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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 467

Kulturvolk Blog | Sibylle Marx

von Sibylle Marx

5. Februar 2024

1. Theater an der Parkaue – „Was ihr wollt“ / 2. Deutsches Theater – „Einfach das Ende der Welt“ / 3. Grips-Theater – „Princess“

1. Theater an der Parkaue - Komödie mit Tiefgang – nicht nur für Jugendliche

"Was ihr wollt" im Theater an der Parkaue © David Baltzer

Wer Was ihr wollt“ im Theater an der Parkaue gesehen hat, wird diesen Theaterabend nicht so schnell vergessen. Hier hat sich Alexander Riemenschneider mit seinem Ensemble daran gemacht, das Stück neu zu lesen und hinter die vordergründige Handlung zu schauen. In moderner Sprache, in der Reime und Aphorismen anklingen (Übersetzung: Jens Roselt) geht es um Fragen wie: Wer bin ich? Was ist wirklich, was ist fake? Wen oder was sehen die anderen in mir, und wie beeinflusst das meine Identität, meine Gefühle, meine Liebe? Dabei wird mit den Geschlechtern gespielt. Und das im wahrsten Sinne des Wortes und erfreulicherweise völlig unideologisch.


Viel mehr als Liebesgeplänkel


Am Anfang strandet ein Schiff. Viola, die bei dem Unglück ihren Zwillingsbruder Sebastian verloren hat, muss sich in dem fremden Land eine neue Existenz aufbauen und verdingt sich als Cesario bei Orsino, einem der Mächtigen. Der benutzt Viola/Cesario als Boten, um bei Orsina, auch eine Mächtige, für seine unerwiderte Liebe zu werben. Aber Orsina verliebt sich auf den ersten Blick in Cesario/Viola, die wiederum schon längst selbst in Orsino verliebt ist. Schließlich taucht auch noch der Zwillingsbruder Sebastian auf, der von Olivia für Cesario/Viola gehalten wird. Und wie gewohnt bei Shakespeare gibt es eine Narrentruppe, die das Verwirrspiel auf die Spitze treibt.


Was ihr wollt“ ist eine großartige Ensembleleistung, und Patrice Grießmeier ist dabei der Star des Abends. Das Pronomen von Grießmeier ist auf der Websites des Theaters mit they angegeben. Hoch aufgeschossen und mit schmalem Körper wirkt they einerseits androgyn, vermag es aber trotzdem, die Frau – Viola – und den Mann – Cesario bzw. Sebastian – lebendig werden zu lassen und in ihrer Stärke Zerbrechlichkeit zu zeigen. They trägt als Viola/Cesario ein schwarzes, mit Goldnoppen versehenes enganliegendes Oberteil zu Röhrenjeans und schwarzen Lackstiefeletten und als Sebastian eine Bomberjacke aus demselben schwarzgoldenen Stoff. Dieses Kostüm, mit einer Bewegung veränderbar, bedient das Spiel mit dem Geschlechterwechsel auf feine fließende Weise (Kostüme: Lilli Wanner).


Im Zeitgeist ohne ideologisch zu sein


Alexander Riemenschneider und die Bühnenbildnerin Maria-Alice Bahra haben sich tolle szenische Lösungen einfallen lassen, die das Zuschauen so vergnüglich machen. Um zu verdeutlichen, welche Figur da gerade agiert, wird zu einem schlichten Mittel gegriffen: Pappschilder; auf einem steht Viola – überschrieben mit Cesario – und auf dem anderen Sebastian. Je nachdem, wer gerade auf der Szene ist, werden die Pappen ausgewechselt und gut sichtbar von der Inspizientin platziert.
Die ist natürlich auch eine Schauspielerin (Mira Tscherne), die von einem ausrangierten Inspizientenpult am Bühnenrand aus wie im richtigen Theaterleben die Einsätze für Spiel und Musik in ihr Mikrofon haucht, flüstert oder verzweifelt ruft und gleichzeitig den Diener Malvolio spielt. Um ein Haar wird Malvolio, sowieso arg gebeutelt, am Ende unter den Zuschauerbühnen vergessen. Auch Mira Tscherne ist eine Wandelnde zwischen den Geschlechtern und dabei eine Vollblutkomödiantin.
An den Traversen befestigte Tücher werden von den Spielern an Seilen gezogen; in sich gerafft oder glatt und verschieden beleuchtet, deuten sie Räume an. Es entsteht ein Palast, ein lädiertes Schiff, ein Garten.

