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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 299

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

20. Mai 2019

HEUTE: 1. „Die Umsiedlerin“ – Kammerspiele des Deutschen Theaters / 2. Hundert Mal K. Thalbach als E. Striese in „Der Raub der Sabinerinnen“ – Komödie am Kurfürstendamm im Schiller Theater

1. Deutsches Theater Kammerspiele - Ins Klamottenstadel umgesiedelt

"Die Umsiedlerin" von Heiner Müller © Arno Declair

„Komm Bub, jetzt gehst hinauf in Brechts Zimmer, setzt dich hin und schreibst deine Entschuldigung“, befahl Helene Weigel, Intendantin des Berliner Ensembles und Witwe Brechts, dem Dichter Heiner Müller. Das war Herbst 1961, Müller war 32 und existenzbedroht. Sein Stück „Die Umsiedlerin“ oder Das Leben auf dem Lande“, ein Auftragswerk des Deutschen Theaters, testweise aufgeführt von B.K. Tragelehn an der Studentenbühne der Ostberliner Hochschule für Ökonomie, hielt „die Partei“ für antikommunistisch und konterrevolutionär. Was einem Totschlag gleichkam. Die Weigel diktierte Selbstkritik, und Müller machte, seinem Selbsterhaltungstrieb folgend, den Kotau, um den Rausschmiss aus dem Schriftstellerverband (sprich Publikationsverbot) abzuwenden. Es hat ihm nichts genützt.

 

Die Position damals war, so Müller in seinen Memoiren, der Brecht-Formel folgend: „Ich bestehe darauf, dass dies eine neue Zeit ist, auch wenn sie aussieht wie eine blutverschmierte alte Vettel.“ – Ein totales Trotzdem…

 

Die Komödie – eigentlich ein Mutmacher, für den „neuen Staat“ DDR einzutreten –, dieses radikal realistische Epochenbild erzählt die Geschichte eines märkischen Dorfs von der Bodenreform anno 1946 („Junkerland in Bauernhand“) bis zur Kollektivierung 1960 gleichsam als Lehrstück vom Klassenkampf („Entweder auf dem Traktor oder drunter“), als den gutgemeinten, blutigen Versuch, Revolution zu machen. „Gott hat euch aus dem Paradies geprügelt, wir prügeln euch zurück“, heißt es zum Unterfangen „Neue Zeit“, das angeht, die Welt zu ändern, sie neu zu denken.

 

Müller beschreibt das mit poetischer Wucht archaisch in Blankversen. Er gibt dem Konflikt zwischen Naiv-Idealistischem und Grausam-Diktatorischem („Dann wirst du zugeschnitten; was nicht in den Topf passt, ab, und wenn’s der Kopf war“) die menschheitliche Dimension zwischen Glauben, Wissen, Leben, Tod.

 

Jetzt haben die Berliner Regisseure Tom Kühnel und Jürgen Kuttner diesen Klassiker der DDR-Dramatik und DDR-Zensur im Deutschen Theater auf eine sinnlos mit runden Podesten verstopfte Bühne (Jo Schramm) geholt. Vor neun Jahren inszenierten die beiden Peter Hacks‘ Komödie „Die Sorgen und die Macht“ am DT, wo das Stück 1962 gleichfalls abgesetzt wurde – und der damalige Intendant Wolfgang Langhoff gleich mit. Das Hacks-Stück verband das Regie-Duo mit der historischen kulturpolitischen Aktenlage und erzielte – sozusagen mit dem Fall Hacks ‑ eine ganz eigene dramatische wie aufklärerische Wirkung.

 

Jetzt, bei der „Umsiedlerin“, wurde der politische „Fall Müller“ beiseitegelassen zugunsten der Konzentration auf eine mögliche „Gegenwartsdurchlässigkeit“ des Werks, das immerhin zum Besten zählt, was im letzten Halbjahrhundert auf Deutsch geschrieben wurde. Eine Fülle von gelegentlich trefflichen, überwiegend eher albernen oder weit hergeholten Regie-Ideen stürzen sich auf den Text, umspielen, ironisieren, verspaßen und verwitzeln ihn mit allerhand Musike. Bloß eindringlicher oder gar verständlicher machen sie ihn nicht. Was komödiantisch-kabarettistisch sein will kippt gern ins Ulkige, Absonderliche, ja sogar Klamottige (Junkerland in Knallchargenhand). Die dem Stück eigene, so spannende Balance zwischen Komik und Tragik ist schlimm gestört.

 

Da hilft es nichts, wenn Almut Zilcher als oberster Genosse Landrat im roten Abendkleid in schöner Konzentration „Mommsens Block“ rezitiert, jenen inneren Monolog Müllers aus den frühen 1990er Jahren, der sich an den Historiker Theodor Mommsen (1817-1903) richtet. Mit diesem Text (verfasst drei Jahrzehnte nach Niederschrift der „Umsiedlerin“) soll der jetzigen Aufführung – was billig ist ‑ ein scharfer Schuss Geschichtspessimismus verpasst werden.

