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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 469

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

19. Februar 2024

HEUTE: 1. Schaubühne – „Bad Kingdom“ / 2. Berliner Ensemble – „Die schmutzigen Hände“ / 3. Berliner Ensemble – „Gilgi. Eine von uns“

1. Schaubühne - Lied vom Leid der Vereinsamung

"Bad Kingdom" in der Schaubühne © Gianmarco Bresadola

Hinten eine Ritterburg wie im Computermärchenspiel. Vorn drehbare Podeste für die Show-Acts eines Nachtclubs, für ein Filmstudio oder eine psychotherapeutische Praxis. Rechts üppige Fliederbüsche, links ein Konzertflügel und hoch oben noch eine Galerie fürs Heimkino. Alles getaucht in fahles Dämmerlicht. Ein beklemmendes, nüchtern kühles Ambiente (Bühne: Katrin Hoffmann) für Falk Richters Parade psychotischer Einsamkeitsmenschen in seinem albtraumhaften Gegenwartsstück „Bad Kingdom“.

Was da unter Richters schwungvoll auf scharfe, böse, bittere und komische Pointen zielenden Regie durcheinander oder aneinander taumelt in jenem unwirtlichen Reich, sind lauter Königinnen und Könige, deren Kronen entsetzlich verrutscht sind: Durch die Unfähigkeit, sich auf ein Gegenüber einzulassen, um ihr Seelenleid zu heilen. – Liebe, das war früher. Jetzt ist Dating, Narzissmus und Gefühlsvertrocknung; die Grundkrankheiten postmoderner Gesellschaften im Digitalzeitalter, so Richters Krisenbefund.

Den illustriert nun die – auch sexuell – unerquicklich und grotesk miteinander verbundene Egotruppe aus dem Kreativmilieu mit ihren depressiven Geschichten, die sich wechselweise auf den vielen Schauplätzen des weiten Bühnenreichs abspielen; mal live, mal im Video.


Egotruppe aus dem Kreativbetrieb


Also: Da sind eine Beethoven spielende Pianistin, die obendrein zeitgenössisch komponiert, was keiner hören will, und eine Paartherapeutin, die selbst nach Therapie giert durch Patienten (beide Ursina Lardi). Dann ein echt betörend singender Popmusiker, der nichts als sein Soloalbum „I’m lost“ im Sinn hat (Martin Bruchmann); eine Influencerin (Hevin Tekin), die der Künstlerschaft ansagt, welche Posts gut sind fürs Business und welche schädlich; ein verschwiemelter Theaterautor und Sexdarsteller (Kay Bartholomäus Schulze). Sowie ein deppenhaft entnervter Filmregisseur (Marcel Kohler), dem die zynisch-coole Dramaturgin (Jule Böwe) das Script vor die Füße schmeißt, weil alle Figuren bloß „Bleistiftskizzen“ sind in dessen Film „Die Stunde, da wir nichts voneinander wissen wollten. 71 Fragmente der Einsamkeit“. „Will ohnehin keiner sehen“, ruft sie noch kaltblütig hinterher.

Hier und auch sonst immer wieder zeigt sich Richters (Selbst-)Ironie. – Ganz unterhaltsam. Wie auch die musikalische Feinabmischung dieser Show aus gefühlt weit mehr als 71 Szenen. Die aber wiederholen nur das im Kern immergleiche Elend der Psychos (mit Midlife-Krisen obendrauf). Was die Veranstaltung ins arg Längliche treibt.


Nichts wissen. Nicht wissen wollen


In Peter Handkes gleichfalls fragmentarischer Szenenfolge „Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten“ von 1992 geht es ums einander Fremdsein durch Nichtwissen. Neuerdings ums Nichtwissen-Wollen. Wie das gekommen ist, bleibt Bleistiftskizze. – Übrigens: In Richters privat-familiärem, dabei tief ins Gesellschaftliche greifendem Analyse-Stück „The Silence“, zum Theatertreffen eingeladen, war das sehr anders (siehe Blog Nr. 460 vom 5. Dezember 2023). Wohl deshalb jetzt im Programmbüchlein nachgereicht gleich sechs Essays zum Thema allgemeine Vereinsamung.

Aber: Das Ereignis im Königreich der Egomonster ist das grandiose Ensemble! Und Jule Böwe ist mit ihrem großen, heillos sarkastischen, dabei verzweifelt-tieftraurigen Monolog als von aller Welt verlassene Mittfünfzigerin sensationell. Ihr gehört die Krone des Abends.

Schaubühne, 8., 9., 12. März und 5., 6. April. Hier geht’s zu den Karten.


