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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 310

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

7. Oktober 2019

HEUTE: 1. „Der Tatortreiniger“ – Kriminaltheater / 2. „Odyssee“ – Volksbühne / 3. TV-Theatertalk

1. Kriminaltheater: - Der da im Blut watet

Oliver Gabbert als
Oliver Gabbert als "Tatortreiniger" © Sascha Funke

„Meine Arbeit fängt da an, wo andere kotzen“, sagt Schotty. Und hält ein abgeschnittenes Ohr hoch, das er gerade gefunden hat in einer Badewanne voll Blut. Daneben liegt sein Stullenpaket, das er gleich auspacken wird; weil: Schotty macht erst mal Päuschen. Und Zimperlichkeiten sind da fehl am Platz, denn der Bursche im weißen Schutzanzug gehört zur „Spube“. Die tritt an, wenn die „Spusi“ fertig ist. Auf die „Spurensicherung“ folgt nämlich die „Spurenbeseitigung“; korrekt gesagt: Die Tatortreinigung. Und Schotty gehört zur ehrenwerten Zunft der Tatortreiniger – im weiteren Sinne: zur Polizei.

 

Damit wäre geklärt, was hinter dem Titel Der Tatortreiniger vom neuen Stück im höchst erfolgreich etablierten Kriminaltheater in der Friedrichshainer Palisadenstraße steckt, das damit sein 20jähriges Bestehen feiert – frei von Staatsknete, mit einem reichen Spielplan, bestens besuchtem Repertoirebetrieb und (parallel!) ausgedehnten Gastspielreisen durch deutsche und schweizer Landschaften. Ein kleines Theaterwunder der speziellen Art. Tolle Leistung. Bravo dem über alle (anfänglichen) Durststrecken hinweg ingeniösen, mutigen Direktionsteam Wolfgang Rumpf & Wolfgang Seppelt!

 

Genug Blümchen gestreut, zurück zu den Tatorten und zu Schotty, der ach so coolen, knurrigen und dabei doch pfiffig einfühlsamen Reinigungskraft ohne Abitur (Oliver Gabbert in der frappierend genauen Studie eines ziemlich komplexen Charakters).

 

Flapsige Leute sagen überheblich, der putze doch bloß Leichen hinterher, wie eklig. Er solle es besser bei Lebenden versuchen. – Doch das kann ja jeder. Aber „Spube“ ist sehr viel mehr, klärt Schotty auf: Dreck sei Materie am falschen Ort, würde alsbald instabil und ginge neue Verbindungen ein. Dafür das jeweils passende Putzmaterial im beigestellten Wagen voller Flaschen, Sprays und Lappen zu finden, sei die Kunst. Schotty ist sozusagen ein Spezialchemiker, was viel mehr ist als bloß Saubermachen. Und obendrein hat er‘s mit diversen Leuten von durchaus angespanntem Psycho-Zustand zu tun, die ihm da in prekärer Lage am Tatort in die Quere kommen und was gewisse Sensibilitäten und sogar Weisheiten erfordert – womit wir bei der skurrilen, bis ins Absurde greifenden Fantasie der Autorin Mizzi Meyer wären.

 

Mizzi Meyer ist das lustig klingende Pseudonym der TV-Starautorin Ingrid Lausund. Nach einem Schauspielstudium kam sie als Hausautorin und Regisseurin ans renommierte große Deutsche Schauspielhaus in Hamburg. Ihre Stücke, abenteuerliche Geschichten höchst widersprüchlicher Figuren, aus dem prallen Leben gegriffen und immer auch ein verrücktes Stück daneben, diese flüssigen, den Künsten der Schauspieler saftiges Futter bietenden Stücke wurden gern und viel gespielt. Quotenträchtig!

