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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 89

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

2. Juni 2014

Kleines DT-Theatertreffen


Die alljährlichen Autorentheatertage des Deutschen Theaters (5. bis 14. Juni) sind ein exquisites Festival für Novitäten und Gastspiele; eigentlich ein zweites Theatertreffen, freilich etwas kleiner, doch dafür ästhetisch eher weiter gefasst. Wer bei den Festspielen nicht zum Zuge kam bezüglich Karten, kann es jetzt im DT versuchen. Es gibt Einladungen aus Basel, München, Hannover, Leipzig, Oldenburg, Zürich, Wien und Bonn. Die Auswahl ist, zumindest die Standorte betreffend, deutlich breiter gestreut als beim Theatertreffen. Sehr begrüßenswert!

 

Das Prinzip dieser Autorentheatertage ist: ein Juror, diesmal der Hamburger Kulturjournalist und Theaterkritiker der Süddeutschen Zeitung, Till Briegleb, sucht sich fünf neue, ihm wichtige Stücke aus, eins kommt dann im DT in großer, „echter“ Inszenierung heraus (am 5.6., Regie: Stephan Kimmig), die anderen werden in Werkstatt-Inszenierungen oder szenischen Lesungen vorgestellt in der Langen Nacht der Autoren am 14. Juni. Flankiert werden die fünf von Briegleb erwählten Stücke von den besagten acht Gastspielen.

Das diesjährige Festival prägt jedoch eine Besonderheit: „Nach 20 Jahren Autorentheatertage in Hannover, Hamburg und jetzt Berlin scheint ein guter Moment gekommen, um einmal innezuhalten für eine selbstkritische Bestandsaufnahme“, sagt Briegleb. Diesmal bringt er also nichts Neugeschriebenes. Vielmehr suchte sich Briegleb seine Favoriten aus dem Fundus der ausgezeichneten Novitäten der Jahre zuvor 1995 waren die ersten Autorentage. Äußerst vernünftig, das Augenmerk auf diese „verlorenen Perlen“ zu richten. Wird doch in den deutschsprachigen Schreibstuben immerzu Neues produziert und bleibt dann nach der Uraufführung ohne weitere Nachfrage, verschwindet also still in der Versenkung und wird nur in Ausnahmefällen nachgespielt von anderen Bühnen. Die allermeisten neuen Autoren bringen also keinen Fuß in den rasenden Theaterbetrieb, sondern füllen bloß ihre Schubladen. „Brauchen wir also wirklich jedes Jahr so viele neue Stücke wie T-Shirts bei H&M? Führt das stetig wachsende Angebot an Gegenwartsdramatik vielleicht weniger zu Autorenförderung als zum marktähnlichen Verschleiß von Talent“, fragt Till Briegleb – sehr zu recht. Und meint klugerweise, dass das immer noch Gute womöglich mehr Aufmerksamkeit verdiene als das immerzu Neue. War es doch so, dass die Juroren der vorhergehenden Jahrgänge zuweilen aus mehreren Hundert Stück-Einsendungen wählen mussten – Wahnsinn; viel Masse und zwangsläufig relativ wenig Klasse.

 

Till Briegleb stellt sich, zusammen mit DT-Intendant Ulrich Khuon, der Öffentlichkeit am 5. Juni im Rangfoyer des Deutschen Theaters zum Gespräch; Motto: „Innehalten!“. Infos unter www.autorentheatertage.de

 

Kartentelefon: 28441-225.

Superdiva auf CD

Er fand früh heraus, dass er sich für genial halten darf und avancierte mit seinem abgründig suggestiven Spiel sowie den verrücktesten Eskapaden schnell zur begeisternden, aber auch nervendsten Superdiva des westdeutschen Nachkriegstheaters. Klaus Kinski taumelte zwischen hoher Kunst und höchstem Kunstanspruch (auch an sich selbst!) sowie mehr oder minder kontrolliertem Irrsinn.

