wünsche, ihre Sorgen und Enttäuschungen an den Kopf. Selbst der Alt-68er Vater verkündet auf einmal, auch er wolle endlich „Erdbeeren, Nutten und Koks“. Die Frau und Mutter ruft aus: „Ich erkenne euch gar nicht wieder!“
Dieses reinigende Gewitter führt zu Kompromissen, die die Bedürfnisse aller irgendwie berücksichtigen. Der Schluss kommt dann allerdings sehr abrupt und ist irgendwie auch kein Ende. Wie denn auch – bei 150 Millionen noch nicht ausgegebenen Euro!
All das spielt sich im bildungsbürgerlichen elterlichen Wohnzimmer ab. Gudrun Gabriel und Martin Gelzer als Eltern, Lara Haucke, Alexander Gier und Florian Kroop als Kinder geben diese Komödie, zu der mir wirklich das Attribut „bitter-böse“ passend erscheint, mit überzeugendem schauspielerischen Können. Das Publikum, überwiegend Erblasser, amüsiert sich köstlich. Dieses Stück von Armelle Patron und Emmanuel Patron, das seine Uraufführung erst vor zwei Jahren in Paris hatte, ist eine wahre Entdeckung und sollte von allen gesehen werden, die demnächst erben und vererben werden.
Kleines Theater am Südwestkorso, 30. April. Hier geht’s zu den Karten.
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William Forsythe ist nicht nur einer der innovativsten und erfolgreichsten Choreografen unserer Zeit, nein, er ist auch ein bemerkenswerter Philosoph des Tanzes: „Man kann sich das Ballett als einen Übersetzungsprozess vorstellen, bei dem die Tänzer*innen ihr verinnerlichtes Modell dieser visuellen Sprache physisch manifestieren“, äußerte er jüngst anlässlich der Premiere beim Staatsballett. Drei seiner Werke werden gezeigt: „Aproximate Sonata 2016“ und „One Flat Thing, reproduced“ aus dem Jahr 2000 – beide zu Musik von Thom Willems – sowie „Blake Works I“ von 2016 zur Musik des titelgebenden Komponisten und Sängers James Blake.
Um es vorwegzunehmen: Die Premiere war umjubelt, zurecht. Das erste Werk „Aproximate Sonata 2016“ reiht im Wesentlichen Duette aneinander, die den choreografischen Stil des William Forsythe zeigen. Werk Nr. 2 „One Flat Thing, reproduced“ könnte man als „Durchführung“ bezeichnen, weil in rasanter Folge die nun bekannten Bewegungsmuster von einer Gruppe von Tänzer*innen in einem bemerkenswerten Setting aus- und aufgeführt werden: Die Vorderbühne ist mit Tischen „verstellt“, sodass es nur auf und zwischen ihnen Platz zum Tanzen gibt. Das schafft, wie immer, wenn Raum knapp wird, eine unerhörte Dynamik. In „Blake Works I“ gibt es abschließend, und das ist durchaus überraschend, eine traditionelle Variante des Verhältnisses von Tanz und Musik – neoklassisch, weil an klassischen Vorbildern orientiert. Principal Guest Polina Semionova sticht hier als prima inter pares auch in den Gruppen heraus, und ihre Pas de deux – im ersten Stück mit Gregor Glocke, im letzten mit Martin ten Kortenaar – sind ganz große Tanz-Kunst.
„Auf der Bühne kann Ballett für Tänzer*innen nicht wie etwas aussehen, sondern sich nur wie etwas anfühlen – ein tief eingeprägter Zustand“, philosophiert William Forsythe weiter. Wir Zuschauer haben da also besonderes, dreifaches Glück: wir können die Tänzer*innen nicht nur ansehen, sondern uns auch in sie einfühlen und dadurch mit ihnen fühlen – und das kann auch bei uns einen durchaus tiefen, bleibenden Zustand des Beeindrucktseins hinterlassen.
Staatsballett-Intendant Christian Spuck offeriert hier fraglos einen Ballett-Abend, den man nicht verpasst haben sollte – auch wenn man kein ausgewiesener Fan dieser Kunst ist.
Staatsballett Berlin in der Deutschen Oper Berlin, 14. März; 1. und 6. April. Hier geht’s zu den Karten.
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„Berlin hat mich noch nie so interessiert, nie so wirklich gefallen, wie beim letzten Mal. Fast alle meine Vorurteile gegen diese Residenz hab‘ ich fallen lassen“, schreibt Heinrich Zschokke am 20. Februar 1795 an seinen Freund, den Berliner Kupferstecher Johann Friedrich Bolt. Man beachte das „fast“. Das ist typisch Zschokke: kritisch bis ins Mark. Vor ihm, seinen revolutionären Gedanken und seiner spitzen Feder war niemand sicher.
