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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 446

Kulturvolk Blog | Ralf Stabel

von Ralf Stabel

26. Juni 2023

Heute: 1. Georg Kolbe Museum – Ausstellung zu Tilla Durieux / 2. Hans Otto Theater – „Warten auf Godot“ / 3. Alle Jahre wieder – Das Kulturvolk Sommerfest / 4. Der Blog geht in die Sommerpause

1. Tilla Durieux - Eine Frau geht ihren Weg

Tilla Durieux (undatiert) - Aus dem Begleitbuch der Ausstellung, S. 216/ 217 © Sasha Stone / Akademie der Künste, Berlin, Tilla-Durieux-Archiv, Inventar.-Nr.: 132 
Tilla Durieux (undatiert) - Aus dem Begleitbuch der Ausstellung, S. 216/ 217 © Sasha Stone / Akademie der Künste, Berlin, Tilla-Durieux-Archiv, Inventar.-Nr.: 132 

Tilla Durieux – allein der Name. Darauf muss man erst mal kommen. Aber bei Ottilie Godeffroy, so ihr eigentlicher Name, war es „einfacher“: Sie nimmt den Mädchen-Namen der Großmutter an. Aus bürgerlichem Hause stammend galt es – heute würden wir sagen – als rufschädigend, ins Schauspieler-Gewerbe zu gehen, und deshalb musste sich die junge Frau mit eben diesem Künstlernamen behelfen. Ist da vielleicht schon ein untrügliches Gespür von PR zu erkennen?

Das Georg-Kolbe-Museum zeigt nun – der vorherigen Direktorin Dr. Julia Wallner sei Dank – als Übernahme aus dem Leopold Museum in Wien eine Ausstellung über diese bemerkenswerte Frau und Künstlerin. Denn sie war beides. Uns begegnen Bilder, Büsten, Zeichnungen, Fotos und vieles andere mehr in der Sensburger Allee, die im Wesentlichen ein durch diese Medien gesteuertes Bild der Tilla Durieux vermitteln.

In dem lesenswerten Begleitbuch kann man der Biografie dieser Frau aus verschiedenen Perspektiven nachgehen. Dreimal war sie verheiratet.
Eugen Spiro begann sie zu malen – und damit auch, sie zu „gestalten“. Ihn aber verlässt sie, um den einflussreichen, kreativen und vermögenden Kunsthändler und Verleger Paul Cassirer zu heiraten. Er unterstützte sie nach Kräften in ihrer Karriere. Und seine Kräfte scheinen unerschöpflich gewesen zu sein. Er sorgt für ihre außerordentliche mediale Präsenz. Vieles von dem, was in der Ausstellung zu sehen ist, geht auf seine Anregung und auf sein Vermögen zurück. Doch auch seine Kräfte enden an der Stelle, an der sie sich von ihm scheiden lassen will. Paul Cassirer nimmt sich das Leben, um nicht in diese von ihm nicht gewollte Scheidung einwilligen zu müssen. Mit ihrem dritten Ehemann Ludwig Katzenellenbogen geht sie ins Exil. 

In Deutschland ist nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten ihres Bleibens länger nicht. Sie irren durch Europa. Tilla Durieux weiß, wie es um ihn steht, denn er gesteht ihr: „Wenn du mich verlässt, wenn dir etwas geschieht, bin ich verloren.“ Und so wird es kommen. Auf der Flucht „trennen sich die Wege von Durieux und Katzenellenbogen“, heißt es im Begleitbuch. Wie ist so etwas in einer solchen existenziellen Situation möglich? Ludwig Katzenellenbogen wird „in Abwesenheit der Schauspielerin“, so das Begleitbuch, „verschleppt“. Was in dem Begleitbuch nicht steht: Er wird
1941 von der Gestapo in Saloniki verhaftet und ins Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin deportiert. Zu fragen wäre, ob er nicht eigentlich durch die Ehe mit ihr vor der Deportation geschützt war? Warum gelang der berühmten Tilla Durieux nicht, was die einfachen Frauen 1943 in der Berliner Rosenstraße vermochten: ihre jüdischen Männer vor der Deportation zu schützen. Am 30. Mai 1944 stirbt Ludwig Katzenellenbogen im Jüdischen Krankenhaus in Berlin. Tilla Durieux bleibt in Zagreb und „beteiligte sich (…) an der Widerstandsbewegung“. 1952 kommt sie nach Deutschland zurück und spielt weiter Theater.

