Heute: Theater für junges Publikum / 1. Theater an der Parkaue – „Das Kind träumt“ / 2. GRIPS Theater – „Zum Glück viel Geburtstag“ / 3. Theater Strahl – „In Zukunft bin ich ein Komet“
Hanoch Levin ist ein israelischer Dramatiker, der in seiner Heimat zu den bedeutendsten Theaterautoren zählt, hierzulande aber nur wenigen bekannt sein dürfte. Sein in Israel bereits 1993 uraufgeführtes Stück „Das Kind träumt“ erzählt beklemmend aktuell von Krieg und Vertreibung, aber auch von Menschlichkeit und Solidarität.
Ein Kind schläft friedlich, beschützt von seinen Eltern. Ist es Erleben oder Traum, dass Soldaten in seine Welt eindringen und den Vater ermorden? Dass es mit der Mutter zur Flucht, in die Emigration, in ein Leben voller Gefahren gezwungen wird?.
Inspiriert von einer wahren Geschichte
Angeregt wurde das Stück von der Irrfahrt des Schiffes St. Louis, das 1939 mit jüdischen Menschen an Bord von Hamburg aus Richtung Kuba fuhr. Aber weder dort noch in Florida durften die Passagiere an Land gehen. Die „St. Louis“ war gezwungen nach Deutschland zurückzukehren. Viele der Menschen, die hätten gerettet werden können, wurden nach der Ankunft in Hamburg in Konzentrationslager verschleppt und dort ermordet.
Als ich das Stück in Vorbereitung auf den Theaterbesuch an der Parkaue las, war ich fasziniert von Aufbau und Sprache. Neben Vater, Mutter und Kind oder Kapitän und Matrosen treten allegorische Figuren wie die „Mit dem Schiff Ablegenden“, der „Auf die Lebenden Neidische“ oder das „Diskussionsfreudige Tote Kind“ auf. Der Text, der die Vorgänge in Brechtscher Tradition verfremdet, ist indes nicht frei von Pathos und stellt in der Umsetzung – insbesondere für ein jugendliches Publikum – eine ziemliche Herausforderung dar.
Faszinierender Bühnenraum
Zu Beginn wird die Bühne von David Hohmann, die nach hinten ein cremefarbener wallender Rundhorizont abschließt, beherrscht von überdimensionalen durchsichtigen Ballons, die sich, dicht über dem Boden, sanft bewegen. Später werden sie von den Spieler*innen an roten dicken Seilen, wie Schiffstaue, nach oben gezogen und schweben die ganze Zeit, bunt schillernd wie Seifenblasen, die jederzeit zerplatzen können.
Auf dem Tisch vorn rechts liegt aufgeschlagen das Textbuch, aus dem die Darsteller*innen abwechselnd lesen. Ein Rollgerüst wird zum Schiffsdeck samt Reling oder auch zum Balkon, von dem der Herrscher der Insel zum Volk spricht.
Puppen- und Schauspiel
Das Ensemble – allesamt großartig! – ist die ganze Zeit auf der Bühne. Alle schlüpfen in mehrere Rollen und in sinnfälllige Kostüme, die an einem fahrbaren Garderobenständer hängen. Sie erwecken die allegorischen Figuren zum Leben, unterstützt, aber nie illustirert, von Live-Musik mit elektronischen Instrumenten (Gitarre und Cello) von Tobias Vethake und Karla Wenzel. Das Kind als Hauptfigur ist eine lebensgroße nackte Puppe – geführt von Ulrike Langenbein, die sich nahtlos in das Spiel einfügt.
Der 90minütige Abend besticht durch faszinierende Einfälle und überraschende szenische Lösungen. Zum Beispiel: Der „Blutüberströmte Mann“ trägt einen schwarzen Anzug, aus dessen Knopfleiste ein roter Stoffzipfel hängt. Er erzählt seine Geschichte, er zieht an diesem Zipfel, und wie bei einem Zaubertrick wird dieser rote Stoffschal immer länger und länger, schlängelt sich um den Mann und liegt, als dieser zusammenbricht, wie eine Blutlache um ihn herum. Oder: Der Herrscher der Insel, von einer Schauspielerin dargestellt, trägt eine übergroße reich verzierte Halskrause. Die Darstellerin wandelt sich innerhalb einer Sekunde zur Herrscherin, indem sie die Halskrause über den Kopf schiebt und diese damit zur Krempe eines wagenradgroßen Hutes wird (Kostüme: Lili Wanner).
