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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 328

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

17. Februar 2020

HEUTE: 1. „Ab jetzt“ ‑ Kudamm-Komödie im Schiller Theater / 2. „4.48 Psychose“ – Deutsches Theater

1. Kudamm-Komödie: - Kerl in der Krise mit Liebschaft, Gattin, Kind und Computer-Haushälterin GOU 300 F

Ungleiches Paar: Zoe Moore und Oliver Mommsen © Franziska Strauss
Ungleiches Paar: Zoe Moore und Oliver Mommsen © Franziska Strauss

In Frohnau geht’s ja noch, da ist es nicht ganz so schlimm. Aber in Tempelhof! Dort terrorisieren weibliche Rockerbanden die Wohnviertel. Sie jagen und erpressen ihnen unliebsame Leute, erheben Wegezölle, schießen um sich und schlagen auf alles ein, was ihnen nicht passt. Längst schon hat die Polizei sich ohnmächtig zurück gezogen, um den „Töchtern der Finsternis“ das Schlachtfeld zu überlassen.

 

Ausgerechnet in dieser Extrem-Problemzone haust der Komponist Jerome. Er hat sich in seinem mit Computertechnik und Mikrophonen vollgestopften Loft verbarrikadiert, womit er alles aufnimmt, was zu hören ist, was er wiederum – freilich verfremdet –in einer Großkomposition verwenden will, einem Hymnus auf die Liebe.

 

Mit dieser Verfahrensweise und nicht zuletzt durchs notorisch alkoholische Lotterleben hat er, vor Jahren schon (das Großwerk ächzt und dauert), Ehefrau Corinna (Nicola Ransom) und Tochter Geain (Nellie Thalbach) samt Sorgerecht vergrault. Um letzteres zurück zu bekommen, engagiert er via Agentur die Hostess Zoe, eine angehende Schauspielerin aus Frohnau, wo man die militante Weiber-Gang noch in Schach zu halten imstande ist. Zoe (Zoe Moore) soll die Verlobte von Jerome (Oliver Mommsen) mimen und eine heile, solide geordnete Welt vorgaukeln, um Herrn Marvin vom Jugendamt (Joachim Paul Assboeck) zur Rückgabe des Sorgerechts übers Töchterlein zu bewegen. Es kommt zu diversen Konflikten zwischen beiden und obendrein mit Jeromes computergestützter, menschenähnlicher Haushälterin GOU 300 F, einer Art Aufziehpuppe, mit scheppernden Blechschäden gespielt von Nicola Ransom.

 

Eine verwirrend durchgeknallte Sciene-Fiction-Farce ist das, was Alan Ayckborn, Londoner Vielschreiber und vielfach hochgeehrte Star im britischen Theaterbetrieb, sich da vor gut drei Jahrzehnten unter dem harmlosen Titel Ab jetzt ausgetüftelt hat.

 

Kein geringerer als Peter Zadek inszenierte im März 1989 in der Komödie am Kurfürstendamm diese „in einer nahen Zukunft“ spielende Chose, übrigens mit Harald Juhnke als Jeromes Kumpel im Suff. Martin Woelffer war auch dabei: als Assistent von Zadek. Deshalb hat er, jetzt als Regisseur, via Video als Reminiszenz ans Damals einige Juhnke-Szenen eingespielt. Ansonsten aber hat er dem Regiemeister eher wenig abgeschaut. Sein Zugriff ist, zaghaft und betulich. Es fehlt an Saft und Kraft.

 

Immerhin steckt in der ollen Kamelle einige Brisanz: Die politisch-soziale Verwahrlosung des Umfeldes, das fragwürdige Verhältnis zwischen Mensch und Maschine, Jeromes Vereinsamung und weltfremde Isoliertheit sowie sein Macho-Gehabe nebst seiner Technikverliebtheit und Gefühlskälte bzw. Unfähigkeit zu menschlicher Liebe. Und nicht zuletzt Jeromes künstlerische Impotenz als unglücklicher Tonsetzer, die er mit absurden Tonbandaufnahmen zu kompensieren sucht.

