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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 105

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

17. November 2014

Maxim Gorki Theater


Anfang der 1960er Jahre war das eine zynische Provokation: In einen englischen Mittelstands-Haushalt (alter muffelnder Vater, die nymphomanische Tochter ein spätes Mädchen, der Sohn eine Klemmschwester, also ein "warmer Bruder"), in jene gepflegte Schrankwand-Höhle zieht zur Untermiete ein junger, knackiger, krimineller Farbiger ein - Mr. Sloane. Es kommt zu Mord und Totschlag, zu Erpressung, Diebstahl, Prostitution und sexuellem Überkreuz. „Entertaining Mr. Sloane“ von Joe Orton (1933-1967) ist ein - auch verfilmter - Weltbestseller des so genannten neuen britischen Dramas, der mit einem Schlag das eiserne Hochhalten gutbürgerlicher Werte und Konventionen als Krampf bloßstellt. Ein Ballermann gegen Spießigkeit und Muff mit geschliffener Rhetorik. Dazu leichthin eingezogen tragische Untertöne über die fatalen Folgen von Lug und Trug. Ein tolles Ding am Rand zur Farce. Ein Fressen für Schauspieler wie fürs Publikum. Bis heute. Denn verpufft ist der ein Halbjahrhundert alte Boulevard-Knaller auch in unserer vermeintlich extrem aufgeklärten Zeit noch nicht.

 

Das junge und berühmte Regie-Genie Nurkan Erpulat vermag, wir wissen es, dem boulevardesken Affen massig Zucker geben. Seine Phantasie schäumt himmelwärts; leider ist das im Theater oft zu hoch. Dazu quälte ihn jetzt im Gorki noch die blöde Idee, immerzu mit jeder Silbe Text und mit jeder Geste der klasse Schauspieler demonstrieren zu müssen, dass „Seid nett zu Mr. Sloane“ bloß eine altbackene Albernheit sei. Eine olle Kamelle, tauglich allein für eine freilich wie geschmiert rasende Blödel-Orgie. Und so wird denn eitel hochmütig ein grelles Karikaturen-Panoptikum aus dem totalen Tollhaus entfesselt bis den artistischen Akteuren die Puste ausgeht. Eine affige Slapstick-Maschine tobt brüllend über die mit Sixtie-Flokati gepolsterte Bühne. Obendrein wird – überflüssiger theoretischer Überbau – postkoloniales Gender-Gequatsche aus diversen Polit-Broschüren abgesondert. Daneben die sentimentale Aufhübschung mit Pophit- und Musical-Zitaten. „The show must go on!“ Alles Lalala, Hahaha. Ulk als reiner Selbstzweck. Schade um das Stück, das Groteske, Aberwitzige, das Schlimme. Karacho im Dauer-Fortissimo ist eben noch lange kein Boulevard; höchstens dröhnender Holzhammer-Betrieb. Tut weh! Schlimmer noch: Langweilt!

 

Gibt es denn keine dramaturgische Kraft, die diese Erpulat-Spaß-Gag-und-Verfremdungswalze innehalten lässt? Noch nichts gehört von effektvoller Kalkulation der Effekte? Was für ein nachhallend galliger Lacher hätte (gerade auch mit diesem potenten Regisseur) werden können aus diesem tollen Stück aus der Kleinbürgerhölle. Ärgerlich.

 

 

PS: Total ärgerlich auch die verquaste, politisch unreife, deutsche Geschichte arrogant beiseite schiebende Gorki-Aktion zum Thema „Flüchtlinge“ im Vorfeld des Mauerfall-Jubiläums. Ein Staatstheater wie das Gorki muss nicht linientreu sein, immerhin eine zu rühmende Errungenschaft, was gern vergessen wird. Doch ein Staatstheater sollte sensibel genug sein, mit symbolischen Grabkreuzen (für die Mauer-Toten am Spreeufer in Mitte) pietätvoll umzugehen. Sie also nicht, wie es Gorki-"Aktivisten" taten, klammheimlich abzureißen und anderweitig zu gebrauchen. Auch das womöglich ehrenwerte Anliegen einer womöglich gerechten Anklage rechtfertigt nicht jedes Mittel. Da fehlte es an menschlicher wie politischer Reife. Man sollte bei den betroffenen Angehörigen der Toten um Entschuldigung bitten!

Theater am Kurfürstendamm

Nun gleich noch ein Ding aus den 1960er Jahren: Neil Simons Boulevard-Hit „Ein seltsames Paar“, von Hollywood verfilmt mit Lemmon und Matthau; jetzt unter dem Titel „Oscar und Felix“ am Kudamm. Um es gleich zu sagen, der nett augenzwinkernde Spaßvogel Simon ist natürlich nicht im entferntesten das scharfe Kaliber wie der Brite Joe Orton. Ja, dieser Neil-Simon-Aufguss, den schon die US-Soap „Männerwirtschaft“ vermarktete, ist längst gehörig abgedroschen.

 

Thema: Zwei geschiedene Zausel machen auf Alte-Herren-WG, wobei der eine (hier: Leonard Lansink als Oscar) ein schlampert geiler Mops ist und Felix (Heinrich Schafmeiter) ein hysterisch-hypochondrischer und scheuer Ordnungsfanatiker. Die Kollisionen zwischen diesen beiden ungleichen Clowns sind vorhersehbar, allzu vorhersehbar. Es rappelt artig in der Beziehungskiste, erst recht, wenn am Ende zwei exotische Damen aus Spanien auftreten… Diese ganze Melange und Malaise mag eine lustige flotte Stunde füllen, aber ausgeleiert auf knapp hundert Minuten einschließlich Pause für Erdbeerbowle, da wird es ätzend. Schon wieder das Kudamm-Bühnen-Dilemma: Anstatt zwei Komiker-Konzentrate als zwei Einakter zu koppeln gibt es diese Breittreterei.

