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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 438

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

1. Mai 2023

HEUTE: 1. „Stolz und Vorurteil“ – Komödie am Kurfürstendamm im Theater am Potsdamer Platz / 2. „Anne-Marie die Schönheit“ – Deutsches Theater, Studio Raum 315 / 3. „Totentanz“ – Berliner Ensemble / 4. Extra Tipp: Jutta Wachowiak im Deutschen Theater 

1. Kudammkomödie - Männerfang und Geldgewinn

"Stolz und Vorurteil *oder so" in der Kudanmmkomödie © Franziska Strauss

Ledige Frauen sind nicht erbberechtigt! Ein patriarchalisches Machtwort gegossen in geltendes Recht in old Englands Kingdom. Dieses demütigende Gesetz inspirierte Autorin Jane Austen (1775-1817) zu einer breit angelegten, fein gegliederten Familiensaga, in der Mrs. Bennet, eine rüstige Witwe und verzweifelt ehrgeizige Mutter von ausgerechnet fünf noch ledigen Töchtern, unter gehörigem, auch ungehörigem Aufwand sich abmüht, ihre flügge gewordenen, ziemlich exzentrischen Mädels unter eine respektable, am besten aristokratische Haube zu bringen. Um das bürgerliche Familienerbe zu retten, den sozialen Abstieg der Sippe abzuwehren.

Jane Austens mit delikater Ironie und kühler Kritik gesättigter Gesellschaftsroman „Stolz und Vorurteil“ wurde gleich nach 1813 Kult und Kassenschlager.

Zwei Jahrhunderte später schnappte sich Isobel McArthur aus Glasgow den Klassiker. Und formte ihn um zu einer knalligen Komödie mit ordentlich Luft für popmusikalische Einlagen. Das bescherte ihr 2018 prompt den Laurence-Olivier-Award als „Best Comedy“.

McArthurs genialischer Kick ihrer Adaption, der man überflüssigerweise den zeitgeistigen Untertitel „*oder so“ verpasste: Die abenteuerliche Story um Männerfang und Heiraterei – seit Ewigkeiten Stoff für Komödie bis Klamotte –, wird erzählt von fünf Dienstmädchen, die im fliegenden Wechsel in die verschiedensten Rollen schlüpfen (es sind korrekt ihrer 18): Nämlich in die der Töchter, der Frau Mama, der Heiratskandidaten sowie der diversen Verwandten.


Herzen tropfen, Liebe schmachtet


Das Groß-Gaudi zwischen Bällen, Schlössern und Salons ist damit programmiert: Blitzschnelle Verwandlungen, groteske Kostümierungen, Missverständnisse, Eifersucht, Intrigen, Herzklopfen, Herzschmerzen – natürlich immerzu im Schnellsprech– und Turbo-Klipp-Klapp-Modus, wie es die Regie von Christopher Tölle pässlich will und logistisch perfekt arrangiert. Freilich, man verliert bei allem Chargieren, Karikieren, Kalauern, Kreischen, Heulen, Juxen gelegentlich die Übersicht, wer denn nun wie warum gerade mit wem oder gegen…

Macht nix. Dann schmeißt Gitarrist Robert Käßler die Playback-gestützte Hitmaschine mit dem süffigen 80er-Mix an – „Lady in Red“, „Time After Time“ etc. Und stürzt das ohnehin auf Begeisterung erpichte Publikum in Ekstase. 

So feierte es denn bis an den Rand totaler Verausgabung diese erste Premiere der Kudamm-Bühne im Interim am Potsdamer Platz. Und sonderlich das Quintett der rasenden Damen Anna Maria Mühe (die erste Arbeit des Filmstars im Theater), Johanna Asch, Mackie Heilmann, Nadine Schori, Birthe Wolter. – Und das Ende vom schrillen Trallala? Natürlich Liebe, Brautkranz, Geldgewinn. Was sonst.

Komödie am Kurfürstendamm im Theater am Potsdamer Platz, bis zum 21. Mai. Hier geht’s zu den Karten.

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2. DT Studio - Leben im Nebenrollen-Einsatz

"Anne-Marie die Schönheit" im DT-Studio © Arno Declair

Sie steht am Fenster, leicht gekrümmt, müde, in sich gekehrt. Und schaut hinaus ins Dämmernde (oder ist es schon Dunkel)?

