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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 291

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

25. März 2019

HEUTE: 1. „Zeiten des Aufruhrs“ – Deutsches Theater / 2. „Tosca 50“ – Deutsche Oper / 3. Tipp: Bruno Ganz und das Schaubühnen-Ensemble unter Peter Stein im Film

 

1. Deutsches Theater: - Klappernde Gerippe, blubbernde Sprechblasen

Zeiten des Aufruhrs © Arno Declair
Zeiten des Aufruhrs © Arno Declair

Anno 1961 erschien der Roman „Revolutionary Road“ von Richard Yates. Da war der amerikanische Autor Mitte dreißig. Es waren immer noch die Zeiten von Elvis und des Petticoats. Doch Jimi Hendrix, Bob Dylan oder die Stones standen ante portas. Und das Unbehagen der Jüngeren gegenüber Spießertum war allgemein. Da wirkte allein schon der Romantitel (auf Deutsch „Zeiten des Aufruhrs“) wie ein Fanal.

 

Es ist der preisgekrönte, glanzvolle, sensibel ziselierte Roman einer Vorstadt-Tragödie im hübschen Reihenhaus, ein Ehedrama, die Geschichte einer großen Vergeblichkeit bezüglich Selbstverwirklichung und Emanzipation, des Ausbruchs aus Zwängen, Alltagsroutine und quälender Kleinbürgerei.

 

Im Mittelpunkt steht das Ehepaar Frank und April Wheeler, um die dreißig, zwei Kinder, halbwegs saturiert, beruflich unbefriedigt, unter- oder überfordert: Sie eine erfolglose Schauspielerin, er ein Schreiberling für die Werbebranche. Beide wollen den Aufbruch in die Freiheit. Wollen alles kleinkariert Bisherige wegschmeißen und ins vermeintlich gelobte Land nach Frankreich ziehen, nach Paris. Mit Kind und Kegel, aber ohne Geld und begründete Aussicht, dort irgendwie Fuß fassen und der „hoffnungslosen Leere“ endlich entrinnen zu können.

 

Freilich geht alles ‑ nicht zuletzt durch eine ungewollte neuerliche Schwangerschaft ‑ entsetzlich schief und die Ehe in die Brüche. Am Ende kommt April blutig durch eine selbst vorgenommene Abtreibung zu Tode.

 

Regisseurin Jette Steckel und ihre Dramaturgin Anika Steinhoff haben den lebensprallen, durch differenzierte Charakterzeichnungen packenden Roman für die Bühne bearbeitet, und wir erwarteten einen großartigen Theaterabend reicher Schauspielkunst. Doch schon die Zurichtung des Textes für „ihre“ Bühne (die für Steckel/Steinhoff) legt den Grundstein für das künstlerische Elend. Denn „ihre Bühne“ bedeutet: ideologisch (feministisch?) vorgeschaltete Denunziation des Ehemanns als Feigling, Opportunisten, Schwätzer, der den kühnen Freiheitsdrang, das radikale Emanzipationsbegehren seiner Ehefrau hintertreibt und sie so ins Unglück jagt.

 

Derart zurechtgestutzt und jeder psychologischen Feinzeichnung beraubt sind nicht allein die beiden Hauptfiguren. Auch das Personal in der Nachbarschaft oder im Berufsleben der beiden ist fürs Stereotype platt gemacht. Alles dümmliche, verlogene Ignoranten, biedere Kleingeister, elende Konformisten. Aus saftigen, widerspruchsprallen Figuren wurden klappernde Gerippe, plappernde Sprechblasenautomaten. Da wird ein großer Roman klein geraspelt, nur um ein Vorurteil durchzupeitschen: Starkes Weib trifft auf schwaches Kerlchen, das seine nach Selbstbestimmung lechzende Gattin zum Opfer seines Wankelmuts und Angepasstseins macht.

 

Auch die Besetzung ist desaströs in ihrer Klischeehaftigkeit: Maren Eggert als hohe, herbe, schlanke, taffe Mrs. Wheeler und der arme Alexander Khuon als nettes Weichei Wheeler, dazu das Panoptikum der lächerlichen Nachbarschaft. Was für ein plakatives, langweiliges Konstrukt auf der ewig finsteren, vernebelten Drehbühne, bestückt mit beweglichen Großbuchstaben, die mal nichts bedeuten oder vieles, wenn sie zusammengeschoben sind zu Worten wie HOME SWEET HOME oder ME oder SHOW.

