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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 167

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

4. April 2016
HEUTE: 1. „Feinde – Die Geschichte einer Liebe“ – Gorki-Theater / 2. Angelica Domröse 75 / 3. Rilke mit Schnitzler – Deutsches Theater / TV-Tipp Theatertalk

1. Gorki Theater


Ein Mann mit - zwischen - drei Frauen. Was für eine Geschichte! Herman Broder (Aleksandar Radenkovic), jüdischer Exilant im New York der 1950er Jahre, ging aus dem Polnischen in die USA mit Yadwiga (Orit Nahmias), dem Dienstmädchen seiner Familie, das ihn vor den Deutschen versteckte und so vor dem Holocaust rettete und das er als Witwer dann heiratete. Seine Ex-Ehefrau, wähnte Herman, war Opfer der Judenvernichtung geworden. Nun in Amerika hat er eine heimliche Geliebte, Masha (Lea Draeger), die - wie Yadwiga ein Kind von ihm will. Da taucht plötzlich die tot geglaubte Ehefrau Tamara auf (Cigdem Teke). Sie hat das Massaker des deutschen Erschießungskommandos überlebt. Broder ist fassungslos, irritiert, entschlusslos und verschwindet wohin auch immer. Yadwiga, von Broder zuvor geschwängert, wird mit Tamara das Kind groß ziehen. Was für eine Geschichte vor was für einem Hintergrund!

 

Sie steht im Zentrum des poetisch weit schwingenden, psychologisch tief gründenden, historisch eine ganze Epoche fassenden Romans „Feinde – Die Geschichte einer Liebe“ von Isaac Bashevis Singer. Die israelische Regisseurin Yael Ronen hat sie jetzt für die Bühne adaptiert: verkleinert zum Kurzspektakel „Mann mit drei Frauen“.

 

Eine ziemliche Banalität in Anbetracht des überaus komplexen literarischen Meisterwerks. Die Regisseurin, der wir immerhin einige hoch spannende Abende des dokumentarisch-politischen Theaters verdanken, ist ruckzuck in etwa gut einer Dreiviertelstunde fertig mit Singer; der Rest ist sich wiederholendes burleskes Blabla. Wir erleben die flotte Farce eines virilen, ziemlich einfältigen Kerls, dem die drei klischeehaft gezeichneten Weiber über Schwanz und Kopf wachsen: das Heimchen am Herd, die permanent Hysterische, die abgeklärte Lady. Die Tragik einer möglichen oder unmöglichen Liebe auf den Trümmern der Katastrophe bleibt ausgespart, ungespielt; höchstens: lachhaft weggelabert. Soll jüdischer Humor sein. Dafür gibt es locker hingepinselt eine Männchen-Karikatur nebst boulevardesk breitgelatschtem Damen-Dramolett. Peinlich! Für die Regisseurin, für die herum hampelnden Schauspieler und erst recht für den Autor, der sich nicht wehren kann. Ein Ärgernis.

(wieder heute am 4., dann am 7. April)

2. Rosen für die Domröse

Kleine Paula – große Klappe, grüne Kulleraugen, zwei Kinder, Ofenheizung, Kohleschleppen, Schichtbetrieb an der HO-Kaufhallenkasse und im Herzen eine Riesensehnsucht nach etwas Großem, Schönem, Aufregendem: Das war das menschliche Antlitz der Deutschen Demokratischen Republik. Denn sexy Paula, das ist Freiheit, Zukunft, Glaube an die unglaublich große Liebe Paul. Angelica Domröse war längst ein Star; doch mit dem 1973er Defa-Film von Heiner Carow „Die Legende von Paul und Paula“ wurde sie, seltenes Glück, legendär. Heute, am 4. April, feiert sie ihren 75. Geburtstag.

 

Die Arbeit mit Carow wirkte wie ein Befreiungsschlag gegen ihre Angst, künstlerisch an der Oberfläche kleben zu bleiben, bloß als tolles Weib wahrgenommen zu werden. Diese Angst trieb sie lebenslang um – bis hin in schwere Krisen. Ihr Wesen ging immer gegen bloß Hübsches, gegen spektakuläres Bloßstellen von Einseitigkeiten.