Und nicht zu vergessen: Die Musik. Henri Jakobs und Taylor Savy geben mit Bass und Gitarre einen Bänkelgesang zum Besten, von dem mir ein Lied noch nach Tagen im Kopf herumging:
„Schiffbruch, Schifbruch, es braucht nur einen Plan/ der vollständig gegen die Wand geh’n kann/ und du fängst von vorne an.“

Theater an der Parkaue, 14., 26., 27. Februar; 13. März. Hier geht’s zu den Karten.


Alexander Riemenschneider hat 2023 den FAUST-Theaterpreis in der Kategorie Inszenierung für junges Publikum für „Das Kind träumt“ bekommen. Wir gratulieren sehr herzlich!


***

2. Deutsches Theater - Flucht nicht mehr möglich

"Einfach das Ende der Welt" im Deutschen Theater

Selten war eine Bühne so voll. Eine komplette Wohnung mit Esszimmer, Wohnzimmer, Kinderzimmer, Küche und Bad mit richtigen Fenstern und Türen wurde im Deutschen Theater vor einem weißen Rundhorizont aufgebaut. Neben den entsprechenden Möbeln finden sich Kissen, Decken, Bücher, Geschirr und Stehrümmchen aller Art.

Während sich der Zuschauerraum füllt, tigert ein junger Mann durch diese Wohnlandschaft. Setzt sich, springt nach kurzer Zeit hoch, verschwindet, taucht aus der Gasse wieder auf. Hier ist jemand ganz schön unter Druck.
Wenn es dann losgegangen ist, führt uns dieser junge Mann – er heißt Louis – durch die Räume seiner Kindheit. Bewaffnet mit einer Kamera, deren Bilder auf drei Leinwände gespielt werden, erzählt der erfolgreiche Videokünstler, zu dem Louis inzwischen geworden ist, von seiner Familie, die er zwölf Jahre nicht gesehen hat. Berichtet von einer tödlichen Krankheit. Weil er glaubt, bald sterben zu müssen, hat er sich dazu durchgerungen, seine Familie – Mutter, Bruder und kleine Schwester noch einmal wiederzusehen.


Das Publikum macht mit


In seinem Monolog spielt Benjamin Lillie mit dem Publikum auf eine Art und Weise, wie es im Deutschen Theater eher selten geschieht: Er ruft Fragen ins Publikum, auf die die Leute antworten sollen, teilt sie in Gruppen ein – rechte Seite Parkett, linke Seite Parkett, erster Rang, zweiter Rang und animiert sie, laut und lauter zu brüllen. Die Zuschauer machen das mit. Ich fand es befremdlich.
Nach einer halbe Stunde, die immer mal wieder von einem Schlagzeuger begleitet oder unterbrochen wird, verkündet Lillie: Jetzt ist Pause.
Und nun ist wohl eine der kurzweiligsten Pausen, die es im Theater je gab, zu erleben: Technik und Requisite entern die Bühne und bauen in einer ausgeklügelten Choreografie das gesamte Bühnenbild ab. Nach 15 Minuten ist die Bühne leer, lediglich ein paar Wände bleiben stehen, sind jetzt von hinten zu sehen.

In den verbleibenden siebzig Minuten der Aufführung werden in dem leeren Raum, in dem es kein Entrinnen gibt, die Kämpfe ausgefochten, die zwölf Jahre nicht gekämpft werden konnten, weil Louis abgehauen ist und sich die Zurückgebliebenen von ihm verraten fühlten. Immer begleitet von der Videokamera. All die Themen, die alle Familien begleiten, und denen sich weder Louis noch die Mutter (Corinna Harfouch), noch der Bruder (Nils Kahnwald) oder die Schwester (Wiebke Mollenhauer) gestellt haben, kommen zur Sprache. Maja Beckmann als Ehefrau des Bruders, die in die Familie Hineingekommene, stellt die entscheidenden Fragen.
In der Inszenierung aus dem Jahr 2018 von Christopher Rüping – einer Übernahme des Schauspielhauses Zürich – löst sich alles in einem blutrot gefärbten Tanz unter vier Windmaschinen auf.

Deutsches Theater. Weitere Vorstellungstermine sind in Planung.


