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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 109

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

15. Dezember 2014

Kammerspiele des Deutschen Theaters


Als anno ‘89 die Ostler sich in Heerscharen aufmachten nach dem Westen, kam ein Westler in den Osten. „Ich bin Ronald M. Schernikau, ich komme aus West-Berlin, bin seit dem 1. September 1989 DDR-Bürger, habe drei Bücher veröffentlicht und bin Kommunist“, sagte dieser schöne Mann mit schulterlangem Haar in seiner Rede auf dem letzten Schriftstellerkongress der DDR Anfang März 1990. Dann sagte er noch: „Die Dummheit der Kommunisten ist kein Argument gegen den Kommunismus.“ Und vorausschauend: „Wir werden uns wieder mit den ganz uninteressanten Fragen auseinanderzusetzen haben, etwa: Wie kommt die Scheiße in die Köpfe.“

 

 

Mit derlei Ansagen verschiss es der Dreißigjährige bei allen. Doch der aufstrebende Romancier (Literaturinstitut Leipzig, delegiert von der SEW), der verständnisvoll gefördert wurde von Ulbricht-und Goethe-Fan Peter Hacks (nur unter Diktaturen wachsen Dichter), der verehrt wurde von Elfriede Jelinek und befreundet war mit Gisela Elsner und Irmtraud Morgner, dieser West-Ost-Flüchtling war kein Stalinist, sondern nach eigener Anschauung die „Milva der deutschen Literatur“. Ein Paradiesvogel also, hochbegabt, hellsichtig und wie es sich gehört für eine exzentrische Diva, einigermaßen verrückt. Ronald M. trug Schnauzbart und Pumps, mochte Karl Marx, Heiner Müller, Marylin Monroe, Schlagermusik, knackige Kerle und gelungene Sätze. Und er starb 1991 mit 31 Jahren an Aids.

 

In den DT-Kammerspielen machten jetzt Dramaturg John von Düffel und Regisseur Sebastian Kraft aus diesem mutigen Außenseiter-Leben unter dem Titel „Die Schönheit von Ost-Berlin“ eine szenische Collage. Die Figur Schernikau wird aufgespalten auf vier Schauspieler, die dann das schillernd, zuweilen auch krachend Exotische dieser zerrissenen und doch so starken Künstlerexistenz prononciert ausstellen, freilich mit vehement spielerischer Virtuosität. Doch die hier allzu große Nähe zum Tunten-Trash verdeckt die unbedingt ernst zu nehmenden, die tragischen Dimensionen Schernikaus. Wäre da nicht die immer auf leise Art faszinierende Schauspielerin Margot Bendokat als dessen Mutter, die mit nüchternem Ernst von ihrem als zutiefst unglücklich empfundenen Ost-West-Schicksal erzählt (Flucht im VW-Kofferraum von Magdeburg nach Hamm zu Ronalds Vater, der dann beide sitzen lässt). Allein von ihr kommen die erschütternden Momente dieses ansonsten unangemessen frivolen Abends. (wieder am 28. Dezember)

Berliner Ensemble - Einer geht und einer kommt

„Ich weiß, wo ich aufpassen muss. Nichts ist schlimmer als ein leeres Theater“, sagte mir Oliver Reese, designierter Intendant des Berliner Ensembles ab der Spielzeit 2017/18. Und Claus Peymann (77), derzeit amtierender BE-Boss (seit dem Jahr 2000), der weiß das auch. Und der Rest sei Schweigen, meinte er süffisant und durchtrieben vieldeutig bezüglich seines Nachfolgers Reese.

 

Der ist gegenwärtig Chef des Schauspiels Frankfurt am Main, wo man ihn liebt, weil er das Theater wieder fest in der Stadt verankert hat. Man lässt ihn nicht gern ziehen nach Berlin, wo er unter der Direktion Bernd Wilms erst das Gorki und dann das (beiden noch immer ein bisschen nachtrauernde) Deutsche Theater auf Erfolgskurs setzte.

 

Wir wissen, das Peymann-BE wird vom Gros der veröffentlichten Kritik als altbacken abgestempelt („Seniorenwohnung für Theaterlegenden“, lästerte die Süddeutsche Zeitung). Und gegen Reeses Frankfurter Betrieb führt man (dem BE gegenüber ähnelnd) bei aller Qualität eher Gefälligkeit und einen Hang zum Boulevardesken ins Feld. Doch Reese und Peymann fürchten beide leere Theater wie der Teufel das Weihwasser – das Publikum dankt es ihnen und strömt zuhauf herbei.

 

In Berlin wurde spekuliert, dass man aus dem BE eine Spielwiese für verwegenes Regisseurstheater machen wolle oder ein reines Gastspielhaus für freie Gruppen (dem HAU nicht unähnlich). Oder dass der hinsichtlich einer seriösen Geschäftsführung nicht eben bekannte Leander Haußmann die Leitung am Bertolt-Brecht-Platz übernehme. Nun also der jetzt 50 Jahre alte, im Umgang mit großen Häusern höchst erfahrene Oliver Reese. Eine gute Entscheidung; eine der letzten des inzwischen abgetretenen Kultursenators Wowereit.

 

Doch was will Reese daraus machen? Seine erste, freilich noch einigermaßen vage Ankündigung ist ein Großauftrieb an zeitgenössischen Autoren. Gewiss gäbe es massenhaft Uraufführungen, sagt er, doch eben vornehmlich von Stücken kleinerer und kleinster Formate. Das könnten inzwischen alle und überall. Er hingegen wolle das neue Gegenwartstheater mit großen Stoffen im großen Format auf der großen Bühne, also das komplexe, figurenreiche Tableau, wozu er sich den Berliner Dramatiker Moritz Rinke an seine (direktorale?) Seite holen werde.

