Heute: 1. Vagantenbühne – „All das Schöne“ / 2. Deutsches Theater – „Penthesilea. Ein Requiem“ / 3. Theater Strahl – „Hamsterrad“
Wofür lohnt es sich zu leben? Was macht uns froh, zeigt uns, wie lebenswert das Leben ist, beschert uns Momente, die wir nicht vergessen können, nicht vergessen wollen?
Der Monolog „All das Schöne“ von Duncan Macmillan führt uns in die Gedankenwelt eines Mannes, der mit sieben Jahren beschloss, nach dem Selbstmordversuch seiner Mutter eine Liste anzulegen, die ihr Mut machen, ihr all das Schöne vor Augen führen sollte.
Die Liste, so der Plan, soll tausend Ideen umfassen, aber je mehr Zeit vergeht, desto länger wird die Liste und erreicht im Laufe der Jahre schließlich die Million. Da stehen Kinderwünsche drauf wie: Eiscreme oder freihändig Fahrrad fahren, aber auch: An jemanden denken, Kaffee, ein sonniger Tag im Winter oder Ray Charles singt „Drown in my own tears“.
Die eigene Liste im Kopf
Da agiert ein Mann mittleren Alters in Stoffhose, hellblauem T-Shirt mit Aufdruck und brauner Joggingjacke mit Streifen. Auf den ersten Blick unscheinbar, einer, an dem man auf der Straße vorbei laufen würde, ohne ihn weiter zu beachten. Aber wie er aus seinem Leben erzählt, wie er immer mehr gute Dinge findet, mal einem Gedanken nachsinnt, mal atemlos eine Idee nach der anderen raussprudelt, berührt und lässt nach dem Theaterbesuch über die eigene Liste grübeln.
Felix Theissen schlüpft in die Rolle dieses Mannes, und obwohl es ein Monolog ist, spielt er ihn nicht allein. Er spielt ihn gemeinsam mit den Menschen, die mit ihm im Zuschauerraum der Vagantenbühne sitzen.
Theissen spricht gezielt Zuschauende an, lädt sie ein, die Rollen seiner Spielpartner zu übernehmen: Der Tierarzt, zu dem er als Junge mit seinem Hund gehen musste, der Vater, der ihn nach dem ersten Suizidversuch der Mutter aus der Schule abholte, die Vertrauenslehrerin aus der 7. Klasse, das Mädchen, das er in der Uni-Bibliothek trifft und die später seine Frau und noch später seine Exfrau wird.
Zwischen Text und Improvisation
In der Premiere traf Felix Theissen auf einen vollbesetzten Saal, in dem das Publikum wach und neugierig war und sich größtenteils auf den für unsere deutschen Verhältnisse ungewöhnlichen Theaterabend einließ.
Ein Mantel aus wuscheligem Kunstfell wurde nach vorn durchgereicht, als der kranke Hund dargestellt werden musste. Neben mir saß eine Frau, die aufgefordert wurde, die Vertrauenslehrerin zu geben und die bereitwillig ihren Strumpf auszog, ihn sich über die Hand streifte und so mithilfe eines improvisierten Plüschtiers mit dem 13jährigen sprach.
Faszinierend, wie Theissen der Spagat zwischen Stücktext und Improvisation gelang und er seine Mitspielenden durch die Szenen führte, auf ihre Angebote reagierte. In keinem Moment wurde es peinlich. Für ihn nicht, nicht für die Mitspielenden und auch nicht für das Publikum.
Es gab Gelächter im Saal, als sich das Gespräch in der Bibliothek laut Text um ein psychologisches Fachbuch drehte, die junge Mitspielerin aber einen Roman von Dostojewski aus der Tasche zog. Felix Theissen konnte auch damit augenzwinkernd umgehen.
Wie mag dieser Theaterabend sein, wenn die Zuschauenden nicht so kooperativ sind und weniger bereit, sich auf das Spiel einzulassen? Ich glaube, ich gehe noch mal hin.
Vagantenbühne, 30. März; 12. und 13. April. Hier geht’s zu den Karten.
