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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 72

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

3. Februar 2014

Die Vaganten


Hurra, die Schule ist aus, wir ziehen in den Krieg! Es ist heutzutage zumindest in Mitteleuropa unvorstellbar, mit welch nationalistisch aufgeschäumter Begeisterung („Nun wollen wir sie dreschen!“) nicht nur die Jugend und nicht allein die in Deutschland in den Ersten Weltkrieg zog. Wie ins zünftige Abenteuer eines großen Geländespiels, aus dem man dann, so wenigstens glaubten es alle beteiligten Nationen, spätestens an Weihnachten wieder siegreich zurück sein wird. Es kam, wie wir wissen, alles sehr, sehr anders. Und der große Sieger, das war ein grauenvoller Tod für Millionen. Dem zu gedenken wie überhaupt zu erinnern an diese unsere Welt so grundlegend verändernde Großkataststrophe ist sonderlich in diesem Jahr schmerzlichst aufklärerische Angelegenheit.

 

So ist es denn aller Ehren wert und bestens gemeint, wenn die rührige Kleinbühne an der Kantstraße gleich zu Beginn des Jahres sich des so schwer wiegenden Themas annimmt – auf unterhaltsam leichte Art, nämlich in Form einer theatralisch-musikalischen Revue; Titel: „Hurra! 1914“.

 

Der in diesem Genre erfahrene Autor und Regisseur James Edward Lyons kämpfte sich für sein Kriegsgedenk-Entertainment durch die einschlägig überquellenden Archive und sammelte ein Kompendium aus erst frohgemuten, dann entsetzlichen Feldpostbriefen, aus martialisch propagandistischen, dabei freilich elend kitschigen Liedern und Gedichten sowie aus uns grauenvoll grotesk anmutenden Frontkabarett-Sketchen. Aus diesem doch inhaltlich wie ästhetisch überwiegend horrorhaften, teils unmenschlichen Material komponierte er die „Hurra“-Collage als Nummernrevue; also Kabarettistisches und Gesangliches im fliegenden Wechsel – mit Frank Brunet, Boris Freytag, Katharina Koch und Sven Tjaben. Musikalische Leitung und am Klavier: Ferdinand von Seebach.

Das Grundproblem dieser Veranstaltung freilich ist, dass dem, was man heute nur noch komisch-aberwitzig überzeichnen kann (was man denn auch nach Kräften tut!), dass dem ein himmelschreiendes Grauen innewohnt. Diese Gratwanderung zwischen Komik und Grauen misslingt denn auch   insgesamt gesehen   ziemlich. So kommt das Entsetzliche bloß hübsch lustig oder hilflos albern rüber, vornehmlich im ersten Teil vor der Pause. Erst im zweiten Teil, als im Verlauf des Krieges das Massensterben einsetzt und Gas zum Einsatz kommt, da gelingen einige wahrlich erschütternde Szenen.

 

Alles in allem: Ein gut gemeinter, dennoch höchst zwiespältiger Abend! Sind doch die Mittel der Unterhaltungskunst nur äußerst schwer handhabbar für eine auch im Aufklärerischen überzeugende Darstellung von militaristischer Verblendung und kriegerischem Gräuel.

Berliner Theatertreffen 2014

Wie jedes Jahr im Mai (diesmal vom 2. bis zum 18.) laden die Berliner Festspiele ein zum Theatertreffen, der großen Best-Of-Show des deutschsprachigen Schauspielbetriebs (der Spielplan wir am 4. April veröffentlicht, Kartenvorverkauf ab dem 12. April, 10 Uhr). - Die siebenköpfige Jury hat nun folgende zehn „bemerkenswerten“ Produktionen aus dem überreichen Angebot herausgefischt:

„Amphitryon und sein Doppelgänger“ nach Heinrich von Kleist, Regie Karin Henkel, Schauspielhaus Zürich

 

„Die Geschichte von Kaspar Hauser“, Textfassung von Carola Dürr, Regie Alvis Hermanis, Schauspielhaus Zürich

 

