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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 380

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

3. Januar 2022

HEUTE: 1. „Reden über Sex“ – Schaubühne / 2. „Der Diener zweier Herren“ – Berliner Ensemble / 3. „Jurassic Park“ – Box Deutsches Theater 

1. Schaubühne - Raus mit der Sprache; nur Mut!

  Genija Rykova, Carolin Haupt, Lukas Turtur, Robert Beyer © Gianmarco Bresadola
Genija Rykova, Carolin Haupt, Lukas Turtur, Robert Beyer © Gianmarco Bresadola

Typisch urbanes, auf- oder abgeklärtes Feierabendgeflüster einer lockeren Gruppe esoterisch angehauchter Mittvierziger in einem Berliner Studio für Yoga, Feldenkrais oder ähnlichem – passt ganz gut zum Jahresauftakt. Drei Männer und drei Frauen reden da zunächst stockend, dann zunehmend flüssiger und offenherziger über das, was ihnen Spaß macht beim Sex oder das, was der Lust entgegensteht. Anders gesagt: Es geht in dieser, einem Stuhlkreis ähnelnden, wie zufällig zusammengewürfelten, sich monatlich treffenden Runde „um sexuell bedeutsame Erlebnisse“. Man wolle frei werden, „um seine Sexualität zu umarmen“, so die Ansage.

„reden über sex“ ist also eine Art Talkshow oder Wellness-Seelenstrip, verfasst von Schaubühnen-Dramaturgin Maja Zade, einer erprobten, von mir – ich sag es offen – sonderlich verehrten Meisterin für Konversations-Stücke.

Zur Sprache kommen, ganz ohne Peinlichkeiten, schmerzhafte Vulva-Verkleinerungen, religiös motivierte, seltsame Praktiken von schwulem Sex vor der Männer-Ehe, das Elend mit zu kleinen oder zu großen, das Glück mit beschnittenen oder unbeschnittenen Penissen, erotische Anwandlungen einer mütterlichen Schlaganfall-Patientin gegenüber ihrem Sohn, der nicht immer einfache Einsatz von Fetisch, Dildo, Nippelklemmen, Analverkehr oder Petting, der luststeigernde Strahl von Urin, die weibliche Lusthemmung, wenn der Gatte die Schwester der Gattin liebt – so in etwa.

Da lauscht man gespannt. Da wird man noch im fortgeschrittenen Alter ein bisschen aufgeklärt bezüglich diverser Details. Und erfährt obendrein einiges über unterschiedlichste Lebenswelten, erlebt dementsprechende Figurenskizzen.

Apropos Skizzen. Man mag da ordentlich Tiefgang, schwelende Tragödie, existenzielle Krisen vermissen, all das, was in früheren Zade-Werken unerwartet stark aufploppte; etwa in der Feminismus-Groteske „Status quo“ oder dem Familiendrama „Abgrund“.

Ist hier eher nicht der Fall. Hier wird gleichsam lässig in einem Notizbuch geblättert. Motto: Was es alles so gibt, was so passieren kann im erotisch-sexuellen Alltags- oder Sonntagsbetrieb. Das Publikum spitzt die Ohren, erschrickt zuweilen oder lächelt verständnisinnig. Lacht sogar lauthals auf. Regisseur Marius von Mayenburg sorgt für flüssigen Durchlauf der anekdotisch aufgeschriebenen Rede-Nummern; freilich mit Momenten des Innehaltens, wenn gewisse Ängste, Glücksfantasien oder die Not der Einsamkeitskälte zur Sprache kommen. ‑ Hier die Namen des bravourösen Ensembles: Robert Beyer, Carolin Haupt, Jenny König, Genija Rykova, Konrad Singer, Lukas Turtur.

Und zur Entspannung zwischendurch beim Wechsel der Themen gibt’s feine Gesangseinlagen mit passenden Popsongs von Wrong, Dido’s Lament oder Depeche Mode. Und natürlich „Relax“, die alte Sex-und-Straps-Hymne von Frankie Goes to Hollywood. 

Bei uns im Angebot am 7. und 8. Februar. Hier geht es zu den Karten.

