Heute: 1. Komödie – "Keiner hat gesagt, dass du ausziehen sollst" / 2. Theater an der Parkaue – "Beautiful Thing" / 3. Vagantenbühne – "Genannt Gospodin"
Tom und Louise sind seit über zwanzig Jahren zusammen. Sind verheiratet, haben zwei Kinder.
Sie ist eine erfolgreiche Ärztin, Gerontologin, tough. Hält neben ihrer Arbeit den familiären Laden zusammen.
Tom hat Englisch studiert, wollte aber nicht Lehrer sein, sondern was Besonderes machen, ist Musikkritiker geworden, inzwischen nicht mehr erfolgreich. Seit einem Jahr arbeitslos, sitzt zuhause, geht kaum noch vor die Tür.
Nicht nur der Sex fehlt
Sex gibt es in dieser Beziehung schon länger nicht mehr; Louise hatte eine Affaire, Tom ist tief verletzt. Was tun? Da hilft nur, was lange versäumt wurde: Reden.
Das Paar verabredet sich zu einer gemeinsamen Therapie. Einmal wöchentlich treffen sie sich vor dem Beratungstermin im Pub gegenüber der therapeutischen Praxis und von Szene zu Szene wird deutlicher: Die Probleme werden nicht nur in Gegenwart der Therapeutin besprochen, sondern wirklich zur Sache geht es hier, in dieser abgeranzten, nach Rauch stinkenden Kneipe bei Weißwein und Bier. Und es geht um viel mehr als keinen Sex.
Der britische Erfolgsautor Nick Hornby weiß wovon zu schreiben ist. Tiefgründig, aber trotzdem mit Leichtigkeit und vor allem mit Witz und gekonnt gesetzten Pointen blättert er die Beziehung dieser beiden mittelalten Menschen auf. Die mit ihren Problemen nicht allein sind auf der Welt. Das erfahren Louise und Tom, wenn sie durch das Fenster der Kneipe schauen und andere Paare beobachten, die zur Beratung gehen oder von da kommen. Das erfährt auch einmal mehr das Komödien-Publikum im fast ausverkauften Ernst-Reuter-Saal. Wissendes Lächeln und vielsagende Blicke zum Sitznachbarn oder der Sitznachbarin begleiten Nina Kronjäger als Louise und Heiko Senst als Tom.
Auf den ersten Blick zeigt sich in den Kostümen von Inken Gusner, wer wo steht in dieser Beziehung: Sie in schlichten, aber schicken Klamotten, er in ausgeleierten Jeans und labbrigem Shirt. Am Ende jeder Szene zieht sie das Portemonnaie heraus und legt den Schein für die Getränke auf den Tresen des Pub, dessen zusammengewürfeltes Mobiliar, der Filzvorhang vor der Eingangstür und die Karaoke-Bühne vor Glitzervorhang eine Atmosphäre schaffen, in der man die abgestandene Luft selber einzuatmen scheint (Bühne: Norbert Bellen).
Mehr als ein Kammerspiel
Aus dem Text des Stücks könnte auch ein Hörspiel werden, sitzen doch die Protagonisten eigentlich nur am Tisch und reden. Unter der Regie von Amina Gusner gelingt es Nina Kronjäger und Heiko Senst, sich den Raum zu erobern und damit das Kammerspielhafte des Stücks zu öffnen. Im Zusammenspiel halten sie die Spannung und nehmen uns mit zu den Höhen und Tiefen der gemeinsam gelebten zwanzig Jahre. Nähe und Distanz wechseln genau so wie Zuneigung und Ablehnung; die Schauspieler begegnen ihren Figuren mit Sympathie und und schaffen damit ein Gleichgewicht der beiden Seiten. Und da es ja die Karaoke-Bühne gibt, dürfen beide außerdem zeigen, dass sie auch singen und sich bewegen können – gemeinsam.
Am Ende, wie sollte es anders sein, bleibt offen, wie es mit Louise und Tom weitergeht. Das konnten sich Paare, die schon lange zusammen sind oder es noch lange bleiben wollen, nach der sehr herzlich aufgenommenen Premiere auf dem Nachhauseweg überlegen.
