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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 177

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

13. Juni 2016
HEUTE: 1. „Berlin Alexanderplatz“ – Deutsches Theater / 2. Ausstellungs-Tipp: Farbrausch! August Kopisch in der Alten Nationalgalerie / 3. „The One“ – Vorschau auf die neue Show im Friedrichstadt-Palast

1. Deutsches Theater


Der Großstadt-Roman „Berlin Alexanderplatz“ des Berliner Arztes Alfred Döblin, erschienen 1929, wurde ein Welterfolg – und gibt saftig Futter für Film (Rainer Werner Fassbinder) und fürs Theater. In Berlin nach 1990 gleich dreimal: 1999 am Gorki-Theater gab Ben Becker den Franz Biberkopf, den armen Hund, der sich im Großstadtdschungel zwischen Alex und Oranienburger mehr oder weniger tapfer durchschlägt (Regie Uwe Eric Lauffenberg, Bearbeitung Oliver Reese). 2005 Frank Castorfs Züricher Inszenierung, die dann in der Abrissruine vom DDR-Palast der Republik ein Hit war. 2009 an der Schaubühne unter Volker Löschs Regie mit echten Knackis als Proletenchor aus der JVA Tegel. Und jetzt inszenierte Sebastian Hartmann am DT den in Montagetechnik virtuos konstruierten Groß-Roman, der das schwere Schicksal des wild-verwegenen, virilen Proleten Biberkopf einbettet in die bizarr schillernde, elende Wirrnis der explodierenden Metropole Berlin.

 

Hartmanns künstlerisch hoch anspruchsvoller Zugriff geht – Respekt! in die Abstraktion. Er vermeidet naturalistische Milieu-Schilderung und inszeniert – gestützt auf einen Chor, einen Erzähler (Moritz Grove) und reichlich biblische Ikonografie – eine Art wuchtige Meditation über Döblins literarische Polyphonie, die ein paar Stichworte auf den Punkt bringen: Liebe, Trieb, Verrat, Macht, Gewalt und Tod. Wir erleben auf weiter leerer Bühne zwischen grell weißen, beweglichen Licht-Türmen statt einer farbsatt ausgepinselten heißen „Story“ einen von Wahn und Irrsinn durchsetzten, expressiv in kaltes Schwarz-Weiß gehaltenen Totentanz, eine extrem assoziationsreiche, oft ins Mythische greifende Passionsgeschichte, gelegentlich gerahmt von expressionistischen Video-Einspielern von Tilo Baumgärtel (das horrible Grauen der Großstadt) sowie einem so wuchtigen wie feinnervigen Soundtrack, den der Regisseur (der zugleich sein Bühnenbildner ist) selbst erfand. Toll.

 

Es sind nur wenige, sonderlich erotisch signifikante Szenen des Romans, die von geradezu erschreckend hinreißenden Schauspielern demonstrativ an der Rampe gespielt werden (u.a. Andreas Döhler, Edgar Eckert, Felix Goeser, Wiebka Mollenhauer, Katrin Wichmann). Auch ganz toll. Aber: Das Erzählerische, das sagen wir Romaneske, das bleibt dabei auf der Strecke zugunsten eben des weitschweifend Assoziativ-Meditativen. So präzise und wirkungsmächtig das Ensemble auch auftritt, die Kraft der Regie in den vier Stunden Spieldauer (plus zwei Pausen) hält nicht wirklich durch. Nicht so toll. Der so furios anhebende und immer wieder artifiziell sich aufbäumende Abend zerfasert, wird zunehmend unkonzentriert. Ermüdet auch durch Redundanz (obwohl dem Regisseur gleich zwei Dramaturginnen zur Seite standen). Ein Zuviel an Wollen kann halt unversehens umkippen in Leeres und Löchriges. Gerade für diese Produktion wäre das Befolgen der alten Kunst- und Bauerregel nützlich gewesen: Weniger ist meist mehr.

(wieder am 19. Juni)

2. Ausstellungs-Tipp - Mutterflammenlichtblau in der Alten Nationalgalerie

Ein denkwürdiges Datum, dieser 17. August 1826. Da rudert ein gewisser August Kopisch, abgebrochener Kunststudent und Lebenskünstler, mit zwei Kumpels an der Küste Capris entlang hin zu einer ominösen Meeresgrotte, wo angeblich, so der Volksmund, der Teufel tobt. Doch die drei vermuten dort, auf dem Grunde des Meeres, „Altertümer“. Und so springen sie ins Wasser. Und staunen, als es unter ihnen blau schimmerte „gleich den Flammen des entzündeten Weltgeists“. Sofort suchen sie nach einer Bezeichnung für das Naturwunder; Kopisch sagt „Grotta azzurra“. Ein Name, der alsbald zum Begriff wurde, sein Erfinder freilich, der Entdecker der Blauen Grotte, versank mit dem Lauf der Zeit ins Vergessen.

