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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 37

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

27. Mai 2013

Gorki Theater

Brecht war nicht zu Unrecht stets in Sorge, dass in seinen episch erzählenden Stücken der Oberlehrer Oberhand gewinnen könnte. Dabei geht es in „Leben des Galilei“ nur ganz am Rande um Wissenschaftsgeschichte. Es geht um existenziell Menschheitliches: Um Segen und Fluch entfesselter Ratio.   Da fegt dieser Renaissance-Astronom mit seinem neuen Fernrohr das geozentrische Weltbild beiseite, vertreibt also die Menschheit aus dem Zentrum des Universums und nunmehr ohne Gott hinein in den Sog gierigen Forschens.

Ein folgenschwerer Tatbestand: Vernunft brach sich brutal Bahn, das Faustische überwand triumphierend jede Grenze, die bis dato galt. Doch die Politik, damals Kirche, fürchtet um ihre Macht, stoppt Galilei, der sich der Inquisition fügt und widerruft. Für Brecht die ganz große Niederlage. Denn: Der Sieg der Vernunft kann nur der Sieg der Vernünftigen sein. Und, schon nachsichtiger über Galilei, den Verräter, der kein Märtyrer sein wollte: „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat“.

Bleibt bis heute stirnrunzelnd unsere Frage an die Aufklärung: Wer und was ist vernünftig? Ist Alles-Wissen-Wollen, Alles-Machen-Können gut fürs Menschenglück; ist ein entgötterter Himmel gut für Trost und Seelenfrieden?

Brecht, zunächst irritierend fortschrittsgläubig, wurde beim Werkeln am Werk zwischen 1938 und 1946 (die Atombombe) zunehmend skeptischer, dass Wissensfortschritt einzig der Menschenbeglückung diene. Entsprechend rigoroser sprach er von der moralischen Verantwortung des Wissenschaftlers (Galilei). Also: Wie viel Wissenschaft darf sein?

 

Wenn das kein Riesenaufreger ist auch jenseits vom Rückblick auf Momente der Wissenschaftsgeschichte, da an Star-Wars noch kein Gedanke war. Dennoch: Armin Petras liefert mit seiner dreistündigen „Galilei“-Inszenierung eine spannungsarme Abendveranstaltung über die epochalen Forschungsergebnisse eines genialen Astronoms sowie dessen Querelen mit fürstlichen Finanziers, päpstlichen Zensoren, Mitarbeitern, Familienmitgliedern.

Seine Regie blättert Szene für Szene Brechts historischen Bilderbogen auf, gleichgültig gegenüber Stichworten für packend gegenwärtige Lesarten. Petras findet keine! Er lässt abspulen, einfach so. Ohne eine Konzentration. Findet auch nicht zu etwa kraftvoller Distanz zum Stück, die sich mit Erfahrungen von uns Nachgeborenen heute provokant kurzschlösse. Vielmehr verschwendet der mit seinen fünfzig Jahren noch immer am Image des For-ever-young-Wilden klammernde, oftmals dennoch grandiose Regisseur die üppig ins Kraut schießende Fantasie aufs Dekorative. Auf tolle Slapstickiaden, Shownummern, Gags, Pantomimen, popmusikalische Einlagen (nebst einigen Tönen der Originalmusik von Hanns Eisler) sowie feine optische Tableaus im artifiziellen Bühnenbild von Carsten Nikolai. In dessen raffiniert ausgeleuchtetem White-Cube schwingt aus einem signifikanten Loch im Bühnenhimmel heraus ein Pendel in alle naturgesetzliche Ewigkeit.   Dies schillernd Optische, edel schwarz-weiß kostümiert Performative geht immer nur verbissen gegen diverse Schulmeistereien des Brechtschen Erklärtheaters – anstatt sie ingeniös aufzuheben.

 

Also abgesehen vom Einsatz eines Handys und eines Helms aus dem Fundus für Kosmonauten: Kein wirklicher Griff ins Gegenwärtige. Dafür allerhand Show mit perfekt agierenden Spielern – allen voran Peter Kurth als sarkastisch cooler, zuweilen genervt ruppiger Galilei. Als dessen Antipode brillierend in vielerlei Gestalt bis hin zur Brecht-Parodie mit Fistelstimme Wolfgang Michalek. Galileis Tochter gibt Julischka Eichel als charming Blondchen. Und Paul Schröder fasziniert nebenher als kluger Kleiner Mönch im großen Monolog über die Wichtigkeit, ja unsterbliche Mächtigkeit des lieben Gotts. Damit wird das Galilei-Historical aber auch nicht aufregender.

Theater an der Parkaue

Woher kommt die Lust am Gruseln, fragt man in Treptow Kinder zwischen sieben und elf Jahren mit dem witzigen Stück des englischen Autors Mike Kenny (Deutscher Kindertheaterpreis 2012). Sein „Nachtgeknister“ ist eine gespenstische Gutenachtgeschichte. Ein feiner kleiner Spaß aus viel Fantasy und moderatem Horror, der keine Albträume auslöst, aber doch die lieben Kleinen – Tipp für deren unternehmungslustige Eltern! – garantiert schaurig unterhält unter der so subtilen wie mit ganz einfachen Mitteln fantasiereichen Regie von Laura Kallenbach. Und ganz nebenbei gibt es ein klein bisschen Aufklärung als Betthupferl. (wieder vom 27. bis 30. Mai)

Theater 89

Wirklich: Ein schöner junger Mann. Hohe Stirn, kantiges Kinn, sinnlicher Mund. Und herausfordernd fragende Augen, aber ein trauriger Blick. Als das Foto entstand, war Erwin Jöris Mitte zwanzig und hatte schon allerhand hinter sich.