 

Noch einmal ganz auf der Höhe ihrer Kunst sowie gleichsam und ganz bewusst als unvergessliches Vermächtnis: Die Domröse vor gut einem Jahrzehnt im Potsdamer Theater als Mary Tyron in Eugen O’Neills „Eines langen Tages Reise in die Nacht“, dem Drama einer sich in Entfremdung und Verbitterung auflösenden Familie. Hochhackig stöckelt die morphiumsüchtige Mary Domröse durchs Haus, umtänzelt den Esstisch, sackt bleiern zusammen. Die schreiende Leere dort, wo einst Familie, Wärme, Wohlsein waren, stößt sie zurück ins kalte, hoffnungslos Gegenwärtige. Eine Erloschene. Doch gleich wieder glüht in weit aufgerissenen Augen die Erinnerung an alte Seligkeiten. Und so geht das: Schwelgerei im Wahn, schwerer Fall auf harte Tatsachen, die sofort verdrängt werden. Eine Kaputte. Anfälle von Aufbegehren, gar aasig triumphierender Abgebrühtheit. Dann wieder verbitterte Schicksalsergebenheit. Momente eisiger Klarsichtigkeit wechseln mit Wehleid. Das Wahnsinns-Endspiel einer großen Schauspielerin im Potsdamer Theater. Um die Ecke begann, gut ein Halbjahrhundert zuvor, ihre sagenhafte Karriere: an der Filmhochschule Babelsberg.

 

Angelica Domröse, vaterlos aufgewachsen in einem Hinterhaus in Berlin-Mitte, kam mit 17 durch eine Zeitungsanzeige zum Film: Hauptrolle in Slatan Dudows Schmonzette „Verwirrung der Liebe“. Da meinte sie, das schlichte „k“ im Vornamen durch ein schickes „c“ ersetzen zu müssen. Seither war sie zu Hause bei der Defa und später beim Fernsehen (TV-Klassiker wie „Effi Briest“ und „Unterm Birnbaum“ nach Fontane oder „Emilia Galotti“ nach Lessing). Mit 19 sprach Angelica bei Helene Weigel im Berliner Ensemble vor: Das Dienstmädchen Piperkarcka aus Gerhart Hauptmanns „Ratten“. Man war angetan. „Aber Helli, die ist für uns viel zu schön“, monierte der Dramaturg Manfred Wekwerth. „Na, das kriegen wir auch noch weg“, frohlockte die Prinzipalin. Und engagierte „das Pupperl“ (das die Domröse nie sein wollte).

 

Angelica heiratete zuerst den tschechischen Schauspieler Jiri Vlstava; im Osten bekannt als „Clown Ferdinand“. Dann wurde sie die Frau ihres Kollegen Hilmar Thate – und blieb es bis heute. Beide waren hoch privilegiert. Zugleich war sie zunehmend genervt von der Gängelei der Politfunktionäre im „Karnickelstall DDR“. Ihr „Widersprechen von links“ gipfelte im Festhalten an der Parteinahme für „Volksfeind Wolf Biermann“ – gegen „kleinbürgerliche Selbstgerechtigkeit und geistigen Kartoffelsuppengeruch“. Zusammen mit Thate verließ sie die DDR.

 

Im Westen war sie zunächst kein Star. Allmählich aber fasste sie Tritt im Film- und TV- Geschäft, das sie freilich zunehmend irritierte als „Windgenerator“. Der mache zwar unaufhörlich Welle, schrecke aber vor nichts so sehr zurück wie vor Seegang: Bloß kein Risiko! Für sie reizvolle Filmangebote mit tollen Stoffen wurden nie realisiert aus Furcht vor niedrigen Quoten. „Hat mich traurig gemacht“, gestand sie 1986 – da war sie gerade „Schauspielerin des Jahres“ geworden und drehte „Kir Royal“.

 

Trotz dieser Erfolge: Sie vermisste die kontinuierliche Arbeit mit einem Regisseur an einem Theater. Als sie ins Berliner Schiller-Theater kam, fühlte sie sich endlich wieder „heimatlich“. Umso schlimmer dessen Abwicklung. „Wie eine zweite Austreibung aus der DDR.“ Da ist sie Anfang 50, schwieriges Alter. Dennoch dreht sie fleißig für Kino und TV und bekommt Lorbeeren (Goldene Henne fürs Lebenswerk, Josef-Kainz-Medaille). Trotzdem: Die notorisch Skeptische stürzt in Daseinsängste, schluckt maßlos Alkohol. Reißt sich, Hilmar hilft ihr, wieder hoch. Macht mit in der Filmkomödie über eine renitente Seniorenheim-Clique. Zum Schauspieler-Beruf gehöre „die Fähigkeit zur Hingabe an ein anders Sein“, sagt sie. Und die beruhe auf einem sehr starken Ich. – Dazu: Gratulation!