 

Müllers Thema: Mommsens ungeschrieben gebliebener vierter Band seiner Römischen Geschichte. Weil: Der Nobelpreisträger wusste nur zu gut um die Nicht-Darstellbarkeit, die Nichtigkeit, das Nichts der Geschichte des späten Roms, dem –so Müller – sein (und unser?) Heute auf so fatale Weise gleiche. Müller zu Mommsen: „… verstand ich zum ersten Mal / Ihre Schreibhemmung / Genosse Professor vor der römischen Kaiserzeit / Der bekanntlich glücklichen unter Nero / Wissend der ungeschriebene Text ist / eine Wunde / Aus der das Blut geht…“ ‑ Zwei Brüder im Geiste und im Schmerz über die Vergeblichkeit allen Tuns und Denkens. Ein grandios formulierter Fall von Pessimismus; neun Druckseiten lang ohne Punkt und Komma. „Wer ins Leere schreibt, braucht keine Interpunktion.“

 

Müller, nachdenkend über die Wirkung der „Umsiedlerin“ auf Nachgeborene, meinte, es sollte ein Bild von einer Welt auftauchen, „in der etwas anderes gedacht werden könnte als das Bestehende, der Glanz eines Märchens, einer Utopie.“ In Kühnel-Kuttners überwiegend kicherndem und grinsendem Inszenierungs-Durcheinander strahlt keinerlei Traum; vielmehr wird fantastisch glimmende Märchen-Morgenröte mit „Mommsens Block“ extra aufdringlich tiefschwarz gerahmt.

 

Dennoch, Müllers Wortgewalten wirken unerschütterlich und im seltsamen Kontrast zu den Spielchen mit den V-Effekten. Immerhin gibt es schauspielerisch überzeugende Momente mit Felix Goeser als schamloser Opportunist oder Jörg Pose als schwer an der Last der Partei tragender Genosse oder Frank Büttner nicht nur als lauthals brüllender, sondern auch zartbesaiteter Anarcho-Macker. Zum Schluss endlich doch noch eine feine, eine berührende Szene: Bernd Stempel macht der Umsiedlerin in herzigster Verlegenheit einen Heiratsantrag – vielleicht vergeblich, vielleicht auch nicht. Hätte dem Autor gefallen. Der Rest – er hätte schweigend Zigarre gepafft.

 

(wieder am 20, Mai und in der nächsten Spielzeit)

 

***

2. Extra-Tipp: - Zum hundertsten Mal die Thalbach als Striese

"Der Raub der Sabinerinnen" mit Katharina Thalbach als Theaterdirektor Striese! © Joachim Hiltmann

Es mag ja das Kindsköpfige in mir sein, aber ich habe selten so gelacht im Theater – und das immer wieder ‑ wie bei Franz und Paul von Schönthans unverwüstlichem Spaß-Klassiker von anno 1884 „Der Raub der Sabinerinnen“, den, allerhand Jahre ist’s her, Katharina Thalbach erst in Rostock, dann in Potsdam und in der Kudamm-Komödie inszenierte. ‑ Und die Hauptrolle, den grotesk-komischen, von der Liebe zum Spiel, zur Verwandlung und Belehrung besessenen Menschenfreund und Theaterdirektor Emanuel Striese spielt – jetzt zum 100. Mal ‑ Katharina Thalbach. Inzwischen stehen neben ihr auch Tochter Anna und Enkelin Nellie auf der Bühne.

 

Ein maximal irrwitziger Schwank, total verblödelt und dennoch eine sehr zu Herzen gehende Hommage auf den zum Sinnbild gewordenen Theatermenschen Striese und seine sich über alle nur denkbaren Misslichkeiten hinwegsetzende, aufopferungsvolle Liebe zur Kunst diesseits und jenseits vom Rampenlicht. In Halle/Saale ließ Peter Sodann, auch ein Besessener, vor dem Neuen Theater auf der so genannten innerstädtischen Kulturinsel sein weltweit einziges Denkmal aufstellen. In Lebensgröße. Wer für die Bühne brennt, muss ihm und allen Strieses dieser Erde zu Füßen liegen. Eine kleine und doch ganz, ganz große Sache, diese Strieserei. Für immer! ‑ „Ich hoffe, dass ich sie noch bis an mein Lebensende machen kann“, sagt die Thalbach. Und funkelt mit großen Stauneaugen.

 

(Komödie am Kurfürstendamm im Schillertheater. Wiederaufnahme und 100-Jubiläum: 24. Mai, 20 Uhr. Weitere Vorstellungen 25., 26. Mai, 28.-31. Mai; 1.-2. Juni.)

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