„Die letzten Zeugen“ von Doron Rabinovici und Matthias Hartmann, Einrichtung Matthias Hartmann, Burgtheater Wien

 

„Fegefeuer in Ingolstadt“ von Marlieluise Fleißer, Regie Susanne Kennedy, Münchner Kammerspiele

 

„Ohne Titel Nr. 1 /Eine Oper von Herbert Fritsch“, Regie Herbert Fritsch, Volksbühne Berlin

 

„Onkel Wanja“ von Anton Tschechow, Regie Robert Borgmann, Schauspiel Stuttgart

 

„Reise ans Ende der Nacht“ von Louis-Ferdinand Celine, Regie Frank Castorf, Residenztheater München

 

„Situation Rooms“ von Helgard Haug, Stefan Kaegi, Daniel Wetzel (Rimini Protokoll), Ruhrtriennale und Kooperationspartner

 

„Tauberbach“ von Alain Platel, Regie Alain Platel, Münchner Kammerspiele

 

„Zement“ von Heiner Müller, Regie Dimiter Gotscheff, Residenztheater München

Nach Meinung der sieben lieben Kollegen ist momentan München die Theaterhauptstadt. Und Castorf ist, zu Recht, wieder dicke da; Kritikers Liebling Herbert Fritsch sowieso, obgleich man mittlerweile genau weiß, wie er tickt mit seinen freilich wundersamen, herrlichen Sachen. Zwei TT-Debütanten stehen heuer auf dem roten TT-Teppich: Kennedy und Borgmann, letzteren konnte man in der vergangenen Saison am Gorki Berlin bestaunen – fraglos eine Hochbegabung.

 

Natürlich kann man immer meckern über eine solche Auslese, die ja immer ein Kompromiss ist unter den Juroren. Was mich jedoch seit Jahren stört, ist die beliebte Fixierung auf einzelne Häuser, also zwei Mal Kammerspiele, zwei Mal Resi gleich vier Mal München sowie zwei Mal Zürich. Den Betreffenden sei die Ehre gegönnt, doch dass man nicht an anderen Häusern/Orten fündig werden konnte, bleibt mir schleierhaft. Die enorme Bandbreite hoher Leistungsfähigkeit produziert doch gewiss auch noch in anderen Provinzen diverse Perlen. Schade, dass sie nicht ins super prominente, theaterpolitisch so überaus bedeutende (teils diesbezüglich auch überbewertete) TT-Schaufenster finden.

Soviel zur sozusagen Stimme der professionellen Kritik (zumindest einer   eher undurchsichtigen   Auswahl derselben).

Nun hat das Portal nachtkritik.de durch seine Nachtkritik-Autoren 61 Inszenierungen den Portal-Nutzern zur Auswahl angeboten, damit quasi „von unten“ innerhalb von acht Tagen parallel ein virtuelles Theatertreffen zusammengestellt werden kann. Dabei hat jeder „Einsender“ zehn „Voten“. Es beteiligten sich 4551 Wähler, die 9695 Stimmen abgaben, das sind 2,13 pro Wähler. Und so sieht das Tableau des Nachtkritik-Theatertreffens 2014 aus:

Archiv des Unvollständigen von Laura de Weck, Staatstheater Oldenburg/ Ruhrfestspiele

 

Das Fest von Vinterberg, Regie Kay Voges, Theater Dortmund

 

Es sagt mir nichts, das so genannte Draußen von Sibylle Berg, Regie Sebastian Nübling, Gorki Theater Berlin

 

Eurydice::Noir Desir Projekt, Residenztheater München

 

Hamlet von Shakespeare, Regie Frank Behnke, Theater Münster

 

König Ubu von Alfred Jarry, Regie Victor Bodo, Theater Heidelberg

 

Romeo und Julia von Shakespeare, Regie Orn Arnarsson, Theater Mainz

 

Situation Rooms, Rimini Protokoll, Ruhrtriennale und Koop-Partner

 

X-Freunde von Felicitas Zeller, Regie Stephan Thiel, Theater unterm Dach Berlin

 

Zement von Heiner Müller, Regie Dimiter Gotscheff, Residenztheater München

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