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2. Berliner Ensemble - Prinzipientreue, Prinzipienreiterei

"Die schmutzigen Hände" im Berliner Ensemble © Matthias Horn

Ein schwarzer Bretterverschlag von Boden bis Himmel. Er dreht sich bedrohlich knarzend, durch Ritzen quillt Nebel, zucken Blitze, brummen düster Töne. Das könnte die Welt bedeuten. Oder Illyrien, der balkanische, faschistisch besetzte Fantasiestaat, vor dessen Grenzen kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs die Sowjets stehen und wo Jean-Paul Sartres Politthriller von 1948 „Die schmutzigen Hände“ spielt.

Dann stürzen die Bretter krachend zusammen. Und auf der leeren Drehscheibe im Weltuntergangslicht windet sich ein armes graues Menschenkind. Es ist Hugo, ein bürgerlicher Jungintellektueller, der, getrieben von schäumendem Gerechtigkeitswahn, überlief zu den Kommunisten im Untergrund. Um dort mitzuwirken an der Verwirklichung seines Traums: die Weltverbesserung. Motto: Nicht nur denken, sondern tun.


Die Moral und die Macht


Doch Hugo verfing sich heillos im Netz radikal moralischer Prinzipien, revolutionärer Ideale und pragmatisch kommunistischer Machtpolitik. Und machte sich schmutzig. Durch einen Parteiauftrag mit Pistole. Denn Hugo soll KP-Spitzenfunktionär Hoederer wegen Verrats erschießen. Weil der insgeheim kooperiert mit den politischen Gegnern (Faschisten, Nationalisten), um nach Einmarsch der Sowjets bei vorab ausgekungelter Stimmenmehrheit die Macht ohne kriegerisches Blutvergießen und ohne russische Mitwirkung übernehmen zu können.

Doch Hugo schießt nicht, sondern diskutiert, fühlt sich allzu sehr ein in Hoederers Denken. Erst als der Hugos Weiblein Jessica innig küsst, knallt er ab. Der hehre politische Auftragsmord mutiert zum spießigen Eifersuchtsdrama. Zwei Jahre Knast. Als Hugo rauskommt, hat das Blatt sich gewendet: Die KP herrscht. Und Hoederer ist kein Verräter mehr, sondern gefeierter Märtyrer. Hugo wird als Verbrecher hingerichtet.


Das Arrangement mit dem Feind


Die slowenische Regisseurin Mateja Koleznik fokussierte ihre Inszenierung aufs Duell zwischen Hoederer und Hugo, das zugleich ein psychologisch grundierter philosophischer Diskurs ist. Wann kommt der Punkt, da Umstände zwingen, die eigenen bislang geltenden Prinzipien vernünftigerweise zu verraten? Oder bleibt Verrat ein Tabu? Wann kippt die hochmoralische Prinzipientreue um in bloß dogmatische Prinzipienreiterei? Wie weit sind Gewalt und Widerstand sinnvoll, ab wann ist es der Kompromiss? – Dazu Höderer: „Es gibt nur ein Ziel: die Macht.“ Aber: „Ein Mensch mehr oder weniger auf der Welt, für mich zählt das. Das ist kostbar.“ Deshalb sein Arrangement mit den Feinden.

Aufregende Sache. Wir gehen fragend in uns. Dennoch kommt die Sache nicht derart wuchtig über uns wie das schlagende Bühnensinnbild von Olaf Altmann, vor dessen Bretterverhau dicht an der Rampe sich das Geschehen einem finsteren Gangsterstück gleich abspielt. Die 150 gedruckten Seiten des spannenden Sartre-Scripts wurden auf 50 eingekürzt bei 90 Minuten Spieldauer. Da fehlt manch bedenkenswerte Passage.

Auch bleibt die Zeichnung der Figuren überraschend blass. Hugo (Paul Zichner) als tragische Person wird zum verbiestert wuselnden Rechthaber; die in ihn verknallte Genossin Olga (Pauline Knof) klemmt fest als Parteisoldatin; Hugos Frau Jessica (Lili Epply) spreizt sich als aufreizende Barbie, um als kokettes Weibchen – ein fataler Dienst an Hugo – endlich den Mordfall auszulösen. Hoederer (Marc Oliver Schulze) fehlt es an verführerischem, aber auch intellektuellem Charisma. Man gerät aneinander, ohne dass es zum packenden Zusammenprall kommt.

Bemerkenswert immerhin: Die Regie enthält sich jedweder Bezugnahme aufs aktuell brennend Politische. Umso eindringlicher lodert uns die freilich altbekannte Tatsache im Kopf: Der Mensch ist gemacht aus krummem Holz. Wer lebt, kann seine Hände nicht unentwegt hohen Muts in reiner Unschuld waschen. Sie werden schmutzig.

