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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 332

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

16. März 2020

HEUTE TIPPS FÜR ZUHAUSE GEGEN DEN CORONA-BLUES: 1. Zum Schmökern – Über Zweier-Beziehungen im Schauspielbetrieb / 2. Zum Hören – Will Quadflieg liest Thomas Manns „Tristan“-Novelle

1. Vom Blitz getroffen

Rainer Werner Fassbinder & Hanna Schygulla  © Gorup de Besanez
Rainer Werner Fassbinder & Hanna Schygulla © Gorup de Besanez

„Man wühlt nicht in Liebesbeziehungen“, wehrte Bernhard Minetti ab, als man ihn ausfragen wollte nach seinen Beziehungen zu Thomas Bernhard. Peter Zadek bellte bei der Frage nach Ulrich Wildgruber zurück: „Es gibt keine Antwort. Auch für Romeo und Julia nicht und den Grund ihrer Liebe.“

 

So ist es. Diese kompliziert erotisch-geistige, womöglich noch sexuelle, diese himmlisch-höllische Sache aus Widerspruch und Übereinstimmung zwischen zwei Menschen lässt sich kaum aufklären, höchstens erahnen. Dennoch ging die Journalistin und Dokumentarfilmerin Christina Haberlik, es war vor gut einem Jahrzehnt, dieser so geheimnisumwitterten Sache nach, was denn wohl Paare im Theater im innersten zusammenhält. Etwa Seelenklang, identische Intelligenz, Sex; die Spannung zwischen Hoch- und Demut, Brauchen und Liefern, Herrschen und Dienen…? Sind doch gerade im Bühnenbetrieb, mehr als in jedem anderen künstlerischen Metier, offene oder geschlossene Zweierbeziehungen wundersame Keimzellen für Hochleistungen. Darüber ist dank Haberliks akribischer Recherchen und mutigen Befragungen spannend zu lesen. ‑ Ein feines Fundstück im Bücherschrank. Corona zwingt zum Kramen in häuslichen Fächern, zur Beschäftigung mit Vorhandenem (oder mit dem Versandhandel).

 

Es sind zwölf solcher sagen wir kreativer Zweier-Konstellationen, die Haberlik durch Beschreibung, vornehmlich aber durch bis dato unveröffentlichte, erstaunlich offenherzige und umfangreiche Gespräche beleuchtet. Anders gesagt, es sind 24 Protagonisten des Theaters und Films, darunter aber nur 5 Frauen – die satte Mehrheit von Kreativen ist in diesem Fall interessanterweise männlich.

 

Eine der Frauen, Marieluise Fleißer, schrieb erregt über ihren Herrn und Meister Bertolt Brecht: „Von diesem Dichter komme ich nicht los, der hat was für mich, der gräbt mich um, an dem komme ich im Leben nicht vorbei.“

 

In diesem Fall fanden sich Dichterin und Dichter; beim Ehepaar Domröse-Thate Schauspielerin und Schauspieler. Ansonsten stehen die von Haberlik ausgewählten berühmten Zwölf – etwa Peymann und Beil, Trissenaar und Neuenfels, Viebrock und Marthaler – selten in gleichen, dafür in oft ganz unterschiedlichen beruflichen Stellungen zueinander: etwa Regisseur und Dramatiker, Dramaturg, Schauspieler, Szenarist.

 

„Plötzlich wurde mir von einer Sekunde zur anderen, wie vom Blitz getroffen, klar, dass die Schygulla der Star meiner Filme werden würde, ein Eckpfeiler, vielleicht sogar so etwas wie ein Motor“, sagt Rainer Werner Fassbinder. Und Hanna: „Ich habe von Anfang an gespürt, dass er mein Regisseur war. Ohne dass wir allzu viel gemein hatten.“

 

(Christina Haberlik „Theaterpaare“, 168 Seiten. Illustriert. Henschel Verlag. Bei Amazon ab 3 Euro.)

