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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 482

Kulturvolk Blog | Uwe Sauerwein

von Uwe Sauerwein

20. Mai 2024

HEUTE: 1. Deutsche Oper – „Intermezzo“ / 2. Berliner Ensemble – „RCE“ / 3. Alte Nationalgalerie – Caspar David Friedrich: Unendliche Landschaften“

1. Deutsche Oper - Ausflug ins volle Menschenleben

"Intermezzo" in der Deutschen Oper Berlin © Monika Rittershaus

„Ich will mich scheiden lassen.“ Gewandet wie eine antike Rachegöttin betritt Christine Storch, Gemahlin des Hofkapellmeisters Robert Storch, die Kanzlei des Notars. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, schwingt sie ein Beil. Das ist sicher die irrste Szene eines an tolldreisten Regieeinfällen nicht gerade armen Abends in der Deutschen Oper.

In „Intermezzo“ vertonte Richard Strauss in meisterlicher Manier Szenen einer Ehe, seiner eigenen. Bei der Uraufführung in Dresden, zum 60. Geburtstag des Tonkünstlers, trat der Sänger, der den Hofkapellmeister spielte, mit der lockigen Haartracht des Komponisten auf, Gemahlin Pauline saß im Publikum. Der Griff „ins volle Menschenleben“ sorgte bei den Zeitgenossen nicht nur für Begeisterung. Hugo von Hofmannsthal, sein Stammlibrettist, hatte es, wie Hermann Bahr, abgelehnt, das Textbuch zu verfassen. Strauss schrieb es dann selbst. Er kannte sich ja auch am besten aus…

Ausgelöst wird der Zoff durch die Abreise des Gatten zu einer Gastspieltournee. Christine, einsam und vom Luxusleben gelangweilt, lernt daraufhin einen netten jüngeren Mann kennen, den Baron Lummer. Wegen dessen notorischer Geldnot legt sich auf die unbeschwerte Zweisamkeit schnell ein Schatten des Misstrauens. Als im Hause Storch dann ein Brief einer gewissen Mieze Meier an den Hausherrn eintrifft, wittert Christine Ehebruch, nicht ihren, sondern den ihres Mannes, mit den oben beschriebenen Folgen.


Versuch einer Ehrenrettung


Am Ende wird Christine konstatieren: „Das nennt man doch wahrhaft eine glückliche Ehe.“ Doch ein Happy End sieht anders aus. Gegen die damaligen Konventionen im Musiktheater verstießen zudem die umfangreichen, wenngleich raffiniert orchestrierten sinfonischen Zwischenspiele. Beides Gründe dafür, warum Kritik und Publikum mit dieser „bürgerlichen Komödie“ über das (vermeintliche) Fremdgehen fremdelten.

Regisseur Tobias Kratzer und Generalmusikdirektor Sir Donald Runnicles wagen sich an die Ehrenrettung. Nach „Arabella“ ist „Intermezzo“ der zweite Teil ihres Strauss-Zyklus, der mit der „Frau ohne Schatten“ abgeschlossen werden soll. Schon in der Musik finden sich zahlreiche ironische Anspielungen auf ernste Strauss-Werke, etwa „Elektra“ oder „Salome“. Den Zitatenreichtum setzt Kratzer szenisch mit reichlich Akribie um. Dank seiner Videokünstler (Jonas Dahl und Janic Bebi) werden große Teile der Bühne zur Projektionsfläche, auch zur Übertragung der langen Orchesterpassagen.


In die Gegenwart verlegt


Lud „Arabella“ noch zur Zeitreise von der k.uk.-Monarchie in die Gegenwart (mehr dazu im Blog Nr. 433 vom 27. März 2023) ein, so ist „Intermezzo“ in der Ausstattung von Rainer Sellmaier völlig ins Hier und Heute verlegt. Ist vom Schlitten die Rede, sehen wir ein modernes Taxi. Der Ausflug zum Grundelsee von Christine (alles überragend bei der Premiere: Maria Bengtsson) und ihrem Lover (Thomas Blondelle als hipper Nichtsnutz) wird ins Bett verlagert, womit gleich klar ist, was mit der „gemeinsamen Leibesübung“ gemeint ist. Briefe und Telegramme erreichen ihre Empfänger bzw. Empfängerinnen als Facebook-Video oder Whatsapp-Nachricht.

Franzl, der musikbegeisterte kleine Sohn (Elliott Woodruff) schaut sich im Fernsehen den Auftritt seines Papas (Philipp Jekal) an, natürlich in der Deutschen Oper Berlin. Im Orchesterzimmer findet denn auch die von Strauss so wunderbar illustrierte Skatrunde statt. Während die Gewitterszene aus dem Prater ins Innere eines wackligen Flugzeugs verlegt wurde.

