HEUTE: 1. „#BerlinBerlin“ – Theater Strahl / 2. „Heile Welt“ – BlackBoxx-Theater / 3. Kulturvolk-Theatergespräch auf Alex-TV / 4. Internationaler Museumstag – Kulturforum
Och! Schon wieder so eine Mauergeschichte, jugendgemäß mit Musik. Da hatten wir doch schon das Udo-Lindenberg-Musical mit seinem „Mädchen aus Ostberlin“: Klasse Show mit viel Gefühl, Charme, Humor; kitschfrei und den todernsten Hintergrund nicht vergessend.
Stimmt! Doch jetzt toppt das Theater Strahl mit „#BerlinBerlin“ das vielfach umspielte Thema vom Dasein in der geteilten Stadt. Um es gleich zu sagen: Das faszinierende Berlin-Berlin-Stück für Jugendliche (und neugierige Eltern/Großeltern) hat mit seiner fein dosierten Mischung aus Ernst, Komik und jeweils zeitbezüglichem Soundtrack sowie obendrein der besessenen, dabei präzisen Spiel-Lust der nur sechs hin- und mitreißenden Schauspieler in jeweils mehreren Rollen das Zeug zum absoluten Kult (das grandiose Ensemble: Beate Fischer, Josephine Lange, Oliver Moritz, Sarah Schulze-Tenberge, Jusus Verdenhalven, Raphael Zari). Diese tolle Truppe macht Berlin- und Deutschlandgeschichte überwältigend lebendig in einer spannenden, hochdramatischen Familienstory diesseits und jenseits der Mauer und darüber hinaus nach dem Fall dieses martialischen Polit-Bauwerks aus Beton, Stacheldraht, Todesstreifen.
Ein Ostberliner Krankenhaus am Sonntag, 13. August 1961: Dagmar mit ihrem just geborenen Baby Ingo; doch ihr Mann Klaus, der sehnsüchtig erwartete Papa, der kommt nicht. Der steckt fest in West-Berlin, wo er arbeitet. Doch die DDR hat über Nacht die Sektorengrenze dicht gemacht. Klaus, dem das insgeheim ganz gut passt, er hasst die Kommunisten, bleibt im Westen, gründet dort eine neue Familie, bekommt zwei Töchter – alles paletti. Ingo wächst derweil vaterlos im Osten auf; Onkel und Oma kümmern sich und unterstützen Dagmar, die alleinerziehende Mutter. Erst bei der Beerdigung der Großmutter wenige Jahre vor dem Mauerfall erfährt Ingo, dass sein Vater lebt und dass er zwei Halbschwestern hat…
Was für eine in jenen Zeiten gar nicht so seltene Geschichte, die da Sina Ahlers, Uta Bierbaum, Günter Jankowiak und Jörg Steinberg mit Herz und Schmerz, Witz und Tempo erzählen – ein dramaturgisches Meisterstück. Immerhin gelingt es nicht oft, dass ein Autorenkollektiv – hier mit jeweils eigenen West- und Osterfahrungen – ein derart stringentes Script zusammenbringt, das Fiktives und Authentisches in spannungsgeladener Weise vereint (Dramaturgie: Holger Kuhla). Der besonders aufregende Trick: Die parallele, genaue, von ideologischen Vorurteilen freie Illumination der beiden ziemlich gegensätzlichen Lebenswelten (etwa Kindergarten – Kinderladen) in ihrem Alltag.
Freilich wird die Sache erst rund mit einer adäquaten, Drama, Historical und Show in eins verwebenden Regie. Jörg Steinberg inszeniert geradezu virtuos und mit leichter Hand für präzise Personenführung durch die Fülle der Szenen, deren Schauplätze innerhalb dreier Jahrzehnte imaginiert werden allein durch den fantasiereichen, fliegenden Umbau von Mauersegmenten – ob Sitzgruppe, Grabstein oder Tribüne beim Springsteen-Konzert 1988 in Weißensee (Bühne: Fred Pommerehn; Kostüme: Stephanie Dorn). Die Live-Musik von Wolfgang Böhmer kommentiert krachend, zärtlich oder traurig die jeweilige Stimmungslage.