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Im Zentrum des schwarzen, spärlich beleuchteten Bühnenraums von Julia B. Nowikowa eine Frauengestalt inmitten einer Menge weißen Stoffs. Wenn die Gestalt später aufsteht und nach hinten schreitet, entpuppt sich der Stoffberg als ein überdimensionierter Rock aus zarter und dennoch fester weißer Seide, der wie eine Schleppe hinter ihr aufwallt (Kostüme: Gunna Meyer).
Almut Zilcher ist eine von zwei Penthesileas in der zweisprachigen Überschreibung des mythologischen Themas durch Nino Haratischwili, die sie selbst in der Kammer des Deutschen Theaters inszeniert hat.
Im Gegensatz zur Penthesilea der Antike, der es versagt geblieben ist, alt zu werden, kann hier die reife Penthesilea zurück blicken und als Erzählerin die Geschehnisse mit Abstand Revue passieren lassen. Sie umrahmt die Geschichte, kommentiert ruhig, manchmal auch ironisch; sie liest eine Totenmesse und löst so den Titelzusatz „Penthesilea.Ein Requiem“ ein.
Mehr action als Spiel
Nino Haratischwili arbeitet mit einem Ensemble, das aus georgischen und deutschen Spielern besteht. Die Schauspieler können sich nicht verständigen, die Figuren auf der Bühne können es auch nicht. So die Idee der Autorin, wie sie im Programmheft ausführt. Der Gedanke ist logisch, geradezu bestechend: Die Amazonenkönigin spricht die Sprache des Griechen so wenig, wie er ihre spricht. Aber dieses Nicht-Verstehen bleibt auf der Bühne bloße Behauptung und hat keine Auswirkung auf das Spiel. Es wird eben georgisch und deutsch gesprochen, die entsprechenden Übersetzungen sind als Übertitel zu lesen.
Eka Nizharadze als Penthesilea und Manuel Harder als Achill begegnen uns als heutige Persönlichkeiten und einander auf Augenhöhe. Sie als starke emanzipierte Frau, die sich ihrer Wirkung genau so bewusst ist wie Achill als erfolgsgewohnter, lässig schlendernder Krieger.
Starke Bilder lösen sich weniger in spielerische Vorgänge als in sportliche Bewegungen auf. Live-Musik von Nestan Bagration-Davitashvili und Andreas Reihse illustriert mehr, als dass sie bereichert.
Trotzdem kann man sich der Wucht der Tragödie nicht entziehen. Nicht dem ernüchternden Gedanken an die Ausweglosigkeit der Liebe zwischen Penthesilea und Achill, die unmöglich, verboten ist und doch gelebt werden will, ja, gelebt werden muss. Die Liebenden bauschen die weiße Schleppe des Anfangs zu einem Zelt auf, unter dem sie sich verbergen können, einen Aufschub gewinnen vor der Unausweichlichkeit des Krieges und des Tötens.
Der Sieg als Rechfertigung
Der anberaumte finale Kampf zwischen Achill und Penthesilea muss stattfinden. Darin sind sich Achills Waffenträger Thersites (Jens Koch) und Penthesileas Vertraute Alcibie (Anano Makharadze) als Vertreter der feindlichen Armeen einig: Der Krieg hat so viel gekostet, dass nur dieser Sieg all die Opfer und Gräuel rechtfertigen kann. An Gummibändern schweben die Kämpfenden über dem Bühnenboden, viel Kunstblut fließt.
„Töte mich. Oder ich töte dich. Die einzige Wahl, die sie uns lassen. Deine Götter. Meine Göttinnen. Das Schicksal. Und der Krieg“.
Deutsches Theater, Kammer; 29. März; 13. und 14. April. Hier geht’s zu den Karten.
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Die Hauptfigur im Stück der italienischen Autorin Alice Rugai/Muitoevoli hat keinen Namen, oder besser, ICH steht für viele Namen, für viele junge Menschen, die versuchen müssen, sich in unserer verrückten Welt zurecht und in ihr ihren Platz zu finden.
