0
Service & Beratung: (030) 86009351
Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 520

Kulturvolk Blog | Sibylle Marx

von Sibylle Marx

5. Mai 2025

Heute: 1. Theater an der Parkaue – „Die Nashörner“ / 2. Berliner Ensemble – „Warten auf Godot“ / 3. Kabarett-Theater Distel – „Ziemlich beste Lieder und ziemlich böste Texte"

1. Theater an der Parkaue - Ionesco weitergedacht

"Die Nashörner" im Theater an der Parkaue © Sinja Hasheider

Wenn sich die Türen zu Bühne 2 öffnen, donnert in voller Lautstärke Punk auf den Hof des Hauses an der Parkaue: „Tanz den Mussolini“, einer der Klassiker der Neuen Deutschen Welle von DAF.

Auf der Bühne rockt eine Menschengruppe perfekt synchron in einer Mischung aus Hiphop und Streetdance und verströmt dabei bereits in den ersten Minuten eine Kraft und Intensität, die sich im gesamten Raum ausbreitet und auch das Publikum in eine körperlich spürbare Spannung versetzt.

Unter der Regie von URSina Tossi, die auch die Choreografie erdacht hat, gelingt es, diese Spannung über die gesamte Aufführung zu halten und das Stück von Eugène Ionesco – immerhin ein Schauspiel in vier Akten – über Bewegung und mit nur wenigen Worten und teilweiser künstlerischer Audiodiskription in 90 Minuten zu erzählen.


Über Ionesco hinaus


Die Choreograf*in hat für ihre Arbeit ein Anti-Manifest entworfen, das in seinem Anspruch noch über Ionesco hinausgeht. Sein Stück aus dem Jahr 1957 spielt in einer kleinen Stadt, in der plötzlich ein Nashorn auftaucht, von dem niemand weiß, woher es kommt, und wonach auch niemand fragt. Immer mehr Nashörner tauchen auf, die Angst in der Stadt wird größer und größer; einzelne Menschen werden zu Nashörnern, erst wenige, dann immer mehr… Das Stück handelt vom Faschismus; zeigt, wie es gelingt, in Menschen eine tiefe Angst vor dem Anderssein zu wecken, und sie dazu zu zu bringen, ihre Identität und ihr kritisches Denken aufzugeben.

Darum geht es URSina Tossi natürlich auch. Aber, wie im Programmheft nachzulesen ist und wie es als Einstiegsmonolog von der in blau-lila Licht getauchten Bühne verkündet wird, geht es ihr und dem Ensemble „… vor allem um das, was mittendrin passiert, … um das, was unmöglich ist zu verstehen und wovon keine sprechen kann. … Weil sich alles einfach dauernd verändert. Weil sich alles einfach dauernd verwandelt.“


Alles, was gutes Theater zu bieten hat


Diesen Grundgedanken setzt die Inszenierung in einer engen Verzahnung von Darstellung, Bühne, Licht und Kostüm um. Die sechs Darsteller*innen (Tenzin Chöney, Elisabeth Heckel, Sakshi Jain, Dennis Pöpping, Ilona Raytman, Ingjerd Solheim) beeindrucken in atemberaubender, meisterhaft aufeinander abgestimmter Körperlichkeit. Tanzszenen wechseln sich mit Pantomime ab und werden zu geradezu akrobatischen Figuren.

Perfekt unterstützt wird dieser Bewegungssturm durch die Bühne von Lea Kissing. Wenige graue Podeste, die aufeinandergestapelt und verschoben werden können. Ein farbig angestrahlter geraffter Seidenvorhang – wie aus dem Revuetheater – am hinteren Bühnenrand eingehängt, bewegt sich in seiner halbrunden Schiene fast unmerklich nach vorn, bauscht sich, wird immer breiter und breiter, in seiner Leichtigkeit immer bedrohlicher. Genau wie das Licht, das von greller bunter Ausleuchtung zu diffusem Graubraun wechselt und immer neue Stimmungen und Räume schafft.