Wie von selbst, ohne Zeigefingerei, ohne pädagogischen Eifer, drängen sich da gewisse Fragen auf: Woher kommen wir? Wer sind wir? Was wissen wir von denen drüben und hier? Wie greift „das System“ in existenzielle, auch immergrüne Familien- und Jugendprobleme ein? Aus welchem Material sind die Mauern, die uns heute noch trennen? Wirkt etwa der alte Beton jetzt noch nach? – Der Regisseur fasst vieles zusammen in einem Spruch: „Heimat ist da, wo Erinnerung sich auskennt.“
(Termine, einschließlich der wegen großer Nachfrage aufgenommenen Zusatzvorstellungen: 15. Mai (11+19.30 Uhr), 16./17. Mai (11 Uhr), 18. Mai (11+19.30 Uhr), 28. Juni (11+19.30 Uhr), 29. Juni (1I+19.30 Uhr), 2., 3. Juli (11 Uhr), 4. Juli (11+19.30 Uhr). In der Lichtenberger Halle Ostkreuz, Marktstraße 9-12. Und hoffentlich in der kommenden Saison. Das Stück gehört zwingend ins Zentrum des Berliner Theaterbetriebs!)
Hinweis: Am 18. Mai in der Reihe „Gemeinsam entdecken“ trifft sich Kulturvolk um 18.45 Uhr an der Halle Ostkreuz zum gemeinsamen Besuch der Vorstellung „#BerlinBerlin“. Begrüßung und Einführung durch den Theaterleiter Wolfgang Stüßel (Tickets über Kulturvolk: 15 Euro).
Erzählt wird im Stück mit dem sarkastisch gemeinten Titel „Heile Welt“ die letzte Phase der Geschichte einer Krankheit hin zum Tod: Aids. Nach seiner Beerdigung tritt Ronald wieder auf in den Gedanken seiner Pflegerin Judith; beide haben – verständlich in dieser zwischenmenschlich sehr besonderen, zugleich ziemlich privaten Situation ‑ ein zwiespältiges, ja arg verkrampftes Verhältnis, pendelnd zwischen Zuneigung und Abstoßung, Empathie und Rücksichtslosigkeit. Wobei die eine Seite, nämlich die todkranke, letztlich immer unterlegen ist, andererseits ist sie die alles beherrschende. Eine mithin dramatisch explosive Konstellation. Zumal beide Seiten annähernd gleichaltrig sind: Der schwule Ronald und die just vom Verlobten getrennte Judith. Zwei empfindsame, intelligente, reflektierende und eloquente Menschen.
So entstand nach dem „Dossier: Ronald Akkermann“ der holländischen Autorin Suzanne van Lohuizen das so sensibel wie spannungsreiche Stück „Heile Welt“, eine psychologisch genaue Fallstudie mit sozialen und moralischen Diskursen, die doch nie aufgesetzt wirken, sondern aus den jeweils schwierigen Situationen erwachsen, denen das ungleiche Paar, das nicht wirklich eins ist, permanent ausgesetzt ist.
Also ein von Norbert Ghafouri perfekt nach-gebautes Konversationsstück (mit dem Löwenanteil für Ronald). Und für zwei starke Spieler (Helene Franck, Marvin Münstermann), die am Ende ihrer Ausbildung stehen in der Schmargendorfer Filmschauspielschule Berlin; jetzt residierend in neuen feinen, großzügigen Räumen in der ehemaligen Reemtsma-Zigarettenfabrik.
