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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 217

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

29. Mai 2017
HEUTE: 1. „Die wilden Weiber von Neukölln“ – Berliner Kabarettanstalt / 2. „Wir sind die Neuen“ Komödie am Kurfürstendamm / 3. „Die Sanierung. Foto-Ausstellung von Alexander Schippel“ Intendanz- und Probenhaus Staatsoper Unter den Linden

1.BKA - Bizarres Welttheater dreier Halbwelt-Weiber aus Nordneukölln

 © Joern Hartmann
© Joern Hartmann

„Wir sind, was wir sind – und das ist ganz gewöhnlich“ trällert das weltberühmte Damen-Trio aus Neukölln: die prollige Hartz-VIII-Queen Edith Schröder, die tantenhafte Kneipenwirtin Jutta Hartmann und die frettchenhafte Legginsboutique-Besitzerin Brigitte Wuttke. Und irgendwie stimmt das schon mit dem „gewöhnlich“ im Sinne von „normal“, zumindest für Nord-Neukölln.

 

Es stimmt aber auch im Sinn von „extrem-gewöhnlich“ oder anders gesagt von „ordinär“. Denn was die von Maria Schenk im kostbaren Kiez-Style kostümierten Weiber von Neukölln Ades Zabel, Bob Schneider & Biggy van Blond so alles ablassen zwischen Tunten-Revue, ätzend sozialpolitischem Kabarett, schmissiger Hitparade und drastischer Dating-Show (wer ganz vorn sitzt, hat die Chance, für einen Prosecco mitspielen zu dürfen), was da also mit diesem Dreier alles abgeht auch an unkorrekt Schrägem im Neuköllnical „Die wilden Weiber von Neukölln“, das ist nix für abgespreizte kleine Finger. Verbreitet aber allemal supergute Laune. Und vermittelt nebenher den zahlreichen Touristen im animierten Publikum (das längst nicht mehr nur aus Fans der Szene besteht) einen saftigen Einblick ins Berlinische Innenleben jenseits von Mitte mit Museumsinsel und Gendarmenmarkt.

 

Allein schon die kräftig ins Absurde gedrehten real-dramatischen Stationen der Show machen klar, welch Daseins-Kosmos hier durchschritten wird: Neben Suffloch-Kneipe, Beinbekleidungs-Shop und privat-heimischem Sofa mit Spitzendeckchen auf dem Fernseher in der Nogatstraße gibt’s nämlich im Kontrast den Bio-Kaufladen, die Psychotherapie-Praxis, die Soja-Latte-Tränke für vegane Blogger, das Forschungslabor für Arzneimittel-Probanden sowie das Studio vom Stadtteil-Fernsehen. Damit ist fast alles gesagt.

 

Der tobende Rest sind Tempo-Tempo, Wortwitz (klasse Script!), fliegender Kostümwechsel, urige Musiken und urkomische Filmeinspieler – Regisseur Bernd Mottl mit seinem genialen Händchen fürs trefflich Aberwitzige bringt die ausgefallene Mischung souverän unter den einen ausladenden Damentuntenhut – der freilich allemal ein bisschen mehr ist als bloß Dame und Tunte. Der also einen frechen Stich hat vom sozusagen ziemlich Speziellen ins ordentlich Allgemeine. Darauf einen Futschi!

 

Futschi? Das ist der in jeder Hinsicht durchschlagende und vornehmlich in der Nord-Neuköllner Pumps-Szene beliebte Alkohol-Mix aus Cola-Weinbrand; das Mischungsverhältnis je nach Stimmung - die brave Norm wäre 80:20. Selbstverständlich belieben auch Edith, Brigitte, Jutta ihn lustvoll zu schlucken in schönen wie schlimmen Lebens- und Mischungsverhältnissen.

(wieder 3., 9., 10., 14.-17. Juni, 1. Juli)

2. Kudamm-Komödie - Kollektiv „Born to be wild“ schlägt „Digital Natives“-Egomanen

 © Michael Petersohn www.polarized.de
© Michael Petersohn www.polarized.de

Eine nicht nur komische, sondern zugleich noch ziemlich aufschlussreiche Idee: Der Zusammenprall einer rüstigen Rentner-Gang mit einem streberhaften Studenten-Trio. Das bemerkenswerte Ergebnis: Die Jungen sind die egomanischen Spießer, derweil die Alten beherzt und lauthals lustvoll, doch dabei nicht unegoistisch, ihrem cool-kommunikativen Lebensstil frönen. Der Filmemacher Ralf Westhoff hat sich die ins Groteske stechende, dabei munter mit Klischees spielende Konstellation ausgedacht für seinen Film „Wir sind die Neuen“ von 2014.