Und auch die Kostüme von Nina Divitschek assoziieren neben der ausgeklügelten Choreografie und Raumgestaltung die Verwandlung von Menschen in Nashörner. Alltagsklamotten wie Jeans, T-Shirts und Tops werden angereichert mit aufgeplusterten Jacken und Westen, starren voluminösen Umhängen oder röhrenhaften Überzügen über Beine und Arme. Fremd anmutende, ja erschreckenden Wesen entstehen, hinter denen Menschen kaum noch erkennbar sind.

Theater an der Parkaue, 13.6. und 16.06. Hier geht’s zu den Karten.


***

2. Berliner Ensemble - Auf der Strecke geblieben

"Warten auf Godot" im Berliner ensemble © Jörg Brüggemann

Warten auf Godot“ gilt als Wiege des Absurden Theaters und ist in den vergangenen Jahrzehnten unzählige Male auf deutschen und internationalen Bühnen gespielt worden. Auch ich habe mehrere Aufführungen davon gesehen und war immer wieder neu gefangen genommen davon, wie von unserem lebenslangen Streben nach dem Sinn des Lebens, nach dem Sinn unserer Existenz erzählt wird, obwohl über weite Strecken nichts weiter passiert, als dass gewartet wird auf jemanden oder etwas, das kommen soll. Was oder wer? Heute, morgen, irgendwann? Das muss jeder und jede für sich selbst entscheiden.
Im BE hat jetzt Luk Perceval das vor mehr als siebzig Jahren von Samuel Beckett geschriebene Stück auf die Bühne gebracht.


Kunstfiguren und doch real


Der schwarze Bühnenraum ist einsehbar bis zur hinteren Brandmauer und zu den
Seitenzügen. Scheinwerfer – lichtspendende Ungetüme, die heute nicht mehr zum Einsatz kommen – stehen verteilt oder hängen von der Decke, leuchten hell und weniger hell, gedimmt in verschiedenen Farben (Bühne: Katrin Brack). Eine apokalyptisch anmutenden Szenerie, in die Matthias Brandt als Estragon und Paul Herwig als Wladimir jeden Abend zurückkehren, um auf ihre Verabredung zu warten. Matthias Brandt mit getönter Sonnebrille, trägt unter schwarz glänzendem Slip zerrissene Netzstrümpfe, eine Windjacke und Knöchelstiefel mit Absatz. Paul Herwigs labbrige Hosen und ein übergroßer Pullover haben auch schon bessere Tage gesehen (Kostüme: Ilse Vandenbussche). Der eine hat kranke Füße, der andere offenbar Schwierigkeiten, sein Wasser zu halten. Die bepinkelte Hose muss ausgezogen, über einen Scheinwerfer zum Trocknen gehängt und wieder angezogen werden. Zwei armselige Gestalten – Kunstfiguren und doch an die vielen Obdachlosen erinnernd, denen man auf Berliner Straßen, in S-Bahnen oder U-Bahnschächten immer häufiger begegnet.

Bevor Pozzo und Lucky (
Oliver Kraushaar und Jannik Mühlenweg) die traurige Zweisamkeit aufmischen, ist eine Frau zu hören und später auch zu sehen: Die Souffleurin Antonia Schirmer, die mit ihrem Textbuch in der Seitenloge sitzt, mischt sich ein und verliest immer mal wieder im Stück notierte Regieanweisungen. Warum die Schauspieler das, was sie liest, nicht spielen dürfen, bleibt ein Rätsel. Vieles von dem Clownesken und Slapstickhaften des Stückes geht damit verloren.


Sehr viel Action


Während Estragon die depressive Rolle zugeteilt wurde, ist Wladimir voller Unruhe, stolpert singend und tänzelnd zwischen den Scheinwerfern.
Der Auftritt von Lucky und Pozzo gipfelt kurz vor der Pause in einer wie eine Vergewaltigung anmutenden Szene, in der Oliver Kraushaar sich auf Matthias Brandt stürzt und ihm eine Unterhose – er trägt, wie jetzt zu sehen ist, mehrere übereinander – nach der anderen runter- und ausieht.
Pozzo gelingt es,
seinem Peiniger zu entkommen, indem er die ganze Szenerie hinter sich lässt. Sehr laut denkend, hangelt er sich von Reihe zu Reihe, quer durchs Parkett, über die Köpfe der Zuschauer hinweg, bis hinauf in den Rang – halsbrecherisch. Das Publikum ist teils begeistert, teils genervt von der körperlichen Nähe dieses Wesens in schmuddeliger Unterwäsche.

