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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 259

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

28. Mai 2018

HEUTE: 1. „Gefalle, du Schöne“ – Theater unterm Dach / 2. „Krieg“ – Berliner Ensemble / 3. Open-Air mit Netrebko & Domingo – Staatsoper für alle auf dem Bebelplatz

1. Theater unterm Dach: - Wenn Frauen reden

 © Jan Lehmann
© Jan Lehmann

Anno 1977 kam in der DDR ein Büchlein heraus, das sofort Furore machte: „Guten Morgen, du Schöne“ von Maxie Wander (1933-1977). Es war ein im Osten bis dato eher ungewöhnliches Werk, das auf Befragungen, Interviews, also auf protokolliert Authentischem beruhte; nämlich auf Aussagen einer Reihe von Frauen unterschiedlichen Alters, die wiederum in ganz unterschiedlichen Milieus lebten. Der Grundtenor war die kritische Selbstbefragung der Frauen nach ihrem gesellschaftlichen Status, nach ihrer Bewährung im Alltag (Beruf, Mutterschaft, Erziehung, Haushalt, Sexualität, Verhältnis zu Männern). Die Texte reflektierten die graduellen Unterschiede der Emanzipation, deren Förderung, deren Hemmnisse. Es ging um die Frage, was Frausein jenseits der Klischees eigentlich ausmache. Um die Widersprüche zwischen gesellschaftlich verordneten Frauenbildern und dem, wie – modern, mutig, selbstbewusst, angepasst, rückwärtsgewandt – die Frauen sich wirklich sahen. Wünsche, Hoffnungen, Sehnsüchte, Ängste, Frust und Lust in einer Zusammenschau, die gewaltige Löcher schlug in die glatt betonierte Fassade einer streng formierten Gesellschaft mit ihrem ideal geformten Wunschbild einer „sozialistischen Frauenpersönlichkeit“. Das gab Ärger mit der Obrigkeit, doch letztlich durfte Maxie Wanders Wirklichkeitserforschung veröffentlich werden. Sofort stürzten sich auch zahlreiche Theater und sogar das Fernsehen in Adlershof auf das Buch, die Dramaturgen extrahierten „Frauenmonologe“ – ein tolles Futter für viele Schauspielerinnen. Erst recht, wenn man sich mutig auf die sonderlich kritischen Passagen konzentrierte, die besonders am Lack des rot und schön gefärbten offiziellen Frauenbildes kratzten oder besonders eindringlich die drastischsten Nöte der Frauen mit sich und der Welt schilderten (und prompt verhinderte die Staatspartei die Ausstrahlung von drei Folgen der Serie „Frauenmonologe“ im Ost-TV).

 

Der Druck von oben ist jetzt weg, doch alle übrigen Schwierigkeiten mit dem Frausein sind prinzipiell sehr wohl geblieben. Anlass genug für die erfahrene Regisseurin Amina Gusner, das Maxie-Wander-Prizip heutzutage, vier Jahrzehnte später, durchzuspielen unter neuem, die Akzente deutlich verschiebenden Titel „Gefalle, du Schöne“ – gemeint ist Ambivalentes: ein zuerst sich selbst gefallen, dann aber wohl gleichfalls noch dem/der/den anderen. Jetzt trug Gusner, anders als einst die Wander, eine Zitaten-Collage internationaler Autorinnen der selbstverständlich auch unterschiedlichsten Art zusammen (u.a. Sylvia Plath, Sibylle Berg, Unica Zürn, Laurie Penny, Virginia Woolf, Ingrid Lausund, Meta Hartwig oder Elfriede Jelinek).

 

Freilich, eine Recherche in deutschen Landen (oder Auswertung journalistischer Quellen) wäre wohl zu aufwändig gewesen, also stützte sich Amina Gusner auf vorhandene einschlägige Texte namhafter Autorinnen (bei Wander: Unbekannte aus der Bevölkerung), schnitt pointenstarke Passagen heraus und mischte mit großem Geschick. Da gibt’s allerhand zu hören; da fliegen uns Klischees, Wahn und Wut, Demütigungen und Degradierungen, Selbsterhöhungen und Selbsterniedrigungen nur so um die Ohren. Tenor: Die Frau ist immer unpassend: Zu dick, zu dünn, zu mütterlich, zu männlich, zu laut, zu klug, zu blond, zu doof. Es ist überwiegend erschreckend, wie Frauen sich (heute?) selbst sehen und wie sie sich wahrgenommen fühlen. Aber es ist auch höchst aufschlussreich – die Kerle kommen da durchweg schlecht weg. Wahrscheinlich ziemlich zu Recht.

 

Ein Manko dieser wortgewaltigen sowie – ganz wichtig! – völlig unverkrampften, höchst amüsanten – Veranstaltung mit neun Augenweide-Schauspielerinnen ist: Es gibt keine Figurenzuschreibungen (wie etwa bei Wander, da sprach immer eine konkret verortete und charakterisierte Person). So bleibt es bei einer Sammlung von ganz allgemein illustrierten Bildern von und über Frauen. Doch auch die haben‘s in sich.

