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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 280

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

7. Januar 2019

HEUTE: 1. „Macbeth“ – Berliner Ensemble / 2. Kulturvolk-TV-Theatertalk. 50. Sendung / 3. Gedenken an Einar Schleef zum 75. Geburtstag. Schleef-Tage im HAU 1+2 / 4. Einsteins Gruß zum Neuen Jahr

1. Berliner Ensemble: - Monument der Trostlosigkeit

v.l. Constanze Becker, Sascha Nathan © Matthias Horn
v.l. Constanze Becker, Sascha Nathan © Matthias Horn

Das ganze Theater ein gespenstisch verräuchertes Dämmerloch, die Bühne das schwarze Nichts voll von wabernden Nebelschwaden. Es ist das Gehäuse für „Macbeth“, der Raum, mit dem eine durch Hybris und Angst vergiftete, (selbst)mörderische Menschenwelt delirierend zugrunde geht. Bei William Shakespeare winden sich die Figuren noch um ihre übel zerzausten oder krankhaft zerrissenen Seelen; bleibt es bei der Tragödie, bei „einem Märchen, erzählt von einem Dummkopf voller Klang und Wut“. Heiner Müller aber malt in seiner Übersetzung (1971) die Mär noch viel kräftiger aus mit gleißend schwarzem Pessimismus, dass da selbst die schäumenden Ströme von Blut wie Teer kleben.

 

In der Inszenierung von Michael Thalheimer schäumt und zaust nichts mehr; allein der unendliche Nebel wallt aus dem Nichts ins Nichts. Das Grauen einer gefallenen Menschheit erscheint als gegeben. „Der Mensch ein Dreck, sein Leben ein Gelächter.“ So treten denn die Menschenfiguren auf und ab wie vergipst von Hybris und Angst, stehen wie starre Skulpturen an der Rampe und schleudern ihre entsetzlich hellsichtigen, lebensvernichtenden, ausweglosen Texte wie scharfe Speere ins All. „Die gingen los, geladen / Wie zwei Kanonen mit doppeltem Gepäck / Und räumen auf mit Feind und Feind vierhändig / Also ob sie baden wolln in den Wundlöchern / Und spielen mit den Knochen Golgatha…“ Wir hören, staunen, frieren. Mitunter müssen wir insgeheim lachen über eine derart finstere Wortmacht – das Haha im Horror.

 

Wie zuletzt schon bei Thalheimers „Pentesilea“, „Antigone“, „Medea“ ist das Szenische extrem minimalisiert, knapp skizziert oder völlig aufgehoben. Die Theaterkunst liegt ganz im unerhörten, überwältigenden Wort. Die Inszenierung wie ein wuchtiges Wortkonzert. Diese Art Theater, nahezu entleert vom Sozialen wie Psychologischen, hat in seiner gewissermaßen eindimensional geballten Wirkung eine unglaubliche Bannkraft. Eine Unerbittlichkeit, Ausweglosigkeit und Gnadenlosigkeit. Gott ist hier endgültig tot. Das Tor zur Erlösung endgültig zugeschlagen und fest vernagelt. Das ist unheimlich groß. Sogar schön. Und unendlich traurig. Doch so ist unsere Welt. Oder?

 

Freilich, die Titelfigur kommt auch in dieser Sicht nicht völlig ohne Schillern und Krampfen aus: Sascha Nathan, hier kein kerlig kaputter Held (und Constanze Becker als Lady keine Megäre, sondern eher ein schon abgewirtschaftetes Weibchen). Nathan als Macbeth ist vielmehr – drastisch komisch (eine Shakespearsche Nuance) – ein dicklicher Mops, dessen Antriebsmotor Geilheit bereits erstaunlich weniger in Richtung Sex und Krone als in Richtung Tod und Allesvernichtung läuft. Eine faszinierende Studie in Sachen Untergang. Und dann die immer wieder wundersam wirkungsstarke Kathrin Wehlisch in mehreren Rollen, die zu Hauptrollen werden. Sonderlich am Schluss, stumm und zerbrechlich mit Tränen im Augapfel an der Rampe stehend als Zukunftsfigur Malcom, da wirkt sie selbst in dieser Endspielgruft geradezu betörend. Aber eben zukunftslos. Denn es gibt keine Zukunft, nirgends. Dieser Müller-Thalheimer-„Macbeth“ hat weder Hölle noch Himmel. Er zeigt Vernichtung der Menschen allein durch übermächtige Triebe der Menschen.

 

(„Macbeth“ wieder am 7., 12., 13., 30. Januar; „Penthesilea“ am 2., 3. März; „Medea“ am 29. Januar)

 

Bei dieser Gelegenheit: Im Berliner Ensemble geben diverse VIPs dem Hausgott Müller am 9. Januar im Rangfoyer ab 20 Uhr bei freiem Eintritt eine Geburtstagsfeier; Motto „Das Liebesleben der Hyänen“.