2. BE - Albernes Mackertum in Quietlands

Stefanie Reinsperger © JR Berliner Ensemble
Stefanie Reinsperger © JR Berliner Ensemble

Venedig 1746: Eine als Mann verkleidete Frau auf der Suche nach ihrem Liebsten; ein Diener, der sich in Verkennung der Lage bei beiden verdingt. Und das Verwechseln, Verstecken, Missverstehen nimmt seinen rasenden Verlauf in Richtung Absurdistan… So geht Carlo Goldonis krachender Commedia dell’arte-Klassiker ‑ ein Jahrmarktsspektakel deftiger Rokoko-Typen; seit jeher ein Festspiel für sportive Komödianten (und Komödiantinnen) mit jeder Menge Lust auf Zucker für deren Affen.

Doch das darf nicht sein. Jetzt im BE läuft „Der Diener zweier Herren“ mit Regisseur und Neu-Autor Antú Romero Nunes unter weitestgehender Vermeidung von Goldoni ganz anders. Weil, so steht es im Programmheft, die verrückte Klamotte ein Stück über Heimat, Fremde, Zuwanderung sein soll. Und noch dazu ein bissiger Kommentar auf Geschlechterrollen. Kann man, ganz im Geist unserer Zeit, ja alles machen mit Goldoni, dem tollen Scherzkeks volkstümlicher Massenunterhaltung – wenn‘s denn wirklich klipp-klappt und zündet.


Now we have the salad


Aber was tut die Regie? Sie macht aus Italien einen wilden amerikanischen Südstaaten-Westen, wo auf „Quietlands“ eine mafios degenerierte Farmer-Gang haust, die ein breit gekautes Denglisch quatscht: „Now we have the salad“. Übersetzt via Übertitelungsanlage „Da haben wir den Salat“. Dieses Mackerdeppen-Team ist durchweg mit Frauen besetzt, die herausgeputzt mit Ekelmaske, Halbglatze, Dickbauch sowie Beinkleidern mit Hasenpfoten hinterm Hosenlatz breitbeinig und blöd an der Rampe herumrülpsen. Aha, die alten weißen selbstredend toxischen Kerle! Als lächerliche Macho-Kulisse für die mit ihren Geistesblitzen („I have a ghost-lightening“) alles überstrahlende, hinreißende Stefanie Reinsperger als Servant; bei Goldoni Truffaldino, der Diener.

Allein dieser Servant in Seppelhosen ist dicht bei Goldoni und natürlich meist kurz vorm Kollaps. Er verausgabt sich, zuweilen mit traurigem Augenaufschlag, tobt in wagehalsigsten Slapstickiaden sowie rhetorischen Schnellsprech-Orgien im gewitzten – und weil Stefanie eine Ösi ist – auch noch wienerisch eingefärbten äänglisch Kaugummi-Kauderwelsch. „Life is no sugar-licking“. Jaja, no Zuckerschlecken. Deshalb als Trösterle das Spielzeugschäfchen, das sie immerzu auf Rädchen hinter sich herschleppt.



Männlichkeits-Bashing mit Macho-Pappkameraden


Die quecksilbrige Reinsperger wuppt also allein das ganze dröge Western-Dingsbums mit den offensichtlich bloß fürs albern-modische Männlichkeits-Bashing engagierten Macho-Pappkameraden. Mein Beileid für die unverschämt unterforderten Komödiantinnen Constanze Becker, Judith Engel, Lili Epply, Cynthia Micas.

Da soll man sich nun unentwegt lachend auf die Schenkel schlagen ohne zu kapieren, wie der Plot geht, und was die ganze hässlich herumlungernde, unlustige Theaterei mit Colt-Gefuchtel und Cowboyhut-Posen eigentlich soll? Doch wir haben ja die Reinsperger! Wenigstens die als „Ghost-lightening“. Ansonsten: Kein Zuckerschlecken, hahaha.

Bei uns im Angebot am 9. und 30. Januar sowie am 16. Februar. Hier geht es zu den Karten.

