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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 361

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

21. Juni 2021

HEUTE: 1. „Vorhang auf für Cyrano“ ‑ Komödie am Kurfürstendamm im Schiller Theater / 2. „Schmetterlinge sind frei“ ‑ Schlossparktheater / 3. Ein Großer des Theaters ‑ Gedenken an Klaus Michael Grüber 

1. Kudamm-Komödie: - Das Drama um die lange Nase

Vorhang auf für Cyrano © Franziska Strauß
Vorhang auf für Cyrano © Franziska Strauß

Um aus meinem Nähkästchen zu plaudern: Was hinter dem Theatervorhang wohl alles passiert, hat mich schon als Kind vor Neugier schier närrisch gemacht. Etwa beim Weihnachtsmärchen („Die Schneekönigin“) im Kulturhaus „Otto Buchwitz“ in einem Vorort von Dresden. Es war diese magische Wand, hinter der ein Zauberreich sich auftut – wenn die Wand endlich hoch geht. Der unvergessliche Höhepunkt damals war aber: Zusammen mit Mutti, die jemanden kannte, schon vor der Vorstellung hinter diese Wand zu gucken. Backstage, diesen Ausdruck kannte ich natürlich noch gar nicht, also Backstage war ja fast noch aufregender als die Pappkulissen dieses mir bis heute noch als ganz und gar großartig in Erinnerung gebliebenen Laientheaters samt der schrecklichen Abenteuer, die da Kay und seine Schwester im vereisten Reich der kalten Königin zu bestehen haben.

Man darf getrost annehmen, was da gewiss immer schon alles hinterm Vorhang passiert, das wird wohl, solange es Theater gibt, die Leute zumindest gleichermaßen interessieren und faszinieren wie dann (hoffentlich!) die Vorstellung. Es sind ja nicht nur die technisch großen Knaller, sondern gerade auch die vielen kleinen Finessen, mit denen enorm Wirkung gezaubert wird. Zugleich jedoch interessieren die Nöte, Kräche, Affären, die Zusammenbrüche und Aufbrüche, die Katastrophen, Tragödien, Grotesken oder Komödien, die sich hinterm Vorhang abspielen. Angefangen beispielsweise bereits beim Schreiben eines Stücks bis hin zur Herstellung der Inszenierung. Und (kurz) vor der Premiere kocht ohnehin die Theaterluft – wie aufregend….


Die Geburt der Kunst aus dem Chaos 


Schon immer reizte es die Zunft, aus ihren berufstypischen Problemen ein saftiges Stück zu machen. Thema: Die Geburt der Theaterkunst aus dem Chaos der Theatermacher. Ein Paradebeispiel und Spielplan-Dauerbrenner ist der Gebrüder Schönthans geistreich zwischen Tragik und Komik mäandernde Klamotte „Der Raub der Sabinerinnen“; zuletzt an der Kudamm-Komödie mit Katharina Thalbach als der sagenhafte Theaterdirektor Striese.

Und jetzt also wieder eine, eine neue Backstage-Komödie: „Vorhang auf für Cyrano“ vom prominenten französischen Autor Alexis Michalek, uraufgeführt vor fünf Jahren in Paris (ein Kassenknüller) und jetzt als deutschsprachige Erstaufführung in der Comédie au Théatre Schiller. Übrigens, die Filmversion kam 2019 in die französischen Kinos.

Erzählt wird fiktiv die Geschichte der Entstehung einschließlich der Urinszenierung von Rostands romantischer Komödie „Cyrano de Bergerac“ anno 1897, dem bislang – man staune – größten Erfolg der französischen Theatergeschichte.

Im Mittelpunkt des mit Pleiten, Missverständnissen und Herzensangelegenheiten vollgestopften Geschehens steht also der Jungdichter Edmond Rostand, der es nach schrecklichen Schreibblockaden und anderen theatertypischen Hindernissen schließlich doch noch schafft, seine hintersinnige Geschichte vom Cyrano mit der langen Nase ‑ natürlich erfolgreich – auf eine Brettel-Bühne zu bringen. Mit einer natürlich total durchgedrehten, Gagen, Feind- und Liebschaften nachjagenden Truppe, die obendrein heimgesucht wird von dubiosen Investoren, aber auch von prominenten Figuren des Theaters, was für amüsante Extra-Einlagen sorgt. Etwa mit Sarah Bernhardt, Anton Tschechow, Konstantin Stanislawski oder Maurice Ravel.