 

Trotz allem sei bemerkt: Heinrich Schafmeister ist ein (hier einigermaßen unterforderter) super Komiker!! Mehr von ihm!! Und von der Regisseurin Katja Wolff haben wir schon sehr viel Inspirierteres gesehen („Heiße Zeiten“ oder „Höchste Zeit!“). Dieser fade Abend wäre nur mit dem gezielten Einsatz von Nurkan Erpulat vom Gorki zu retten gewesen.

Grips Theater

Und nun, nach allerhand Gemecker, ein beifallumtoster Paukenschlag fürs Grips: Für „Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone“ nach dem Kult-Roman von Mark Haddon unter der bravourösen, äußerst sensiblen und genauen Regie von Barbara Haack. Die Hauptrolle in diesem so wundersam poetischen, einfühlsamen Stück über einen Autisten gibt Kilian Ponert. Er spielt einen hochbegabten, höchst gefährdeten Außenseiter, der schließlich all seine Kraft und all seinen Mut zusammen nimmt und seine – für Außenstehende unsichtbaren „Wände“ beiseiteschiebt. Dabei muss dieser Christopher Boone zunächst mit seinem kaputten Elternhaus klar kommen, dann aber auch noch lernen, dass das Leben "draußen" ziemlich schrecklich und böse und voller Gefahren sein kann.

 

Diese Produktion (P14) ist ein großer, ein schöner Wurf des Grips. Er bringt seinem jugendlichen, sich so gern ungeniert pubertär im Zuschauersaal produzierenden Publikum etwas nahe, was ihm wohl eher fern steht und auf das einzulassen den rotzigen Halbstarken nicht unbedingt leicht fällt (ich saß vormittags in der Schülervorstellung). Es muss aber sein. Die Teenies müssen begreifen, dass nicht alles so ist, wie sie es mit ihrem Horizont für cool halten. Ein Stück starkes Theater. Auch für die Großen. Unbedingt hingehen! (wieder 22., 24., 25. November und 10, 11., 12. Dezember)

Berliner Ensemble / Eine botanische Randbemerkung

Das gute alte Theater am Schiffbauerdamm hat die schöne Adresse Bertolt-Brecht-Platz 1. Dort steht jetzt eine luxuriöse Wohn-Büro-Hotel-Anlage. Deren Vorplatz (namens Brecht) gleicht allerdings, nachdem dort viele Bäume gefällt wurden, einem öden Appellplatz, von seltsam innovativen Gartenarchitekten mit breiten Kies- und schmalen Rollrasenstreifen minimalistisch dekoriert.

 

Diese massive Hässlichkeit muss den edlen Eignern oder auch der schöngeistigen BE-Intendanz aufgefallen sein. Jedenfalls gibt es jetzt – heute, am Montag um 12.30 Uhr (wer es rechtzeitig mitkriegt, kann hinzu eilen) – eine sozusagen nachträglich anberaumte Begrünung – eine Baumpflanzung. Natürlich aufgemotzt als kleines hübsches Happening. Der altgediente Aktionskünstler Ben Wagin annonciert sie unter dem für Spenderohren wohlklingenden und frivol ohne Komma gesetzten Motto „Bäume Klima Räume“. Es sollen Dichterworte zitiert werden, ein Ex-Bundesminister soll antreten, Musik erklingen und die Klasse 5b der Wedding-Schule soll die Baumpatenschaft übernehmen (fleißig gießen!!). Peymann wird natürlich auch vorbei gucken. Wie schön und brav und gut! Auch ich liebe Bäume und hasse Appellplätze.

 

Aber: Sieben Ginko-Bäume sollen gesetzt werden, Goethe hat sie ja geliebt und sogar bedichtet. Dennoch: Sie bleiben meist so peinlich mager. Man gehe nur 20 Minuten vom Brecht-Platz am Schiffbauerdamm nördlich zum Invalidenplatz an der Invalidenstraße. Dort hat man vor gut einem Jahrzehnt viele der teuren Ginkos gepflanzt. Sie sehen noch heute aus wie armselige Besenstiele mit angepappten Salatblättern. Ach, Gottchen! Warum immer wieder diese höchstens literarisch interessanten, botanisch jedoch so unergiebigen und langweiligen Ginkos.

 

Früher hatte man auf dem Brecht-Platz um Fritz Cremers feines ehernes Brecht-Denkmal herum (das jetzt vor dem Neubau-Giganten besagter Luxusklasse da steht wie eine Gartenzwerg-Deko), also da hatte man einst typische Gewächse der Mark gepflanzt – Birken (eine hat die Baustelle überlebt), Weiden, Erlen, Kiefern oder so. Dichtes Gebüsch. Sehr viel besser, billiger und sinniger als Ginkos. Und wenn schon: Warum jetzt keine Buche, Eiche, Kiefer? Kein Ahorn, Flieder, Holunder? Ach, hätte man die teure Grünanlagengestaltung doch bodenständigen Forstleuten überlassen statt flatternd schöngeistigen Kunstgewerblern.

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