Tja. Alle sind sie nun tot. Nein, der Sohn ist noch. Ist aber nicht da. Ist fort. Und alle andern tot: Ehemann, Hausarzt, Freunde und Kollegen – auch Verehrer – von früher, als sie am Stadttheater war. Schauspielerin! Nein, nicht vorn an der Rampe. Immer zweite Reihe, oder dritte. Nicht wie Giselle. Die bewunderte, geliebte, immer vorn im Licht strahlende ferne Freundin mit den tollen Männern, den tollen Regisseuren, den tollen Rollen und dem tollen Aufstieg bis hin zum Film. Doch die Gigi, die ist nun auch tot.

Aber Anne-Marie lebt. Ist doch schön. Eigentlich. Und abgesehen von den kaputten Knien, den zitternden Gliedern, der Schlaflosigkeit, der Einsamkeit. „Ich hatte ein Filmgesicht“, sagt sie und geht zum Waschbecken, guckt in den Spiegel, trinkt was aus dem Zahnputzglas. „Ich hatte ein glückliches Leben.“

Sagt sie; glaubt es aber selbst nicht recht. Doch warum nicht ein bisschen träumen? Warum dieses lange, lange Leben mit dem Theater, der Ehe, den unerfüllten Wünschen, weggesteckten Enttäuschungen und dem tapfer begeisterten Durchhalten sich nicht ein Quantum schöner, womöglich glamouröser zurecht zu träumen?


Kein Star was born


Im Grunde aber ist ihr klar: Der früh schon aufkeimende, lebenslang lodernde Traum vom Ruhm im Rampenlicht, der versandete alsbald. Kein Star was born. Immer traf’s andere, zum Beispiel Gigi. Für Anne bloß Nebenrollen-Einsatz auf Provinzbühnen. Was für ein Leben! Freilich nicht gänzlich unerfüllt – aber weitgehend. Davon erzählt Yasmina Reza, die weltweit meistgespielte Gegenwartsautorin im Monolog einer Schauspielerin unter dem signifikant sarkastischen Titel „Anne-Marie die Schönheit“. Denn schon allein das mit der Schönheit, das bleibt, galant gesagt, dahingestellt.

Wie so vieles in Anne-Maries dahin perlendem oder auch vor sich hin stockendem, zuweilen tüttelich plapperndem, nur selten larmoyantem, dafür umso öfters spitzhumorig aufblitzendem Redefluss.

Die Reza hat ihren wehen 79-Seiten-Text „aus Gründen der Distanz und Allgemeingültigkeit“ für einen Mann geschrieben. Jetzt, im extra installierten Studio unterm Dach des Deutschen Theaters, ist das Helmut Mooshammer, der im nur scheinbar paradoxen Gegensatz zu Anne-Marie und – wie gewünscht von der Autorin – selbst ein großer Künstler ist.

Mooshammer in blass-braunem Rock, dunkelrot-schlabbrigem Pullover, Krücke und fußfreundlichen Schlappen an den Beinen (Kostüm: Henrike Huppertsberg) kommt auf sozusagen leisen Sohlen daher (Regie: Friederike Drews). Mit schauspielerischem Minimalismus, der alles auf Sprache, Stimme, Gesichtsausdruck und sparsam eingesetzter Gestik setzt. Der das Gebrechliche dieser tragisch umflorten Figur zeigt, das Depressive, aber auch Euphorische, das freilich rasch wieder zusammenfällt ins Resignative. Eine feine Mischung aus sanfter, auch schmerzlicher Melancholie und kess-koketten Momenten trotzigen Auftrumpfens.

Was für eine aufregende, ja erschütternde und auch wieder komisch-groteske Studie, ohne wohlfeil mit Psychologie, mit schauspielerischem Virtuosentum zu schäumen.


Abschied vom DT


Mooshammer könnte es lässig, das Effektheischende. Blickt er doch selbst zurück auf ein langes Schauspielerleben, das all das hat, was Anne-Marie nie bekam. Und feiert mit dieser tollen Rolle den Abschied vom DT.

Also keine schillernde Sentimentalität, kein pathetisches Tränenwischen und schon gar keine ironisch äffende Travestie. Mooshammer macht diese gekrümmte, müde Schauspielerin, die in der Dämmerung ihres Daseins noch einmal aufgeregt oder abgeklärt von sich selbst sozusagen abschließend redet, zu einer ins Allgemeine ragenden Figur. – Eine zärtliche Hommage aufs Leben, wie krumm auch immer es spielt; diesseits oder jenseits vom Theater. Berührend. Lebensklug. Vielleicht tröstlich.

