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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 518

Kulturvolk Blog | Uwe Sauerwein

von Uwe Sauerwein

21. April 2025

Heute: 1. Berrliner Ensemble – „Die Verstreuten / 2. Maxim Gorki Theater – „Frankenstein“ / 3. Staatsoper – „Norma“

1. Berliner Ensemble - Was Covid mit den Menschen machte

"Die Verstreuten" im Berliner Ensemble © Jörg Brüggemann

Geht es Ihnen auch so? Dass man sich an die Zeit der Lockdowns, der Kontaktbeschränkungen kaum noch erinnert, nicht mehr erinnern will? Fünf Jahre ist es jetzt her, dass das verdammte Covid unser Leben auf den Kopf stellte, auch die Kultur. Theater, Oper und Konzert zwischen abmontierten Zuschauersitzen. Oder gar per Stream, allein zu Haus. Digitale Medien, die Menschen zusammenbringen sollen, machten sie letztlich einsamer. Noch heute.

So wie die Frauen auf der Bühne im Neuen Haus des Berliner Ensembles. Eine Mutter und ihre vier erwachsenen Töchter: Nur eine Tochter, Sabina, weilt bei ihrer Mutter Barbara in Zagreb. Die anderen sind seit Jahren verstreut, man kommuniziert per Videocall. Die verwitwete Mutter muss in die Klinik, eine neue Hüfte. Deswegen wollen oder sollten die Töchter zur Unterstützung aus dem Ausland anreisen. Doch Sasha, verschmähte Schriftstellerin, betäubt in ihrer Berliner Bude beruflichen und privaten Kummer im Suff. Sofia, luxusverwöhnte Diplomatengattin, sitzt in Wien auf gepackten Koffern, weil sie gerade ihren Mann verlassen hat. Und Suzana, Heimarbeiterin mit drei pubertierenden Kindern, steckt auf dem Londoner Flughafen fest, wegen Starkregens.

Mit der Uraufführung von „Die Verstreuten“ dürfte das BE einen Publikumserfolg landen. Die kroatische Autorin Tena Štivičić schrieb ihr neues Stück eigens für das Berliner Theater, Karin Wittkuhn übersetzte die ironischen Dialoge und Monologe aus dem Englischen. Ein starkes Stück, nicht direkt über Corona, sondern darüber, wie die Pandemie die Gesellschaft verändert hat. Am Beispiel einer Familie werden die Risse sichtbar, die weltweit vom Lockdown forciert wurden. Wir erleben fünf Schauspielerinnen, Männer kommen nur in Erzählungen und Telefonaten vor.


Ein Fest für fünf Schauspielerinnen


Laura Linnenbaums
Inszenierung arbeitet gewitzt mit den Möglichkeiten, digitale Vernetzung auf der Theaterbühne zu zeigen. Jede Person steckt in ihrer eigenen Krise fest. Und in ihrer eigenen Weltanschauung. Jetzt, wo es darum geht, als Familie wieder füreinander da zu sein, wird dieses Abreißen zwischenmenschlicher Bindung schmerzhaft deutlich. Zu den Abgründen, die sich in der Familiengeschichte auftun, geraten auch Lebensentwürfe und politische Einstellungen in den Clinch.

Für die Darstellerinnen eine wunderbare Vorlage, alle Gefühlslagen zwischen Häme, Hass, Liebe, Verzweiflung und Trauer wiederzugeben. Das BE hält dafür die ganz große Besetzung bereit. Am emotionalsten geraten die Rollen für Bettina Hoppe als Suzana und Kathrin Wehlisch als Sasha. Kunstvoll unterkühlt, schnodderig und schlagfertig dagegen Constanze Becker als weltgewandte Botschafterfrau Sofia. Doch auch sie kämpft mit inneren Dämonen.

Immer wenn Klischees drohen, schlägt die Autorin überraschende Volten. Mag Josefin Platt als Mutter Barbara so hilfsbedürftig erscheinen, hat sie doch längst ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen. Und nimmt man die Sabina von Pauline Knof anfangs als Heimchen am Herd wahr, hat sie es per Online-Kanal bereits zur rechtsradikalen Berühmtheit geschafft. Die Hinwendung zum völkischen Denken scheint unaufhaltsam. Auch deshalb verlässt man das Theater trotz all der komischen Momente sehr nachdenklich. Aber so soll es ja auch sein.

Berliner Ensemble Neues Haus, am 27. Mai und 17. Juni. Hier geht’s zu den Karten.


