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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 239

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

8. Januar 2018

HEUTE: 1. „Mosca und Volpone“ – Schlossparktheater / 2. „Feminista, Baby!” – Kammerspiele des Deutschen Theaters / 3. TV-Theatertalk / 4. Mein Tipp für die ganze Familie: Show zwischen gedeckten Tischen ‑ „Einfach Diva“ im Keller-Restaurant „Umspannwerk Ost“ unterm Berliner Kriminal-Theater

1. Schlosspark Theater: - Das Karussell der gierigen Erbschleicher

 © DER DEHMEL Urbschat
© DER DEHMEL Urbschat

Vorhang hoch, der schmissige Sound von Jacques Offenbach rauscht los und das komplette Ensemble kommt auf die Bühne, einen Thespiskarren im Schlepptau wie einst das fahrende Spielvolk. Dann steht es stramm vor Dieter Hallervorden zum Appell. Das freut den Prinzipal, der seine Truppe präsentiert, Witze reißt, dem Saal verkündet, was nun folgt. – Schon mal toll, dieser launige Einstieg in ein, ums gleich zu sagen, hinreißend lustvolles, eloquent geistreiches, auch mal ungeniert albernes Spiel mit Ben Jonsons Gangster-Satire „Volpone“ von 1605. Einer zünftigen Commedia mit klarer Moralansage und zynisch pessimistischer Grundhaltung.

 

Doch halt! Der Prinzipal entschied sich für die Bearbeitung des rüden englischen Lügenspiels durch Stefan Zweig. Der verfeinerte Jonsons grob gossige Sprache, hellte den Pessimismus auf, schwächte das Zynische, Rüde, Rohe. Und verpasste seiner veredelten Neufassung von 1926 den Titel: „Mosca und Volpone. Eine lieblose Komödie“.

 

Damit ist klar: Knecht Mosca ist hier der Star, nicht mehr sein Herr, der steinreiche, kinderlose venezianische Kaufmann Volpone, ein ältlicher Junggeselle, der aus aasiger Lust seinem Diener befiehlt, eine Schar gieriger Mitbürger zu foppen, indem er auf todkrank macht und jedem testamentarisch sein Erbe verspricht. – Außerdem steckt in Zweigs neuem Untertitel der vornehme Verweis aufs Poetisch-Komödiantische. Also alles etwas weg von Jonsons elisabethanischem Krachbums.

 

Regisseur Thomas Schendel inszenierte elegant mit leichter Hand ganz im Geist des großen Autors aus Österreich und schmeckte die Chose musikalisch ab mit schwungvollem Klassik-Sound. So kam das Karussell egomanischer Erbschleicher gehörig ins Kreiseln mit Oliver Nitsche, Thomas Schendel, Jonathan Kutzner, Karsten Kramer, Anja Gräfenstein, Franziska Trögner, Georg Tryphon. Diese irren, dämlichen, grotesk verlogenen Typen kämpfen gegenseitig mit harten Bandagen um die versprochene Knete; ein Veitstanz tobt ums goldene Kalb: dem Reichtum verheißenden Fake-Testament Volpones.

 

Dieter Hallervorden als Mosca tänzelt lässig und frech dazwischen als kecker Luftikus. Ein kreativ durchtriebener, gewitzter, freilich immer wieder katzbuckelnder, aber auch skrupulöser Intrigen-Meister wider Willen im Auftrag seines Chefs. Bosheit ist ihm kein Lebenselixier! Im Gegensatz zu Mario Ramos als herrischem Volpone, dem Ekelpaket auf dem stinkenden Misthaufen übelster Niedertracht. Er wird uns zur Abschreckung, als Spiegel, aber auch zum Amüsement vor die Nase gesetzt.

 

Zu guter Letzt glühen bunte Lichterketten. Und auf Moscas erbaulicher Schlussrede über Gerechtigkeit keimt bei allen die Hoffnung auf ein womöglich doch liebevolles Leben. Das dankbare Publikum ist begeistert.

