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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 455

Kulturvolk Blog | Ralf Stabel

von Ralf Stabel

30. Oktober 2023

Heute: 1. 50 Jahre Kleines Theater / 2. Konzerthaus Berlin – „Espresso-Konzerte“ / 3. Berliner EnsembleLove Boulevard"

1. Kleines Theater am Südwestkorso - Happy Birthday!

"So ein Theater" -Jubiläumsrevue im Kleinen Theater - v.l. Boris Freytag und Domink Raneburger © Joern Hartmann

Am Berliner Südwestkorso ist die Welt noch in Ordnung. Schaufenstergestaltungen im Karree, wie die von Mass-Schuh-Mode, einem Unternehmen, das auf eine mehr als 80jährige Tradition verweisen kann, haben erfolgreich überdauert und schräg gegenüber dem Kleinen Theater residiert die Gaststätte „Miteinander“. Dieses Miteinander könnte das Motto für diesen Kiez sein.

Das Kleine Theater ist bekannt für seine Berliner Erstaufführungen wie „Er ist wieder da“ nach dem Roman von Timur Vermes oder Alfred Uhrys Komödie „Miss Daisy und ihr Chauffeur“. Hauseigene Uraufführungen sind zum Beispiel „Traumnovelle“ nach der Erzählung von Arthur Schnitzler und „Vermisst! Was geschah mit Agatha Christie?“, ein Musical-Krimi von Paul Graham Brown und James Edward Lyons.

Neben den überwiegend eigenen Produktionen gibt es auch Gastspiele wie „Des wird do eh nix!“ mit
Heike Feist und Andreas Nickl, die mit diesem Abend Karl Valentin porträtieren: Er als Bayer, sie als Brandenburgerin. Da treffen nicht nur Dialekte aufeinander. Vermittelt wird auf heitere Weise das von Höhen und Tiefen, Sorgen und Hoffnungen geprägte Leben und Wirken von Karl Valentin, dessen Wortwitz wohl unnachahmlich und ein wirklich komischer Genuss ist. Passend zur Jahreszeit: „Alle reden vom Wetter, aber keiner unternimmt was dagegen.“ Sein Leben im Realen zu gestalten, dazu schien er wenig fähig. Vor seinem Dasein auf der Bühne und den dazugehörenden Strapazen hatte er Höllen-Ängste. Große Kunst entsteht oftmals aus eben solchen Nöten. Sehenswert! Das gesamte Repertoire des „Kleinen Theaters“ ist viel umfangreicher. Ein Blick auf die Homepage und erst ein Besuch lohnen sich.

Und in Kürze gibt es einen Höhepunkt:
Am 17. November erlebt die Jubiläumsrevue „So ein Theater“ zum 50sten Geburtstag ihre Uraufführung. Das Motto für den Abend hat man sich von Tankred Dorst ausgeliehen, der einst sagte: „Ich glaube, dass das Theater eine der großen Erfindungen der Menschheit ist, so wie das Rad oder das Feuer. Solange es Menschen gibt, werden sie sich etwas vorspielen und dabei sagen: So bin ich.“ 
An diesem Abend sollen in der Regie von
Mathias Schönsee und im Kostüm- und Bühnenbild von Wiebke Horn sowohl Shakespeare als auch Rinke, sowohl Bernhard als auch Brasch und andere zu Wort kommen. Angekündigt ist ein „Theaterfest aus Show und Poesie, Songs und komödiantischen Szenen und auch klugen Gedanken.“ Die zentrale Frage des Abends ist, was das Besondere am Theater sei und warum es stets aufs Neue unsere Leidenschaft entfache. Freuen Sie sich auf die Schauspieler:innen Barbara Felsenstein, Boris Freytag, Dominik Raneburger, Saskia von Winterfeld und Lennie Gottberg.

Kleines Theater am Südwestkorso. Hier geht's zu den Karten.


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2. Konzerthaus - Auf einen Kaffee?!