 

Jetzt hat sich pfiffigerweise Kudammbühnen-Chef Martin Woelfferdas Script dieses damals zu Recht Aufsehen erregenden Erfolgs im Neuen Deutschen Kino vorgenommen. Er hat eine 80-minütige Theaterfassung draus gebastelt und diese auch ohne viel Federlesens artig inszeniert; also ohne nennenswerte Anstrengung, aus dem witzigen Potenzial dieser Komödie noch ordentlich Raketen an komödiantischen Extras zünden zu lassen.

 

Immerhin, Woelffer hat gut gecastet. Sonderlich mit den drei pensionierten Alt-68ern, die in Erinnerung an selige Studentenzeiten (18 Semester) sowie angesichts dürftiger Rentenkassen eine zünftige WG gründen (man kennt sich aus Alt-Westberliner Wohngemeinschaften), hat die Regie drei Trümpfe. Sie kann sich mühelos stützen aufs herrliche Komödiantentum von Claudia Rieschel (als Ex-Biologin Anne), Heinrich Schafmeister (als Ex-Jurist Johannes) und Wilfried Glatzeder, dem Schlawiner Eddi mit Che-Guevara-Shirt unterm weißen Leinenanzug.

 

Auch ohne besondere Regie-Einfälle knallt die famose Rentner-Gang mit Bums und Karacho die sarkastischen Dialoge nebst griffigen Pointen auf die Bretter. Höchst unterhaltsam und auch aufschlussreich bezüglich Selbstkritik am chaotisch-hippiehaften Damals zwischen Demo, Polit-Rhetorik, Suff, Sex, Drogen, als man selbstherrlich sich aufspielte als Generation „Born to be wild“.

 

Dagegen haben es die drei braven, egoistischen Wohlstandskinder-Studies schwer (Luise Schubert, Annalena Müller, Eric Bouwer), weil sie in ihrer „Digital Natives“-WG nebenan bloß übernächtigt auf ihre Laptops stieren, unentwegt ochsen, um die nächste Zwischenprüfung zu bestehen und sich dabei notorisch gestört fühlen von den Alten, die sich vergebens bemühen, wenigstens ein Minimum an Gut-Nachbarschaft mit der Jugend von heute zu entfachen. Stur und starr verharren sie im Modus der Kommunikationsverweigerung. Das neue studentische Spießertum kommt da als bloß reine Zickigkeit rüber – auch hier wäre regielich mehr drin gewesen. Aber immerhin: auch so ist es einigermaßen komisch und nebenher ein bisschen den Zeitgeist entlarvend.

 

Zum Schluss kommt es, wie es genregemäß kommen muss: Versagensängste brechen auf, Liebeskummer dröhnt, ein Bandscheibenvorfall quält und es gibt Probleme mit dem elterlichen Monats-Scheck. All das weicht den ehrgeizigen Lerntrieb der schnöseligen Selbstoptimierer auf und führt schließlich zu verzweifelten Hilferufen an die alten Selbstverwirklicher. Da schwelt die Chance, dass aus dem Nebeneinander der beiden WGs ein Miteinander wird. Längst verschütt geglaubter Kollektivgeist beginnt zaghaft sich auszubreiten. Das heftig amüsierte Publikum ist glücklich und spendet fleißig Beifall.

(bis 11. Juni)

3. Deutsche Staatsoper - Sensationelle Großfotos einer spektakulären Sanierung

 © Alexander Schippel
© Alexander Schippel

Mehr als 400 Millionen Euro für die Grundsanierung eines der ältesten Opernhäuser Deutschlands – eine wahrlich spektakuläre Summe. Für dieses Geld hätte man zwar zwei neue Theaterbauten hinkriegen können, doch dann wäre dieses wunderbare, für Berlin identitätsstiftende, darüber hinaus für ganz Deutschland sowie – ja doch! – für die Welt bedeutsame Haus nur noch sehr eingeschränkt bespielbar gewesen. Immerhin hat schon sein Begründer Friedrich der Große tief in die Kasse gegriffen, als er seinem befreundeten Architekten Georg Wenzelslaus von Knobelsdorff den Auftrag gab, ein – und dies seinerzeit ein Novum frei stehendes Opernhaus als Juwel des Forums Frederizianum zu errichten. Es wurde Friedrichs „Zauberschloss“, und für viele ist es das bis heute geblieben. Obgleich mehrfach zerstört durch Brand und Krieg, hat man es immer wieder ohne Scheu vor erheblichen Kosten aufgebaut. Zuletzt von der DDR-Regierung in den 1950er Jahren nach Plänen des Architekten Richard Paulick, die sich einerseits nach Knobelsdorffs Original-Entwürfen richteten, anderseits aber, um modernen Anforderungen zu genügen, Neues hinzu fügten, wobei man sich ästhetisch an Architekturformen vom Potsdamer Schloss Sanssouci lehnte.