(wieder 11.-14. Januar, 13.-18. Februar)

2. Deutsches Theater-Kammerspiele: - Männer sind Scheiße

 © Arno Declair
© Arno Declair

Die in Ehren, Unehren oder wie auch immer ergrauten Achtundsechziger haben es womöglich noch begeistert oder vielleicht wütend in Erinnerung: Das so genannte SCUM-Manifesto der Amerikanerin Valerie Solanas, eine ätzende, skandalös bissige Schreischrift des Feminismus von anno 1967 gegen „nichtsnutzige, überflüssige“ Männer und gegen all die angepassten, hippiehaften Weibchen, die so „schrecklich nett“ sind gegenüber dem die Welt ruinierenden Wahn der Männlichkeit, auf die sie obendrein noch geil sind.

 

Die rotzig eloquente, hochintelligente, drastisch provokante Radikalfeministin, zugleich eine Satirikerin von hohen Graden, kommt aus dem Groupie-Umfeld von Andy Warhols New Yorker Factory, die jener hellsichtigen Frau Valerie am liebsten die superspitze Zunge abgeschnitten hätte. Ist doch die freche Dame vom kerligen Starkult um die tosende Warholerei – unbeeindruckt von dessen schwuler Grundierung ‑ zunehmend angewidert. Hätte sie gar am liebsten in die Luft gejagt. Mit einer hübschen Schießerei aus echter Kanone hat sie es damals immerhin versucht...

 

Ihr Manifest ist ein total durchgeknallter, wie ein MG um sich ballernder Text, der heute noch amüsiert und sogar interessiert; nicht zuletzt auch aufgrund einzeln eingestreuter zu- und erschlagender (ewiger) Wahrheiten. Freilich, Valerie hat alles höchst gekonnt in einen gigantischen Aberwitz getrieben (Männer als wandelnde Fehlgeburten, bereits verkümmert im Genstadium etc.). Ihre Beschimpfungskanonade wäre noch heutzutage bühnentauglich, fände man eine pässliche Form dafür. Doch dem Regie-Duo Tom Kühnel und Jürgen Kuttner ist da überraschenderweise nichts eingefallen für deren theatralische Adaption. Titel: „Feminista, Baby!“.

 

Womöglich sollte es eine furiose Sottisen-Show werden, verpackt in eine wüste Trash-Parade mit viel wilder Musik. Doch da tritt dann bloß in niederschmetternder Bravheit die Alt-Kreuzberger Feministen-Diseuse Christiane Rösinger mit einigen ihrer hübsch kess gereimten Anti-Testosteron-Gesängen (herrlich immerhin ihr Läster-Lied über „Pärchen“) auf, begleitet von Andreas Spechtl.

 

Das Schauspieler-Terzett Bernd Moss, Markwart Müller-Elmau und Jörg Pose als Marilyn-Monroe-Dreier in blöde Blondperücke und schulterfrei weißes Kleidchen zu verpacken (leider fehlt das kecke Gebläse aus einem Kellerschacht), das geht da als immer wieder netter Gag noch durch. Doch dann müssen die strammen Marilyns vornehmlich an der Rampe stur ihren Text abspulen, was arg fad ist. Dass da noch der unvermeidliche Clown Kuttner in sexy-Glitzerhose dazwischen geistert und Müller-Elmau mit der Trompete tutet, gelegentlich ein Federkissen gerupft und mit schwarzen Medizinbällen Hand- und Fußball gespielt wird, macht auch nicht wirklich Jux mit diesem von Zynismus trunkenem Rhetorik-Museumsstück der Avantgarde von vorgestern.

 

Aus der steilen Vorlage der fantastischen Autorin hätten innovative Köpfe ein geil gegenwärtiges Gesellschafts-Kasperltheater machen können, statt den dahinplätschernden Abend mit bloß bisschen Tucken-Biederkeit zu garnieren. ‑ Doch halt: Eine Idee war echt klasse: Das verrückte Gender-Dingsbums kurzgeschlossen mit Tagesschau-Ausschnitten des Trios Merkel, Fischer, Schröder: Quasi live synchronisiert mit Solanas-Text. Echt witzig! Diese zehn Minuten retten aber den Eineinhalb-Stunden-Abend auch nicht. Schade, aber ein bisschen mehr Einfallsreichtum hätte schon sein müssen. So aber hat sich das DT mit seinen potenten Möglichkeiten um eine kabarettistische Großveranstaltung gebracht – um einen Publikumshit. Was für eine vertane Chance.