 

Damit die so langweilig vorhersehbare, so aufwändig ausgeleierte Drei-Stunden-Show wenigstens einen Hauch Attraktivität bekommt, darf – Überraschung! ‑ eine extra gecastete Tanzgruppe als vernebelter Schattenriss zappelnd Disco-Action vorführen. Und ein Jazztrio tief im tragisch-düstern Dämmer die fehlenden Gefühlsnummern liefern.

 

(wieder 30. März; 6., 18., 28. April)

 

***

2. Deutsche Oper: - 50 Jahre Gefühlskraftwerk „Tosca“

"Tosca" © Bettina Stöß

Am 13. April anno 1969 umjubelte das Publikum die mit Stars vollgestopfte „Tosca“-Neueinstudierung des West-Berliner Schauspielregie-Altmeisters Boleslaw Barlog. Ein in jeder Hinsicht klassisches Opernfest: Starkes Liebesdrama, Psychothriller, politisch grundiert, Hochleistungsgesang der Stars, musikalisches Beben, Ausstattungsprunk, zwei Pausen fürs Defilee des Publikums. Mal alle ästhetisch kontaminierten Verkopftheiten beiseitegelassen, ein solcher Abend der Hochkultur lässt keinen kalt, der noch frei weg erleben kann. Die kunstvolle Wucht komplexen Einfühlungstheaters! Stichwort: Gefühlskraftwerk. Bleibt die Frage: Liegt das am Autor oder am Regisseur?

 

Die PR-Abteilung der Deutschen Oper, die bislang mit ziemlich kryptischen, elend grauen Riesenplakaten zaghaft im Massenverkehrsmittel U-Bahn für ihr ansonsten bewundernswert farbiges Institut wirbt (das soll jetzt anders werden mit dem genialen Grafiker Christoph Niemann, der mit seinen Collagen Abstraktes und Reales witzig in eins bringt), also die DOB-Werbung sagt es trefflich so: „In ‚Tosca‘ ist der musikalische Gestus ebenso brutal wie zärtlich, intelligent wie sentimental, präzise wie träumerisch. Puccini möchte unbedingt Lebenswahrheit, Genauigkeit auch des musikalische Details, soziale Aufmerksamkeit, den poetischen Klang des scheinbar Alltäglichen, das Heroische mit Kalkül, den Kontrast zwischen engagierter Leidenschaft und kühler Distanz.“

 

Diese von gegenwärtig modischen Überschreibungen oder Übermalungen, also von V-Effekten völlig frei und für jedermann und jederfrau verständlich erzählte Story ist seit einem halben Jahrhundert im Spielplan von Berlins größtem und immer (mal) wieder auch leistungsstärkstem Opernhaus. Wow!

 

Vielleicht auch durch Zufall. Oder weil der Kartenverkauf ungebrochen stark, denn davon abgesehen: „Tosca“ geht immer. In den 1980er Jahren hat der damalige ruhmreiche und obendrein vernünftige DOB-Intendant Götz Friedrich (meine unerschütterliche Verehrung!) diese so lebenswahre wie poetische Barlog-Inszenierung vorsichtig aufgefrischt, ohne sie irgendwie eitel „zeitgenössisch“ aufzumöbeln. Jetzt, just am 13. April, ist sie als immerhin einziges noch in Berlin zu bestaunendes Barlog-Original zu inspizieren.

 

An der benachbarten Staatsoper Unter den Linden gibt es mit Rossinis „Barbier von Sevilla“ Analoges: Eine minimalistische Ruth-Berghaus-Produktion aus dem Jahr 1968; noch immer hinreißend flatternd lebendig (die luftige Bühne: Achim Freyer). Unglaublich!

 

Schön, solche theaterhistorische Preziosen. In Mannheim läuft – mittlerweile als sensationelles Unikum ‑ ein „Parsifal“ à la Neubayreuth von 1957, erhaben anzuschauen mit exquisiter Lichtregie, aber erstaunlicherweise kaum ergreifend. Neubayreuth mittlerweile uralt? Stimmt! Die Reduktion in die totale Abstraktion ist längst allerorten womöglich schon wieder überholte Praxis.