Berliner Ensemble, 12. März, 14. April und 2. Mai. Hier geht’s zu den Karten.


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3. Noch einmal Berliner Ensemble - Bubikopf, Beruf und Lust auf freie Liebe

Katharina Thalbach im Zuschauerraum des Berliner Ensemble © Moritz Haase
Katharina Thalbach im Zuschauerraum des Berliner Ensemble © Moritz Haase

Hier ist ein Talent!“, rief Kurt Tucholsky. Gemeint war Irmgard Keun mit ihrem Debüt-Roman „Gilgi – Eine von uns“. Das war anno 1932. Irmgard, gerade 26 Jahre, setzte sofort nach mit dem Roman „Das kunstseidene Mädchen“. Und war fortan gefeierter Star der Kulturszene der Weimarer Republik. Ein früher Ruhm von kurzer Dauer. Ab 1933 regierten die Nazis, trieben die Keun ins Exil, verboten ihre Bücher.

Denn was zu Weimar, zur aufschießenden Moderne bestens passte, nämlich Keuns mit praller Wirklichkeit gesättigte Romane über kühne Frauen mit Bubikopf, Berufstätigkeit und Lust auf freie Liebe, mit Pochen auf Selbstbestimmtheit und selbstverdientes Geld, das passte
nach 1933! überhaupt nicht. Keun geriet in Vergessenheit. Erst in den späten 1970er Jahren wurde sie wiederentdeckt: Neuauflagen, der Marieluise-Fleißer-Preis 1981. Doch all das half ihr nicht auf. Ein Jahr später starb sie – Depressionen, Alkohol.

Wie hoch beglückt wäre sie, hätte sie erleben dürfen, wie jetzt im rappelvollen BE
Katharina Thalbach ihren Erstling „Gilgi“ mit einer szenischen Lesung zum literarisch-theatralen Ereignis machte.


Keine sentimentale Gans


Das Erstaunliche, wie diese Gilgi als „eine von uns“ noch heute überzeugt: bezaubernd charmant, schlagfertig, sarkastisch, unverwüstlich ‑ trotz schmerzlicher Schicksalswendungen. Diese Gilgi, eine Stenotypistin aus einfachen Verhältnissen, die eigentlich Gisela heißt und gerade 20 Jahre alt ist, sagt: „Ich will was, kann was und leiste was.“ Sie glaubt nicht an Wunder und ist „keine sentimentale Gans“, aber gern „richtungslos verliebt“. Und schert sich wenig um abgesagte Frauenrollenmodelle oder Moralvorstellungen. Sie ist aber auch keine knallige Emanze, sondern ein mutiges, zartfühlendes Wesen, das bei aller Lebenslust nicht wegschaut von der Not und vom Leid jenseits der Kinos, Restaurants und Tanzlokale.


Mit Witz und mit Ernst


Diese Gilgi passt zu Katharina. Man hört und schaut ihr gebannt zu, wie sie – tolle Komödiantin – die vielfach wechselnden Stimmungslagen, die feinen Schattierungen im Text stimmlich und gestisch genau modelliert und moduliert – mit gehörigem Witz und gebotenem Ernst.

Das alles auf einem Podest auf der Vorbühne. Ihr Script souverän in der Hand, vor oder neben der Nase, agiert Thalbach zwischen Tisch, Stuhl, Sofa, Kleiderständer, dem stummen Diener für kleine Kostümierungen mit blauem Hütchen, Trenchcoat und goldenem Seidentuch (Ausstattung:
Janina Kuhlmann). Regisseur Oliver Reese hat das Ganze mit bewährt sicherem Griff für signifikante Wirkungen eingerichtet. Und Jörg Gollasch lieferte den Soundtrack – feinst gesponnen.

Berliner Ensemble
am 7. März. Hier geht's zu den Karten.


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Extra-Tipp Montagskultur
am 4. März: „Ein jegliches hat seine Zeit“. Ein Abend mit Barbara Schnitzler und Nikolai Orloff am Klavier

Sie zeige ein Programm „mit Liedern, Texten, Gedanken zu einem eigentlich alltäglichen Phänomen“. Sagt Barbara. Das hätte schwerlastig werden können. Ist es aber nicht. Überhaupt nicht! Stimmungsmäßig könnte man sagen: Fliegender Wechsel zwischen Mocca, Rotwein, Schampus, Schnaps. Und zwischendurch eiskaltes Wasser. – Coole Mischung. Und Dosierung. Nicht verpassen! Siehe auch auch Kulturvolk-Blog Nr. 441 vom 22. Mai 2023.

Am Montag, 4. März, 19.30 Uh, Kulturvolk, Piscator Saal, Ruhrstraße 6. Hier geht's zu den Karten.

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