Komödie am Kurfürstendamm, im Ernst-Reuter-Saal, bis 16. Februar. Hier geht’s zu den Karten.
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Das Stück „Beautiful Thing“ schrieb Jonathan Harvey 1993, also vor mehr als dreißig Jahren. Es entstand unter anderem als Reaktion auf die AIDS-Krise und in Auseinandersetzung mit Geschichten von homo- und bisexuellen oder queeren Menschen.
Die Inszenierung von Babett Grube, zu sehen auf einer der kleineren Bühnen im neu eröffneten, technisch jetzt sehr gut ausgestatteten Haus an der Parkaue, macht ziemlich erschreckend deutlich, dass sich in den vergangenen drei Jahrzehnten für diese Szene innerhalb der Gesellschaft wenig verbessert hat.
Ste (Salome Kiesling) wird regelmäßig vom Vater verprügelt und hat – nicht nur deshalb – Angst sich zu seiner/ihrer Sexualität zu bekennen. Jamie (Yazan Melhem), der nebenan wohnt, traut seinen Gefühlen nicht, obwohl er sich zu Ste hingezogen fühlt. Auch ihre gemeinsame Nachbarin Leah (Ilona Raytman) kann damit nicht umgehen, genau so wenig wie Jamies Mama Sandra (Birgit Berthold), die als alleinerziehende Kneipenwirtin genug eigene Probleme hat.
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Die nicht mehr als eine Stunde dauernde Inszenierung widmet sich viel mehr als nur dem Thema der ersten sexuellen Gefühle; sie taucht geradezu liebevoll ein in den Gesamtkomplex vom Erwachsenwerden, vom Klarkommen mit Ansprüchen und Erwartungen, was für Erwachsene genauso schwer ist wie für junge Menschen und immer wieder eine Herausforderung darstellt.
Dieser Gesamtblick spiegelt sich im gleichermaßen funktionalen wie phantasievollen Bühnenbild (Camille Lacadee) wider. Auf halbrunden Podesten, wie übereinanderliegende Schichten einer Torte, kann man dicht beieinander sein oder sich gegenseitig auf Abstand halten.
Wenn sich die Bühne dreht, eröffnen sich verschiedene Spiel-Räume: Jamies Zimmer, der Schrebergarten der Mutter oder ihre Wohnung. Details, wie ein Vorhang aus aufgefädelten CDs, die im Licht schillern und den Raum in Bewegung halten, heben das Geschehen auf eine abstrakte Ebene.
Auch die Kostüme von Andrea Barba sind den Figuren im wahrsten Sinne auf den Leib geschneidert: Sandra will wohl mit ihrem Outfit – Wallende Bluse über Leggins und High Heels – ihren um einiges jüngeren Freund Tony (Andrej von Sallwitz) beeindrucken, die schräge Leah trägt Oberteile generell verkehrt herum und zieht Jacken als Hosen an. Ste hingegen, schüchtern, aber auch klar im Anspruch, ganz schlicht in T-Shirt und Jeans.
„Make your own kind of music“ von Mama Cass, alias Cass Eliot – Leahs Idol – wird zum gemeinsam geschmetterten Mantra, erfrischend und ermutigend.
Theater an der Parkaue, Karten direkt hier.
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"Es kommt darauf an, dass einer es wagt, ganz er selbst zu sein, ein einzelner Mensch, dieser bestimmte einzelne Mensch zu sein“ Die Worte von Kierkegaard flimmern den Zuschauern in bunter Leuchtschrift bereits beim Betreten des Saales von der Bühnenkante entgegen und werden auch die ganze Vorstellung über weiter flimmern.
In der Mitte der Bühne selbst ein dreiteiliges Gitter, dessen Seitenteile nach hinten zeigen; dahinter ein Fernseher, eingerahmt von einer undefinierbaren Masse, eine Mikrowelle und ein Campingkühlschrank. Drei Mülltonnen, weiß angemalt.
Hier lebt Gospodin, ein schräger Typ, der – ganz nach Kierkegaard – darauf besteht, ganz er selbst sein zu können, was ihm von seinen Mitmenschen schwer, ja unmöglich gemacht wird.
