Heute: 1. Kleines Theater – "Erinnerungen von morgen" / 2. Renaissance-Theater – "Nebenan" / 3. Grips Theater – "Woche-Woche"
Das Kleine Theater in Friedenau hat es mal wieder geschafft, mit seiner neuesten Produktion unser Augenmerk auf ein aktuelles Thema zu lenken, ein Thema, das in der westlichen Welt immer mehr Menschen betrifft: Demenz.
Im Stück „Erinnerungen von morgen“ des kanadischen Autors François Archambault kämpft der emeritierte Geschichtsprofessor Édouard mit dem Verlust seines Gedächtnisses. Das Fatale an Demenz ist ja, dass lediglich Teile des Gedächtnisses verlorengehen. So auch bei Édouard, denn er kann immer noch aus dem Stand epochale historische Ereignisse referieren, weiß aber nicht mehr, ob bzw. was er am Morgen gefrühstückt, oder, noch schlimmer, was er vor drei Minuten gesagt hat.
Seine Frau Madeleine (Gudrun Gabriel) pflegt ihn schon seit längerer Zeit und ist, da sie sich allein um Édouard kümmern muss, überfordert. Sie hat dringend eine Auszeit nötig. Also packt sie seinen Koffer mit Pyjama und Medikationsplan und bringt ihn zur gemeinsamen Tochter Isabelle (Lisa Rauen), die zwar einsieht, dass die Mutter Unterstützung braucht, aber im Moment gerade gar keine Zeit hat, sich ihres Vaters anzunehmen. Also springt ihr neuer Partner, Patrick (Matthias Rheinheimer), ein. Später wird er noch von dessen Tochter Bérénice (Larissa Grosenick) unterstützt, die in diesem Familienarrangement eine ganz besondere Rolle spielen wird.
Dicht, intensiv, berührend
In 24 kurzen prägnanten Szenen verfolgen wir Édouards fortschreitende Erkrankung und wie die Familienmitglieder damit versuchen klarzukommen. Dabei sind wir in einem Moment betroffen und voller Mitgefühl, im nächsten müssen wir herzlich lachen – Édouards unbeschwerter Umgang mit der Welt führt zu wahrlich komischen Situationen.
Wie in fast allen Familien gibt es auch in dieser ein Ereignis, das alle belastet und seit Jahren totgeschwiegen wird. Erst durch Édouards intensives, verzweifeltes Graben in der Vergangenheit wird es ans Licht geholt und führt zu einem anderen Miteinander. Zum gegenseitigen Zuhören und zur Erkenntnis, dass Erinnerungen genau so wichtig sind wie das Jetzt.
Auf der Bühne, wo durch rasches Hin- und Herschieben von Polsterelementen die verschiedenen Räume entstehen (Bühne und Kostüme: Dietrich von Grebmer) , entfalten kleinste Gesten große Wirkung. Etwa, wenn Madeleine, die sich eigentlich schon von Édouard getrennt hat, seinen Kopf in ihrem Schoß bettet und sein Haar streichelt, einfach, weil es ihm guttut. Oder wenn Isabelle die Distanz zu ihrem Vater überwindet, indem sie ihn nach kurzem Zögern doch umarmen kann. Oder wenn Bérénice im Gespräch mit ihrem Vater innehält und sich dazu entschließt, auch ohne Bezahlung Zeit mit Édouard zu verbringen.
Das gesamte Ensemble glänzt in seinem Zusammenspiel (Regie: Frank-Lorenz Engel) und Martin Gelzer leuchtet darin noch einmal besonders. Wie er wechselt zwischen lebenslang gewohnter Selbstzufriedenheit und einer Verunsicherung und Hilflosigkeit, die ihn plötzlich mit aller Wucht erwischt, ist großes gutes Theater, das man auch in den renommierten Häusern der Stadt nicht so oft zu sehen bekommt. Bravo!
Kleines Theater am Südwestkorso, 6. bis 8. Dezember. Hier geht’s zu den Karten.
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Ein Gründerzeithaus in Berlin, Prenzlauer Berg. Im Vorderhaus ganz oben wohnt Bruno. Im Hinterhaus, auch ganz oben, wohnt Oliver. Während Brunos Wohnung klein ist – zwei Zimmer –, residiert der erfolgreiche Schauspieler Oliver (aus Düsseldorf in den 90ern nach Berlin gezogen) mit Frau und Kindern in der Maisonette-Wohnung mit eigenem Fahrstuhl. Früher, als die Wohnung noch eine normale Mietwohnung war, bevor der Schwabe Schüssel das Haus gekauft hatte, wohnte dort Brunos Vater. Der musste ausziehen, nicht ganz freiwillig, aber immerhin für 8.700 Mark Abfindung, allerdings auch mit gebrochenem Mittel- und Zeigefinger.
Das ist in etwa die Vorgeschichte in „Nebenan“, nach dem gleichnamigen Film von Daniel Brühl und Daniel Kehlmann, der 2021 erfolgreich im Kino lief.
Im Haus gibt es auch eine Kneipe „Zur Brust“, Brunos Stammkneipe, in die es auch Oliver – zum ersten Mal – verschlägt. Eine zufällige Begegnung ist das nicht wirklich, sondern eher von Brunos langer Hand vorbereitet. Er passt Oliver, der auf dem Weg zu einem Casting nach London ist, ab und zwingt ihn Stück für Stück in einen Zweikampf.
