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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 429

Kulturvolk Blog | Sibylle Marx

von Sibylle Marx

27. Februar 2023

Heute: 1. Schaubühne – "Zwei auf einer Bank" / 2. Deutsches Theater – "Eine Frau flieht vor einer Nachricht"

1. Schaubühne - Die Sache mit der Liebe: Wohlbekannt und immer wieder neu

"Zwei auf einer Bank" an der Schaubühne, Damir Avdic und Julia Schubert © Gianmarco Bresadola

Zwei auf einer Bank“ ist ein Stück des sowjetischen Autors Alexander Gelman, das in den 80er Jahren auf DDR-Bühnen hoch und runter gespielt wurde, in den letzten dreißig Jahren aber nicht oder nur ganz selten zu sehen war.
Ein Mann und eine Frau begegnen sich scheinbar zufällig im Park. ER ist das , was man einen Draufgänger nennt: Redegewandt, charmant, fast schon übergriffig. SIE ist eine, die genau hinschaut, nachfragt, sich aber auch kleinmacht. Offensiv und zurückhaltend gleichermaßen.


Tolle Ensembleleistung


Im Schaubühnenstudio verwandelt Simon Leseman den Park in eine fast surreale Landschaft, die viel Raum für Assoziationen lässt. Vom Park ist heute nicht viel übriggeblieben. Fahles Licht, Sand, aus dem Findlinge ragen, eine funzlige Laterne beleuchtet eine angerostete Badewanne.
Auf deren Rand sitzt ER, die Füße in knöcheltiefem Sand. Hinter einem halb durchsichtigen Vorhang ist schemenhaft eine Gestalt zu erkennen, die läuft, von rechts nach links, von links nach rechts. Immer wieder.
Der Saal wird ruhiger, alle warten darauf, dass es losgeht. E
R guckt. Aber nicht einfach so vor sich hin, ER fixiert, macht einzelne Zuschauer*innen an, flirtet, verwickelt Frauen (und auch Männer) in Gespräche.

Auftritt
SIE. Sie spricht ihn an. Er dreht sich überrascht um, steigt sofort freudig darauf ein, aber sein routiniertes Frauen-Abschlepp-Programm wird jäh unterbrochen, denn während sie für ihn eine unter vielen ist, hat sie ihn – vielleicht schon von weitem – wiedererkannt. Die Beiden sind sich schon einmal begegnet, vor einem Jahr, genau hier, an dieser Stelle. Sie hat ihn mit nach Hause genommen, nach der gemeinsamen Nacht wollte er nur schnell seine Sachen holen, um für immer bei Ihr zu bleiben – und ward nicht mehr gesehen. Bis heute. Er kann sich erst mal gar nicht und dann scheinbar nur nach und nach erinnern.


Vielversprechendes Regiedebüt


Vor diesem Hintergrund begeben sich Damir Avdic als Er und Julia Schubert als Sie in das zeitlose, uns allen bekannte und doch immer wieder neue Beziehungs-Spiel von Nähe und Entfernung, von Anziehung und Wegstoßen, von Sehnsucht nach Liebe und gleichzeitigem Wunsch nach Individualität und Eigenständigkeit.
Beiden Spielern gelingt es großartig, die Spannung über den gesamten Abend hinweg zu halten und das Wechselspiel der Gefühle zu in szenische Vorgänge zu übersetzen. Ein geradezu beglückendes Erlebnis, das im Theater von heute nicht selbstverständlich ist. Dazu trägt auch die Stückfassung von
Marilena Pütt bei.

Amalia Starikow, die mit dieser Inszenierung erstmals als Regisseurin in Erscheinung tritt, ist es gelungen, eine Verbindung zwischen oben und unten dergestalt zu schaffen, dass sich die Zuschauer*innen immer wieder in den Beiden wiederfinden können. Die Figuren werden in keinem Moment verraten, sie bleiben menschlich, sympathisch und in ihrem Verhalten nachvollziehbar, obwohl oder gerade weil sie sich wahrlich nicht immer fair verhalten, weil sie auch mal Mist bauen, wie wir alle.

Dabei hat die Aufführung einen trotz aller dystopischen Elemente einen poetischen Grundton, den sparsame, aber um so effektvollere Lichtwechsel und Toneinspielungen sinnfällig verstärken.

Das Konzept der Schaubühne sieht bei Studio-Produktionen jeweils nur eine begrenzte Anzahl von Aufführung vor. Für diese Inszenierung sollte die Leitung eine Ausnahme von der Regel unbedingt in Erwägung ziehen.

Schaubühne Studio, nur noch am 28. Februar und 1. März.