 

So Oliver Reeses Profilierungsanspruch für ein neues und unverwechselbares BE; denn in einer Großstadt wie Berlin mit zahlreichen Bühnen müsse man sich ein- und abgrenzen. Stimmt! Und das geht natürlich gegen das Deutsche Theater, das zur Zeit eher Autoren von jetzt und gern auch im eher kleinen, experimentellen Box-Format pflegt als – das wäre ein genuiner Anspruch – das Klassische im klassisch großen Format. Wenn es so wird wie angedacht, wird Reese zur schweren Herausforderung sonderlich für das nachbarliche DT. Nicht ganz einfach. Doch er hat ja noch gut zwei Jahre Zeit zur schweißtreibenden Vorarbeit. Und das DT wird wohl allerhand neu durchdenken. Könnte sehr spannend werden fürs Publikum! Wir freuen uns.

Trip nach Wien im Kino in Berlin

„Scheiße, Scheiße, Scheiße“, zischt die noch ziemlich junge Fachkraft mit Piercing in der Nase sowie den ziemlich goldenen Händen. Es ist der Fachrestaurator für Uhren und mechanische Geräte im Kunsthistorischen Museum Wien. Er balanciert vorsichtig ein Reisetaschen großes Segelschiff, golden, mit Segeln aus Perlmutt und mit ballernden Kanonen und trompetenden Soldaten, dessen Einzelteile noch vertrackt klemmen. Es ist eine verrückte Renaissance-Preziose, ein Sinnbild én miniature für den kaiserlichen Führer des Habsburgischen Reichs.

 

Toll, wie man da beim Fummeln an solch einer Renaissance-Preziose zuschauen kann. Überhaupt bekommt man in Johannes Holzhausens Dokufilm „Das große Museum“ tiefe Einblicke ins Backstage eines Riesenmuseums. Man ist dabei bei Staatsbesuchen, Auktionen und wissenschaftlich-technischen Untersuchungen (die Exponate wie Patienten auf dem OP-Tisch), bei Visitationen der Depots, beim Prüfen der Mottenfallen, beim Kabelverlegen für LED-Beleuchtungssysteme, bei der Diskussion über den neuen PR-Auftritt mit dem Logo „Kaiserlich“ (zieht noch mehr Besucher an), bei problematischen Aussprachen der Direktion mit den Abteilungsdirektoren (Budget) oder dem Aufsichtspersonal (Missachtung), beim Aufhängen und Abhängen und Auswählen und Einrichten von Sonderausstellungen (im Mittelpunkt: Die Urzelle des Museums, die Kaiserliche Kunstkammer). Wahnsinn! Und erst die stille Hingabe und penible Sorgfalt aller Mitarbeiter. Doch die wissen: Ihr Arbeitsplatz ist einzigartig!

 

Nicht zuletzt bewundern wir, wie selbstverständlich die Regierung eines vergleichsweise kleinen demokratischen Staats die so überbordende, kostbare kulturelle Hinterlassenschaft seiner monarchischen Vorgänger pflegt und ausstellt und also begeisternd hoch hält. Und wir lernen, wie ein historisches Museumskonzept ins Heute überführt wird; nicht zuletzt zur festlichen, auch stolzen Selbstdarstellung einer Nation. Felix Austria!

 

Und nichts passt gerade für uns Berliner besser in den Advent wie dieser unterhaltsame, herrliche und nicht nur für „normale“, sondern gerade auch für professionelle Schöngeister (der Museen) so lehrreiche Ausflug nach Wien.

 

rständnisvoll gefördert wurde von Ulbricht-und Goethe-Fan Peter Hacks (nur unter Diktaturen wachsen Dichter), der verehrt wurde von Elfriede Jelinek und befreundet war mit Gisela Elsner und Irmtraud Morgner, dieser West-Ost-Flüchtling war kein Stalinist, sondern nach eigener Anschauung die „Milva der deutschen Literatur“. Ein Paradiesvogel also, hochbegabt, hellsichtig und wie es sich gehört für eine exzentrische Diva, einigermaßen verrückt. Ronald M. trug Schnauzbart und Pumps, mochte Karl Marx, Heiner Müller, Marylin Monroe, Schlagermusik, knackige Kerle und gelungene Sätze. Und er starb 1991 mit 31 Jahren an Aids.

 

In den DT-Kammerspielen machten jetzt Dramaturg John von Düffel und Regisseur Sebastian Kraft aus diesem mutigen Außenseiter-Leben unter dem Titel „Die Schönheit von Ost-Berlin“ eine szenische Collage. Die Figur Schernikau wird aufgespalten auf vier Schauspieler, die dann das schillernd, zuweilen auch krachend Exotische dieser zerrissenen und doch so starken Künstlerexistenz prononciert ausstellen, freilich mit vehement spielerischer Virtuosität. Doch die hier allzu große Nähe zum Tunten-Trash verdeckt die unbedingt ernst zu nehmenden, die tragischen Dimensionen Schernikaus. Wäre da nicht die immer auf leise Art faszinierende Schauspielerin Margot Bendokat als dessen Mutter, die mit nüchternem Ernst von ihrem als zutiefst unglücklich empfundenen Ost-West-Schicksal erzählt (Flucht im VW-Kofferraum von Magdeburg nach Hamm zu Ronalds Vater, der dann beide sitzen lässt). Allein von ihr kommen die erschütternden Momente dieses ansonsten unangemessen frivolen Abends. (wieder am 28. Dezember)

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