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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 274

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

12. November 2018

HEUTE: 1. „Lenya Story“ – Renaissance Theater / 2. „Das Hexenlied. Ein Balladenabend mit Bernd Stempel“ – Foyer-Bar des Deutschen Theaters / 3. „Jöttlich!“ – Figurentheater Ute Kahmann

1. Renaissance Theater: - „Nimm doch die Pfeife aus dem Maul, du Hund…“

 © Moritz Schell
© Moritz Schell

„Lenya agiert mit hinreißender Bosheit; sie ist das albtraumhafte Gegenteil all dessen, was man sich unter tröstlich, feminin, mitmenschlich, beschützend vorstellt“, schrieb Newsweek 1964 über die KGB-Agentin Rosa Klebb, die Lotte Lenya ‑ da war sie weit über sechzig ‑ in dem James-Bond-Thriller „Liebesgrüße aus Moskau“ spielte. Freilich, so wie Rosa war Lotte privat nicht. Zwar keine Schönheit trotz roter Haare, aber magisch auf Männer wirkend: das Herbe, Radikale, auch unverschämt Machtbewusste, gepaart mit Grips, Eloquenz, Sexappeal bis hin zur Lasterhaftigkeit. Das zog die Kerle an. Sonderlich solche, die mit Kunst zu tun hatten. Das wiederum hatte, nicht ganz nebenbei, mit Lottes sagenhafter Stimme zu tun. Die produzierte keinen Schöngesang, sondern scharf unter die Haut gehende Ausdruckskraft – womit sie haargenau den Nerv ihrer Zeit traf.

 

Der sagenhafte Aufstieg einer Autodidaktin, aus ärmlichen Wiener Verhältnissen stammend und ausgebüxt ins Prominenten-Stadel erst von Zürich, dann von der Reichshauptstadt, die Weltkarriere der Lotte Lenya begann dort – Tja! ‑ vor allem mit dem richtigen Mann an der Seite. Mit Kurt Weill aus Dessau; dicklich, Brille, Glatze, zwei Jahre jünger, Schüler von Humperdinck. In Weills Songspiel „Mahagonny“ von 1927 fiel Lenya erstmals schwergewichtig in die Feuilleton-Schlagzeilen. Derweil Kurt, der  – obgleich aus Humperdincks konservativ-spätromantischer Werkstatt kommend – sich als Avantgardist verstand und entsprechend neue Wege zum Publikum suchte: Indem er das probat Massenwirksame (das berauschend und süß Klingende) mit dem Avancierten (dem Schmissigen, Jazzigen, ironisch Aufreizenden) in eins zu zwingen trachtete. So stehen beide, die Fa. Lotte & Kurt, an der Schwelle zum Ruhm.

 

Ein Jahr später dann der absolute Glücksknaller: Für Lottchen die Rolle der Hure Jenny in der „Dreigroschenoper“ (1928 Brecht/Weill) – eine Explosion. Schließlich ein Monument der Theatergeschichte; doch da hassten Lotte und Kurt ihren Kollegen Brecht bereits als sturen Linksideologen und durchtriebenen Tantiemen-Räuber.

 

„Surabaya-Johnny“ – man hört ihr zu wie Caruso“, schwärmt Weill. 1935 ist Schluss mit Derartigem in Germanien. Also raus aus Deutschland. Emigration mit „Weillchen“ in die USA. Dann Scheidung, andere Promis im Lotte-r-Bett und Spielcasino. Dann Wiederheirat mit W. Nach dessen Tod 1950 noch zwei weitere skandalumwölkte Ehen. 1966, inzwischen eingebürgert, gelang Lotte unter Harold Price in „Cabaret“ als Fräulein Schneider nochmals ein Sensationserfolg – eine der Bond-Oma Rosa Klebb völlig entgegengesetzte Rolle. Mutiges Casting. Kurz vor ihrem Tod 1981 in New York wurde Lenya, eine geradezu militante Pflegerin des Weillschen Werks, zusammen mit Tennessee Williams und Elmer Rice in die „Theatre Hall of Fame“ aufgenommen.

 

Das romaneske Leben dieser Ikone der klassischen Moderne (am 18. Oktober gedachten wir ihres 120. Geburtstags) wird jetzt in einer Lotte-Lenya-Hitparade nachgezeichnet und gesungen. Eine Koproduktion zwischen dem Renaissance Theater und dem Theater in der Josefstadt Wien mit dem Titel „Lenya Story“. Mit der wunderbaren, rotzigen oder auch verschlagen süß säuselnden, gebürtigen Wienerin Sona MacDonald.