Alexander Riemenschneider ist gemeinsam mit dem Ensemble eine anspruchsvolle Inszenierung gelungen, die den spröden Text auf eine wunderbar poetische Weise zu einer berührenden Parabel verdichtet. Berührend für Zuschauer*innen jeden Alters.
Theater an der Parkaue, 19. Februar, 20. und 26. März. Hier geht’s zu den Karten.
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Kindergeburtstag feiern. Dieser Gedanke löst bei Müttern und Vätern nicht unbedingt Vorfreude aus. Denn heutzutage wird ein Kindergeburtstag nicht einfach mit Kakao und Kuchen und ein paar Spielen gefeiert. Häufig nimmt dieses Ereignis größere Ausmaße an und verlangt Eltern einiges an Phantasie und Organisationstalent ab.
So auch bei „Zum Glück viel Geburtstag“ dem inzwischen dritten Stück, das Milena Baisch für das GRIPS Theater geschrieben hat.
Pläne sind das Eine...
Hier ist Niko (Eike N.A. Onyambu) die Hauptperson. Er will sowieso immer sagen, wo’s langgeht und hat auch von diesem Tag genaueste Vorstellungen. Damit treibt er seinen Papa (René Schubert) schon zur Verzweiflung, bevor die Fete überhaupt begonnen hat. Der Vater muss alles allein stemmen, die Mutter ist Feuerwehrfrau und muss arbeiten. Und natürlich läuft nichts nach Plan.
Feodora (Yana Emilova) aus der Wohnung eine Etage höher, will auch mitfeiern, obwohl sie gar nicht eingeladen ist und sie sowieso keiner leiden kann. Dann sagt der engagierte Clown ab und Papa muss auch noch den Clown machen, die Kiste für die Schatzsuche ist nicht auffindbar und zwischen den Kindern kommt es zum Streit.
Aber wir sind im GRIPS Theater und zuverlässig fügt sich alles zum Guten, nachdem alle Probleme an- und ausgesprochen worden sind. Fedora rastet häufig aus, obwohl sie das gar nicht will und eigentlich nur Freunde braucht, Nikos Freund Karl (Marcel Hernsdorf) als übervorsichtiges Kind einer Helikoptermama kann seine Ängste überwinden. Miray (Helena Charlotte Sigal), die Streit verabscheut, begreift, dass Auseinandersetzungen zum Leben dazu gehören. Und auch Niko gelingt es, über seinen Schatten zu springen und zuzugeben, dass er sich Feodora gegenüber echt mies verhalten hat. Am Ende ist es doch ein toller Geburtstag und aus dem Dreier-Seeadler-Kreis von Niko, Miray und Karl ein fliegendes Quartett geworden.
Eine Bühne wie im richtigen Leben
Das ist alles recht überfrachtet, und die Lieder, die Volker Ludwig dazu geschrieben hat, kommen auch ein wenig schlicht daher. Aber die Spielfreude des Ensembles in der Inszenierung von Sabine Trötschel entschädigt dafür allemal. Eike N.A. Onyambu hatte sich bei der Generalprobe so unglücklich verletzt, dass noch am Premierentag unklar war, ob er – im wahrsten Sinne des Wortes – auftreten kann. Aber er konnte, und zwar mit Krücken und das so gekonnt, als wäre es ein Regieeinfall gewesen. Auch den anderen vier Spieler*innenn gelang es, ihre Figuren so mit Leben zu füllen, dass die Kinder im Publikum die Geschichte gespannt verfolgten.
Dafür bot das Bühnenbild von Klemens Kühn viele Möglichkeiten. Die drei Regalwände sind wie in den meisten Kinderzimmern übervoll mit Spielzeug. Da reicht nicht ein Pinguin, sondern es müssen fünf sein und das Kuscheltier ist so groß, dass kein Kind damit spielen kann… Die Wände bieten Kletter- und Versteckmöglichkeiten, lassen sich blitzschnell drehen und es entsteht ein Hof, auf dem Kinder genauso spielen können wie die drei Straßenmusiker mit Kontrabass, Gitarre, Posaune und Akkordeon.