Inszeniert hat Norbert Ghafouri, der Chef des rührigen Instituts. Seine Regie zeigt das Federnde des verunsicherten Hin und Her, das Chaos aus gegenseitigem Verständnis und laufenden Missverständnissen, die auf beiden Seiten schwelenden Verunsicherungen und Ängste sowie die beständigen Stimmungswechsel zwischen high und down. All das wirkt eindringlich gerade durch Zurückhaltung im Gestischen, aber Intensivierung im Sprachlichen, die auch viel Subtext mitklingen lässt.
Eine sehr gekonnt gemachte, komplexe Sache zwischen Mann und Frau. Zwischen vage verliebter, irritiert dominanter Krankenschwester und ihrem noch im Elend schönen jungen, trotzallem selbstbewusst dominanten Schutzbefohlenen – dessen Homosexualität mit ihrer besonderen Problematik nicht unter die Bettdecke gekehrt wird. – Alles in allem ist das Ganze auch – das macht es so besonders ‑ eine Zwiesprache zwischen Leben und Tod; teils sogar eine Art Lebensbeichte mit pointierten Rückblicken auf eine unheile Welt.
Die beiden Schauspielschüler leisten Großartiges. Da ist Helene Franck als die Unerfahrene. Sie tritt immer etwas leise verhuscht, aber dennoch mit Intelligenz und überraschender Einfühlsamkeit ihrem ungewöhnlich schwierigen Fall gegenüber. Marvin Münstermann in dem deutlich ausführlicher angelegten Part als Patient liefert ein treffliches Porträt eines Menschen, der mit seiner bevorstehenden Endlichkeit ringt und hadert und darüber hinaus (reflexiv) mit seiner Familie, dem Freundeskreis, mit der Welt überhaupt. Mit scharfem Sinn, ja mit der Weisheit, die der bevorstehende Tod gibt. Und mit der durch Ablehnung und Verurteilung verbitterten Erfahrung.
„Heile Welt“ ist mehr als das, was man sich unter einer Studienarbeit vorstellt. Es ist ein präzise erarbeitetes theatralisches Kunstwerk. Ein Kammerspiel. Ein starkes Stück sehr intimer Menschendarstellung durch zwei junge, begabte Leute. Was für ein Glück und Geschenk für die Schule – und alsbald wohl für aufmerksame Casting-Agenturen.
(wieder 11., 25. Mai; nach der Sommerpause am 17. August, 14. September, 12. Oktober in der Mecklenburgischen Straße 32, U-S-Bahnstation Heidelberger Platz; Tickets: 030-3101 6249)
Heute, Montagabend, 20.15 Uhr, zum 45. Mal die „Montagskultur unterwegs“ von Kulturvolk live auf Alex-TV aus dem Studio in der Friedrichshainer Rudolfstraße 1-8 (Eingang Ehrenbergstraße); nahe S- und U-Bahnhof Warschauer Straße. Mit Alice Ströver sowie den Kritikern Arno Lücker und Reinhard Wengierek. Der besondere Gast ist diesmal Rainer Rubbert, Leiter des BKA Theaters (s. auch Blog 244 vom 12. 2. 2018). Kritisch betrachtet werden die Premieren „Medea. Stimmen“ von Christa Wolf (Kammerspiele des Deutschen Theaters); „Endstation Sehnsucht“ von Tennessee Williams (Berliner Ensemble); „Romeo und Julia“ nach William Shakespeare / Musik: Sergej Prokofjew / Choreographie: Nacho Duato (Staatsballett in der Staatsoper Unter den Linden). Später auch im Netz auf YouTube.
Leute, auf zum Kulturforum!! Zu Gemäldegalerie. Kunstgewerbemuseum, Kunstbibliothek oder Musikinstrumentenmuseum. Bei freiem Eintritt. Aufgrund des Internationalen Museumstags ist man spendabel und bietet kostenlos nur an diesem Tag, am 13. Mai, zahlreiche, ganz unterschiedliche Veranstaltungen und Extras schon ab vormittags für Kinder, Familien und fachlich interessierte Laien.
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