"Espresso-Konzerte" im Konzerthaus - Der Pianist Tomoki Park © Neda Navaee

Das Konzerthausorchester Berlin hat mit Joana Mallwitz seit dieser Spielzeit eine neue Chefdirigentin und Künstlerische Leiterin. Während der Gendarmenmarkt vor der Tür noch bis Dezember 2024 „nachhaltig“ umgestaltet wird, hat man im Konzerthaus selbst die Internet-Präsentation „aufgefrischt“. Was ehedem nacheinander erschien, springt einem nun eher gleichzeitig ins Auge. So stehen auch kleinere Formate auf einmal ganz groß da – wie zum Beispiel: die „Espresso-Konzerte“.

Angekündigt werden sie wie folgt: „Bei unseren Espresso-Konzerten am frühen Nachmittag servieren wir zwei Sorten Koffein – in Tassen und natürlich musikalisch: Ausgezeichnete Nachwuchsmusiker*innen stellen Überraschungsprogramme vor, die richtig wach machen!“

Als Berliner Theater- und Konzertgänger hätte ich längst davon wissen müssen. Asche auf mein Haupt, aber: Besser spät als nie! Denn dieses Konzertformat am Nachmittag scheint ein voller Erfolg zu sein. Wer zum Abend nicht raus möchte oder auch für lange Konzerte kein Sitzfleisch hat, kann hier – tatsächlich nach einem Kaffee oder Espresso – am Nachmittag Anspruchsvolles meist im angenehmen Rahmen des Kleinen Saales erleben. So wie ich kürzlich das bemerkenswerte Geschwisterpaar Pauline Creuz (Klavier) und Lewin Creuz (Violine), die Kompositionen von Ch. W. Gluck, Johannes Brahms, W. A. Mozart und Hendryk Wieniawski spielten. Lewin Creuz moderierte auf sympathische Weise das gemeinsame Konzert, zeigte auf so angenehme Art seine Freude an gelungener Virtuosität, dass man sich nur mitfreuen konnte. Und das tat das Publikum und entließ die jungen Künstler:innen erst nach einer Zugabe.

Im nasskalten und dunklen November offeriert das Konzerthaus insgesamt vier Espresso-Konzerte. Zu hören sind das Konzerthausorchester Berlin mit dem Dirigenten
Nil Venditti und dem Pianisten Roman Borisov. Sie spielen die Rhapsodie über ein Thema von Paganini für Klavier und Orchester op. 43 von Sergej Rachmaninow, Giacomo Puccinis “Preludio sinfónico“ und von Fazil Say „Grand Bazaar“ op. 65.

An den weiteren Nachmittagen sind Christoph Croisé (Violoncello) und Oxana Shevchenko (Klavier), dann Mitglieder der Kurt-Sanderling-Akademie, präsentiert von Joana Mallwitz, und schließlich Tomoki Park am Flügel zu erleben.

Die Eintrittspreise sind erfreulich erschwinglich: im kleinen Saal 10 €, im großen Saal 12 €. Es gibt sogar noch einen sogenannten, durchaus attraktiven Package-Preisvorteil für die Espresso-Konzerte. Wenn Sie fünf Konzerte bezahlen, können Sie sechs besuchen.
Als Berliner würde ich sagen: „Nüscht wie hin!“

Konzerthaus Berlin. Hier geht’s zu den Karten.


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3. Berliner Ensemble - Ich bin ich. Ich bin wie ich bin.

"Love Boulevard" im BE - v.l. Josefin Platt, Philine Schmölzer, Kathleen Morgeneyer, Violet Black, Golden Gai © JR Berliner Ensemble

Alle Jahre wieder: Wer erinnert sich noch an Volker Löschs Inszenierung "Lulu - Die Nuttenrepublik" an der Schaubühne mit den Prostituierten im Chor aus dem Jahr 2010?
Nun gibt es den
„Love Boulevard“ im Neuen Haus des Berliner Ensembles als Stückentwicklung in der Regie von Lies Pauwels.