 

An ihrer Seite der Berliner Schlacks, mithin der überhaupt nicht dickliche Tonio Arango als Weill sowie ‑ im Schnelldurchgang ‑ als die ihm folgenden, eher flauen Ehemänner: Ein bemerkenswert wandlungsfähiges Spieltalent mit deutlich Bums in der Kehle.

 

Torsten Fischer und Herbert Schäfer haben gemeinsam diverse biografische Stationen mit ihren Verzweiflungsmomenten und tragischen Punkten, aber auch ihrem Glanz und Gloria in pointierte Spielszenen gegossen, die dann Fischer, ein im einschlägigen Show-Betrieb erfahrener Regisseur, geschickt mit Lenya-Weill-Evergreens verknüpft (musikalische Arrangements Christian Frank) und dabei erstaunlicherweise immer wieder suggestiv blendende, doch auch berührend innige Sinnbilder erfindet.

 

Was für ein Lebenslauf, was für ein Weib (die lebensgierige, zynische Lotte)! Und was für ein Kerl (der romantische Ironiker Kurt)! Was für Kreativität, Courage, Schmerz und wilde, wüste, trotzige Daseinslust. Was für eine berührende Hommage auf beide. Man muss sie lieben!! – Applaus für die Künstler, die sich mutig, eigensinnig aber auch respektvoll diesen beiden Großen anverwandelten. Um uns mit sympathisch künstlerischer Selbstbehauptung und ohne als billige, platte Kopie anzutreten eine beeindruckende Ahnung zu schenken von den unvergleichlichen Originalen.

(wieder 21. bis 25. November)

2. Deutsches Theater-Foyer: - Strangeness und Spookyness

links: Bernd Stempel als Schriftsteller Jakow Schalimow in
links: Bernd Stempel als Schriftsteller Jakow Schalimow in "Sommergäste" © Arno Declair

Sein Platz ist in der zweiten Reihe. Das schon immer, seit vier Jahrzenten schon. Solange nämlich steht Bernd Stempel auf der Bühne im Mittelfeld. Das sei völlig in Ordnung: „Aus der zweiten Reihe sieht man mehr, ohne die zweite Reihe gibt es keine erste. Die erste Reihe sollte nur begreifen, dass es ohne uns in der zweiten nicht geht.“ Dann zitiert er ganz einfach Schiller: „Als dienendes Glied schließ an ein Ganzes Dich an.“

 

Mit Schiller gibt Stempel das Stichwort für einen „Balladenabend“. Mit dem wird er unter dem Motto „Das Hexenlied“ (so der Titel einer Dichtung Ernst von Wildenbruchs) sein Bühnenjubiläum feiern und zugleich – ein bisschen vorfristig – seine 30 Jahre Mitgliedschaft im DT-Ensemble. Intendant Dieter Mann hatte ihn 1989 engagiert, da war Stempel Mitte dreißig, hatte sein Studium an der „Busch“-Hochschule und die Anfängerjahre an Peter Sodanns Neuem Theater Halle hinter sich.

 

Also Friedrich Schiller und diverse Kollegen Dichter aus vier Jahrhunderten. Ein Querbeet sozusagen; eine Blütenlese nebst Kommentaren eigener Art aufs Alt- oder Unbekannte aus dem wuchernden Garten der Poeten. Mit Noten ‑ Stempel singt er gelegentlich zur Gitarre, Ukulele, Harmonika.

 

Wie vielversprechend das Ereignis, dieses großartige, so besondere Talent Bernd Stempel endlich solo! „Unverwechselbar; etwas ganz und gar Eigenes mit einer Aura von Strangeness und Spookyness“ schwärmt Kollege Ulrich Matthes von dem Zwei-Meter-Mann, den man im DT gegenwärtig in ganz unterschiedlichen Rollen bewundern kann: Total untuntig im Kleid als Madame in Genets „Zofen“ oder als cooler King mit Sonnenbrille in „Phädra“ von Racine oder als schwer vom Leid geprüfter Militärarzt in Turgenjews „Väter und Söhne“. In Eugen Ruges Generationen übergreifender Geschichte einer DDR-Funktionärsfamilie (Stempel selbst entstammt einer solchen) „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ spielt er ein ganzes Leben durch vom erst euphorischen dann bitter enttäuschten Genossen. Auch eine Schmerzenserzählung. Regisseur Stephan Kimmig über Stempel: „Er ist ein Nachbohrer, Forscher, Suchender; er mag keine Schlüsse, keine Fertigkeiten.“

 

Dazu passt, was er vor zwei Jahren schon Barbara Burckhardt, Redakteurin vom Fachmagazin Theater heute, in den Notizblock diktierte. Es ist aktueller denn je: „Die Regisseure verlernen es, Schauspieler zu inszenieren. Sie bauen Atmosphären, aber sie können nicht mehr zwei Schauspieler zueinander in Beziehung setzen. Das Theater wird zu einer Addition von Einzelvirtuosen in festen Definitionen: Der kann das, der kann das, der kann das. Aber Konflikte zu entwickeln, die mehrere Menschen betreffen, das wird gerade verlernt… Heute wird das Selbstbewusstsein geschult und das Handwerk vergessen. Die Anmaßung ist ziemlich groß, die Konkurrenz regiert.“ – Auch und gerade deshalb Stempels Schiller-Zitat vom Dienen dem Ganzen.