 

Der quasi Knobelsdorff-Paulick-Neubau überzeugte in seiner eleganten Noblesse, hatte aber auch Nachteile: einschränkte Sichtverhältnisse auf den Seitenrängen, eine mangelhafte Akustik, was besonders bei den Monumental-Werken von Wagner und Strauß auffiel (zu trocken). Beides wurde bei der jetzt anstehenden Sanierung berücksichtigt, freilich bezüglich der Sichtverhältnisse nur in beschränktem Maße. Dafür waren die Maßnahmen zur Verbesserung der Akustik enorm aufwändig, indem man die Saaldecke um mehrere Meter anhob. Hinzu kam die Total-Sanierung des Bühnenturms samt Bühnentechnik sowie die enorm teure Abdichtung der Grundmauern gegen Wassereinfluss. Außerdem wurde im nachbarlichen Funktionsgebäude ein nagelneues Probenzentrum installiert und eine riesige unterirdische Verbindungshalle zum Operhaus für die Anfahrt der Kulissen-Container gebaut. Dieser Untertage-Bau verschlang ein Großteil der Kosten.

 

Was man jetzt hat, ist ein quasi neues historisches, technisch höchst gerüstetes Zauberschloss. Und daneben ein sämtlichen Anforderungen der Gegenwart (und Zukunft) genügendes neues Probenzentrum (in historischer Hülle), das auch für öffentliche Veranstaltungen mit Publikumsverkehr nutzbar ist. Also alles in allem ist die Staatsoper 2017 (Architekturbüro HG Merz, Stuttgart) ein riesiger Großbetrieb, kunstvoll gemischt aus Spätrokoko, Frühklassizismus, Moderne und High-Tech, der seinesgleichen sucht in Europa. Auch deshalb die mehr als 400 Millionen.

 

Selbstverständlich hat die Bauleitung für eine umfassende Dokumentation des gesamten Sanierungsablaufs gesorgt. Dazu gehört nicht nur Video, sondern auch die Fotografie. Dafür hat sie den großartigen Fotografen Alexander Schippel engagiert.

 

Schippel, 1979 in Berlin geboren, studierte von 1997 bis 2000 Fotografie an der FU Berlin. Von ihm erschien 2000 im Jovis Verlag das Buch „Potsdamer Platz – Urbane Architektur für das neue Berlin“, 2010 porträtierte er die Humboldt-Universität anlässlich ihres 200. Jubiläums. 2011 erschien der Bildband „Lausitz – Landschaft mit neuem Gesicht“. Im vergangenen Jahr gründete Schippel das internationale Netzwerk für künstlerische Fotografie p: photography unlimited, das nach den radikalen Umbrüchen in der Branche (Digitalisierung) sich um die Förderung der künstlerischen Fotografie kümmert.

 

Wir sehen das Besondere: Alexander Schippel ist sowohl High-Tech-Fotograf als auch Künstler. Seit 2011 ist Schippel unzählige Male mit der Kamera unterwegs auf allen Staatsopern-Baustellen (faktisch sind es ja deren mehrere). Zur detailreichen, eher technischen Fotodokumentation des Bauablaufs. Zugleich aber fotografierte Schippel unter primär künstlerischem Aspekt mit einer Sinar 4x5-Großbildkamera. Um die enormen Dimensionen der Baustelle sichtbar zu machen bediente er sich der so genannten Stiching-Technik, bei der das endgültige Bild aus mehreren Einzelbildern (zuweilen sind es ein halbes Hundert) zusammengesetzt wird. So entstanden detailgenaue, teils quadratmeter große Farbaufnahmen des Bauprozesses etwa im 50 Meter hohen Bühnenraum. Oder Bilder vom schier überwältigenden Panorama der Decke über dem Zuschauersaal sowie des dritten Rangs mit dem neu eingebrachten Akustik-Gitter aus Keramik. Am Rande sei vermerkt, das Schippel ein bekennender Opernliebhaber ist (Mozart). Nicht selten habe er bei der Arbeit, so sagt er, „Don Giovanni“ im Kopfhörer gehabt.

 

Jetzt präsentiert Alexander Schippel einen Teil seiner faszinierenden, zuweilen spektakulären Großaufnahmen im Intendanzgebäude und im Probenzentrum. Eine sehr besondere, beeindruckende Schau (demnächst auch in einem Bildband) in den noch leeren Räumen mit seinen hohen Fenstern und dem blitzendem Parkett. Was für ein Erlebnis – Bewunderung für den Fotografen. Und für die Bauleute.

Nur noch bis zum 15. Juni. Mo. Fr. 16.00 20.00 Uhr; Sa./So. 12.00 20.00 Uhr. Hinter der katholischen Kirche 1. Eintritt frei! -- Zugang am besten über Französische Straße oder am Bauzaun auf dem Opernplatz entlang zur Hedwigs-Kathedrale und von dort ins Intendanz-Gebäude nebenan.

 

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