 

***

2. Zwei Königskinder am Klavier

Thomas Mann um 1900 © H.-P.Haack
Thomas Mann um 1900 © H.-P.Haack

Als nach einigen einstimmenden Nocturnes von Chopin die lungenkranke Frau Gabriele Klöterjahn ihrem Leidensgefährten, Herrn Detlev Spinell, auf dem Klavier im Salon des Sanatoriums, das uns (ein paar Bücher später) im „Zauberberg“-Roman wiederbegegnen wird, die letalen Ekstasen der Liebe von Tristan und Isolde aus Richard Wagners gleichnamiger Oper zu Gehör bringt, auf dass die beiden zartbesaiteten Kranken – der Herr Detlev und die Frau Gabriele – ihre Nerven verlieren, bei dieser literarisch-musikalischen Session verlässt der Schauspieler Will Quadflieg seinen ansonsten meist nüchtern dokumentarischen, beherrscht moderaten, feinen, leisen, scheinbar über allen Dingen stehenden Erzählton. Und ergießt sich in Kaskaden schäumender Ironie, die das Grotesk-Komische der einsamen Zweisamkeit aufdringlich demonstriert, jedoch das Schmerzliche, Tragische dieser so innigen, nur leider platonischen Begegnung verstellt.

 

Freilich, die Tristan-und-Isolde-Szene im Plüsch am Klimperkasten ist ein Höhepunkt von Thomas Manns Novelle „Tristan“ von 1901, die eine wahrlich außerordentliche Begegnung zweier Königskinder unter ungewöhnlichen Umständen schildert; einschließlich dem unversöhnlichen Aufeinanderprallen diametraler Lebensgefühle und Temperamente sowie andersartige Gegensätzlichkeiten wie beispielsweise Geist und Macht, Nüchternheit und Phantasie, Entrücktheit und Erdung, Gesundheit und Krankheit, Wirklichkeit und Kunst. Kurz gesagt, es ist der Zusammenstoß von „skurrilem Schönheitssinn und praktischer Realität“.

 

Mühelos wird da auf einem halben Hundert Buchseiten ein Kosmos eingefangen mit diesem federleichten Netz aus feinsinnig geknüpfter, wirkungsstarker Prosa. Aber am Klavier mit den leidenden Wagnerianern im Moment ihrer so begrenzten, nach ihrem Maß immerhin entgrenzten Seligkeit, da gehen dem Schauspieler, der ansonsten fast immer jeder Silbe das ihr zustehende Gewicht zu geben imstande ist, also da gehen dem großen Komödianten die Pferde durch. Das stört die subtile Mannsche Sprachkunst.

 

Das Werk wird dabei zwar nicht zerrissen, doch seine raffiniert ausgetüftelten Ambivalenzen ein Stück weit zugedeckt. Dabei liebt der Autor die tragikumwölkten Schöngeister zutiefst, leidet schwer mit ihnen und hofft. Und spinnt sie sorgfältig ein in sarkastisch schillernde Ironie. Doch durch sein immer wieder gern krasses Bloßstellen der zwei traurig Hilflosen, Einsamen, Verlorenen zieht Will Quadflieg nicht durchweg gleich mit Thomas Mann.

 

Am Ende jedoch, als der Herr Spinell sich kühn zum Äußersten entschließt, sich vor Frau Klöterjahn stellt und ihrem notorisch unwissenden, entnervend rotwangigen, vor Selbstgefälligkeit strotzenden Gatten seine abgrundtiefe Verachtung entgegen schleudert, spätestens dann trifft der Sprecher wieder sicher den Ton zwischen Identifikation und Distanz. Und ist großartig.

 

Als Nachspiel zum angespannten Text gibt es entsprechende Musik: Das Vorspiel zu Wagners „Tristan und Isolde“; daran anschließend das Finale dritter Akt, den sogenannten  „Liebestod“ mit Birgit Nilsson und dem Orchester der Bayreuther Festspiele; Dirigent Karl Böhm. Gelobt sei mein CD-Regal.

 

(2 Audio CD, ab 16 Euro bei Amazon.)

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