 

Über all das wird in dem Zweiakter vage hinweg gealbert, anstatt es grell auszustellen und mit Tempo aufzureißen. Freilich gibt es vor der leider wohl unumgänglichen Pause im ersten Akt ein feines Zusammenspiel zwischen Zoe und Jerome. Da blüht und wuchert plötzlich zwischen Moore und Mommsen der Schlagabtausch von zart bis hart. Klar, von Mommsen, dem gestandenen Spieler, war einiges zu erwarten. Doch die hier wunderbare, schnelle und präzise Zoe Moore entfaltet – für mich eine echte Überraschung! ‑ ein erstaunliches Talent fürs Komisch-Lakonische, was ganz leicht ausschaut, aber so leicht nicht zu machen ist. Toll!

 

Schade nur, dass im Großraum Schillertheater die Textverständlichkeit leidet. Ich empfehle rigorose Stimmübung oder, hier sei’s genehm, das Mikroport. Zadek hätte seinerzeit auch ins Schillertheater gekonnt, ihm stand ohnehin jede Bühne offen. Doch er wusste, was eigentlich offensichtlich ist: „Ab jetzt“ ist ein verrücktes, grotesk schräges Ding ‑ ideal nur fürs intime Format.

 

(Noch bis zum 8. März.)

 

***

2. Deutsches Theater: - Im Rhythmus der Verzweiflung

4.48 Psychose © Franziska Strauss
4.48 Psychose © Franziska Strauss

Um es gleich zu sagen: Es war eine Qual! Und: Es war faszinierend. War beklemmend und betäubend, erregend, ermüdend, zermürbend und aufputschend dieser Dreistunden-Trip durch die apokalyptischen Albträume und unzumutbaren Wirklichkeiten der Dichterin Sarah Kane mit dem großen leeren Herzen, das nichts auf Erden mehr hatte füllen können. So nahm sich diese Schwester Kleists und Büchners, eine schöne junge Frau, die – so sagte man – nie prätentiös oder geheimnisvoll auftrat, in der Nacht des 20. Februar 1999 mit 28 Jahren das Leben.

 

Sarah erhängte sich in der psychiatrischen Abteilung einer Londoner Klinik – „mein Leben gefangen im Netz der Vernunft, das ein Arzt gesponnen hat, das Gesunde zu mehren“. Zwei Tage zuvor gab sie – längst eine berühmte Dramatikerin ‑ ihrer Verlegerin das 40-Seiten-Manuskript von „4.48 Psychose“; ihr letztes, von ihrer „suizidären Psychose“ erleuchtetes wie von dieser Krankheit abgerungenes Werk, das Ulrich Rasche im Deutschen Theater als Sprechoper inszenierte: monumental, suggestiv, überwältigend. Auch überfordernd, aber angemessen.

 

Geht es doch um Scheitern, Leiden, Erlösung durch Tod. Also um große und letzte Dinge des Menschseins, hier gebunden an das eigene, tragische Schicksal der „zur Vernichtung verdammten“ Autorin, die über den blutigen Weltzustand und das Nichtzusammenfinden ihres Körpers und ihrer Seele so hellsichtig verrückt geworden war. „Knipst mir nicht den Verstand aus, indem ihr mich in Ordnung bringt“, wettert die Klinikpatientin mit „Wutschaum im Herzen“, die ihre Depression mit „Zorn“ übersetzt, nicht mit „Krankheit“.

 

Morgens um 4 Uhr 48 ist der „Glücksmoment, da die Klarheit vorbeischaut“ und der Verstand zugleich „heimgesucht wird von Dämonen“. Genau der richtige Zeitpunkt fürs Schlucken der Überdosis, das Schlitzen mit Rasierklingen, das Ziehen des Stricks um den Hals…

 

„4.48 Psychose“ ist ein Text ohne Rollenvorgabe. Ein freischwebendes, lyrisches Gefüge aus Selbstgespräch, pathologischer Beschreibung, Medikationen Erfahrungsprotokoll, Dialog mit Geliebtem, Vater und Gott, aus Stimmen und Gedanken. Ein Aufschrei. Herausschrei. Ein stolzes Sehnsuchtslied. Ein weher Abschiedsbrief.

 

Und: Ein Anschlag aufs Publikum. Brutal wird es herausgefordert, in der totalen Hoffnungslosigkeit einer Sarah, eines Mitmenschen, den eigenen Seelen- und Gewissenqualen nachzuspüren. Der versteckten Scham, dem verdrängten Wahn, der zugeschütteten Angst, den verübten Grausamkeiten. Und dem „verblödeten Geist der moralischen Mehrheit“.