Deutsches Theater, Studio, 13., 17., 18., 20. Mai, 22., 27. und 29. Mai. Hier geht’s zu den Karten.

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3. Berliner Ensemble - Absurde Posse im Betonbunker

"Totentanz" im Berliner Ensemble © JR Berliner Ensemble

Nach genau 85 Minuten endet die „Totentanz“-Inszenierung von Kay Voges in John von Düffels noch immer zu langen Kurzfassung; wobei man in den letzten zehn Minuten nochmal auf Anfang tanzt. Aha, Wiederholung des Immergleichen. Aha, Strindbergs Silberhochzeitspaar Alice und Edgar (Claude de Demo, Marc Oliver Schulze) kreiselt in der Endlosschleife: Notorischer Ehekrieg, Herumfuchteln mit Knarre und Rasiermesser, gegenseitiges Verhackstücken im rhetorischen Dauerfeuer bis dass der Tod ein Einsehen hat.

In August Strindbergs Urstück von 1900 über toxische Zweier begreift ein radikal veranlagtes Paar die Geschlechter-Schlacht als absurd gegebenes Lebensprinzip. Und exekutiert es unter zynischem Gelächter und höhnischem Heulen als brutales Spiel. Um psychologische Finessen oder subtile Figurenzeichnungen macht sich die Regie da keine Sorgen. Umso mehr kümmert sie sich um die exzessiven, immer auch wieder ins amüsant Aberwitzige getriebenen Duelle der beiden zombihaften Typen, denen ein ferner Freund namens Kurt (Gerrit Jansen) hilflos beisteht als depperter Sekundant.


Das Quälen und Gequältwerden


Lohnt nun aber die Anstrengung? Für ein mit speziellem, tiefschwarzem Humor begabtes Publikum vielleicht. Man muss nur hinnehmen, dass Kay Voges den frühmodernen „Dodsdansen“ frech als grausamen Witz begreift, der immerhin allzeit Gegenwärtiges, eben Menschlich-Allzumenschliches streift.

Das in einem Betonbunker auf einer Quarantäne-Insel festsitzende und umeinander tobende Personal zelebriert, muss man sagen, eine schlimme Posse über ein sinnloses, notgeiles, hasserfüllles, ungetröstetes, trotzdem nach Trost dürstendes Leben. Quälen und Gequältwerden ist der Welt Alltag. Oder?

Also alles in allem ätzend fieses Entertainment. Hätte man noch besser auch in 55 statt 85 Minuten schaffen können. Und der popkulturell arg bewegte Regisseur hätte vor der Premiere besser nicht gelockt mit seiner Einladung „an Serien-Nerds“ zum „lustvollen Synapsenspiel“. Weil „Totentanz“ kurz geschlossen sei mit „Lost“, der High-Tech-Mystery-Serie aus den Nullerjahren. Alles hochgestapelt.

Also nichts mit Lust sowie Synapsen. Dafür fand Daniel Roskamp die Idee vom mysteriösen Bühnenbunker, in dem jede Menge Monitore und Computersignale hübsch überflüssig flimmern.

Unsereins hingegen dachte eher an die 70er und 80er Jahre mit ihren grotesk bösen TV-Serien „Sketchup“ und „Klimbim“; von Voges nur noch bisschen böser gemacht. Aber nicht weniger wahrhaft.

Berliner Ensemble, 24., 25. Mai, 17. und 18. Juni. Hier geht’s zu den Karten.


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4. Extra-Tipp: Jutta Wachowiak erzählt Jurassic Park 

In dieser großartigen, vom eigenen Erleben des DT-Altstars gespeisten Erzählung im witzig intimen Plauderton geht es natürlich nicht ums Erdmittelalter, sondern um aufregend Gegenwärtiges: Nämlich das nach wie vor angespannte Verhältnis zwischen Deutsch-Ost und Deutsch-West, das ja gerade jetzt wieder durch das Buch von Dirk Oschmann „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“ für besondere Aufregung sorgt – von den durchgestochenen privaten Auslassungen des Chefs vom Axel-Springer-Konzern ganz zu schweigen. Eine Polit-Preziose im DT-Programm! (Lesen Sie dazu auch den Blog Nr. 380 vom 3. Januar 2022).

Box des Deutschen Theaters, 31. Mai und letztmalig am 13. Juni. Hier geht’s zu den Karten.

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