 

„Theater ist kontrollierter Wahnsinn.“ Heiner Müller – unser Gruß zum 90. Geburtstag.

2. TV-Rederei über Theater

Ulrich Khuon, Intendant des Deutschen Theaters Berlin © Klaus Dyba Photography
Ulrich Khuon, Intendant des Deutschen Theaters Berlin © Klaus Dyba Photography

Heute, Montagabend, 20.15 Uhr, die 50. Sendung „Montagskultur unterwegs“ aus dem Studio in der Friedrichshainer Rudolfstraße 1-8 (nahe S- und U-Bahnhof Warschauer Straße). Mit Alice Ströver sowie den Kritikern Arno Lücker und Reinhard Wengierek. Der besondere Gast ist diesmal Ulrich Khuon, Intendant des Deutschen Theaters. Bei seinem ersten Auftritt in Berlin im Renaissance-Theater im Januar 2008 als designierter DT-Chef fielen bezüglich der Funktion eines Theaters die Begriffe „Unterminierungsmaschine“, „Irritationsapparat“, „Verkomplizierungsgerät“; und er sprach vom Theater als „Träger von Passionswissen“, von Theaterleuten als „soziale Emotionshändler“. ‑ Kritisch betrachtet werden die Premieren „Salome“ nach Oskar Wilde (Gorki Theater), „Les Contes d’Hoffmann“ von Jacques Offenbach (Deutsche Oper) und „Staatssicherheiten“ von Leander Haußmann (Volksbühne). Später ist die Sendung auch im Netz auf YouTube „nachzusehen“.

3. Schwerstarbeit am Ich. - Gedenken an Einar Schleef zum 75. Geburtstag

Einar Schleef ©  Akademie der Künste, Berlin, Einar-Schleef-Archiv, Nr. 599_22 © VG Bild-Kunst, Bonn 2018
Einar Schleef © Akademie der Künste, Berlin, Einar-Schleef-Archiv, Nr. 599_22 © VG Bild-Kunst, Bonn 2018

3.1. „Könnte kotzen, immerzu kotzen; alles Arschkriecher!“ Die Memoiren des Dichters, Malers, Theatermanns

Das Leben eine einzige Bedrängnis. Immerzu auf der Flucht, dies eine lebenslange Therapiemaßnahme. Verblutend passe ich nirgends dazu. Freunde, eine Illusion. Nur Menschenumrandung. Keinem trauen. Für mich war von Anfang an klar, hatten die anderen die Ungeheuer in sich, die ich niederdrücken musste, waren sie arm dran… ‑ In diesem Ton geht es gedruckt 2300 Seiten lang in fünf großformatigen Bänden. Es ist das komplette Tagebuch der Jahre 1953 bis 2001 von Einar Schleef, das er seit seinem neunten Lebensjahr bis zum frühen Tod mit 57 Jahren anno 2001 führte. Es ist, neben „Gertrud“, dem Roman über das Leben seiner Mutter, sowie „Droge Faust Parsifal“, dem Manifest seiner Theaterästhetik, das dritte, gleichwohl gewaltigste Hauptwerk dieses großen Einzelgängers des deutschen Theaters und der deutschen Literatur.

 

Früh schon deuchte Schleef, dass er als Erwählter gegen eine notorisch bösartige Welt sowie gegen zeitig einsetzende Heimsuchungen der Natur (lebensbedrohliche Krankheiten) einen missionarischen Schmerzensweg zu gehen habe. Seit den ersten Anzeichen von Stimmbruch bis zum letalen Elend im Krankenhausbett dröhnt durch die monumental aufgehäuften Wortgebirge ein Generalbass: Hier wuchert Überlebensgröße.

 

Schleefs rasendes Lebensgefühl aus Erstauntheit über die eigene Großartigkeit und zugleich Wut über eigene Unvollkommenheit sowie die seiner Umwelt und der Welt überhaupt machen diese Daseins- und Gesellschafts-Chronik im erst geteilten (Schleef verlässt 1976 die DDR), später wiedervereinten Deutschland zwischen 1953 und 2001 zur aufregenden, zuweilen erschauernden und erschreckenden, philosophisch und psychologisch tief und weit schweifenden, zuweilen aber auch amüsanten Lektüre: Kollegenklatsch, Nähkästchenwühlerei.

