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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 165

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

21. März 2016
HEUTE: 1. „Othello“ – Gorki-Theater / 2. „Erbarmen“ – Kriminal Theater / 3. Kunstpreis für Großkünstler Castorf

1. Gorki-Theater


„Othello“ (das Stück) ist ungefähr genauso alt wie die Commedia dell‘arte (das Genre). Beide haben viel mit Venedig zu tun: Dort heiratete der Kriegshauptmann Othello klammheimlich die weiße Patriziertochter Desdemona, womit die aus Eifersucht und Rassismus, Egoismus und Dummheit gemischte Shakespeare-Liebestragödie ihren mörderischen Verlauf nahm; und in Venedig trieb besagte Commedia ihre bizarrsten Blüten. Das brachte Regisseur Christian Weise auf die nur auf den ersten Blick bizarre, doch letztlich hintergründig Effekt machende Idee, Shakespeares abgründiges Menschendrama von lauter grotesk verpuppten Harlekins (also lauter Männern) spielen zu lassen, die wie im Tollhaus - das Innenleben der Shakespeare-Figuren gleicht ja einem solchen - durch einen venezianischen Shakespeare-Karneval-Comic rasen. Allein die Hauptfigur (Taner Sahintürk) kommt als Mensch wie du und ich daher in Jeans, Turnschuhen, Sweatshirt. Womit die Sache klar ist: Othello, der „Mohr von Venedig“, ist in Sören Voimas Text „nach Shakesepare“ der „zypriotische Schleim im Arsch Venedigs“ - und zugleich der hier einzige Normalo unter lauter depperten und zugleich durchtrieben bösartigen Hampelmännern.- Ein verblüffendes, krudes Sinnbild für die herrische, weiße westliche Herrscher-Welt.

 

Was für eine Setzung des Regisseurs! Allein darin schon und noch dazu in Voimas Text, eine scharf geschliffene Shakespeare-„Überschreibung“, steckt Musik drin für großes philosophisch-soziales, kompliziert dialektisches Diskurs-Orchester: Rassismus, Kolonialismus, Kapitalismus, das Eigene und das Fremde, Chancengleichheit und Diffamierung bis hin zu Genderfragen nebst (homo)sexueller Orientierung. Allerhand für drei Stunden Theater.

 

Und prompt passierte, was bei derart massiver Theorie-Ansage leicht passiert: Alles bleibt vornehmlich beim Behaupten; der puppenlustige Comic-Karneval demonstriert immerzu Klischees vom Leben und vom Zustand der Welt und kreiselt wie verrückt (im Spiel freilich hinreißend verrückt) um sich selbst. Die grandiose Überfülle der zirzensischen Attraktionen gerät immer mehr zur Hauptsache. All das wirklich Nachdenkenswerte von Voima (das Pseudonym des Dichters Christian Tschirner) und nicht zuletzt von Shakespeare verschwimmt und verschwiemelt. Der kurzweilige, freilich gelegentlich auch zur platten Verspaßung überschäumende Abend verliert sich im perfekt arrangierten, hoch artifiziellen Nummern-Kabarett. Und nimmt der angesagten Denkfabrik die Luft, ihre wahre Wucht zu produzieren. Das Publikum bleibt unterfordert und gefällt sich im Schenkelklopfen.

 

So ideenreich und gut und gegenwartspolitisch korrekt und über alle Maßen kompakt dieses „Othello“-Theater-Entertainment auch gemeint war, ein kurzer Blick ins Original des elisabethanischen Dramatikers offenbart die Verluste: Da ist in diesem politisch aufgeladenen Psycho-Thriller, der in der weltberühmten Lovestory steckt, klar und kühl und ziemlich zynisch und nihilistisch die Rede von Ichsucht und Konkurrenzangst, von Einsamkeit und Verzweiflung: Der nackte Mensch (ohne Harlekin-Krause) mit seinen schönen, doch überwiegend schrecklichen, lauter ungute Verhältnisse stiftenden Obsessionen. Da fragt man sich sofort zusammen mit Shakespeare: Wie fragil ist aller Menschen Ordnung, wenn schon ein Tropfen Zweifel (das Taschentuch!) an Vertrauen und Liebe das ganze Dasein in Chaos und Vernichtung treibt? Wie untergangssüchtig sind wir eigentlich? Wie unvernünftig oder gar unfähig, eine lebenswerte Zukunft zu suchen? Zwei einfache, ganz gegenwärtige Shakespeare-Fragen, die letztlich einigermaßen untergehen an diesem in grandios glitzerndes Commedia-Kabarett eingehüllten Abend.

(wieder am 27., 28. März)

2. Kriminal Theater

Die Politikerin Merete Lynggaard siecht in einem Betonbunker dahin. Sechs Quadratmeter ohne Stuhl, ohne Bett. Nur zwei Eimer; einer fürs Essen, einer für die Notdurft. Sie ist eine Gefangene, wurde entführt, aber sie weiß nicht von wem und warum. Und jeweils an ihrem Geburtstag wird der Druck im luftdichten, lichtlosen Betonloch, einer Druckkammer, erst um ein bar, dann um drei, dann um fünf bar erhöht. So geht das seit fünf Jahren schon – bis ihre Organe demnächst zerplatzen werden. Eine besonders grauenvolle Folter! Doch warum nur? Die Welt draußen denkt, Merete ist längst tot, als sie am helllichten Tag spurlos verschwand in Puttgarden. Die Ermittlungen wurden eingestellt. Doch jetzt rollen Kommissar Mörk und sein Assistent Hafez den ungelösten Fall neu auf…

 