Geboren im Berliner Proletenbezirk Lichtenberg, erlebte der gelernte Tischler als Schulanfänger (Weltliche Schule Pfarrstraße) die Spartakuskämpfe (Papa mischte mit), den Trauerzug der wütenden Massen für die ermordeten KP-Führer Liebknecht und Luxemburg, die Jöris zum Lebensvorbild wurden. Denn das entsetzliche Elend der schwer malochenden, hungernden Proleten, das um ihn war, das konnte nicht gerecht sein, das politisierte schon den Knaben. Alsbald trieb es den jungen Kerl mit dem kritischen Kopf und der hellen Empörung gegen alles Unrecht der Welt ins linke Lager. Erwin wurde Lichtenberger Bezirksjugendleiter der Kommunistischen Jugend, bekam Kontakt mit allen KP-Größen der Reichshauptstadt, organisierte linkes Jugendleben, dazu Streiks, Aufmärsche, kriegerische Straßenkämpfe   die Sargnägel der Weimarer Republik. Mit der NS-Herrschaft kam das KZ, dann die Emigration nach Moskau. Dem Quartier im Komintern-Hotel „Lux“ folgte – nach unbotmäßigem Verhalten – das berüchtigte NKWD-Gefängnis Lubjanka. Dort entstand das besagte Porträt eines schönen jungen Mannes, des Häftlings E. Jöris, Mitte 20.

 

Was für Auf-, Aus- und Zusammenbrüche. Doch sie waren nur Auftakt für noch sehr viel Schlimmeres in braunen und roten sowjetisch-deutschen Diktaturen. 22 Jahre seines Lebens verbrachte Jöris in Gefängnissen und Lagern der Nazis, der Sowjets, der Stasi. 1955 floh er in den Westen. Lebt seither, die kommunistische Hoffnung beiseitegeschoben, in Köln. 1995 feierte er seine Rehabilitierung, 2013 seinen 100. Geburtstag. Was für ein Leben!

 

Der Historiker Andreas Petersen machte daraus ein Buch: „Deine Schnauze wird dir in Sibirien zufrieren“ (Marisverlag Wiesbaden); das immer wieder überraschend großartige Theater 89 aus der gedruckten Vorlage eine Szenenfolge. Kiez-, National- und Weltgeschichte verquickt, authentisch lebensprall erzählt über O-Töne, kontrapunktiert mit Liedgut der Zeit sowie retrospektiven Kommentaren des gebrochenen Helden selbst und seiner Zeitgenossen von Luxemburg, Thälmann, Goebbels, Ulbricht, Stalin bis Mielke.

 

„Jöris: Deine Schnauze… “ (Teil 1, ein zweiter Teil folgt im Herbst) gehört zum packenden „Projekt Erinnern“ dieser verdienstvollen und ruhmreichen Off-Bühne (Regie: Hans-Joachim Frank, Dramaturgie Jörg Mihan). Und seine große Jöris-Doku wird schließlich noch sensationell ergänzt mit so genannten „Gipfelgesprächen“. Es sind, den Archiven entrissen, theatralisch aufbereitete Auseinandersetzungen zwischen Stalin, Pieck, Grotewohl, Ulbricht in Moskau 1952 sowie zwischen Kohl, Krenz, Gorbatschow im Herbst 1989.

Obendrein gehört zum Kontext der Jöris-Biografie die wuchtig zwischen Tragödie und Farce changierende Doku „Die letzten Tage des ZK der SED“. Mit Theater-89-Schauspielern sowie der Singakademie Frankfurt/Oder. Diese enorm aufwändige, höchst bemerkenswerte Großveranstaltung (skandalös, dass man sie nicht im vorigen Jahr zum Theatertreffen einlud) wurde bislang in Berlin an historischen Orten gezeigt und ist in der nächsten Spielzeit wieder im Spielplan. Der beträchtlichen Raum fordernde Aufführungsort (Moabit wäre viel zu klein) ist zur Zeit noch unklar.

 

Schwierige Lebensläufe, tragische Schicksale im Zusammenhang ebensolcher Zeitläufte aus unserer jüngsten Vergangenheit korrekt und künstlerisch signifikant vergegenwärtigt ist eine singuläre Spitzenleistung des kleinen Theaters 89 im Hauptstadtbühnenbetrieb. Zu finden im jetzt neuen Spielort der innovativen Truppe im historischen Moabiter Gemeindesaal Putlitzstraße.

 

(„Jöris“ wieder am 31. Mai, 7. Juni. Gipfelgespräche Kohl-Krenz-Gorbatschow am 2. und 9. Juni. Stalin-Pieck-Ulbricht-Grotewohl am 1. und 8. Juni. Immer 19.30 Uhr. Putlitzstraße 13 über den Hof, evangelisches Gemeindehaus. Zwischen U 9 Birkenstraße   Putlitzstraße in Richtung Brücke Spreekanal   und U 9 Westhafen.)

Deutsches Theater

Schnell noch der Verweis auf ein wunderbares kleines Jubiläum: Am 31. Mai gibt es zum 75. Mal „Onkel Wanja“, das Vermächtnis des vor ein paar Jahren viel zu früh und auf dem Gipfel seiner Regiekunst verstorbenen, unvergesslichen Jürgen Gosch. Seine so sehr liebevolle, gelassen sarkastische, unendlich traurige, elend komische, gnadenlos genaue und also verstörende Tschechow-Inszenierung schimmert als Juwel im ansonsten besonders hinsichtlich überregionaler Ausstrahlung eher betrüblichen Programm unseres heimlichen Nationaltheaters.

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