Eine Biografie dieser Frau ließe sich meines Erachtens auch ganz wunderbar entlang ihrer Rollen erzählen. So spielt sie zum Beispiel die Herodias
und die Salome – Figuren weiblicher Grausamkeit; sie verkörpert Medea und Circe, Potiphars Weib und Lady Macbeth – das sind ohne weiteren Kommentar femmes fatales par excellence. Sie interpretiert in Frank Wedekinds „Franziska“ die Titel-Figur – eine Art weiblicher Faust – als die Inkarnation von Macht und Genuss sozusagen. Aber sie spielt auch die Eliza Doolittle. Doch vielleicht ist das eher die Ausnahme, die die Regel bestätigt.

Was machen diese Rollen und vor allem die damals übliche Identifikation und Einfühlung in die zu spielenden Rollen mit einem Menschen, wenn er gerade nicht auf der Bühne steht?
Inwieweit das immer wieder verkörperte künstlerische Dasein das reale Sein beeinträchtigen kann, könnten Sie z. B. in einem Beitrag von Kate Wyver im britischen „The Guardian“ nachlesen, in dem Schauspieler eben darüber berichten und wie sie sich dagegen wappnen und wehren. Andererseits lebt die Interpretation einer Rolle natürlich auch ganz stark davon, was die Schaupieler von ihrer Persönlichkeit einzubringen vermögen.

Schauen Sie sich also am besten die Bildnisse dieser Künstlerin und Frau an und machen Sie sich ein eigenes Bild von Tilla Durieux. Im Georg-Kolbe-Museum begegnen Sie Werken von Ernst Barlach, Max Beckmann, Oskar Kokoschka, Georg Kolbe, Stefan Moses, Max Slevogt, Eugen Spiro, Sasha Stone, Max Oppenheimer, Emil Orlik, Emil Pirchan, Franz von Stuck und vielen anderen mehr
– allein das ist eine Sensation.

Begleitbuch zur Ausstellung:
„Eine Jahrhundertzeugin und ihre Rollen A Witness to a Century and Her Roles“
Herausgeber*in | Edited by Daniela Gregori und Hans-Peter Wipplinger
Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, Köln 2022, 300 S., 34,90 Euro

Georg-Kolbe Museum, noch bis zum 20. August. Dort erhalten Kulturvolk-Mitglieder ermäßigten Eintritt.


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2 Hans OttoTheater Potsdam - Ja, wo warten sie denn?

"Warten auf Godot" im Hans Otto Theater © Thomas M. Jauk

Es gibt Stücke, die Theatergeschichte geschrieben haben. „Warten auf Godot“ ist ein solches. In Potsdam warten nun Henning Strübbe als Estragon und Jon-Kaare Koppe als Wladimir auf Godot, der bekanntlich nie kommen wird. Aber das wissen die beiden ja nicht. Das von Samuel Becket 1952 veröffentlichte Stück gilt gemeinhin als absurdes Theater. Damals mag das so gewesen sein. Wer heute mit dem ÖPNV durch Berlin fährt oder mal an Orten vorbeikommt, wo Obdachlose leben, kann solche Menschen und Gespräche eigentlich jederzeit antreffen. Die Zeit hat das Stück eingeholt. Bei all der Warterei werden existenzielle Fragen angesprochen: „Sollen wir uns aufhängen?“ Oder auch: „Manchmal frage ich mich, ob es nicht besser wäre, wenn wir auseinander gehen.“ Doch sie kommen nicht auseinander, denn „Die Gewohnheit ist ein mächtiges Beruhigungsmittel“, wie sie feststellen.

Man weiß nicht, warum sie da sind, man weiß nicht, warum sie zusammen sind. Warum sie überhaupt auf Godot warten, weiß und erfährt man auch nicht. Aber auf was warten wir nicht alle vergebens und fragen uns schließlich auch nicht warum?

Zwischendurch erschein
t Paul Wilms als Lucky und führt René Schwittay als seinen fügsamen Sklaven Pozzo an der Leine vor. Lucky befiehlt ihm zum Beispiel „Tanz den Schrei“ und Pozzo tanzt den Schrei – ganz urkomischer Ausdruckstanz; und ebenso „schräg“ wie die Hauptfiguren sind diese beiden „Typen“.

Estragon und Wladimir sind durchaus auch Philosophen, wenn sie am Ende fragen: „Was wird wahr sein von alledem?“ Wer kann das beantworten? Ihr Spiel ist so intensiv, dass sie, auch wenn sie die Bühne kurzzeitig verlassen, trotzdem präsent sind und bleiben.

Maske und Bühnenbild von
Daniel Angermayr unterstützen auf ihre Weise ganz wundersam das Irrwitzige dieser Szenerie. Absonderliche Aufforderungen wie die an einer phallischen Kakteen-Pflanze hängende „Nimm dir einen Spiegel und schau dir deine Vulva an“ sind an diesem Abend nicht ernst zu nehmen. Ich würde mich auch ausgegrenzt fühlen.