Bruno kennt alle überraschenderweise alle Filme, in denen Oliver gespielt hat und rezensiert sie professionell, lässt an Olivers Spiel allerdings kaum ein gutes Haar. Und er weiß außerdem Einzelheiten aus Olivers Leben, solche, die niemand wissen soll und auch solche, von denen Oliver selber gar nichts ahnt.
Es entblättert sich eine Geschichte, die viel über dieses Land erzählt, über Verlierer und Gewinner, über die breite Kluft, die zwischen Menschen aus Ost und West in den letzten 35 Jahren eher breiter geworden ist, über die Selbstsicherheit und Arroganz der einen und die Enttäuschung und Resignation der anderen.
Oliver nimmt diesen komischen Typ anfangs gar nicht für voll. Wie immer vor allem mit sich selbst beschäftigt, versucht er, Bruno mit ein paar freundlichen Floskeln abzuspeisen. Aber je mehr er von Bruno mit sich selbst konfrontiert wird, nimmt er seinen Nachbarn, den er bis dahin noch nie gesehen hat, wahr, muss er sich neben seinem auch mit Brunos Leben auseinandersetzen. Nach diesem Vormittag in der Kneipe ist nichts mehr wie vorher.
In der Koproduktion von St. Pauli Theater und Renaissance-Theater, wo „Nebenan“ am Freitag Berlin-Premiere feierte, setzt Regisseur Ulrich Waller mit Oliver Mommsen als Oliver und Stephan Grossmann als Bruno vor allem auf Komik.
Dabei geht die Tragik, die trotz pointenreicher Dialoge das Stück ausmacht, leider oftmals verloren. Besonders über Grossmanns Bruno, der so handelt wie er handelt, weil er nicht sehr viel Glück gehabt hat im Leben, wird die ganze Zeit gelacht. Auch Mommsen als Oliver setzt vor allem auf äußere Effekte und verliert dabei die Zwiespältigkeit seiner Figur aus den Augen.
Das Premierenpublikum hat das alles nicht gestört. Viel Applaus.
Renaissance-Theater, wo die bis zum 15. November angesetzten Vorstellungen bereits ausverkauft sind. Angesichts der großen Nachfrage sind aber weitere Aufführungen zu einem späteren Zeitpunkt wahrscheinlich.
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Ein Probenbericht
Trennungskinder haben es schwer. Für welches Familienmodell – Residenzmodell, Nestmodell oder Wechselmodell – die Entscheidung auch fällt, die Kinder müssen den Großteil der damit verbundenen Konsequenzen tragen. Das wird nicht leichter, wenn die Eltern weiter streiten, eigentlich genauso, wie damals, als es die Familie noch an einem Ort gab.
So geht es auch Nunu, gespielt von Eike N.A. Onyambu, der jeden Sonntag um 16 Uhr mal von seiner Mutter, dann von seinem Vater auf den Spielplatz gebracht wird, um von einem Elternteil zum anderen übergeben zu werden und die kommenden sieben Tage entweder beim jeweils anderen zu leben.
„Woche-Woche“ von Lara Schützak gewann im vergangenen Jahr den Berliner Kindertheaterpreis und ist jetzt im Grips am Hansaplatz zu sehen. Das Grips-Theater, schon immer Anwalt der Kinder, ergreift auch hier deren Partei und führt vor, dass die Kinder zwar das Wort, aber die Eltern das Sagen haben. Und dass es Mut und Unterstützung von anderen braucht, sich Gehör zu verschaffen und seinen Platz zu behaupten.
Immer wieder neu und fremd
Nunu ist ein freundlicher rücksichtsvoller Junge. Er leidet zwar unter der Situation, sich jede Woche von vorn auf seine Umgebung mit neuer Frau des Vaters und neuen Geschwistern einzustellen, möchte aber seinen Eltern nicht weh tun und es allen recht machen. Das findet Yella (Kim Biebow) – auch Yella-Propella genannt, weil sie ganz schön aufdrehen kann – total daneben. Sie bringt Nunu bei, dass Eltern ihr Kind auch lieben, wenn es mal Mist baut und wenn es sich nicht immer so verhält, wie diese es erwarten oder gewohnt sind. Und mit Hilfe von Bonusbruder Max (Marius Lamprecht) gelingt es, Nunus Wünsche den Eltern (Katja Hiller und Jens Modalski spielen alle Elternrollen) zu vermitteln und sie auch durchzusetzen.
Das Stück spielt zum großen Teil auf dem Spielplatz, wo Yella ziemlich allein auf der Kletterspinne hockt und das Treiben unter sich beobachtet. Die Kletterspinne ist hier eine runde, aufrecht stehende Scheibe auf einem Podest, von der sich ein Teil, wie ein Tortenstück, zur Seite schieben lässt. So ergibt sich ein prima Versteck. Lichteffekte und verschiedene Sounds (Musik und Komposition: Jarita Freydank) verdeutlichen das Vergehen von Zeit. Als Pendant findet sich auf dem Bühnenboden ein Ring aus Kästen, die sich auseinander- oder zusammenschieben und aufklappen lassen (Bühne und Kostüme: Sanghwa Park).
Die Botschaft von Stück und Inszenierung (Regie: Ellen Urhan) ist klar und wird von allen im Publikum verstanden. Ich fand die Aufführung doch recht brav und hätte mir mehr Spiel-Ideen gewünscht. Trotzdem: ein unbedingter Denkanstoß für alle Trennungseltern.
Grips am Hansaplatz, 10. Dezember. Hier geht’s zu den Karten.
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