Ein Riesenspaß. Für uns, wie wohl auch für die Menschen auf, hinter und unter der Bühne.

Deutsche Oper Berlin, 7. und 14. Juni. Hier geht’s zu den Karten.


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2. Berliner Ensemble - Hacker retten die Welt

"RCE" im Berliner Ensemble © Marcel Urlaub

Vergesst die Theorie: „Es braucht eine Revolution, zu der man tanzen kann.“ Mit „RCE“ hat das Berliner Ensemble einen Hit gelandet. Warum ich Hit sage? Weil die Uraufführung mit der Ästhetik der Popkultur arbeitet. Darsteller ganz uniform in schwarzem Anzug und Krawatte, mit weißem Hemd und derselben schwarzen Frisur, Bewegungen wie in Musikvideos. Das kommt an. Auch die Länge der Produktion erscheint kompatibel für die Tik-Tok-Generation: 1:15, keine Pause.

Es geht um KI, Künstliche Intelligenz, die unser berufliches und privates Leben, ob wir es wollen oder nicht, verändert. Die Debatte um Vorteile und Risiken ist allgegenwärtig, sogar auf die Opernbühne hat es das Thema bereits geschafft (mehr dazu im Blog Nr. 480 vom 6. Mai 2024). Am BE bedient man sich für KI nun zum zweiten Mal bei Sibylle Berg, der in der DDR aufgewachsenen, in Zürich lebenden Autorin, deren Romane und Dramen internationale Aufmerksamkeit erregen. Die Kritikerin an der technologischen Entwicklung im Spätkapitalismus will nun bei der Wahl im Juni sogar für Martin Sonneborns Partei ins Europaparlament einziehen.

RCE steht für „Remote Code Execution”. Ein Angriff, bei welchem die angreifende Person oder Organisation aus der Distanz Befehle im Zielsystem ausführen kann. Anders ausgedrückt: Nerds retten die Welt. In einer nicht allzu fernen Zukunft, in der sämtliche Bereiche des menschlichen Daseins um des Profits willen digitalisiert sind, ergreifen fünf Hacker:innen die Macht. Sie schlagen das System mit seinen eigenen Mitteln. „Wenn man siegen will, muss man von Menschen lernen, die den Planeten besitzen, ihn ruinieren und im Anschluss verlassen wollen.“


Zwischen Roboter und Mensch


Die Welt braucht einen Neustart. Davon erzählt Sibylle Berg im zweiten Teil ihrer Romantrilogie auf rund 700 Seiten. Regisseur Kay Voges und die Dramaturgin Sibylle Baschung haben das Buch auf 100 Seiten herunter gekürzt für eine Theaterfassung, die alles ist, nur kein Bühnenstück. Es gibt keine Dialoge. Trotzdem funktioniert es. Mit genau den Technologien, die eigentlich hinterfragt, hier aber auf ironische Weise eingesetzt werden. Deswegen wähnen wir uns streckenweise im Kino.

Zusammen mit der Filmemacherin Andrea Schumacher hat Voges ein Netzwerk aus acht Digital Artists zusammengestellt, die Videokunst für die Inszenierung entwickelten, mit Sprach-, Musik-, Bild-, und Film-generierenden KI-Tools. Auf der von Daniel Roskamp entworfenen Bühne, die mit ihren Waben an eine Bienenbehausung erinnert, müssen Maximlian Diehle, Max Gindorff, Pauline Knof, Amelie Willberg und Paul Zichner den Anweisungen folgen, die ihnen die Timeline ins Ohr gibt, und sich zugleich davon lösen. Ein sprechendes, singendes und tanzendes Changieren zwischen Roboter und Mensch. Es gelingt dem Quintett vorzüglich.

Gemessen am performativen Effekt hält sich der Erkenntnisgewinn in Grenzen. Was nichts Ungewöhnliches ist. Theater soll ja zuerst Fragen stellen. Antworten finden müssen wir selbst.

Berliner Ensemble, 24. und 25. Juni. Hier geht’s zu den Karten.


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3. Nationalgalerie - Aussicht in die Ewigkeit

Caspar David Friedrich, Das Eismeer, 1823/24 Öl auf Leinwand, 96,7 x 126,9 cm Hamburger  Kunsthalle  © Elke Walford
Caspar David Friedrich, Das Eismeer, 1823/24 Öl auf Leinwand, 96,7 x 126,9 cm Hamburger Kunsthalle © Elke Walford

Die Schau „Unendliche Landschaften“ ist dieses Jahr zweifellos der Publikumsmagnet der Staatlichen Museen. Caspar David Friedrich fasziniert auch Menschen, die sich ansonsten für Malerei überhaupt nicht interessieren. Schon lange vor Eröffnung der Ausstellung in der Nationalgalerie zum 250. Geburtstag des Künstlers schossen die Buchungszahlen durch die Decke. Wer sein Ticket nicht online erwirbt, muss trotz Sonderöffnungszeiten mit langen Schlangen rechnen.