Der aus der Emigration zurück gekehrte und für notorisches Kritteln berüchtigte Regisseur Fritz Kortner (1892-1970) soll nach der ersten Begegnung mit dem noch nicht 30 Jahre alten Kinski gesagt haben: „Er ist der einzige Schauspieler der Welt, der mich erschüttert, wenn ich ihn nur ansehe.“ Kinskis Sofort-Engagement bei Kortner war damit selbstverständlich – er holte ihn 1956 nach München ans Residenztheater als Prinz Heinrich von Wales in Shakespeares Königsdrama „Heinrich IV.“. Natürlich gab es unentwegt Kräche, am Premierentag dachte Kinski gar an Verhaftung wegen Schulden in für damals sagenhafter Höhe. Kortner verhinderte den Knast in letzter Minute. Seine „Heinrich“-Inszenierung wurde laut beklatscht, umso mehr feierte man die Spieler. Einen Abglanz ihrer rhetorischen Anstrengungen liefert ein just wieder gefundener Mitschnitt der Drei-Stunden-Generalprobe am 5. Juni 1956 – also vor genau 58 Jahren. Eine akustische Wahnsinnsveranstaltung, heutzutage wirkend wie wild geworden knarzender Klassik-Trash. – Ein süßsaures Bonbon der sehr besonderen Art.

 

(Shakespeare „Heinrich IV.“ mit Kinski, Kurt Horwitz, Hans Clarin u.v.a. Random House Audio, Köln. 3 CDs für 19,95 Euro)

Gratulation

Die Krawatte gehörte zu ihr wie die Zigarre zu Brecht. Und der Hosenanzug im korrekten Diseusen-Schwarz, mit Pony und keck wippendem Rotblondhaar. So triumphierte Gisela May, es begann in den 1960er Jahren, auf den allerheiligsten Konzertpodien aller Kontinente: Die „weltbeste“ Brecht-Weill Sängerin (das Signum „Deutschlands beste Diseuse“ hatte sie längst); umjubelt, verehrt, hoch dekoriert, mit Preisen überhäuft.

Ja, die May genoss den Glanz dieser Welt für den Weltstar aus Ostberlin gab es keine Mauern. Und immer, und also auch jetzt, denkt sie links und tut sich schwer mit dem Elend dieser Welt.

Natürlich war Gisela May ein Aushängeschild des DDR-Kulturbetriebs (wofür sie einschlägig beschimpft wurde als „Schönsängerin des Stalinismus“). Sie war DDR-konform; zugleich aber eben DDR-kritisch. Selbstverständlich hielt sie fest zu ihrem einstigen Lebensgefährten, dem Philosophen Wolfgang Harich, auch, als der für seine Pläne zur politischen DDR-Reform jahrelang im Bautzener Zuchthaus litt. Sie ist sich auch heute sicher, dass Wolfgang im Grunde richtig dachte. Nicht das System des Sozialismus sei falsch gewesen, vielmehr dessen „kranke Auswüchse“. So gesehen hatte sie nichts gegen das tierische Etikett „sozialistische Nachtigall“.

„Die Frau kann schauspielen und die kann singen“, hatte einst Hanns Eisler entdeckt. Wobei es in ihrer Branche nicht ankommt aufs hohe C. Was zählt, sind Charakter, Intensität. „Die May“, meinte Paul Dessau, „die singt nicht schön, sie singt richtig.“ Lassen wir das mit dem Schönheitsbegriff mal beiseite; wer je die Lieder aus dem „Schweyk“ gehört hat, erzittert vor deren Schönheit. Gisela May prosaisch: „Ich komme von den Inhalten, Brustaufreißen, das liegt mir nicht.“

 

„Mein künstlerischer Weg ging unsensationell, mühsam und langsam bergan.“ Am Anfang stand Gisela, Tochter eines Schriftstellers und einer Schauspielerin aus Wetzlar und noch nicht volljährig, als Elevin mit einem Vertrag als Soubrette auf der Bühne: für 150 Mark im Komödienhaus Dresden. 1951 dann der große Sprung nach Berlin: erst Deutsches Theater (ein Lehrer: Wolfgang Langhoff), später Berliner Ensemble. Für sie als Frau habe sich Brecht nicht interessiert, erinnert sich die May. Leise kichernd. „Ich war ihm zu damenhaft, trug gern Hut und schminkte mich. Der Brecht stand mehr auf den bäuerlichen, breithüftigen Typ.“