Das Stück thematisiert in einer Stunde und 55 Minuten Sex als Ware in unserer Konsum-Gesellschaft. Die Sex-Arbeit wird von den Darstellerinnen (warum sind eigentlich keine Männer dabei?) als Assoziations-Reigen durchdekliniert: Praktiken, Rollenspiele, Geräusche, Klischees über Prostituierte werden besprochen und darüber sin
niert, ob die Sexarbeiterin deshalb so attraktiv sei, weil sie für eine Stunde das Eigentum des Freiers sein kann. Hier irrt meines Wissens die Autorin. In unserer Gesellschaft kann er bestenfalls der Besitzer, nicht aber der Eigentümer sein. Hat der Kapitalismus hier etwa versagt? Nein. Für diesen Anspruch hat er eine andere „Institution“ vorgesehen.

Auch Berufsgruppen, die sexuellen Projektionen unterliegen, wie Krankenschwestern oder Flugbegleiterinnen, treten auf. Aber es ist ein Abend selbstbewusster Frauen. Eine sagt:
„Ich bin ich. Ich bin wie ich bin.“ Fehlt eigentlich nur: Und das ist auch gut so!

Gelungen ist der mehrfache Verweis darauf, dass die Unterschiede zwischen den Tätigkeiten einer Sexarbeiterin und einer Schauspielerin durchaus fließend sind: Es gibt Verstellung und Show, Distanz von der Rolle und die Identifikation mit ihr. Dass es – historisch gesehen – bis vor kurzem für Frauen wirklich als unschicklich galt, aus eben diesem Grund Schauspielerin zu werden, wird nicht benannt.

Und weil die Grenzen eben fließend sind, wird der Abend sowohl von den Schauspielerinnen Kathleen Morgeneyer, Philine Schmölzer und Mare d’Angosto als auch von Gästen mit den fantasievollen und farbenfrohen Namen Golden Gai, Ivy Grey und Violet Black gestaltet. Corinna Kirchhoff ersetzte in der Vorstellung, die ich gesehen habe, die erkrankte Josefin Platt in einer Rolle, die in bester epischer Tradition über sich und das Geschehen und das Leben überhaupt – uns ansprechend – reflektiert.

Seltsam auch, dass es allerlei Tänze gibt wie einen Tanz mit Dildo, einen Sterbenden Schwan in Schwarz im Mary-Wigman-Stil, einen Tanz des Blumenmädchens sowie einen Fahnentanz. Selbst die tanzende geklonte Tanz-Maschine Maria – unvergesslich Brigitte Helm – aus Fritz Langs Film „Metropolis“ wird zeitgemäß als Sex-Roboterin mit herabhängendem Augenlid zitiert.

Aber das Verhältnis von Tanz und Prostitution wird seltsamerweise nicht angeschnitten. Und das hätte sich vielleicht doch auch gelohnt.
Auch der Hausgeist Bertolt Brecht wird zum Thema zitiert. Nicht etwa mit seiner Aussage: „
Die Wollust wäre das Einzige, aber die Pausen sind zu lang, die sie braucht. Wenn man den Extrakt ausschlürfen könnte und alles verkürzen: Ein Jahr vögeln oder ein Jahr denken“, sondern mit seinem Ausruf aus „Trommeln in der Nacht“: „Glotzt nicht so romantisch“.
Und dass wir eben so romantisch glotzen in dieser Aufführung hängt dann vielleicht auch damit zusammen, dass viel Problematisches über Sex-Arbeit ausgespart bleibt in dieser Inszenierung: Gewalt gegen Prostituierte, Diskriminierung und Ausbeutung von Prostituierten, Zwangsprostitution, Menschenhandel und und und...
Oder habe ich etwas verpasst in dieser einen Stunde und diesen 55 Minuten?

Berliner Ensemble, Neues Haus. Hier geht's zu den Karten.

 

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