 

Freilich, Modernisten oder Avantgardisten sind schnell dabei mit ihrem Schimpf, der „Tosca“-Thriller pur, also „unreflektiert“, sei ein bloß wohlfeiler Wurf mit Speck nach einem auf Kulinarik und hübsch Trallala süchtiges Publikum. Traditionalisten oder Normalo-Opernfreunde hingegen sind begeistert. Die der Oper eher fernstehende Jugend kann ohnehin mit Verfremdungen eher wenig anfangen, sie steht auf knallhart erzählte Stories. ‑ Sagen wir salomonisch so: Ein großes, ein Weltstadt-Opernhaus sollte sein bestes geben für alle Fraktionen im Saal. Also Vielfalt der Regie-Handschriften!

 

Möge ein jeder sich seinen Reim machen auf Regisseur Boleslaw Barlogs und Bühnenbildner Filippo Sanjusts streng realistische, opulent prunkende, nach gängig heutiger Sicht mithin steinzeitliche „Tosca“ und was ihr womöglich fehlt und was nicht im Blick aufs Jetzt. Eine einzigartige Möglichkeit zum Vergleich.

 

(Jubiläumsvorstellung 13. April, Wiederholung 20. April)

3. Theatergeschichte: - Ganz & Stein / Schaubühnenklassiker im Film. Und Jens Harzer als neuer Herr des Rings.

Bruno Ganz und Jens Harzer © Loui der Colli (Ganz); Armin Smailovic (Harzer)
Bruno Ganz und Jens Harzer © Loui der Colli (Ganz); Armin Smailovic (Harzer)

Zur Erinnerung an den kürzlich verstorbenen Schauspieler Bruno Ganz, der von 1970 bis 1996 als Ensemblemitglied oder Gast der Schaubühne verbunden war, werden auf großer Leinwand im Schaubühnen-Studio Verfilmungen von Peter-Stein-Inszenierungen gezeigt (Eintritt: 5 Euro).

 

Bruno Ganz war einer der prägendsten Protagonisten des Hauses und zugleich Träger einer der höchsten Auszeichnungen der Theaterwelt, des Iffland-Rings, benannt nach dem Schauspieler August Wilhelm Iffland (1759-1814), der erste Franz Moor in der Uraufführung von Schillers „Räubern“, Mannheim 1782. Der erste Ring-Träger war Ludwig Devrient, er starb 1832. Ganz erhielt den Ring 1996 vom Wiener Burg-Schauspieler Josef Meinrad. Die Satzung verlangt, dass der Träger seinen „Nachfolger“ als „bedeutendsten und würdigsten Bühnenkünstler der Gegenwart“ jeweils testamentarisch bestimmt. Bruno Ganz verfügte: Jens Harzer; was soeben vom Österreichischen Kultusminister Gernot Blümel verkündet wurde.

 

Harzer, 1972 in Wiesbaden geboren, ist seit 2009 Mitglied des Hamburger Thalia-Theaters. Am vergangenen Wochenende erst war er in Berlin zu sehen beim Gastspiel des Peter-Handke-Stücks „Immer noch Sturm“ in der Volksbühne (Regie: Dimiter Gotscheff). – Jens Harzer: „Ich nehme diese Geste des Weiterreichens voller Dank an. Aber ich kann und möchte heute nichts anderes tun, als an Bruno Ganz denkend auf die Bühne gehen und Theater spielen.“

 

Der (zu hinterfragenden) Tradition nach soll der in einer rotsamtenen Kapsel aufbewahrte Ring stets an einen männlichen deutschsprachigen Schauspieler gehen. Die Preziose (Eisen, Halbedelstein mit Iffland-Profil, 28 Diamantsplitter) ist seit den 1950er Jahren „zweckgebundenes Eigentum“ der Republik Österreich.

 

 

Die Schaubühnen-Film-Retrospektive macht noch einmal bewegend anschaulich, was damals, erst am Halleschen Ufer, dann am Lehniner Platz, geleistet wurde. Es zählt bei vielen heutzutage womöglich als „old school“, was mitunter sogar verächtlich gemeint ist. Nämlich die tiefe Durchdringung des Textes, psychologische Einfühlungskunst, die Konzentration aufs präzise Erzählen ‑ so etwa. Der Vergleich mit diversen gegenwärtigen Berliner Schauspielproduktionen oder mit den Theatertreffen-Einladungen ist aufschlussreich, stimmt nachdenklich. – Hier die drei Termine:

 

31. März, 14-16.30 Uhr: Kleist „Prinz Friedrich von Homburg“ (Premiere: 4.11.1972)

19. April, 15-21.45 Uhr in zwei Teilen: Ibsen „Peer Gynt“ (Premiere: 14./15. 5. 1971)

22. April, 14-17 Uhr: Botho Strauß „Der Park“ (Premiere: 4.11.1984)

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