ICH ist ein Mädchen, vierzehn, vielleicht auch dreizehn oder fünfzehn, das ist, so meint sie selbst, egal. Sie lebt mit ihrer kleinen Schwester und ihrer Mutter. Die Mutter arbeitet viel, eine Person ohne Freizeit, wie es im Stück heißt. Also muss sich unsere Heldin kümmern, um den Haushalt, um das Essen, um die Schwester. Abitur soll sie auch unbedingt machen. Und dann ist da noch die Sache mit der Liebe. Sie hat Andrej geküsst, aber sie fühlt sich auch zu Lucie hingezogen...
Sie wünscht sich ein Tier, ein Hamster soll es sein, der, so hofft sie, auf TikTok Kontakte für sie herstellt und dafür sorgt, dass sie sich nicht mehr so einsam fühlt. Das klingt alles ein bisschen seltsam, und "Hamsterrad" ist auch kein einfaches Stück; es entstand in einer Kooperation mit dem Studiengang Szenisches Schreiben an der UdK Berlin.
Umso sinnfälliger ist die Inszenierung von Max Radestock, die in rasantem Tempo das Hamsterrad dreht, in dem ICH und ihre Mitspielenden gefangen sind. Julia Zangger hat eine Bühne gebaut, die mit wenigen Mitteln – eigentlich sind es nur Kästen in unterschiedlichen Größen – vielfältige Spielmöglichkeiten bietet. Schrank, Kühlschrank, Bett, die Kästen können leicht hin- und hergeschoben werden, man kann sie aufeinander stapeln, sich dahinter verstecken, sich darin zusammenkuscheln. Die Spielfläche ist durch einen Kreis aus geriffeltem Plastikschlauch begrenzt, der in verschiedenen Farben leuchtet. Alle sind eingesperrt im Hamsterrad. Und müssen rennen, rennen, rennen, mal als die handelnden Figuren, mal als Hamster, mit Tierköpfen aus Plüsch.
Das Ensemble stellt sich mit Lust dem Text, der in einzelne Sequenzen zerfasert und manchmal wirklich schwer nachvollziehbar ist. Aber die Spielfreude auf der Bühne macht das alles wett und sorgt für Freude auch beim Zuschauen.
Anja Kunzmann in blauer Latzhose und Strickmütze kann ihre Figur wunderbar in der Schwebe halten zwischen Lebenslust und Tatendrang einerseits und Zweifeln und Unsicherheit andererseits. Zusammen mit Natascha Manthe als ihre Freundin Lucie, Mariana Senne als die Mutter und Amos Detscher als Andrej gibt sie dem jungen Publikum in dieser gut 80minütigen Aufführung mit, dass es gelingen kann, vom Hamsterrad abzuspringen.
Theater Strahl / Ostkreuz, für Menschen ab 13; 30. Mai und 11. Juni. Hier geht’s zu den Karten.
1. Vaganten Nathan abgespeckt und aufgepeppt
2. Berliner Ensemble Remmidemmi ohne Ende
3. Atze Musiktheater Ernst gemeint im Spiel
1. Staatsballett Zwischen Laufsteg und Happening
2. Gorki Kafka wird der Prozess gemacht
3. Hans Otto Theater Vom Tod eines Unsterblichen
1. Deutsches Theater Mit Fellini zum CSD
2. Neuköllner Oper Die korrekte Strenge des Gesetzes
3. Hans Otto Theater Die Mondäne auf der Endmoräne
1. Volksbühne Kannibalismus im digitalen Dschungel
2. Deutsches Theater Wenn die Natur zurückschlägt
3. Distel Zwischen Kritik und Klamauk
1. Schaubühne Bilderfluten
2. Grips Theater für die Kleinsten
3. Berliner Ensemble Der nackte Wahnsinn kommt noch
1. Komische Oper Wenn der Tod an die Tür klopft
2. Berliner Ensemble Kleiner Mann im Drogenrausch
3. Komödie Die Diva als Dozentin