(wieder 12., 29. Januar)

3. TV-Rederei über Theater

Heute, Montagabend, 20.15 Uhr, die „Montagskultur unterwegs“ (41. Ausgabe) aus dem Studio in der Friedrichshainer Rudolfstraße 1-8 (Eingang Ehrenbergstraße); nahe S- und U-Bahnhof Warschauer Straße. Mit Alice Ströver sowie den Kritikern Arno Lücker und Reinhard Wengierek. Der besondere Gast ist diesmal Ole Bækhøj, Intendant vom Pierre-Boulez-Saal. Kritisch betrachtet werden die Premieren „Les Misérables“ nach Victor Hugo (Berliner Ensemble), „Der Hauptmann von Köpenick“ von Carl Zuckmayer (Deutsches Theater), „Alles Schwindel“ von Marcellus Schiffer und Mischa Spoliansky (Maxim-Gorki-Theater). Später auch im Netz auf YouTube zu sehen.

4. Familienspaß im Umspannwerk: - Travestie, Singsang, Zauberei und gutes Essen

 © DERDEHMEL / Urbschat
© DERDEHMEL / Urbschat

Den Travestie-Künstler Megy B. darf man als Nachfolger der einst legendären Mary sehen (zur Erinnerung: der andere Teil von Gordy). Unser Anonymus Megy B. hat Frechheit und Eleganz nebst einer gehörigen Portion Unverschämtheit, die man nie übelnehmen kann. Charming Herr-Dame-Flittchen-Boy-Kerl, glamourös eingewickelt – es gibt was zu gucken. Und zu hören (hahaha! olala!). Zaubern kann diese Kunstfigur mit ordentlich Grips auch noch. Und noch was vermag dieser Travestie-Kumpel: Sich die Leute überschwänglich tantenhaft ans Herzel drücken und mit ihnen trotz enormer Absatzhöhe auf Augenhöhe gewagt säuisch oder hinterfotzig philosophisch rumalbern. Plaudertasche Megy kann mit Leuten – das Fundament seines auf Mitmach, Mitspiel und Zusammenkicher zielenden Programms; Motto: „Einfach Diva“. Einerseits die verführerische Glitzer-Tunte vom anderen Stern, anderseits der taffe Kumpel von nebenan, das überrascht und fasziniert, die Begeisterung schlägt Wellen. Ideal für familiäre oder betriebskollektive Festveranstaltungen! Trifft hier doch das ziemlich Volkstümliche ganz untümelnd aufs frappierend Artifizielle, das unbedingt erwartet wird auf dem Brettl-Podium sowie zwischen den Stühlen an gedeckten Tischen im intimen Showroom. Das Resultat: Gellender Spaß und rhythmisches Klitsch-Klatsch. Denn singen kann Megy B. natürlich auch, am Pianoforte begleitet von einem durch und durch seriösen (sexy) Herrn Klavier-Professor mit Bart, bunter Fliege und korrekt-dunklem Herrenanzug.

 

Zwischendurch (in der Pause) darf man fein futtern – vegetarisch oder fleischlich. Picheln hingegen geht immer zur Dinner-Show im Keller-Restaurant vom „Umspannwerk Ost“ im Untergeschoss vom Kriminaltheater. Ein in vielerlei Hinsicht köstlicher Abend. Mal was anderes, derweil droben im berühmten Berliner Krimiladen abgemurkst und aufgeklärt wird. ‑ Was für – alles in allem ‑ prima Entertainment in der Palisadenstraße: Entweder Mord und Totschlag mit Grusel, Grusel. Oder Futtern und Kippen bei Hach und Huch sowie Singen, Zaubern, Witzeln, Blödeln.

(Dinner-Show „Einfach Diva“ im Keller-Restaurant „Umspannwerk Ost“, Palisadenstraße 48, nahe Karl-Marx-Allee am U-Bahnhof Weberwiese. Wieder am 13. Januar, 24. Februar, 10. März, jeweils um 20 Uhr)​

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