3. DT-Box - Endlich zuhören!

Jutta Wachowiak  © Arno Declair
Jutta Wachowiak © Arno Declair

„Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen.“ Eine alte Weisheit in einem berühmten, vielzitierten Satz von William Faulkner. Christa Wolf hat sie ihrer Erzählung „Kindheitsmuster“, einem DDR-Klassiker aus dem Jahr 1976, vorangestellt. Und ergänzt: „Wir trennen es von uns ab und stellen uns fremd.“

Ein poetisches Prinzip, auf das Jutta Wachowiak, Eberhard Petschinka und Rafael Sanchez zurückgreifen in ihrer theatralischen Gemeinschaftsarbeit „Jurassic Park“. Der Titel ist eine witzige Anspielung – Dinosaurier – auf Jutta Wachowiak. Die große Schauspielerin, sozusagen gleichfalls ein DDR-Klassiker, prägte jahrzehntelang – bis in die Nachwendejahre – das Gesicht des Deutschen Theaters. Ihre wichtigen Regisseure hießen Wolfgang Heinz, Friedo Solter, Thomas Langhoff; ihr künstlerischer Radius vermochte weit zu greifen – vom bitter wehen Glücksentsagen bis zum geradeaus forschen Glückskampf. Sie war Proletin und Bürgersfrau, Königin, Göre und Heroine bis hin zur Volksfigur.

Nun hat das DT, die alte, angestammte Heimat, sie wieder – die Herbfeine mit den kräftigen Wangenknochen und den schmalen, blitzenden Augen, die übrigens sehr schön singen kann (einst etwa bei den in eisigen Zeiten erschütternd dramatischen DT-Volksliederabenden). Auf ganz unsentimentale, frech lakonische, fein ironische und nicht zuletzt höchst originelle Art erzählt jetzt der Film- und Bühnenstar von einst, bewundernswert von sich selbst. Das Publikum mit vielen Fans von damals und Neugierigen von heute ist hingerissen. Freilich, manche wackeln skeptisch mit dem Kopf. Das ist gewollt und auch gut so.


Das Persönliche und das Politische


„Jurassic Park“, der fantastische Hollywood-Blockbuster ist an diesem Abend, der nichts von Diskurs hat, bloß der frappierend gewitzte Stichwortgeber für Biografisches. Und folglich – und das vor allem! – für eine betont persönliche Auseinandersetzung mit Wachowiaks schlimmen wie auch schönen Erfahrungen mit Politik und Gesellschaft, mit der deutsch-deutschen Geschichte. Und hier wieder vor allem damit, wie die ostdeutsche Geschichte aus westdeutscher Perspektive erzählt wird „als Siegergeschichte“.

Wachowiak: „Dass da eine ganze Nation – die DDR war ja eine gewachsene Nation – mit ihren sämtlichen Erinnerungen denunziert wird. Dass man ihre Biografien lächerlich oder ekelhaft findet. Dass man keine Fragen stellt, aber weiß, wie es geht und undifferenzierte Antworten gibt auf eine undifferenziert beurteilte Vergangenheit.“ Das sei entwürdigend, schmerzhaft, unnötig. „Es ist meine feste Überzeugung, dass viele von unseren derzeitigen Problemen, die so schwer zu begreifen sind, mit dieser Kränkung zu tun haben.“


Brillante Rhetorik, subtile Regie


Von diesen Kränkungen ist auch heutzutage öffentlich die Rede; doch die Heilung der Schmerzen wird dauern. Deshalb will Jutta Wachowiak nicht länger mit ihren Erfahrungen und Meinungen hinterm Berg halten und sie zur Diskussion stellen. Will mit ihrem fulminanten Solo „die Geschichtsschreibung ein wenig geraderücken“.

Ich meine, mindestens „ein wenig“ gelingt das auf überraschend unterhaltsame Art. Was wiederum an ihrer brillanten Rhetorik liegt sowie an der subtilen Regie von Rafael Sanchez. Und natürlich am durchweg geistreichen, zuweilen humorvollen, auch frech provokativen, aber niemals propagandistischen Text.

„Und jetzt wirst du mir zuhören!!! Jetzt wirst du mir, verdammt, zuhören!!!“ heißt ein imperativer Kernsatz mit – in der Druckfassung – jeweils drei Ausrufezeichen. Die hätten gar nicht sein müssen, auch so hört man der Wachowiak achtzig Minuten lang gebannt zu. Nichts wird uns da um die Ohren gehauen, vielmehr wird ins Hirn getroffen – und ins Herz. Was für eine intime, zugleich grandiose, einzigartige Veranstaltung.

„Jutta Wachowiak erzählt Jurassic Park“, wieder am 8., 9. und 11. Januar sowie am 5. und 6. Februar. Hier geht es zu den Karten. Am 13. Dezember feierte die Schauspielerin ihren 81. Geburtstag. Wir gratulieren nachträglich! 

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