Gospodin „verdient“ sich seinen Lebensunterhalt, indem er mit einem Lama, das in seinem Keller lebt, spazieren geht. Er nennt es Auslauf, seine Frau Anette nennt es betteln. Als ihm das Lama weggenommen wird, weil es nicht artgerecht gehalten wird – und das ausgerechnet von den Leuten von Greenpeace (!) – beschließt Gospodin, sich dem kapitalistischen Leben vollständig zu entziehen und ohne Geld, in einer leeren Wohnung und letztlich isoliert von allen sozialen Bindungen zu leben.
Das Private wird politisch
Emma Zeisbergers Gospodin ist ein liebenswürdiger junger Mann in Jeans und kariertem Hemd, die langen Haare nachlässig zum Pferdeschwanz zusammengenommen. Unter der Fellmütze mit Ohrenklappen schauen große Augen durch eine Brille, voller Neugier, aber auch Verwunderung über die Welt, von der er nicht versteht, dass sie ihn nicht versteht.
„Genannt Gospodin“ von Philipp Löhr erzählt von einem Menschen, der an sich völlig unpolitisch daher kommt; erst die „normalen“ Regeln seiner Umwelt, machen ihn zu einem politischen Menschen, der zum Gegner des kapitalistischen Systems wird. Seine eigenen Lebensregeln aufstellt, bis zur letzten Konsequenz.
Blitzschnelle Wechsel
Um Gospodin herum leben seine Frau, ein paar Kumpels, eine Freundin, seine Mutter, die alle irgendwas von ihm wollen, Dinge borgen wie Kühlschrank und Fernseher, oder dass er für einen Kumpel auf eine Beerdigung geht oder für die Mutter mit seinem Bruder redet. Nils Malten und Anne Hoffmann schlüpfen in die vielen Rollen und werden dabei durch die extravaganten Kostüme, die rasch übergeworfen und vor allem Köpfe, die blitzschnell aufgesetzt werden, aufs Beste unterstützt: Die sind eine Kombination aus Mütze und Perücke, deren Haare zu Zöpfen frisiert, in Wellen gelegt oder zu Locken aufgetürmt, aus quietschbuntem Schaumgummi bestehen. Noch nie so gesehen und eine wahre Augenweide! (Bühne und Kostüm: Johanna Bajohr).
Bettina Rehms Inszenierung wechselt zwischen kurzen Spielszenen und erzählenden Passagen, für die Anne Hoffmann und Nils Malten, dann einfach in Schwarz gekleidet, aus der jeweiligen Rolle heraustreten. Schnelle Wechsel, alles ist im Fluss, die Figuren sind ernst genommen in ihren Ansprüchen, die jeder für sich nachvollziehbar sind. Trotzdem liegt die Sympathie eindeutig bei Gospodin, leidet man mit ihm.
Bei aller Tragik ist es ein vergnüglicher Abend, der uns mit einer halb geflüsterten, halb gesungenen Botschaft entlässt: Habt ihr es schon gehört? Der Kapitalismus ist vorbei. Schön wär’s...
Vagantenbühne, 6. Februar, 14. und 15. sowie 18. und 19. März. Hier geht’s zu den Karten.
1. Gorki Man lacht, muss schlucken, aber auch weinen
2. Berliner Ensemble Petitesse in der Pappkiste
3. Noch mal Gorki Herzensschwer, bittersüß
1. Komödie Therapie in Eigenregie
2. Theater an der Parkaue Sein eigenes Ding machen
3. Vaganten Das Ende vom Kapitalismus?
1. Komische Oper Selbst gerettet, aus höchster Not!
2. Berliner Ensemble Im goldenen Käfig gefangen?
3. Hans Otto Theater Potsdam Im eigenen Körper gefangen?
1. Berliner Ensemble Liebe und Hiebe
2. Schaubühne Mischpoke im Knast der Traumata
3. Volksbühne Herzchen-Idyll mit Atombombe im Schuhkarton
1. Staatsoper Verloren in der Liebeswelt
2. Neuköllner Oper Fit bis zum Exitus
3. RambaZamba Der diskrete Zwang der Bourgeoisie
1. Deutsches Theater Links und rechts der Mauern
2. Vaganten Wartezimmer Haltestelle
3. Berliner Ensemble Puppenlustig