Inszeniert hat die mit Musik und Tanz aufgemischte Show Christopher Tölle mit viel Fantasie und Geschick für Turbulenzen am laufenden Band (Tempo, Tempo!). Philip Butz, zuletzt in diesem Theater als Rio Reiser, hat als einziger nur eine Rolle: nämlich die Hauptrolle als feinsinniger, von Selbstzweifeln geplagter und doch leidenschaftlich brennender Verseschmied Edmond Rostand. Die zwölf weiteren Ensemblemitglieder schlüpfen im fliegenden Wechsel in mehr als 40 Figuren. Alle zusammen feierte das Premierenpublikum mit stehenden Ovationen.

Termine: Bis 4. Juli en suite. Die Vorstellungen 24.-26. Juni finden nachmittags. Letzte Vorstellung: 4.7., 18 Uhr. Tickets finden Sie hier.

HINWEIS: Nach vielfacher Corona-Verschieberei kommt nun endlich der Agatha-Christie-Klassiker „Mord im Orientexpress“ heraus, den Katharina Thalbach als groß aufgemachtes Kriminalspektakel mit Starbesetzung inszeniert. Sie spielt auch die Hauptrolle, den sagenhaften belgischen Kommissar Hercule Poirot, der im spektakulären Alleingang auf der geheimnisumwitterten Fahrt von Istanbul nach Calais mit Charme und Scharfsinn den durchtriebenen Mörder aufspürt. 

Premiere an der Bismarckstraße ist am 24. Juli, letzte Vorstellung des En-Suite-Betriebs am 19. August. Der Kartenvorverkauf läuft

*** 

 

2. Schlosspark: - Blindsturz ins Liebesabenteuer

Schmetterlinge sind frei  © DERDEHMEL/Urbschat
Schmetterlinge sind frei © DERDEHMEL/Urbschat

Don Baker, ein junger Mann aus gutem Hause, feinsinnig, gebildet, gutaussehend, hat sein Luxushotel Mama verlassen, um endlich, befreit von Behütung und Bevormundung, selbstständig zu leben in einer Bude inmitten von New York. – So fängt sie an, diese dem Leben weise abgelauschte, Klischees schlau unterlaufende Komödie „Schmetterlinge sind frei“ von Leonard Gershe, in der immer wieder nichts so ist wie es zunächst scheint.

Dort, im schäbigen Junggesellen-Domizil (Bühne: Joachim Hamster Damm), trifft Don (Johannes Hallervorden) auf Jill Tanner (Helen Barke), die Nachbarin, eine puppenlustige Chaotin mit Herz, ein schlagfertiger, auf Abenteuer erpichter Springteufel aus überhaupt nicht so gutem Hause. Jill, 24, sechzehnjährig für sechs Tage verheiratet, geschieden, mit Ach und Krach die High School, dann zur Uni, wo sie „keinen Parkplatz“ fand, macht neuerdings auf Schauspielerin. Und verknallt sich prompt in den eher schüchternen, doch sanft verführerischen Don, der eigene Lieder hübsch zur Gitarre singt. Und sich rührend in Jill verliebt. Nach dem Sex sagt sie: „Es war wie Weihnachten und Unabhängigkeitstag zusammen.“ Dass ihr „innen wie außen schöner“ Don blind ist, das hat sie weder davor noch danach gestört und erst recht nicht dabei.

Doch da platzt Mutti (Julia Biedermann) unverhofft ins frische Glück, um Sohnemann, der kräftig zurückschießt, heim zu holen. Sie meint, der Blinde schaffe es nicht ohne ihre Fürsorge. Ein Blindenhund sei allemal besser für ihn als dieses Flittchen. Unter vier Augen – Don ist unterwegs zum Einkauf fürs Abendessen zu zweit – fordert sie von Jill, sofort reinen Tisch und Schluss zu machen mit Lustig, bevor sie Don unnötig wehtut.

Und wirklich: Jill verpasst das Dinner, trudelt Stunden später ein am Arm ihres Produzenten, einem rüden Kerl, der sie für einen sagen wir Pornofilm engagierte. Der Sex mit ihm (Fabian Stromberger) war zwar wie „Tag der Arbeit“, trotzdem, sie will zu ihm und packt die Koffer. Don will zurück zu Mama, die ihn – Überraschung! – abweist. Er soll nicht gleich die Flinte ins Korn werfen, wenn er mal verlassen wird, sondern „ein neues Leben“ packen. Die Lady hat was kapiert. Doch das letzte Wort ist längst noch nicht gesprochen…


Erregt flatterndes Freisein, aber absturzgefährdet 


Um es endlich zu sagen: Leonard Gershe aus New York City (1922-2002), einer der Broadway-Top-Autoren, lieferte mit diesem Stück 1969 ein Meisterwerk (pointiert auf Deutsch: Otto Beckmann) sowie einen Hollywood-Hit (Verfilmung von Milton Katselas mit Goldie Hawn). Schon im poetischen Titel „Schmetterlinge sind frei“ (ein Charles-Dickens-Zitat) stecken die Ambivalenzen: Erregt flatterndes Freisein – zugleich Fragilität, Absturzgefährdung, Umherirren ohne Festpunkt.