So ein Rummel passt nicht wirklich zu einem Künstler, in dessen Bildern man oft vergebens Menschen sucht. Wenn doch, dann erscheinen sie unglaublich klein gegenüber der Natur mit ihren Kräften, wie der berühmte „Mönch am Meer“. Unglaublich: Es gab in Berlin bisher keine Werkausstellung Friedrichs! Dabei ist der Romantiker, der seinen Platz im kollektiven Bildgedächtnis gefunden hat, hier auch zu normalen Zeiten durchaus präsent, mit dem großartigen Caspar-David-Friedrich-Saal in der Alten Nationalgalerie.

Nun aber werden seine Werke mit Schätzen aus anderen Kunsthäusern zusammengeführt, aus Hamburg, Dresden, Leipzig oder Lübeck und auch von privaten Leihgebern. Auch wenn auf Gemälden, die heute in Moskau und St. Petersburg zuhause sind, aus bekannten Gründen verzichtet werden musste, findet vieles, was einst zusammengehörte, wieder zueinander. Die Bildpaare und Zyklen, die der Künstler bewusst mit unterschiedlichen Perspektiven angelegt hatte, kann man nun wunderbar im Vergleich betrachten.

Caspar David Superstar. Das war nicht immer so. Der Eigenbrötler aus Greifswald geriet nach seinem Tod bald in Vergessenheit. Viele seiner Werke lagerten unbeachtet in der Dresdner Wohnung seines Nachbarn und Malerfreundes Johann Christian Dahl.


Neuentdeckung dank der Jahrhundertschau


„Mit Staunen vernehmen wir einen Künstler, der Vieles und Ungewöhnliches zu sagen hat“, lobte Hugo von Tschudi, Direktor der Nationalgalerie, Caspar David Friedrich im Jahre 1906. Als Förderer vor allem der Impressionisten galt Tschudi als Franzosenfreund. Diesem schädlichen Image versuchte er entgegenzusteuern, mit einer Ausstellung Deutscher Kunst aus der Zeit von 1775 bis 1875. Die so genannte Jahrhundertschau steht für die Neuentdeckung Friedrichs, dessen Bilder in zwei kleinen Sälen, man sieht es auf einem historischen Schwarzweiß-Foto, eng neben- und übereinander gehängt waren. Der Maler galt fortan als Meister des Lichts und der Atmosphäre, als Vorreiter der Moderne.

Fast die Hälfte der damals ausgestellten Werke Friedrichs ist nun auf zwei Stockwerken zu sehen. Meisterwerke wie „Das Eismeer“ aus Hamburg, „Lebensstufen“, „Der einsame Baum“, „Hünengrab im Schnee“ oder „Zwei Männer in Betrachtung des Mondes“. Zusammen etwa 120 Bilder, zur Hälfte Malerei, die andere Hälfte Grafik, in Kooperation mit dem Berliner Kupferstichkabinett. Drei eigenständige große Ausstellungen bietet das Friedrich-Festival dieses Jahr. Während Hamburgs Kunsthalle zuvor den Bezug zur zeitgenössischen Kunst herstellte, will man in Dresden ab Mitte Mai den Kontext zu den alten Vorbildern suchen. Berlin hingegeben bietet „Friedrich pur“, wie Ralph Gleis, nach Wien scheidender Direktor der Alten Nationalgalerie, stolz betont.

Die Frage, was uns der Romantiker Friedrich heute zu sagen hat, verkneift sich das Team um Kuratorin Birgit Verwiebe. Jeder kann sich allein in die unendlichen Landschaften vertiefen, die doch vor allem Seelenlandschaften sind. Trotz genauer Studien, trotz der Gebirge und Küsten als zentralen Bildthemen lieferte Friedrich ja kein wirkliches Abbild der Natur. Mit Hilfe der Studien komponierte der Künstler seine Landschaften im Atelier. Weite Himmel und ferne Horizonte, die Hoffnung, Sehnsucht, Zweifel widerspiegeln, existenzielle Fragen aufwerfen, nicht zuletzt nach dem Jenseits, somit eine Aussicht in die Ewigkeit bieten.

Nationalgalerie, bis 4.8. Hier geht’s zu den Karten.
Z
um Jubiläumsjahr gibt es hier eine spezielle Website.

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