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2. Gorki - Das Monster in uns

"Frankenstein" im Maxim Gorki Theater © Ute Langkafel MAIFOTO

Noch mal Zagreb. Noch mal eine Muttergeschichte, diesmal zwischen der in Kroatien dahinsiechenden Mama und dem am Berliner Maxim Gorki Theater wirkenden Sohn. Die „Frankenstein“-Inszenierung des langjährigen Hausregisseurs Oliver Frljić hatte verschoben werden müssen. Weil die Mutter ins Pflegeheim musste, wo sie bald verstarb. Ein Foto der Verstorbenen, die angeblich mit der beruflichen Tätigkeit ihres Sohnes so gar nichts anzufangen wusste, prangt rechts der Bühne.

Das Verlusterlebnis änderte vieles bei Frljić. „Ich wollte eine Inszenierung kreieren, in der Frankenstein als Metapher für die beiden Deutschlands dienen sollte – verschmolzen zu einem einzigen, monströsen Wesen“, lässt er nun sein Alter Ego von der Bühne herab verkünden. Deutschland habe sich bereits in dieses politische Monster verwandelt. Er wünsche dem Land „die Art von Leid, die es so vielen anderen zugefügt hat."

Nicht nur der Regisseur leistet Trauerarbeit. Mary Shelly, die Dichterin, deren Vorlage hier verarbeitet werden sollte, litt unter dem Verlust ihrer Kinder und ist zugleich schuld am Tod ihrer Mutter, die bei ihrer Geburt starb. Der Tod muss abgeschafft werden, lautet eine verzweifelte Forderung.


Frljićs kleiner Horrorladen


Vergessen Sie alles, was Sie bislang mit dem Horror-Klassiker in Verbindung brachten und bereiten Sie sich im Gorki auf eine Geisterbahnfahrt vor. Auf Grusel, Groll und Gelächter. Die Frankenstein-Story wird selbst im spärlichen Programmheft nicht erwähnt. Hier geht es um die Lebenskrise, den künstlerischen Bankrott, den Selbsthass, das Monster in uns selber. Um den Posthumanismus, den uns die Künstliche Intelligenz bescheren wird. Eigentlich ganz schön krank, das alles.

Aber zumindest nicht langweilig. Und wie immer bei Oliver Frljić voll mit theatertauglichen Einfällen. Da das größte Monster von allen der Schöpfer der Welt sei, wird unter anderem die Bibel in Igor Pauskas Bühnenbild missbraucht, als Sarg oder Fortbewegungsmittel. „Holy Schrift“ steht darauf geschrieben, die Buchstaben c, r und f sind aber unkenntlich gemacht, sodass man es als „Holy Shit“ entziffert.

Hannah Müller (bzw. in anderen Vorstellungen Nairi Hadodo) spielt die Titelfigur und trotzdem keine wirklich große Rolle. Weil kaum etwas aus der Frankenstein-Geschichte übrig blieb in Frljićs kleinem Horrorladen. Allenfalls das Schicksal von Frankensteins Haushälterin Justine, an diesem Abend von der großartigen Via Jikeli (mehr dazu im Blog Nr. 463 vom 8. Januar 2024) gespielt, die des Mordes an Mary Shelleys Kindern bezichtigt und hingerichtet wird. Fiktion und Biografisches verschwimmen.


Das kalte Herz des deutschen Publikums


Marc Bender
gibt mit flotter, eher lakonischer Jugendlichkeit das Alter Ego des Spielleiters, dessen Konterfei auf dem T-Shirt des Schauspielers prangt. Das Bildnis der Mary Shelly ziert auch das Kostüm der wunderbar hexenhaften, very british aufspielenden Kate Strong, die zusätzlich als Privatperson intime Fragen beantworten muss. Ein wenig Publikumsbeschimpfung darf auch noch sein. „Deutsche Emotionen“, sprich mangelnde Empathie. Und „Fuck Gorki“, die Selbststilisierung des Gastarbeiters im deutschen Kulturbetrieb, zu dem der Spielleiter und Autor auch das Gorki mit seinem migrantischen Konzept zählt.

Maxim Gorki Theater, am 5. Mai. Hier geht’s zu den Karten.