 

In der Szene berühmt freilich wurde Lausund für ihre Drehbücher zur Fernsehserie „Der Tatortreiniger“, die (mit Bjarne Mädel) alle Einschaltquoten auf die Spitze trieb. Und Mitzi Meyer alias Lausund gleich zwei Mal, nämlich 2012 und 2013, höchste Weihen einbrachte: den begehrten Grimme-Preis. Und das sehr zu recht: Gelingt es doch der Autorin meisterlich, relevant Reales und irrwitzig Fantastisches, noch dazu philosophisch pointiert, amüsant und in den überraschendsten Wendungen raffiniert zusammen zu bringen. Obendrein zählt sie zu unseren besten Dialogschreiberinnen. Was sie kann, kann kaum jemand. Kurz gefasst: Mizzi Meyer-Lausund bedient perfekt das hierzulande so sträflich vernachlässigte, von Publikum wie Schauspielern so arg vermisste Genre des well made play.

 

Grund genug fürs Krimitheater, Mizzi Meyer ins Programm zu nehmen; ganz einfach: Drei Episoden mit Schotty aus ihrer TV-Tatortreiniger-Serie. Sein Job führt den knackigen, nüchternen, aber gar nicht so abgebrühten Junggesellen mit Einschlag ins Volkstümlich-Philosophische (der tolle Gabbert!) in ganz unterschiedliche Milieus (adäquate Szenenbilder: Manfred Bitterlich): Da ist der lüsterne, alleinstehende, selbstredend ermordete Steuerberater und (Ex-)Kunde käuflicher Lust, den die bestellte Prostituierte (Katharina Zapatka) besuchen will und auf Schotty samt Leiche trifft. Dann der seriöse, jahrzehntelang von seiner Frau gedemütigte Kleinfabrikant (Thomas Gumpert), der sein Weib mit der Axt zerhackte – „Nervensäge, doch einmal sind die Nerven durchgesägt.“ Und schließlich, umgekehrter Tatbestand, die steinreiche Witwe (Jutta Schröder), die den Gatten mittels Golfschläger beseitigte, und Schotty, der ihr auf die Schliche kam, mit einem dicken Auto als Geschenk zum Schweigen verführen will. Natürlich enden alle drei psychologisch-sozial genau gezeichneten Konfrontationen auf unerhörte Art. Regisseur Rumpf inszeniert das gekonnt, vor allem mit scharfem Sinn für die grandiose Dialogkunst der Autorin. Ein spannungsgeladenes Vergnügen. Klasse!

 

(wieder am 10., 11., 12., 18., 19., 24., 25. Oktober)

 

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2. Volksbühne: - Konfetti, Panzer, Elefant und Krach

Homers
Homers "Odyssee", neu erzählt von Thorleifur Örn Arnarsson und Mikael Torfaso © Vincenzo Laera

„Wir haben jetzt absolute Narrenfreiheit“, frohlockt Thorleifur Örn Arnarsson. Und meint damit die zwei Jahre, in denen er – bis zum Antritt des neuen Intendanten René Pollesch 2021 – als Schauspieldirektor die künstlerischen Geschicke der Volksbühne dirigieren wird. Er durfte sich – tolle Situation – das nach Chris Dercon neue 17-köpfige Ensemble selbst zusammenstellen und eröffnete jetzt seine erste Spielzeit am Rosa-Luxemburg-Platz mit einem Großwerk aus dem Grundstock abendländischer Literatur: mit Homers „Odyssee“.

 

Immerhin, mit wuchtigen Werken hat der 1978 in Reykjavik geborene Regisseur (Studium an der Berliner Busch-Hochschule) gewisse Erfahrungen. In Hannover brachte er die isländische Nationalsaga „Edda“ auf die Breitwandbühne, für die er 2018 mit dem Faust-Preise, Sparte Regie, ausgezeichnet wurde. Doch die „Edda“ vermochte beim Berlin-Gastspiel Anfang 2019 seine Wirkung nicht recht entfalten: Die Bühne der Volksbühne war breiter und das Haus deutlich größer als in Hannover. Deshalb sein Vorsatz für die „Odyssee“: Mächtig klotzen, was Arnarsson ohnehin gern tut. Er liebt nämlich das spektakuläre Format, das Laute, die Masse an Menschen und Material. Und „das Benutzen der alten Geschichten, um auf unsere aktuellen gesellschaftlichen Prozesse zu gucken“.