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3. GRIPS - Krasser Typ im Fummel

"Princess" im GRIPS Theater © David Baltzer bildbuehne.de

Ole ist 11 und der Chef. Der Chef einer Bande, zu der Jasper und Maximilian gehören. Aber die Bande ist nicht einfach eine Bande oder eine Clique – nein, es ist eine Gang, die Gangstergang. Maximilian heißt Schnecke, Jasper heißt Ratte und Ole ist der Boss. Und so will er auch genannt werden. Denn er ist ein harter Hund und gibt als Boss natürlich den Ton an. Nicht zuletzt bei ihrem Gangstergang-Song, mit dem sie beim alljährlichen Schul-Talente-Wettbewerb auftreten werden. Damit werden sie natürlich gewinnen, so wie sie immer den Wettbewerb gewonnen haben.

Aber dieses Jahr ist alles anders. Eine Neue kommt in die Klasse, Lu. Lu hat mindestens so eine große Klappe wie Boss und stellt in Frage, was bis jetzt von niemandem in Frage gestellt wurde. Vielleicht wird sie ja in diesem Jahr die Erste beim Schulausscheid? Alles Altgewohnte gerät noch mehr aus den Fugen, als Lu ein Geheimnis entdeckt und mit ihrem Smartphone filmt: Boss hat eine andere Seite, die niemand für möglich halten würde, selbst er nicht wirklich: Boss zieht sich gern Kleider an, findet knallrote Lippenstifte gut und und liebt es zu tanzen, am besten im Prinzessinnenkleid.

Lu
ist fasziniert von Boss’ Tanz, will das auch können und bittet Boss, ihr das Tanzen beizubringen. Als der sich weigert, denn mit Mädchenkacke hat die Gangstergang natürlich nichts zu tun und mit Lu schon gar nicht, erpresst sie ihn mit der Drohung, das Video ins Netz zu stellen. Ole ist hin- und hergerissen zwischen Lu und seinen Freunden.


Auf die eigenen Gefühle vertrauen


„Princess“ von Karsten Dahlem hat eigentlich alles, was ein Stück für Jugendliche heute braucht: Vorurteile, die überwunden werden werden müssen, Rollenbilder, die es zu hinterfragen gilt, den Mut, die eigene Identität zu finden, den Wert von Freundschaft und Loyalität.
Bereits 2016 hat Dahlem als Drehbuchautor und Regisseur den preisgekrönten Kurzfilm „Princess“ gedreht, der sehr erfolgreich war. Im Programmheft führt Dahlem aus, dass es ihm mit seinem Stück daran lag „...tiefer in die Charaktere einzutauchen, mehr von ihrem Leben zu erzählen, den Zwängen, in denen die Hauptfigur Ole steckt, seiner Sozialisierung, wie er aufwächst und was dann als Zuschreibung als „typisch Junge“ oder „typisch Mädchen“ gesehen wird…“

Das
alles hat offenbar im Film gut funktioniert, gelingt auf der Theaterbühne aber nur bedingt. Möglicherweise steht da der Autor dem Regisseur im Wege. Bei der beabsichtigten Vertiefung von Charakteren und dem intensiveren Ausloten von Widersprüchen bedient sich Dahlem einer Sprache, die wechselt zwischen Jugend-Slang (oder dem, was sich der Autor darunter vorstellt) und einer blumigen Bühnensprache. Welcher 11jährige sagt Sätze wie: „Tränen fließen über meine Wangen. Mit aller Kraft versuche ich dagegen anzukämpfen, ...lasse meine Hand in die Hosentasche gleiten und ziehe den Lippenstift raus.“

Wie sich
Daniel Pohlen als Boss, Eike N.A. Onyambu als Ratte, René Schubert als Schnecke und Berit Vander als Lu durch die Texte kämpfen, ist bewundernswert. Bühnenbild und Kostüme (Justyna Jaszuk und Slvie Naunheim) sind leider auch keine Hilfe. Die Jungs tragen knielange Boxershorts in gräßlichen Farben; Lu hat sich als Verkleidung für ihren Auftritt beim Talentewettbewerb einen überlangen buntgescheckten Mantel umgehangen, der aus dem Kleiderschrank ihrer Urgroßmutter stammen könnte.
Lu und Ole finden schließlich zueinander, beide tanzen gemeinsam – in Prinzessinenkleidern.

Auf dem überdimensionalen goldenen Vorhang erscheinen am Schluss die Worte:„Jeder Mensch hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Egal, ob er sich schminkt, die Fingernägel lackiert oder einfach ein Kleid trägt.“

GRIPS Theater am Hansaplatz, 24. Februar. Hier geht’s zu den Karten.

 

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