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3. Staatsoper - Gedämpfte Freude am Belcanto

"Norma" in der Staatsoper Unter den Linden © Bernd Uhlig

Dass Regisseure gerne mal Porzellan zerschlagen, ist nichts Neues, schon gar nicht in der Oper. In der Staatsoper Unter den Linden nimmt dies Vasily Barkhatov allerdings sehr wörtlich. Noch während der Ouvertüre müssen auf offener Bühne Statuen von Madonnen und Engeln dran glauben. Uniformierte zerstören die Keramikfiguren mit Hämmern oder stoßen sie vom Sockel. Was das mit Bellinis „Norma“ zu tun hat? Gute Frage.

Folgt man dem Libretto von Felice Romani, muss man zunächst an Asterix-Hefte denken. Ganz Gallien ist von den Römern besetzt. Die Unterdrückten warten auf ein himmlisches Zeichen, um den Befreiungskampf zu beginnen. Ihre Verbindung zur Mondgöttin ist Norma, die Druidin. Doch die hegt heimlich ein Verhältnis mit Pollione, dem römischen Statthalter, von dem sie zwei kleine Söhne hat. Als Pollione dann auch noch ein Auge auf die schöne Tempel-Novizin Adalgisa wirft, nimmt das Schicksal seinen Lauf. Norma wird auf dem Scheiterhaufen enden.

Vincenzo Bellinis 1831 uraufgeführter Zweiakter gilt als Belcanto-Oper schlechthin. Glanzvolle Musik mit tollen Stimmen, genau richtig zu den Festtagen, dem saisonalen Höhepunkt der Staatsoper. Wobei man die Rechnung ohne den Wirt, beziehungsweise den Spielleiter gemacht hat. Barkhatov verlegt das Geschehen aus dem heiligen Hain der Gallier in eine Fabrikhalle (Bühne: Zinovy Margolin). In den Brennöfen der Keramikwerkstatt dürfen nur noch Bildnisse des Diktators hergestellt werden. Der neue Herrscher ist kein Besatzer, sondern dank eines innenpolitischen Umbruchs an die Macht gelangt. Der Regisseur, Exil-Russe und Putin-Gegner, will die Beängstigung zeigen, die in solchen historischen Situationen von den eigenen Nachbarn ausgehen kann. Einer einzigen Idee wird so der gesamte Zauber der Tragödie geopfert.


Alle Magie wird ausgetrieben


Die Druidin Norma trägt statt Priesterinnengewand einen Blaumann. Wie auch ihr Vater Oroveso, der Oberdruide, der hier wie ein Vorarbeiter auftritt. Dass der junge Bass Ricardo Fassi in dieser Rolle im selben Alter wie seine Tochter zu sein scheint, wenn nicht jünger, ist nicht die einzige Ungereimtheit in dieser Inszenierung. Jeglicher Magie beraubt, erinnert die Anbetung der Mondgöttin in der Werkhalle an eine Gewerkschaftsversammlung. Die Aussprache zwischen Norma und Adalgisa, in der sich beide gegenseitig ihre Beziehung zum Revolutionsführer Pollione beichten, wirkt als Kaffeeklatsch unfreiwillig komisch. Das Drama wird zur Beziehungskiste. Warum Norma darüber nachdenkt, ihre Kinder, einer Medea gleich, zu ermorden, ist so nicht mehr nachvollziehbar. Ihr Freitod, im Keramikbrennofen, auch nicht wirklich.

Das alles dämmt die Freude an den wunderbaren Stimmen, den Arien und atemberaubenden Duetten. Wenn man nicht weiß, was man mit den Rollen verbinden soll, nimmt man den Gesang auch anders wahr. Der fulminante Sopran von Rachel Willis-Sørensen in der Titelpartie erscheint mitunter schrill, fast zickig. Wenn Dmitry Korchak seinen eindrucksvollen Tenor vom Stapel lässt, genießt man das Ereignis um seiner selbst willen, ohne Bezug zur Figur des Pollione. Den emotionalsten Zugang gewährt der warme Mezzo von Elmina Hasan, eben weil er dem Charakter der von Gewissensnöten geplagten Adalgisa recht nahe kommt.

Die Produktion entstand gemeinsam mit dem Theater an der Wien. Dort schwang Francesco Lanzilotta den Dirigentenstab. Auch mit der Staatskapelle Berlin macht er fühlbar, warum Bellini den jungen Richard Wagner derart begeisterte, dass seine frühe Oper „Rienzi“ ziemlich italienisch klingt.

Staatsoper Unter den Linden, bis 29. April. Hier geht’s zu den Karten.

 

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