Der Psychothriller „Erbarmen“ des berühmten dänischen Bestseller-Autors Jussi Adler-Olsen ist ein vielschichtiger 420-Seiten-Roman, den Sabrina Ullrich und Wolfgang Rumpf, Regisseur und Co-Chef des Kriminal Theaters, höchst geschickt auf kompaktes Kammerspielformat komprimierten. Sie entwickelten für die Berliner Erstaufführung unter Rumpfs ingeniöser Führung eine äußerst bühnenwirksame Klipp-Klapp-Dramaturgie, für die Manfred Bitterlich und Mirjam Kastner ein frappierend funktionales Bühnenbild bauten: Klipp, und wir sehen den maskierten, mörderischen Sadisten/Entführer, der mit zynischen Kommentaren sein Opfer in der Folterhöhle heimsucht, das dort unter Schmerzen sich windet (Kristin Schulze & André Zimmermann); Klapp, und wir sind im Kopenhagener Polizeibüro, wo das clevere Kriminalisten-Duo Mörk-Hafez (Bravo: Silvio Hildebrandt & Alejandro Ramón Alonso) das Info-Puzzle ihrer Ermittlungen Stück für Stück zusammenfügt. Also hier die Bilder unmenschlichen Horrors (hoher Gruselfaktor!) und dort, quasi parallel, die spannende, ziemlich komplexe Detektivarbeit des coolen Polizisten-Gespanns, das sich gern eloquent und schlagfertig gegenseitig in die Parade fährt. Feine Dialoge, die mit Witz und Sarkasmus um sich werfen, aber auch Versagensängste raus lassen, den Frust darüber, hatte man zu lange auf eine falsche Fährte gesetzt. Dieses gehörig an den Nerven zerrende, zunehmend unter Druck stehende Klipp-Klapp macht diesen bissig-bösen Krimiabend so besonders, so aufregend.

(wieder am 23. März, am 11., 25., 28. April, jeweils 20 Uhr)

3. Akademie der Künste - Großer Kunstpreis Berlin 2016 für Frank Castorf

Er hat Mama mitgebracht. Frau Castorf thront mit lässiger Eleganz neben Frank im Plenarsaal der Akademie der Künste am Pariser Platz. Dort bekommt ihr Sohn, Star-Regisseur und seit 24 Jahren Chef der Volksbühne, aus der Hand des Regierenden den Großen Kunstpreis Berlin (nebst 15.000 Euro). Delikate Sache. Immerhin hat ihm Michael Müller per 2017, da ist Castorf 66, als erste Handlung im Amt als Kultursenator den Job gekündigt. Dafür dezidiert er ihm jetzt „Spezialistentum“ in Sachen Revolution und Umbruch sowie genaues Wissen um die Wunden, die solcherart Zäsuren im Menschen schlagen.

 

Für das Geld, das er dafür bekomme, kontert Castorf, müsse er nicht dankbar sein. Kunst habe nichts zu bestätigen. Sie imaginiere autonome, vieldeutige, irritierende, animierende Kunstwelten. Schauspieler Ulrich Matthes dazu in seiner Laudatio: Er fühle sich in Franks schier unendlichen Assoziationsräumen wie am Flipperautomaten, so ratterten ihm die Gedanken und Impulse hochtourig durchs Hirn. Die AdK-Jury, die Schauspieler Constanze Becker und Matthes sowie der Klassik-Sänger Christian Gerhaher, schreibt zu ihrer „aus vollem Herzen“ getroffenen Entscheidung, Castorf sei ein „Großkünstler vom Range eines Picasso für das Theater“, von dessen Werk eine „Energie und Strahlkraft“ ausgehe, mit der sich jeder auseinandersetzen müsse…

 

Frankie, der alte Rocker in Jeans, schwarzem T-Shirt, Schlabberjackett, das schüttere Haupthaar kurz (!) geschoren, bedankt sich für dieses späte Geschenk (zum Abschied?) seiner Heimatstadt mit einer weit wabernden Rederei. Diesmal Goethe, Schiller, Lenz und Büchner, Wagner, Marx und Bakunin vage streifend. Wir kapieren: Letztlich geht es ihm, kurz gesagt, um den Mut zur Freiheit im Denken und Spielen. – Mit dieser Offenheit für viele Arten Denkspiele von vielen Leuten gelang anno 1992 die Rettung der vorm Aus stehenden Volksbühne und ihr Aufstieg in den Weltruhm. In der dann so zynisch gebrüllt, anarchisch gekracht und artistisch geturnt wird; in der man keine Story auserzählt, alles exzessiv zerlegt und mit Musik, Film und Fremdtext kontrapunktiert, in der ein Chaos tobt, das allerdings unglaublich vitalisierend wirke für Kopf und Gemüt – sagt Matthes in seiner von zart-spröder Zuneigung durchwirkten Lobrede.

 

In dieser Frank Castorf gehörenden Akademie-Nacht regnete es obendrein noch die „einfachen“ Kunstpreise der einzelnen Sparten: Für den Fotokünstler Sven Johne, das Architektenbüro Kertsen Geers David von Severen, den Komponisten Stefan Prins, die Autorin Angelika Meier, die Sopranistin Anna Prohaska und den Tonmeister Peter Avar. Die je mit 5000 Euro Gesegneten wurden im Gespräch vorgestellt – eine arg ins Längliche getriebene Zeremonie meist steifer Verkopftheiten. Schade.

 

Bleibt anzumerken: Akademiepräsidentin Jeanine Meerapfel und Politchef Müller verwiesen in ihren Grußadressen auf den 1948 in Bezug auf die 1848er Revolution begründeten „Kunstpreis Berlin“. Er erinnere an die für Schwarz-Rot-Gold gefallenen Vorkämpfer der Demokratie. Was heute mit Blick auf AfD die Frage aufwerfe, in welchem Staat wir leben wollen. Eine Antwort darauf gab dieser Abend.

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