 

Da protokolliert einer unkontrolliert manisch die Unerträglichkeit seines Daseins („Erinnern ist Arbeit“). Viele Protokolle werden wiederum, teils Jahrzehnte später, ergänzt oder kommentiert („Erinnerung ist eine eiternde Wunde“). Das macht das einerseits wuchtige Werk anderseits so ausufernd. Der befreundete Lektor warnte: „Zuviel Nebel, das verschwimmt.“ Verständlich, dass der Suhrkamp Verlag sich zunächst sperrte gegen das Veröffentlichen; umso bewundernswerter ist, dass er es dennoch tat mit diesem für unsere Zeit immerhin einzigartigen Schicksals-Monolog, diesem Buch erregten Leidens.

 

Denn für diesen Mann gab es ohne Schreiberei, ohne den unausgesetzten Dialog mit sich selbst, ohne Fixierung seiner unentwegt sintflutartigen Denkströme auf Papier oder Diskette kein Überleben. Und wenn selbst das Tippen nicht half (beständig schwärmte er vom Aufschlag seiner Finger auf die Tastatur – „die Tasten lieben meine Kuppen“), dann sprang der stämmige Kerl ins Wasser. Genüsslich berichtet wird vom befreienden, zuweilen täglichen Schwimmen in der Donau in Wien, in den Seen von Berlin oder Brandenburg selbst bei Schlechtwetter und Kälte.

 

Dann wieder wird Tacheles geredet, dann zwanghaft Selbstmystifizierung betrieben. Wir erleben einen exhibitionistischen, zugleich verklemmten Extremisten der Selbstzerfleischung und Selbststilisierung, einen Bastard aus kindlichem Märtyrer und terroristischem Monster-Macho. Wir haben hautnah teil an den Häutungen und Verpuppungen eines genialischen Menschen und seinen anhaltend schweren Kollisionen mit den banalen Niederungen der Alltäglichkeit im Kunst- und Lebensbetrieb. Wobei diesem so berserker- wie guruhaften und vor allem brutal kompromisslosen Extremisten der Wahrhaftigkeitssuche die heilige Kunst stets wichtiger war als das Leben, auch das eigene. „Es gibt kein Leben außer meiner Produkte.“

 

Schleef ekelte alles Falsche und Verlogene an („könnte kotzen, immerzu kotzen“). Das erhöhte ihn, machte ihn aber auch, neben all seinem quälerischen Zweifel, selbstgerecht und unfair. Ja, Schleef war auch ein Kotzbrocken, der alle Welt und auch die, die ihn mochten, die sich für ihn verwendeten und verschwendeten (Frauen, Kollegen, Intendanten), gnadenlos vor den Kopf stieß („alles Arschkriecher“).

 

Originell war Schleefs Theatermodell: „Die Theaterkantine ist im Keller, die Schauspieler sitzen im Keller der menschlichen Empfindungen. Die Garderoben sind oben. Zwischen dort und dem Keller ist die Bühne. Die Garderobe ist der Traum, wie man sein will, dann beginnt der Absturz. Über die Treppen zum Inspizienten, der einweist. Die Schauspieler wechseln oft die Schuhe, sie sind ihr Grund, und der muss standhaft sein. Der Autor ist ihr Schuhmacher. Oft hängt er der Mode nach, manchmal läuft er ihr auch voran. Der Regisseur ist der Schuhputzer; die richtige Creme für den richtigen Glanz. Die Qualität des Theaters kann man daran messen, wie das, was auf der Straße passiert, wie das in eine andere Sprache gebracht wird.“

 

 

3.2. Gedenktage im HAU

HAU 1 und HAU 2 veranstalten gedanklich und personell aufwändige Schleef-Gedenktage. „Tarzan rettet Berlin“ ist ein Chorprojekt nach den Schleef-Tagebüchern. Unter dem Motto „Erinnern ist Arbeit“ läuft der Porträtfilm von 1993 „Im freien Fall nach oben“ von Wilma Kottusch; im Anschluss gibt es eine große Lesung plus persönliche, künstlerisch gestaltete Kommentierung von Schleef-Texten mit Benny Claessens, Mira Partecke, Etel Adnan, Jan Prokof, Fabian Hinrichs, Luise Meier, Masha Orella, Tatjana Turansky. Danach Disko mit DJ Tinko Rohst (Oye Records).

 

(„Tarzan“ im HAU 1 am 10. Januar, 18 Uhr (Premiere), dann am 11., 14., 15 Januar, 19 Uhr. Film+Lesung+künstlerische Kommentare+Disco am 12. Januar im HAU 2 ab 18 Uhr, zuerst Film, ab 19 Uhr Lesung/Performances, nach 22 Uhr Disco)

 

4. Tipp fürs Neue Jahr

Neujahrspostkarte um 1900
Neujahrspostkarte um 1900

„Wenn‘s alte Jahr erfolgreich war, dann freue dich aufs neue. Und war es schlecht, ja dann erst recht.“ ‑ Albert Einstein

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