 

Mehr als 700 Mal war die May freilich nach dem Tod des Großen Rauchers in Brechts „Schweyk“, Erich Engels letzter BE-Inszenierung, die so gütige wie durchtriebene „Kelch“-Wirtin Kopecka. Als spektakulär galt seinerzeit das Gastspiel im Berliner Metropol-Theater: In „Hello Dolly“ schäumte sie die Hauptrolle auf mit ironiedurchsetztem, deftigem Humor. Legendär ihr Ausflug an die Staatsoper Unter den Linden. In „Die sieben Todsünden der Kleinbürger“ (Brecht/Weill) stellte sie als „Anna I“ selbst die als unerreichbar geltende Lotte Lenya in den Schatten – so das einhellige Urteil der internationalen Kritik. Barrie Kosky übrigens, Intendant der Komischen Oper, hat vor kurzem erst, bei seiner Spielplankonferenz, respektvoll daran erinnert.

 

Einer anderen ganz Großen stand sie gleichfalls nicht nach. Als Mutter Courage (13 Spielzeiten lang!) beerbte sie Helene Weigel und vermochte der Figur eine bis dahin ungeahnte erotisch-verführerische Kraft zu geben. Dass die May obendrein in vielen Defa- und DDR-TV-Produktionen präsent war, versteht sich.

Ihr größter Theater-Erfolg, die Courage am BE, war zugleich ihr letzter, schade auch insofern, da die May das Zeug hat zur großen Volksschauspielerin. Immerhin: Als „Mutter“ von Evelyn Hamann („Sach nicht immer Muddi zu mir!“ – „Ja, Muddi.“) in der Serie „Adelheid und ihre Mörder“ wurde sie heimisch in den Stuben der Fernsehnation. Dass die May ohne schwarze Krawatte eine klasse Komikerin sein kann, wussten wir freilich schon, bevor sie für die ARD lustvoll den bunten Kittel überzog.

Es war im Frühjahr vor nun schon 22 Jahren, als die BE-Ikone (wohl gerade deshalb) von der damals neuen Direktion umstandslos „abgewickelt“ wurde. Ein „Schock“ für sie, eine „tiefe Kränkung und Missachtung meiner Leistung“. – „Die Neuen am Schiffbauerdamm zielten auf eine andere Art Theater: kein Realismus, keine Identifikation des Publikums mit den Figuren. Man wollte etwas Gebrochenes; in übersteigerter Form sollten das Chaos, die Brutalität der Gesellschaft auf die Bühne. Sie glaubten, das rüttle die Leute besonders auf. Ich finde, das stumpft nur weiter ab. Schon Brecht verwies auf die ‚so ansteckende Krankheit der Unempfindlichkeit‘.“

Als dann Claus Peymann zur Jahrtausendwende antrat als BE-Direktor, da holte er, klug und umsichtig, wie er ist, Gisela May zurück für umjubelte Chanson-Abende. Inzwischen singt sie nicht mehr; müsse ja keiner hören, dass die Stimmbänder kratzen. Also greife ich zur Konserve. Nochmal das große einfache, im besten und schönsten Sinn volkstümliche Lied, das die Wirtin Kopecka hinterm Tresen der verrauchten Prager Bierkneipe „Zum Kelch“ ihren schwermütigen Zechern vorsingt, und das ist nicht nur ein politisch Lied, sondern auch ein hoher Gesang vom ewigen Lauf des Daseins: „Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne/ Der Mächtigen kommen am Ende zum Halt./ Und geh‘n sie einher auch wie blutige Hähne/ Es wechseln die Zeiten, da hilft kein‘ Gewalt./ Am Grunde der Moldau wandern die Steine… Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine...“

Vor ein paar Tagen feierte die große May ihren 90. Geburtstag. Ich verneige mich tief und schmettere mit aufgerissner Brust mein „Happy Birthday!“.

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