GRIPS Theater, 31. Januar, 1., 2. und 18. Februar. Hier geht’s zu den Karten.
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Dunkelheit im Raum und auf der Bühne. Sphärische Klänge, die auf- und abschwellen. Stroboskopisches Licht beleuchtet Stellwände, die an Schnüren hängen, fächerartig angeordnet und nach oben spitz zulaufend. Berge? Gletscher? Vulkane? Je nach Beleuchtung oder als Projektionsfläche für Gräser, Bäume oder Wolken kann sich ihr Aussehen und ihre Funktion verändern.
Countdown läuft
Über der Szene eine digitale Zeitanzeige, die Uhr steht bei 01:02:00. Sie zählt rückwärts.
Drei Wesen werden mit Lichtblitzen in diesen Raum geworfen, der alles sein kann. Einsame Insel, ferne Galaxie oder Urzeit. Die Drei sind gezwungen, sich mit dieser ihnen offensichtlich fremden Umwelt auseinanderzusetzen und immer neue Entscheidungen zu treffen, die Leben oder Tod bedeuten können.
Soll das jeder für sich allein tun? Soll man sich zusammenschließen? Kann man den anderen vertrauen. Wie geht man mit Angst um?
Fast ohne Worte nehmen Jana Heilmann, Wibke Storkan und Kaveh Ghaemi ihr Publikum mit auf diese Reise. Wir schauen ihnen zu, beobachten sie und sind doch, wenn wir uns gemeinsam mit den Tänzer*innen auf dieses Experiment einlassen, jeden Moment auf uns selbst zurückgeworfen. Denn die Fragen, die dort verhandelt werden, sind auch unsere Fragen. Und die Uhr läuft.
Tanz und Akrobatik
In der Choreographie des in Berlin lebenden israelischen Künstlers Yotam Peled bewegen sich die Darsteller*innen in Formen, die durch Intensität und perfektes Zusammenspiel bestechen. In der Dreierkonstellation, in der das Verhältnis immer zwei zu eins ist, werden Emotionen wie Liebe, Angst, Verzweiflung, aber auch Hoffnung und Freude besonders deutlich, gleichzeitig lassen die entstehenden Figuren auch Raum für eigene Assoziationen. Immer wieder nehmen die Tänzer*innen direkten Blickkontakt mit den Zuschauer*innen auf.
Komplettiert wird dieser Bewegungszauber durch die Musik von Tillie Bedeau, die viel mit harten elektronischen Elementen arbeitet, aber auch „klassische“ Instrumente wie eine zarte Geige einsetzt, was das Ohr dankar aufnimmt.
Wenn der Countdown nur noch 04:50 anzeigt, wendet sich Wibke Storkan ans Publikum mit einem eindringlichen Monolog über die Zeit. Wie sie vergeht, was sie bedeutet, was sie mit uns macht, wie wir sie nutzen oder auch nicht. Diese Fragen im Kopf, verfolgen die Zuschauer*innen, wie die Uhr gegen Null läuft.
Pause. Pause. Pause.
Dann beginnt der Zähler von vorn.
Theater Strahl/ Halle Ostkreuz, 18. Februar. Hier geht’s zu den Karten.
1. Berliner Ensemble Rockerin mit Grips und Witz
2. Deutsches Theater Kurzer Blick in Abgründe
3. Theater im Palais Charme als Pille gegen Depression
1. Theater an der Parkaue Werden und Vergehen auf insektisch
2. Theater an der Parkaue Aufruf zum Widerstand
3. Berliner Ensemble Allein zwischen den Fronten
1. Gorki Architekten müssen träumen
2. Schlosspark Theater Lustige Märchenspielerei
3. Volksbühne Bunter Abend mit Schlachteplatte
1. Kleines Theater Schauspiel vom Feinsten
Renaissance-Theater Bitterböse, aber zu komisch
3. Grips Für getrennte Eltern und getrennte Kinder
1. Vaganten Nathan abgespeckt und aufgepeppt
2. Berliner Ensemble Remmidemmi ohne Ende
3. Atze Musiktheater Ernst gemeint im Spiel
1. Staatsballett Zwischen Laufsteg und Happening
2. Gorki Kafka wird der Prozess gemacht
3. Hans Otto Theater Vom Tod eines Unsterblichen