 

Da klingt nämlich vieles eindrücklich und lange nach. Das hat zu tun mit dem furiosen, höchst einfallsreichen, oft auch sehr witzigen Arrangement des eloquenten Weiber-Reigens durch die Regisseurin. Eine tolle Leistung im immerhin bis auf paar Stühle völlig leeren Bühnenraum. Natürlich beruht die schlagende Wirkung des Abends, der gerade auch Männern ‑ sonderlich den weniger soften ‑ zu empfehlen ist, auf dem raffinierten Wechselspiel den neun wunderbaren Schauspierinnen. Für sie alle soll’s hier rote Rosen regnen. Sie alle seinen hier genannt (in der Reihenfolge des Besetzungszettels): Inga Wolff, Franziska Kleinert, Friederike Serr, Lisa Störr, Anna Stock, Erika Mosonyl, Marie Sophie Rautenberg, Kateryna Shatsyllo, Pia Noll. Bravi!

 

(wieder 2., 3., 21., 22. Juni, 20 Uhr, im Theater unterm Dach, Danziger Straße 101 am Thälmannpark)

 

2. Berliner Ensemble: - „Kreuzkruzifix zefix scheiß Tele-fonzefix kreuzsakrament“ – dadaistisches Silbengeknatter & fantastisches Ensemble-Remmidemmi

Rainald Goetz war der junge Mann, der einst während seiner Lesung beim Klagenfurter Literaturwettbewerb sich die Stirn ritzte. Beglaubigung des Geschriebenen durchs eigene Blut. Herzblut, wenn auch aus der Stirn gezogen.

 

Sein Dramentriptychon „Krieg“ modert seit drei Jahrzenten im Schützengraben der Bühnen. Jetzt brachte es Robert Borgmann, 1980 in Erfurt geboren, auf die BE-Bretter. Um es gleich zu sagen: Brecht, samt seiner Dramaturgen-Armanda, hätte einst gedonnert: Raus mit den Redundanzen aus diesem Dreiteiler „Heiliger Krieg“, „Schlachten“, „Kolik“! Radikal Kürzen! Auch wenn Postdramatisches und Postironisches zu Brechts Zeiten unbekannt waren, Goetzens massiver Zynismus und Radikal-Humor wären dem Brecht-BE und auch danach mindestens suspekt gewesen; kleinbürgerliches Wehweh.

 

Tempi passati. Längst ist am Bertolt-Brecht-Platz das meiste ganz anders. Zwar steht noch immer die Weltveränderung an, doch Reden über Weltverbesserung ist immer noch genehm. Aber solch eine unkontrollierte Wortflut wie bei Rainald Goetz ist auch heutzutage des Guten einigermaßen zu viel. Sie schwafelt, um es auf den Punkt zu bringen, vom Elend des Einzelnen in seiner physischen Hinfälligkeit oder Einsamkeit, seiner menschlichen und philosophischen Verlorenheit. Freilich mit beachtlicher Wortgewalt. Weniger poetisch Veranlagte würden sagen: Sie quasselt, quatscht, schwadroniert, schlägt sich angestrengt durch von Pointe zu Pointe. Ach, Goetz!

 

Dieser frühzeitig mit Lorbeer überschüttete Robert Borgmann ist ein scharfer Denker, ein weithirniger Philosoph, ein phänomenaler Phantast und ‑ ja das unbedingt ‑ ein das Menschliche fein berührender und liebender Mensch. Als Regisseur ist er natürlich auf Effekte erpicht; als Künstler selbstverliebt und egomanisch. Prima Mischung! Bravo.

 

Jetzt also nimmt er sich den alten Goetz vor. Er kennt ihn nur aus der Überlieferung. Denn als der seine anspielungsreichen (einst provokanten) Wortorgien als schillernd angesagter Popliterat verfasste, war der genialische Bursche aus Thüringen gerade mal im Kindergarten. Na und? Also jetzt erstmals (!) und in viereinhalb überlangen Stunden Rainald Goetzens Wort-Tsunami „Krieg“ komplett auf der Bühne. Derartiges hielt alle Welt bislang für unzumutbar, erst recht für ein zahlendes Publikum, das sich prompt zum Teil verflüchtigte nach der Pause. Denn wahrlich, das Enervierende ist beträchtlich. Die monumentale Erregtheit vollgestopft mit den vermeintlich weltenstürzenden Aggressionen eines späten Achtundsechzigers. Was für ein Mischmasch aus Gedöns, Gejammer, Gemecker, Kitsch, Philosophie, Lebensernst, Drama, Tragödie. Doch summt da untergründig auch ein Mitfühlen mit Geschundenen, Alles-Wollenden, Ins-Leere-Liebenden, mit Verlierern, Verlassenen, Unglücklichen – ach!