(am 22. November, 21 Uhr, DT-Foyer-Bar)

3. Kahmanns Figurentheater - „In Neues verwandelte Wesen will ich besingen…“

"Jöttlich!" von Ute Kahmann © Luisa Marie Kahmann

Mit dem großen Chaos ist es inzwischen vorbei, denn ein großer Gott hat daraus mit lässiger Anstrengung längst die Erde geformt. Und die ist in „Ute Kahmanns Figurentheater“ eine Art Nähkörbchen. So eins wie in Uromas Zeiten, aber mit besonders großer Öffnung, um beschädigungsfrei eine Abordnung des sagenhaften Personals heraus zu angeln, das schwer beschäftigt ist mit der Schöpfung, wie sie der römische Poet Ovid im ersten Buch seiner „Metamorphosen“ erdichtet hat. Wie Landmassen, Meere und der Himmel entstehen, die Luft, Blitz und Donner und schließlich der absolute göttliche Geniestreich: die Menschen – das erzählt kurzweilig knapp gefasst und mit lakonischen Pointen gewürzt Ute Kahmann in ihrer frappierend aus dem Nähkästchen geborenen Show mit den skurrilen Kurzauftritten der so unterschiedlichen, entsprechend unterschiedlich auch im Material gefertigten Schöpfungsarbeiter.

 

Ute Kahmanns Gag dabei: In ihren (zusammen mit Regisseur Holger Brüns) verfassten Texten wird zwischen Hochdeutsch und Berlinisch gewechselt. Weshalb denn auch auf dem Ticket ihres kecken, gut einstündigen Flugs über die immerhin 15 Bücher von Ovids monumentaler Mythen-Dichtung „Jöttlich!“ steht.

 

Bruhns und Kahmann (sie feierte soeben mit dieser Produktion in der Berliner Schaubude ihr 30-jähriges Bühnenjubiläum) pickten sich also aus den im ersten Jahrzehnt nach Christi Geburt entstandenen 12.000 Hexametern, die 250 antike Sagen poetisieren, das heraus, was sie sonderlich inspirierte zu – mundartlich oder nicht ‑ gewitzten Kommentaren. Aber auch: Was die Erfindungskraft der ironisch im Kleinformat formenden Figurengestalter Maarit Kreuzinger und Stephan Rätsch besonders befeuerte.

 

Was wir da auf Kahmanns simplem Tischtheater mit den von ihr unter der Tischplatte hervorgeholten und belebten Figuren und Figürchen erleben (ein Operngucker wäre hilfreich), sind abenteuerliche Geschichten von Menschen; wobei sich auffallend viel um Sex und Crime dreht, um Verrat und Treue, Freundschaft, Feindschaft, tödlicher Rache und Liebe bis in den Tod. Aber über allem schwebt das Wissen von der Vergänglichkeit halbjöttlichen oder gar jöttlichen Daseins und die Einbettung in Transzendenz: Ein Höchster Richter straft Verfehlungen oder schützt Bedrohte: durch Metamorphose – göttliche Verwandlung. Ovid: „In Neues verwandelte Wesen will ich besingen…“

 

Es ist eine amüsante, zugleich zart zauberische Stunde, in der uns Ute Kahmanns komödiantisches, zuweilen freches, auch groteskes oder aber herzberührendes minimalistisches Mythentheater teilhaben lässt am ewig menschheitlichen Walten in Schrecken oder Herrlichkeit: So toben und turteln denn über das winzige Rund ihres Ausziehtischs Perseus, Andromeda, Hercules, Medusa, Poseidon, Venus, Echo, Daphne, Kronos, Aphrodite, Hera, Zeus und wie sie alle heißen. Von Adonis blieben zum Schluss nur ein paar Röschen auf der Tischplatte, und von Narcissus Papierblumen: „…da war nirgends ein Leib. Für den Leib ist sichtbar ein Blümlein. Safrangelb, um die Mitte besetzt mit schneeigen Blättern…“

(wieder 16. November, 20 Uhr im Figurentheater Grashüpfer am Treptower Park, Puschkinallee 16 A)

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