3. Der besondere Tipp - Rilke-Preziose jetzt wieder im Deutschen Theater

Er liebte Hortensien; sie mag sie auch. Also bringt Barbara Schnitzler eine schöne große, blassblaue Dolde mit für ihr Rilke-Programm im Rang-Foyer des Deutschen Theaters. Und steckt sie ins Glas auf dem Tisch mit den rokokohaft geschweiften Beinen. Dahinter sitzt sie, meist kerzengerade, seltsam mädchenhaft und zugleich hoheitsvoll abgeklärt. Seidig weiße Bluse, schwarze, weit geschnittene Hose. Auf dem Stuhl mit den Armlehnen und der herzförmig gebogenen Lehne bis hoch zu den Schultern. Das gute alte, vornehme Sitzmöbel, auf dem schon Inge Keller, ihre betagte Kollegin Mutter, aber auch andere Honoratioren des Hauses Ehrungen, Huldigungen und Blumen, meist Rosen (nie Hortensien), entgegennahmen. Ein theatergeschichtlich bedeutender Sitz, sozusagen.

 

Rainer Maria Rilke, was für ein Name, schwärmt spitzzüngig die Schnitzler; er klinge „kindlich, kirchlich, ritterlich“. Das Motto ihres, altmodisch gesagt, Vortragabends ist ein nur allzu berühmtes Briefzitat des großen Dichters, Melancholikers, Verführers, Vegetariers und Lebenskünstlers: „Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles“. Doch erst einmal, als Ouvertüre, spielt der wunderbare Michael Abramovich auf dem Klavier Chopin – es ist ein weißes Klavier (neben der blauen Hortensie). Und zwischen dem Lesen von Prosastücken und Gedichten sowie der Abgabe informativer, mit sarkastischen Zitaten („was wäre unbrauchbarer als ein getröstetes Leben“) durchsetzte Kurzkommentare oder fein ironischer Bemerkungen – und natürlich immer wieder ein Stück von Chopin.

 

Was für ein kunstvoller, dabei völlig unprätentiöser Abend mit tiefen Gedanken und berückender Sprache. Ein Abend auch im Sinnbildlichen, wird doch nur allzu oft die Dämmerung beschworen, der Abschied, die Endlichkeit. „Es ist Zeit, sich reisig auszurüsten…“ Weiß man doch, dass „alles einmal nicht mehr ist“. – „Uns überfüllts. Wir ordnens. Es zerfällt. / Wir ordnens wieder und zerfallen selbst.“

 

Die Schnitzler, so einfühlsam wie wissend, trifft mit ihrer unverwechselbar dunkel getönten Stimme (die auch scharf sein kann, schneidend, bissig) für jeden Text, ja jeden Gedanken den rechten Ton: warm und weich, weh und traurig oder kühl, kalt, hart, streng, unerbittlich. Doch niemals wehleidig, nie herzlos zynisch. Doch immer mal wieder voll Bitterkeit, die sie freilich sofort lax weggesteckt. Rilkes Elegien – ganz unelegisch, dafür ernst und klar. Sentimentalitäten bleiben ahnbar bloß. Und immer wenn’s nur passt, da girrt ein Kichern, flackert ein Lachen, ein gewitztes Seufzen. „Noch ist die Welt voll Rollen, die wir spielen. / Solang wir sorgen, ob wir auch gefallen, / spielt auch der Tod, obwohl er nicht gefällt.“

(jetzt endlich wieder am 11. April, 20 Uhr im DT, Rang-Foyer, genannt Saal)

Unser Fernseh-Tipp in eigener Sache -

Heute, Montagabend, 20.15 Uhr, die "Montagskultur unterwegs" im Studio Voltastraße auf Alex-TV : Der Theater-Talk mit Alice Ströver, den beiden Kritikern Arno Lücker und Reinhard Wengierek sowie einem Gast; diesmal Giesla Höhne, Chefin und Begründerin vom Theater RambaZamba. Kritisch betrachtet werden die Premieren "Der Vampyr", Oper von Heinrich Marschner (Komische Oper); "Roots" (Varieté im Chamäleon-Theater); "Hiob" von Joseph Roth (Deutsches Theater). Später auch im Netz auf YouTube.

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