 

Vordergründig freilich dröhnt Schimpf ohne Ende mit dadaistischem Silbengeknatter: „Kreuzkruzifix zefix scheiß Tele-fonzefix kreuzsakrament.“ So etwa im Teil eins „Heiliger Krieg“, angesiedelt im Chaos vom Kopf eines Malers, dessen Hirn alles bislang von den übermächtigen Altvorderen wütend vor Impotenz zerdeppert. Das Atelier sieht entsprechend aus: Ein Trümmerfeld.

 

In Teil zwei „Schlachten“ geht es um einen erfolglosen Maler, der seine Deppen-Sippschaft verantwortlich macht, dass er kein Bildchen mehr zustande bringt. Ziemlich doof. Langweilig. Faselnder Künstlerfrust, gefesselt in Kleinbürgerlichkeit. Vermeintliche Genievernichtung durch Frauen und also Unterleib. Und durch nervende Gören. „Eine Frau, vier Töchter: eine dümmer als die andere und ich, das ist die Lage / Was hat die Frau geleistet in den letzten paar tausend Jahren / Genievernichtung / sonst nichts, Geplapper, Geplärr, Geschwätz“. In Teil drei der Kriegerei, „Kolik“, lamentiert ein delirierender Alki (Aljoscha Stadelmann). Als in Einsamkeit „verwesender Leib“.

 

Anfangs tobt Borgmann sich noch wie wild aus im Clownesken, in kitschigster Kleinbürgerverzweiflung, depressivem Künstler-Lamento, Kunstbeschwörungen. Frechste Verstiegenheiten, verquaster Größenwahn, klare Herzenskälte sowie derlei Trallala aus Gier, Leere, Frust, Klamauk. Artistisches Ensemble-Remmidemmi. Spaß beim Gucken. Dazu gelegentliches Kratzen am Kopf. Dann sorgt der Regisseur, es folgen die eher solistisch geprägten beiden Teile zwei und drei, für Konzentration und einem gehörigen Quantum heiligen Ernst. Also zunehmend Ruhe. Autors Worte gerahmt, freilich nicht ganz ohne spitzbübisches Grinsen. Und dazwischen ein tolles Solo für den verehrungswürdigen BE-Tragödien-Star Constanze Becker in einem lüstern-gequälten Solo über eine Orgie – Latex, Leder, Peitsche, Fessel; derartiges. „Schwärze, Leder, Eisen, Stampfen, Düsternis“. Befremdlich anzuhören, betörend anzuschauen – die Becker unten in zeltartig weitem Rock mit Rosen (oder Blutflecken) drauf und oben Gummi-Body. Huch!

 

Was für ein wahnsinniges Ensemble tobt, tourt, denkt und spielt sich da ran an diesen fragwürdigen Goetz und wieder weg von ihm und – für Momente ‑ hin zu sich selbst und vielleicht sogar gleich ganz raus ins Nirwana. – Stefanie Reinsperger immer zuerst, die Becker, der Ingo Hülsmann, Veit Schubert und, und. Und was für ein Seltsamkeits-Leckerli für Freaks des Grotesken, des verspielt Irren, messerscharf Rationalen auf dem schier endlosen Boulevard der Exzentriker. Doch selbst für die ist Durchhaltevermögen angesagt. Bis hin zu dem bösen Satz „Der aufrechte Gang ist eine Lüge.“ Stimmt‘s?

 

(wieder 1., 28. Juni)

 

3. Staatsoper für alle mit Netrebko & Domingo

 © Marcus Ebener
© Marcus Ebener

Der Hammer! Für alle, die natürlich keine Karte bekommen haben und obendrein vielleicht nicht so viel Kohle auf der Kante haben, gibt es jetzt Star-Triumph für umsonst und draußen – auf dem Bebelplatz neben der Staatsoper Unter den Linden; bereits zum 12. Mal übrigens und dank des Sponsors BMW (also: mal nichts gegen feine Autos).

 

Der Hype beginnt am 16. Juni: High Noon mit einem Konzert der Staatskapelle unter freiem Himmel. Daniel Barenboim dirigiert Rossine, Debussy, Strawinsky.

 

Tags darauf, am Sonntag, dem denkwürdigen 17. Juni, beginnt um 18 Uhr die Live-Übertragung der Premiere von Verdis Oper „Macbeth“ in der Regie von Harry Kupfer mit Daniel Barenboim am Pult, Placido Domingo in der Titelrolle und Anna Netrebko als Lady Macbeth. Ganz große Sache!

 

(Open-Air-Konzert Staatskapelle/Barenboim am 16. Juni ab 12 Uhr Bebelplatz. Live-Übertragung „Macbeth“ von Verdi am 17. Juni ab 18 Uhr Bebelplatz. Eintritt frei.)

 

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