 

Außerdem, so erklärte er seinen „theaterautorischen“ Ansatz, will er gemeinsam mit seinem Compagnon Mikael Torfason den neuen Journalismus mit dem Theater verbinden. Bleibt zu fragen, was der „neue“ Journalismus denn sei und was dessen Zusammenführung mit der Bühne an neuen Einsichten und Wirkungen wohl bringe.

 

Im gegebenen Fall eher nichts. Da gibt es bis zum Überdruss jede Menge Massen-Choreografie mit chorischen Einschüben und marathonmäßigem Umherrennen am Rand der rotierenden Drehscheibe. Da türmen sich ganze Gebirge von Umzugskartons, auf denen emsig herumgeklettert wird. Im Video lodern Flammen bombardierter Städte, Dokfilm-Schnipsel zeigen Schlachtgetümmel (Afghanistan, Syrien). Ein Elefant schwebt aus dem Bühnenboden herab und folgenlos wieder hinauf (aber die Werkstätten hatten zu tun), ein Panzer in Originalgröße fährt vor und schießt Konfetti ins Publikum. Und so geht das Toben und Schreien und Filmen über knapp vier Stunden. Vor der Pause, die dann viel Volks zur Flucht nutzt aus der Volksbühne, wird die schier endlose Liste mit den Zeit-Daten und Opferzahlen vieler Kriege von der Antike bis jetzt verlesen. Der neue Journalismus? Verbunden mit kraftmeierischem Überwältigungstheater! Da bleibt die große, bedeutungsschwere Heimkehrergeschichte, die jahrelange Irrfahrt des traumatisierten Odysseus aus dem griechischen Krieg gegen die Trojaner bis zur unglücklich machenden Ankunft daheim in Ithaka bloß ahnbar – wie auch dessen Beziehungen zu den seelisch kaputt geschlagenen Figuren des Mythos.

 

Arnarssons zentnerschwere, chaotische Arbeit am Mythos im Heute bringt weder Erkenntnisgewinn noch wirklich theatralische Wirkmacht, macht freilich gehörige Knalleffekte (Ohrenstöpsel wurden zuvor verteilt). Statt der Draufschau „auf unsere aktuellen gesellschaftlichen Prozesse“ hätte man die alte starke, erschütternde Geschichte Homers erzählen sollen. Sie ist ein monumentales, allzeit gültiges Warnbild vorm Krieg.

 

Übrigens, es gibt ein psychologisch und sozial genau beschriebenes, so subtiles wie packendes Stück über das, was mörderische Gewalt macht mit Menschen: „Ithaka“ von Botho Strauß. Da käme man ohne Materialschlacht auf den Kern des ewigen Menschheitselends. ‑ Thorleifur Örn Arnarsson sollte es nicht zu leicht nehmen mit seiner Narrenfreiheit.

 

(wieder 13. Oktober; 2. November)

 

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3. TV-Rederei über Theater

Bernd Schmidt © Patrick Gutsche
Bernd Schmidt © Patrick Gutsche

Heute, Montagabend, 20.15 Uhr, die 56. Sendung „Montagskultur unterwegs“ aus dem Studio in der Friedrichshainer Rudolfstraße 1-8 (nahe S- und U-Bahnhof Warschauer Straße). Mit Alice Ströver  sowie den Kritikern Arno Lücker und Henry Arnold. Der besondere Gast ist diesmal Dr. Berndt Schmidt, Intendant des Friedrichstadt-Palastes. ‑ Kritisch betrachtet werden die Premieren „Woodstock Variety Show“, Wintergarten Varieté; „Baal“ von Bertolt Brecht, Berliner Ensemble; „La Forza del Destino“ von Giuseppe Verdi, Deutsche Oper. Später auch im Netz auf YouTube.

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