***

2. Deutsches Theater - Viel Stoff für einen Theaterabend

"Eine Frau flieht vor einer Nachricht" am Deutschen Theater, Max Simonischek, Anja Schneider und Julischka Eichel © Arno Declair

Ein zerrissenes Land, eine zerrissene Familie.
Zwischen diesen beiden Fixpunkten bewegt sich David Grossmans Roman „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“, der 2009 in Israel erschien. Auf 730 Seiten beschreibt Grossman den Weg zweier Menschen, die eine lange Geschichte miteinander verbindet, die aber auch ein langes Schweigen voneinander getrennt hat.

Ora, Ehefrau von Ilan und Mutter zweier Söhne hat die letzten drei Jahre um ihren jüngsten Sohn Ofer gebangt, hat gezittert, dass er den Militärdienst überlebt und heil zurückkehrt. Lange schon ist verabredet, dass Mutter und Sohn nach seiner Rückkehr eine Woche gemeinsam durch Galiläa wandern. Aber Ofer macht die Pläne zunichte, er meldet sich am letzten Tag seines Militärdienstes freiwillig zum Kriegseinsatz im Westjordanland. Ora ist sich sicher: Ofer überlebt diesen Einsatz nur, wenn die Nachricht seines Todes sie nicht erreichen kann, weil sie nicht zu Hause ist. Sie muss laufen, darf nicht verweilen, muss in ständiger Bewegung bleiben. Gleichzeitig weiß sie: Sie kann diese Wanderung nicht allein machen, denn wirklich beschützen kann sie Ofer nur, wenn sie über ihn erzählen kann, wenn sie endlich Avram über ihn erzählen kann



Hochkomplex und berührend


Ora lernt Avram und Ilan 1967 mit 16 Jahren auf einer Quarantänestation kennen, auf der die Drei das Ende Krieges erwarten. Die besondere Beziehung, die in dieser Isolation zwischen den drei jungen Menschen entsteht, wird sie ihr Leben lang begleiten. Ilan und Avram werden beste Freunde. Beide lieben Ora und Ora liebt beide.
Sie lebt zwanzig Jahre mit Ilan zusammen, bekommt einen Sohn, Adam von ihm und einen, Ofer, von Avram. Der wollte seinen Sohn Ofer nie sehen, nichts von ihm wissen, hat die Beziehung zu Ora und Ilan, die inzwischen getrennt sind, abgebrochen.
Jetzt zwingt Ora Avram, mit ihr auf diese Wanderung zu gehen. Sie schleppt ihn geradezu in die galiläischen Berge. Und tatsächlich gelingt es ihr, Avram nach und nach zu öffnen für seinen Sohn, für die Welt und auch für sich.

Die hoch komplexe und außerordentlich berührende Geschichte erschließt sich beim Lesen des Romans in der ausführlichen und sprachlich besonderen Beschreibung des gemeinsamen Weges dieser beiden Menschen. Sie wird erlebbar in immer neuen Wendungen und Gabelungen, die zum großen Teil in Rückblenden erzählt werden. Schon beim Lesen fragte ich mich immer wieder, wie das alles in einem Theaterabend abgebildet werden kann.
Um es vorweg zu nehmen: In der Inszenierung von Armin Petras ist es leider nicht überzeugend gelungen.


Bilderflut per Video


Die Bühne ist voll gestellt mit unterschiedlich großen Betonblöcken – Unterstände oder Bunker? Zwischendrin ein Bretterverschlag, ein Bühnenturm, an dessen oberen Ende ein stilisiertes Kreuz blinkt. (Bühne: Petra Schickart). Während im Roman der Aufenthalt und die Bewegung in der Natur Ora und Afram hilft zueinander zu kommen, bewegen sich die beiden hier in einer feindlichen, fast apokalyptischen Umgebung. Es stellt sich keine Beziehung zwischen Anja Schneider und Max Simonischek her. Die Figuren bleiben seltsam seelenlos, die Dialoge hölzern.

Der ganze Abend ist weniger Theater als vielmehr Video. Auf einer über der Szene aufgehängten Leinwand jagen und überlagern sich beinahe pausenlos die Bilder, die die Kamera von Rafael Ossami Saidy aufzeichnet. Zusätzlich werden auf den durchsichtigen Vorhang, der sich vor dem Portal immer wieder hebt und senkt, historische Aufnahmen – Meere von Davidstern-Flaggen, Kampfszenen, Demonstrationen – projiziert.
Diese überbordende Bilderflut ist möglicherweise Ausdruck der vielschichtigen Vorgänge und soll vielleicht einerseits Nähe und andererseits Distanz zwischen Zuschauerraum und Bühne schaffen. Tatsächlich verwirrt sie eher, als dass sie das Dreiecksgeflecht Ora – Avram – Ilan vor dem Hintergrund des seit siebzig Jahren schwelenden Konfliktes zwischen Juden und Palästinensern erhellt.

Meine Sitznachbarin hatte den Roman wie vermutlich ein Großteil des Publikums nicht gelesen. Sie blieb nach der dreistündigen Aufführung ratlos zurück.


Deutsches Theater, 1., 8. und 21. März. Hier geht's zu den Karten.

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