 

Jetzt holt ihn Berlins Alte Nationalgalerie aus der Versenkung mit der Ausstellung „August Kopisch – Maler, Dichter, Entdecker, Erfinder“ . Offensichtlich ein Multitalent, dieser Kaufmannssohn aus Breslau, Jahrgang 1799, der nach Italien kam. Dort trieb er sich emsig herum in Roms und Neapels Künstlerkreisen, verdiente sich Taschengeld als Schreiber von Gedichten (seine Dramen führt leider keiner auf), als Übersetzer und Andenkenhersteller (Zeichnungen und Gipsplastiken vom Vesuv). Oder als Fremdenführer (Pompeij, Herculaneum); seine prominenteste Kundschaft 1827: der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm nebst Gemahlin. Ein paar Jahre später kommt Don Augusto Prussiano, wie man ihn in Bella Italia nannte, nach Berlin und landet schließlich, nach Thronbesteigung seines Gönners Friedrich Wilhelm, im königlichen Hofmarschallamt.

 

Als Maler gelangen ihm (Landschafts-)Bilder ganz eigener poetischer Strahlkraft, besonders durch eine sensationelle Farbgebung, als hätte er die moderne Acrylfarbe vorweggenommen. Er selbst sprach von „Mutterflammenlichtblau“ oder „Chrysograsbrillantfeuergrün“.

 

Trotzdem, Kopisch malte nur wenig. Umso mehr schrieb er. Pompöse Huldigungs- und Heldenpoeme, Vertonung von Gedichten, eine Übersetzung von Dantes „Göttlicher Komödie“ sowie – wer hätte es gedacht! – die Mär von den „Heinzelmännchen von Köln“, deren Illustrationen die Ausstellung genüsslich ausbreitet. 1834 ließ er sich den von ihm sonderlich für die Mitnahme auf Reisen entwickelten „Schnellofen“ patentieren. 1853 starb er an einem Schlaganfall. Postum erschien sein Verzeichnis der Potsdamer Schlösser und Gärten. – Kopisch ein Irrwisch, ein Multitalent. Ein kleines Originalgenie, das mit einigen wenigen Bildern aufgrund ihrer Komposition und Färbung in die Kunstgeschichte einging, ansonsten aber unbekannt blieb. Alle kennen die „Heinzelmännchen“ und die Blaue Grotte, keiner kennt August Kopisch. Und dessen Farb-Räusche. Damit ist jetzt Schluss, dank der faszinierenden Schau an prominenter Stelle.

(Alte Nationalgalerie, noch bis zum 17. Juli)

3. Vorschau „The One“ – Friedrichstadt-Palast

Die berühmten zwei Spitztüten für den BH von Madonna, man erinnert sich an ihr Video, die hat er erfunden: Jean Paul Gaultier. Fungiert doch der große französische Modemacher quasi als Haus- und Hofschneider für die Showstars dieser Erde für Beyoncé, Depeche Mode, Lady Gaga, Kylie Minogue, Nirvana, Red Hot Chili Peppers, Sade, Sting, Tina Turner… Und die ziehen sich ja nicht irgendwas Buntes über, sondern lassen sich mit üppig ausladender oder extrem sparsamer Kleidung zu Skulpturen stylen, zu Sinnbildern ihrer selbst. Jetzt erfüllt sich Gaultier endlich, wie er sagt, einen „Lebenstraum“: Nicht immer nur einzelne Spezialitäten für einen Superstar ertüfteln, sondern endlich ein komplexes Riesenprojekt, nämlich die gigantische Klamottenparade mit einem halben Tausend Kostüme für die hundert Künstler (aus 26 Nationen) der neuen, im Herbst startenden Riesenrevue im Berliner Friedrichstadt-Palast. Sie titelt knapp: „The One“ . Buch und Regie führt wie schon bei „The Wyld“ Roland Welke, zu dessen Team auch Emmy-Preisträger Peter Morse gehört, einer der weltweit gefragtesten Experten für spektakuläres Lichtdesign. „Weltpremiere“ ist am 6. Oktober, die Voraufführungen laufen ab dem 22. September.

 

Klar, das wird teuer; rund eine Million Euro kosten Gaultiers Kreationen. Dazu der enorme, sonderlich für diese Produktion betriebene Aufwand an Bühnentechnik, der rund fünf Millionen schluckt. Gut zehn Millionen hatte man vor zwei Jahren in das Alien-Spektakel „The Wyld“ investiert, das am 16. Juli ausläuft; jetzt hat man noch eine Million drauf gelegt. Man bleibt bei der Devise: Klotzen statt kleckern.

 

Zum Inhalt des neuen Mega-Kloppers raunt neugierig machend das in der Welt größte Revuetheater, es gehe um ein seit Ewigkeiten leer stehendes Revuetheater, das durch eine (in Berlin übliche) Undergroundparty aus seinem Schlaf gerissen wird. Dabei verliere sich ein Gast in der unheimlichen Aura des historischen Orts. In seinem vom Partyrausch vernebelten Kopf würden nun poppige Gegenwart und romantischer Glanz vergangener Zeiten zu einem irren Wachtraum verschwimmen. Alles um ihn herum löst sich auf, fliegt, dreht sich und sogar der Boden unter seinen Füßen treibe auseinander. Da wird also allerhand entfesselt. Allein für die Illusion des Boden-unter-den-Füßen-Verlierens (muss das Ballett schwer aufpassen!) wird die gesamte Bühnenbodenkonstruktion zu einem Schollenplateau umgebaut, das auf und nieder, hin und her driftet. High-Tech und Gaultier-Glamour fürs große Tam-Tam der Fantasie.

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