Zwischenzeitlich erscheint mal
Jonah Baldus, mal Arthur Garrard als reale Figur eines „Jungen“ und stößt uns sehr sympathisch und für kurze Momente zurück in unser Hier und Jetzt. Dass Jugend hier als nicht verwirrt und verirrt erscheint, ist auch mal ganz beruhigend.

„Warten auf Godot“ ist ein besonderer Abend, an dem man ganz ungestört, darüber nachdenken kann, worauf man selbst wartet, ob man zusammenbleiben soll und ob die Gewohnheit als Beruhigungsmittel das ist, was man braucht. Ob Sie, liebes Publikum, sich aufhängen sollen, fragen Sie sich bitte nicht!

Nutzen Sie die Gelegenheit, sich die wirklich gelungene Inszenierung von
Fanny Brunner in Potsdam anzusehen, denn man kann nie wissen, wie lange das Stück in der vom Autor vorgesehenen Fassung noch aufgeführt werden kann. Die taz hatte kürzlich darüber berichtet, dass im niederländischen Groningen eine für März dieses Jahres geplante Aufführung verboten wurde, weil nur Männer zum Casting für die fünf Männerrollen eingeladen worden waren und das eben den dortigen aktuellen Gender­kriterien widerspräche. So jedenfalls lautete die Kritik des Kulturzentrums der Universität, wo das Stück aufgeführt werden sollte.

Willkommen im realen absurden Theater!

Reithalle des Hans Otto Theater Potsdam, zum letzten Mal in dieser Spielzeit am 1. Juli. dann wieder in der neuen Spielzeit. Hier geht’s zu den Karten.


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3. „Oh What A Night“ - Der Sommer ist da – und damit auch unser Kulturvolk Sommerfest und unsere Gartenkonzerte


Am 1. Juli beginnen wir unser diesjähriges Sommerfest im Garten der Freien Volksbühne in der Ruhrstraße 6 um 15 Uhr mit jiddischen und hebräischen Liedern. Bis zum Abend werden dann Künstler*innen vom Berliner Ensemble, Schlossparktheater und BKA-Theater, der Shakespeare Company, Staatsoper und Deutschen Oper, von der ufa-Fabrik und der Orchester Akademie der Staatskapelle, vom Renaissance-Theater und der Bar jeder Vernunft ein wirklich kunterbuntes und damit vielseitiges und abwechslungsreiches Programm bieten. Freuen Sie sich – neben vielem anderen – auf Lieder von Claire Waldoff, bekannte Operetten-Melodien, Ausschnitte und Highlights aus dem Berliner Opern-Repertoire sowie auf brasilianische und natürlich sommerliche Lieder.

Im bekannten Format „Sofahelden“ geben die „Macher*innen“ hinter den Kulissen in Interviews Auskunft über die kommende Spielzeit an ihren Häusern.
Auch an Ständen können Sie sich über die Spielpläne der nächsten Saison informieren. Bringen Sie am besten gleich Ihren Termin-Kalender mit. Auch für Autogramme, denn so nah wie bei unserem Sommerfest kommen Sie Ihren Bühnen-Lieblingen ansonsten nicht.

Auch unser Glücksrad dreht sich wieder: Hier gibt es Freikarten zu gewinnen, die unsere Partner, die Berliner Theater und Opernhäuser zur Verfügung gestellt haben.
Für Kinder wird es selbstverständlich ebenfalls Programmpunkte geben: Zwei Kindertheatervorstellungen, Kinderschminken und eine Vorlese-Ecke.
Wie immer erwartet unsere Gäste ein kulinarisches Angebot mit Bratwurst, Crepes und Galettes, vegetarischen Bowles und kühlen Getränken.
Der Abend wird mit Ausschnitten aus der mitreißenden Live-Show „Oh What A Night“ ausklingen – und unter diesem Motto steht selbstverständlich die gesamte Veranstaltung. Wir freuen uns auf Sie – unsere Mitglieder, unser Publikum!

Auch nach unserem Kulturvolk Sommerfest gibt es bei uns Kultur zu erleben. Unter dem Motto "Der schöne Sommer" laden wir im Juli und August in unseren Garten ein. In lauschiger Sommerabend-Athmosphäre können Sie unterschiedliche Konzerte genießen. Das Programm und die Daten finden Sie hier.


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4. Mach mal Pause!

Last but not least: Nach dem Sommerfest gehen auch wir vom Kulturvolk-Blog in die Sommerpause. Sie lesen wieder von uns am 4. September 2023. Bis dahin wünschen wir Ihnen einen angenehmen und erholsamen Sommer. Wir freuen uns auf Ihre Theaterbesuche in der kommenden Saison und auf Ihre Reaktionen und Anregungen!


Ihre Blogger*innen
Sibylle Marx, Reinhard Wengierek, Uwe Sauerwein und Ralf Stabel.

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