Der zweieinhalbstündige Abend zieht sich. Am Ensemble liegt es nicht. Aber das Spiel überfrachtet über weite Strecken den Text, genau wie die dröhnende Livemusik von Tuba und Klavier. Dann wieder sprechen die Schauspieler betont deutlich. Als ob die Regie sich nicht entscheiden konnte.

Die langjährige Hassliebe zwischen Estragon und Wladimir, ihr ewiges trostloses Ausharren in verschworener Gemeinschaft, ihre Hoffnung auf was auch immer blieb auf der Strecke, also lediglich auf der Bühne und erreichte zumindest mich emotional nicht.

Derzeit ist unser Kartenkontingent erschöpft. Für den 6. Juli gibt es noch Karten direkt beim BE.


***

3. Kabarett-Theater Distel - Wo man singt

"Ziemlich beste Lieder" im Kabarett-Theater Distel © Chris Gonz

Beste Lieder und böste Texte“… Das ist kein Schreibfehler, sondern, ja klar, die Verschmelzung von „beste“ und „böse“ und trifft mit diesem kleinen eingemogelten Umlaut recht gut den Charakter des neuesten Programms in der Distel.

Dominik Paetzholdt, der nach Jahren als künstlerischer Leiter der Distel das Haus verlässt, hat sich mit diesem Abend einen langgehegten Wunsch erfüllt und Musik ins Zentrum eines kabarettistischen Programms gestellt.

Herausgekommen ist ein kurzweiliger Abend (Buch:
Thomas Lienenlüker), der die schönsten – und besten – Lieder der letzten zehn Jahre noch einmal zum Klingen bringt, aber auch neue – böse – präsentiert. Und wie es sich für einen guten Kabarett-Abend gehört, bleibt das Lachen immer wieder im Halse stecken, bevor es mit dem nächsten gelungenen Song wieder hervor gelockt wird.


Vom Großen zum Kleinen und wieder zurück


Es geht um ganz banale alltägliche Fragen, und es geht auch um die großen, die die ganze Welt betreffen.
Caroline Lux, Maximilian Nowka und Michael Schrodt singen und tanzen sich mit Können und Lust durch das musikalisch reiche Distel-Lieder-Repertoire und werden dabei durch eine erstklassige Band (Falk Breitkreuz, Kai Schönburg und Igor Spallati) unter der Leitung von Tilman Ritter geführt und begleitet.

Maximilian Nowka rockt gegen Björn Höcke („Sympathy for Höcke) nicht nur über die Bühne, sondern auch zwischen den Sitzreihen und glänzt nach Grönemeyers Liebeslied „Der Weg“ in einer bitterbösen Parodie auf die Sozialdemokraten.
Caroline Lux
(die die wunderbaren Choreografien einstudierte und für eine kranke Kollegin kurz vor der Premiere auch noch als Darstellerin einsprang) lässt im Song „Ich brenne“ als Alice Weidel mit der Zeile „...Und wenn ihr wollt, dann zünde ich euch an…“ für einen der vielen schon beschriebenen Momente das Blut in den Adern gefrieren.
Und sogar Gott in der Person des Michael Schrodt schaut vorbei. Unter dem machen sie es nicht in der Friedrichstraße…

Kabarett Theater Distel, im Luftschloss auf dem Tempelhofer Feld; 28. bis 30. August. Hier geht’s zu den Karten.

Verwendung von Cookies

Zur Bereitstellung des Internetangebots verwenden wir Cookies.

Bitte legen Sie fest, welche Cookies Sie zulassen möchten.

Diese Cookies sind für das Ausführen der spezifischen Funktionen der Webseite notwendig und können nicht abgewählt werden. Diese Cookies dienen nicht zum Tracking.

Funktionale Cookies dienen dazu, Ihnen externe Inhalte anzuzeigen.

Diese Cookies helfen uns zu verstehen wie unsere Webseite genutzt wird. Dadurch können wir unsere Leistung für Sie verbessern. Zudem werden externe Anwendungen (z.B. Google Maps) mit Ihrem Standort zur einfachen Navigation beliefert.

  • Bitte anklicken!