„Wir haben eine Regierung – Gott sei's geklagt! Die Herren wollen nur regieren, um zu stolzieren und sich Vorteile verschaffen; aber des Volkes Not von Grund auf zu heilen, das hält Keiner für seine Pflicht und Schuldigkeit“, heißt es bei ihm wie nebenbei in der Geschichte „Das Goldmacherdorf“.
Zschokke kommt in Magdeburg zur Welt, erlernt beim Studium in Frankfurt (Oder) die Kunst des selbstständigen Denkens, schreibt wie ein Besessener und möchte ansonsten nichts weniger als die ihm bekannte Welt aus den Angeln heben. Er ist der international meistgelesene deutschsprachige Schriftsteller des 19. Jahrhunderts. Goethe soll darüber gar nicht amüsiert gewesen sein.
Nach dem Berlin-Aufenthalt möchte Zschokke eigentlich eine Europa-Reise unternehmen, aber beim Anblick des Rheinfall verfällt er der Schweiz. Es ist Liebe auf den ersten Blick und sie wird ein Leben lang halten.
Heinrich Zschokke war in vielem als Denker seiner Zeit voraus und durch sein Handeln mit seiner Zeit auf Augenhöhe. Als Kämpfer für Menschenrechte, Freiheit und Demokratie wurde er selbstverständlich auch ausspioniert. Mehrfach musste er seinen Aufenthaltsort fluchtartig wechseln, bis er schließlich in Aarau ein Zuhause fand.
Die Schweiz, so wie wir sie heute mit ihren tatsächlichen Möglichkeiten der demokratischen Mitbestimmung schätzen, mit einer Verfassung, über die die Bevölkerung tatsächlich abstimmt, geht auch auf sein Wirken zurück.
Der Titel seiner bekanntesten Politsatire „Hans Dampf in allen Gassen“ dürfte jede und jeder kennen. Zschokke ist ein revolutionärer Geist, ein Selbst-Denker, der gegen Gehabe und Geschwätz der Politiker angeht. Ihnen gegenüber nimmt er kein Blatt vor den Mund: „Es ist bei Allen nur auf Großtuerei, Lustbarkeit und Geld abgesehen. Da wollen sie nur ihre Familien bereichern, ihren Söhnen und Vettern aufhelfen; da wäscht eine Hand die andere, da hackt ein Rabe dem andern die Augen nicht aus, und das Land wird immer elender; und das kümmert die Herren nicht. Sie lassen sich noch dazu für ihre Weisheit und große Gnade loben, so niederträchtig und schamlos sind sie.“
Das alles ist hier extrem verkürzt wiedergegeben, denn es gäbe so unendlich viel über diesen besonderen Preußischen Schweizer zu berichten. Aber das übernimmt nun der Film von Adrian und Matthias Zschokke, Nachfahren von Heinrich Zschokke, auf ganz wunderbare Weise. Autor und Regisseur Matthias Zschokke sagt: „Beim Betrachten des Films richte ich mich jedes Mal im Sessel unmerklich auf und meine mitzuerleben, wie es ist, selber zu denken und das Gedachte zu vertreten. Es ist schön, jemandem dabei zuzuschauen, wie er auf seinen eigenen Füßen steht, auf seinen eigenen Beinen geht und seinem eigenen Kopf vertraut. Und dass der Boden sich deswegen noch lange nicht vor ihm öffnet und ihn verschlingt.“
Zur Aufführung gibt es Schweizer Wein und Käse. Auf ein „Grüezi mitenand“!
„Das abenteuerliche Leben des Heinrich Zschokke“, Dokudrama von Matthias Zschokke und Adrian Zschokke
Kino Babylon, Berlin-Mitte am 9. März, 18 Uhr.
1. Schaubühne Bilderfluten
2. Grips Theater für die Kleinsten
3. Berliner Ensemble Der nackte Wahnsinn kommt noch
1. Komische Oper Wenn der Tod an die Tür klopft
2. Berliner Ensemble Kleiner Mann im Drogenrausch
3. Komödie Die Diva als Dozentin
1. Berliner Ensemble Familiendrama als Schmonzette
2. Schaubühne Zwischen alter Liebe und neuen Konflikten
3. Schlosspark Theater Buddeln am Fluchttunnel unterm Stasinest
1. Chamäleon Entdecke den Wolf in Dir
2. Stachelschweine Verraten und verkauft
3. Neuköllner Oper Wenn der Vater nicht mehr da ist
1. Wintergarten Artistische Regenbogenkinder
2. Deutsches Theater Ein Denkmal fällt vom Sockel
3. Kleines Theater Wie man das Leben aufräumt
1. DT-Kammer Neuer Untertan in alter Tretmühle
2. Gorki Plüschtiere zwischen Punkrock
3. Kleines Theater Ideologie zerstört Menschen