 

Regisseur Ulrich Rasche, 1969 in Bochum geboren, überrumpelte vor drei Jahren in München das Publikum mit zwei Riesenrolltreppen, auf denen Schillers Räubergang auf und ab hetzte. Auch in folgenden, ruhmreichen Inszenierungen beherrschten permanent rotierende Maschinen die Bühne, auf denen die Schauspieler fein choreographierte Bewegungsabläufe exerzierten und, meist chorisch, Text deklamierten. Das erzeugte wuchtig abstrakte Wirkung durch Sprechkunst, perfekt rhythmisch trainierte Körperkraft, durch Lichteffekte und percussive Musik. Ein fesselnder Zusammenklang.

 

Jetzt jedoch will Rasche nicht länger als „Maschinentheaterregisseur“ gelten. Und wirklich, bei „4.48 Psychose“ spielen Großgeräte eher eine Nebenrolle.

 

Die Bühne ist ein tiefer schwarzer Schlund, nebelverhangen. Am Boden auf der Drehscheibe vier parallele, langsam und dauerhaft bewegte Laufbänder. Auf dem Rand der Scheibe die Live-Musiker Carsten Brocker, Katelyn King, Spela Mastnak, Thomsen Merkel. Sie produzieren von Anfang bis Ende eine auf- und abschwellende, sanft- oder grellfarbige, stampfende, brüllende, zart säuselnde oder unheimlich grummelnde Klangkulisse. Es ist der Rhythmus der Verzweiflung. Der Kontrapunkt zum Crescendo und Decrescendo des Textes (Komposition und musikalische Leitung: Nico van Wersch).

 

Diese geradezu körperlich das Publikum packende Tonsetzung ist ein Meisterwerk. Es entspricht dem so schmerzlichen Hin und Her, Auf und Ab zwischen Bei-sich- und Außer-sich-Sein der Kaneschen Selbstanalyse. Es gleicht einem Gefühlskraftwerk. Und steht gleichberechtigt neben dem meisterlichen Text mit seiner minimalistischen Poesie, dem hochgespannten, siedend heißen oder eisigen Ton, dem philosophischen Weitwurf. Der Dichter Durs Grünbein hat alles adäquat übersetzt.

 

Das Ensemble in den teils fleischfarbenen, teils schwarz transparenten Trikots (Elias Arens, Katja Bürkle, Thorsten Hierse, Toni Jessen, Jürgen Lehmann, Kathleen Morgeneyer, Justus Pfankuch, Linda Pöppel, Yannik Stöbener)? ‑ Es schreitet und tänzelt locker auf dem Laufband, kommt aus dem Dunkel, solistisch oder in Gruppe, verschwindet dorthin zurück. Die Atmosphäre wie verschleiert, wie in Trance, im Traum, durchzuckt von Text, umspannt von Klängen. Schön und schrecklich, unentwegt zerrend und ziehend an den Nerven, am Herz, am Hirn. Das ist nicht jedermanns Sache. Das muss man aushalten wollen. Schließlich gibt es in der Nebelnacht nicht viel zu sehen. Dafür umso mehr zu Hören, zu Fühlen, zu Denken. Drei Stunden ohne Pause.

 

Das einfach Raffinierte dieser mit heilignüchternem Ernst, mit unendlicher Empathie, Liebe und Strenge gemachten Inszenierung, diesem Hohelied auf die Humanitas, ist Rasches Erfindung einer Art Partitur für die Sätze, Worte, Silben, Punkte. Kanes Extremismus der einen Liebe, der reinen Wahrheit in Kollision mit der rohen Wirklichkeit des stets schwer Getrübten – dieser Höllenqualen und heillose Verlassenheit auslösende Riss durchs Universum, dem die Autorin nicht gewachsen war, hier wird er zum bitteren, schockierenden, provozierenden Erlebnis. ‑ „Vorhang hoch“ heißt es zum Schluss. Denn auf Tod folgt Leben. Und wieder Tod.

 

(Wieder 28., 29. Februar; 14., 15., 30., 31. März)

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