Es ist ein profundes Drama, das da in dieser zwischen Zartheit und Härte, Mut, Angst, Süße und Bitterkeit schwingenden Komödie steckt. Ein Drama über Emanzipation und Verantwortung, übers Erwachsenwerden, kompliziert Abnabeln, lustvoll Finden, schmerzlich Lassen und noch dazu (kleines Lehrstück) über den souveränen Umgang mit Blinden sowie das schwankende Selbstwertgefühl derart körperlich beeinträchtigter Personen. So schimpft der Don auf peinliche Leute, die sich ihm gegenüber verhalten als sei dauerhaft „Weltbehinderten-Barmherzigkeitstag“.

Regisseurin Irene Christ hat Komödie und Drama im Griff, und auch das unentwegte, fein getaktete Hin und Her der Stimmungen und Tonlagen. Ein spannender, witziger, ein sehr berührender, auch ziemlich nachdenklich machender Abend.

Wiederaufnahme 21. Juni, 20 Uhr; Folgevorstellungen 22.- 26. Juni, 20 Uhr; 27. Juni, 18 Uhr 

*** 

3. Klaus Michael Grüber: - Traumerfinder im Gegenwartslärm

Brief eines Besuchers von Grübers Faust Inszenierung 1982. Abgedruckt in Spiel auf Zeit, einem Theaterlesebuch, das 1992 zur Schließung des Theaters der Freien Volksbühne in der Schaperstraße. Herausgegeben vom letzten Intendanten Hermann Treusch. © Kulturvolk | Freie Volksbühne Berlin e.V.
Brief eines Besuchers von Grübers Faust Inszenierung 1982. Abgedruckt in Spiel auf Zeit, einem Theaterlesebuch, das 1992 zur Schließung des Theaters der Freien Volksbühne in der Schaperstraße. Herausgegeben vom letzten Intendanten Hermann Treusch. © Kulturvolk | Freie Volksbühne Berlin e.V.

Er galt als Metaphysiker der Bühne, als der große Außenseiter, der das Rätsel zur Quintessenz seines Schaffens erhob. Knallige Effekte waren ebenso wenig seine Sache wie vordergründige Diktionen. Als Klaus Michael Grüber 1982 zu Goethes 150. Todestag an der Freien Volksbühne den ersten Teil des „Faust“ inszenierte, bekam das Publikum fast gar nichts mehr zu sehen. Der Text war auf drei Personen zusammengestrichen. Bernhard Minetti in der Titelrolle grummelte vor sich hin, als käme es schon nicht mehr drauf an, die Bekenntnisse von Faustens Verzweiflung noch einmal zu wiederholen. Düster und karg bis zur Askese verweigerte sich diese Inszenierung dem Auge und wehte mitten im Lärm der Gegenwart die Trauer um menschliche Begrenztheit in düstere Nebelschwaden über die Szene.

Seit Anfang der 1970er Jahre arbeitete Grüber hauptsächlich in Berlin; vor allem an der Schaubühne, der er sich bis zum Ende der Ära Peter Stein verbunden fühlte. „Wenn er mein Freund gewesen wäre“, so Stein, „dann wäre ich sehr froh; aber ich weiß es nicht. – Er war die Diva, die umworben werden musste. Und ich war der Kritiker, der mit den Großen pinkeln wollte.“

Groß und unvergessen von den Berliner Arbeiten bleibt vor allem seine „Winterreise“ nach Hölderlins Briefroman „Hyperion“, die K.M.G. 1977 im Olympiastadion in Szene setzte. Eine wunderbare Elegie über die Größe der Liebe und die Unentrinnbarkeit vor dem Unglück. Dieser Regisseur hielt die Zeit an, quälte sich und die Zuschauer konsequent durch das Jammertal des Humanen. ‑ Eins seiner seltenen Selbstbekenntnisse: „Mein Traum von Theater ist wahrhaftige Ergriffenheit.“

Es kommt nicht von ungefähr, dass der Pfarrerssohn aus dem deutschen Südwesten, 1941 am Neckar geboren, vor allem in Frankreich außerordentlich erfolgreich war. Als erster Deutscher hat er in Paris an der Comédie Francaise inszeniert; 1984 Racines „Berénice“. Sein dunkler Hang zur Metaphysik, so die Kritik, wurde hier aufgefangen von der Formenstrenge und der wohlkalkulierten Klarheit französischen Esprits. Er habe erkannt, dass man auch in Alexandrinern weinen könne.

Klaus Michael Grüber starb am 23. Juni 2008 in Frankreich; am 4. Juni hätte das europäische Theater seinen 80. Geburtstag gefeiert.

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